BGH, Beschluss vom 14.07.2015 - KVR 55/14
Titel
Trinkwasserpreise
Fundstelle
openJur 2015, 17598
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 11 W 3/14
Öffentliches Recht Kartellrecht
§ 32b GWB; §§ 29, 40 VwVfG

Wer ein eigenes, gewichtiges und auf andere Weise nicht zu befriedigendes Interesse an der Einsicht in Akten der Kartellbehörde geltend macht, kann einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 VwVfG liegendes und im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (§ 40 VwVfG) stehendes Akteneinsichtsrecht haben. Das gilt insbesondere bei einem Kartellverfahren, das mit einer Verpflichtungszusage nach § 32b GWB geendet hat.

Tenor

Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. September 2014 werden auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführer zurückgewiesen.

Gründe

I.

Im Streit steht die Frage, ob dem Antragsteller ein Recht auf Einsicht in die Akten eines bei der hessischen Landeskartellbehörde geführten kartellrechtlichen Missbrauchsverfahrens zur Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegen die Betroffene, die HEAG Südhessische Energie AG, zusteht.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines in Darmstadt gelegenen Grundstücks, das an das Trinkwassernetz der Betroffenen angeschlossen ist. Die Landeskartellbehörde leitete im Jahr 2009 gegen die Betroffene ein Kartellverfahren wegen eines möglichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ein, da der Verdacht bestand, die von der Betroffenen berechneten Trinkwasserpreise seien um 39 % überhöht. Am 20. September 2013 bot die Betroffene eine Verpflichtungszusage u.a. mit dem Inhalt an, ab dem Jahr 2014 die Preise um 20 % zu senken. Die Landeskartellbehörde teilte mit Presseerklärung vom selben Tag mit, das Kartellverfahren sei durch einen Vergleich beendet worden. Mit Verfügung vom 2. Dezember 2013 hat die Landeskartellbehörde die Verpflichtungszusage der Betroffenen gemäß § 32b GWB für bindend erklärt.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 29. Oktober 2013 hatte der Antragsteller beantragt, ihm Einsicht in die Akten der Landeskartellbehörde zu gewähren, um mögliche Schadensersatzansprüche gegen die Betroffene gemäß § 33 GWB abklären zu können. Hilfsweise hatte er beantragt, ihn zum Kartellverfahren beizuladen. Die Landeskartellbehörde hat beide Anträge mit Verfügung vom 8. Januar 2014 abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen diese Verfügung war erfolgreich. Hiergegen richten sich die vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden der Landeskartellbehörde und der Betroffenen.

II.

Die Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung (OLG Frankfurt, WUW/E DE-R 4505) im Wesentlichen wie folgt begründet:

Dem Antragsteller stehe kein unbedingter Anspruch auf Akteneinsicht gem. § 29 VwVfG zu, da er nicht Verfahrensbeteiligter im Sinne von § 13 VwVfG gewesen sei. Außerdem beziehe sich das Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG stets auf einen Anspruch innerhalb des Verwaltungsverfahrens, nicht jedoch, wie vorliegend, auf das außerhalb des Verfahrens liegende Interesse an der Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage. Zudem regle § 29 VwVfG nur das Akteneinsichtsrecht in laufenden Verwaltungsverfahren. Das vorliegende Verfahren sei jedoch bereits abgeschlossen.

Der Antragsteller könne einen Anspruch auf Akteneinsicht auch nicht auf § 1 des Gesetzes über den Zugang zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG) stützen, da sich dieser Anspruch allein gegen Behörden des Bundes richte, nicht jedoch gegen den Antragsgegner als Landesbehörde. § 72 GWB könne ebenfalls nicht als Anspruchsgrundlage herangezogen werden, da sich diese Vorschrift nur auf die Einsicht in Gerichtsakten im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens beziehe. § 406e Abs. 1 StPO sei gleichfalls nicht anwendbar, da vorliegend kein Kartellbußgeldverfahren durchgeführt worden sei.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts steht dem Antragsteller jedoch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 VwVfG liegende und im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (§ 40 VwVfG) stehende Akteneinsichtsrecht zu. Das als Voraussetzung für dieses Akteneinsichtsrecht bestehende berechtigte Interesse des Antragstellers liege vor. Es genüge hierfür das Interesse an der Akteneinsicht zur Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage nach § 33 GWB. Die Verfahrensbeendigung nach § 32b GWB entfalte keine Bindungswirkung im Zivilprozess gem. § 33 Abs. 4 GWB, vielmehr sei der Kläger für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. Insoweit stehe konkret im Raum, dass die begehrte Akteneinsicht weitere Erkenntnisse, insbesondere über die herangezogenen Vergleichsunternehmen und die Frage, ob sich die Betroffene auf ihr nicht zurechenbare Umstände im Sinne von § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB berufen könne, vermittle. Mit diesem Akteneinsichtsrecht nach Ermessen habe sich die Landeskartellbehörde in ihrer Entscheidung vom 8. Januar 2014 nicht auseinandergesetzt. Insbesondere habe sie nicht geprüft, ob das berechtigte Interesse des Antragstellers nach Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Vertraulichkeit der Akten und eventuell betroffener Drittinteressen überwiege. Dies stelle einen Ermessensnichtgebrauch dar, der zur Aufhebung der angegriffenen Verfügung führe.

Der Landeskartellbehörde sei nunmehr Gelegenheit zu geben, ihr Ermessen auszuüben. Eine eigene Entscheidung des Beschwerdegerichts komme nicht in Betracht, da keine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Entgegen der Ansicht der Landeskartellbehörde ließen weder die fehlende Bindungswirkung der Verfügung gemäß § 32b GWB noch die Tatsache, dass das Missbrauchsverfahren kurz vor seinem Abschluss gestanden habe, noch die Möglichkeit der Aktenbeiziehung gemäß § 273 ZPO im Rahmen des zivilrechtlichen Schadensersatzprozesses die Erforderlichkeit der begehrten Akteneinsicht zwingend entfallen. Das Interesse an einer effektiven Durchführung eventuell beabsichtigter weiterer Kartellverwaltungsverfahren, die durch die Bekanntgabe des Akteninhalts gefährdet werden könnte, sei ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sei, ebenso wie das wirtschaftliche Gewicht des Interesses des Antragstellers und der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.

Ob der vorliegende Sachverhalt wegen seiner grenzüberschreitenden Wirkung auch anhand von Art. 102 AEUV zu beurteilen sei, könne dahinstehen, da der dem Antragsteller zuerkannte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Akteneinsichtsgesuch gemäß § 40 VwVfG im Einklang mit den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union stehe.

2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Das Beschwerdegericht hat zutreffend einen unbedingten Anspruch des Antragstellers auf Akteneinsicht nach §§ 13, 29 VwVfG, § 1 IFG, § 72 GWB bzw. § 406e Abs. 1 StPO verneint.

b) Das Beschwerdegericht ist weiter zu Recht davon ausgegangen, dass dem Antragsteller gegen die Landeskartellbehörde ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 VwVfG liegende und im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (§ 40 VwVfG) stehende Akteneinsichtsrecht zusteht.

aa) Ein solches Akteneinsichtsrecht folgt nicht bereits unmittelbar aus § 40 VwVfG, da diese Vorschrift keine Anspruchs- bzw. Ermächtigungsgrundlage für die Gewährung von Akteneinsicht darstellt, sondern eine solche voraussetzt und lediglich konkretisiert, in welcher Art und Weise das eingeräumte Ermessen auszuüben ist. In der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt, dass, auch wenn außerhalb eines Verwaltungsverfahrens kein unbedingtes Recht auf Akteneinsicht besteht, dennoch ein berechtigtes Interesse vorliegen kann, in verwaltungsbehördliche Akten und Unterlagen Einsicht zu nehmen. Ob unter diesen Voraussetzungen eine Akteneinsicht zu gewähren ist, hat die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 40 VwVfG) zu entscheiden (st. Rspr., BVerwGE 69, 278, 279 f.; BVerwGE 61, 15, 22 f.; BVerwGE 30, 154, 159 f.; BeckOK-Herrmann, VwVfG, Stand 1.4.2015, § 29, Rn. 7; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., § 29, Rn. 18; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 15. Aufl., § 29, Rn. 10; aA Palm, Akteneinsicht im öffentlichen Recht, 2002, S. 117 sowie Partsch, Die Freiheit des Zugangs zu Verwaltungsinformationen, 2002, S. 148). Dabei wird auch für das Kartellverwaltungsverfahren ein solcher Anspruch eines nicht am Verfahren beteiligten Dritten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Akteneinsichtsgesuch in der Literatur befürwortet (Schneider in Langen/Bunte, Kartellrecht, 12. Aufl., § 56 GWB, Rn. 11; KK-Klees, Kartellrecht, § 56 GWB, Rn. 8; MünchKommWettbR-Engelsing, § 56 GWB, Rn. 15; Klooz, Die Akteneinsicht möglicherweise geschädigter Dritter in Akten des Bundeskartellamts, 2014, S. 43 f.; aA Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 56 GWB, Rn. 13 für den Anwendungsbereich des § 1 IFG sowie ohne nähere Begründung Peter in Schulte/Just, Kartellrecht, § 56 GWB, Rn. 3).

Ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch ist aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen anzuerkennen, wenn der Antragsteller im Einzelfall ein eigenes, gewichtiges und auf andere Weise nicht zu befriedigendes Informationsinteresse gegenüber der Behörde, gerade im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Rechten, darlegen kann (BVerwGE 30, 154, 160; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1990 - 1 C 42/83, NJW 1990, 2761, 2762; OVG Schleswig NVwZ 1996, 408, 409). Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch das außergesetzliche Akteneinsichtsrecht nicht grenzenlos und unter Außerachtlassung der Interessen der durch das Verwaltungsverfahren betroffenen Personen gewährt wird. Vielmehr ist es von der Darlegung des berechtigten Interesses abhängig, und die betroffenen Interessen der Beteiligten sind im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen und abzuwägen.

bb) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerden schließen Sinn und Zweck des § 32b GWB die Gewährung von Akteneinsicht an einen möglichen Kartellgeschädigten zur Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage nicht aus.

Die zur Vorbereitung eines Kartellschadensersatzprozesses begehrte Akteneinsicht dient dem vom Gesetzgeber auch im Bereich von § 32b GWB verfolgten Zweck der verbesserten Durchsetzung der Wettbewerbsregeln mit dem Mittel zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche. Das gilt in besonderem Maße im Fall einer Beendigung eines Kartellverwaltungsverfahrens nach § 32b GWB.

Die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche nach § 33 Abs. 3 GWB ist Teil der vom Gesetz für Kartellverstöße vorgesehenen Sanktionen und dient damit, neben der Kompensation von Kartellschäden, auch der effektiven Abschreckung (Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 33 GWB, Rn. 2; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 12. Aufl., § 33, Rn. 19; BVerfG, NJW 2014, 1581, 1582, Rn. 22). Dem entspricht für den Bereich des europäischen Kartellrechts die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach das Recht eines jeden, Schadensersatz zu verlangen, die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union erhöht sowie geeignet ist, Unternehmen von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen könnten, und damit zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs beiträgt (zuletzt EuGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - C-557/12, WuW/E EU-R 3030, Rn. 23 - Kone).

Dass die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche auch im Anwendungsbereich von § 32b GWB Teil des gesetzlich vorgesehenen Sanktionssystems ist, ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung der beiden Normen, die im selben Abschnitt des Gesetzes stehen, der die Befugnisse der Kartellbehörden und die Sanktionen bei Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zum Gegenstand hat.

Die Möglichkeit, zur Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzklagen Akteneinsicht nicht nur bei einem Abschluss des kartellbehördlichen Verfahrens durch Verfügung gemäß § 32 GWB, sondern auch im Fall von Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB zu erhalten, entspricht auch dem mit § 32b GWB verfolgten gesetzgeberischen Zweck. Mit dieser durch die 7. GWB-Novelle eingeführten Vorschrift sollte entsprechend dem Vorbild des Art. 9 VO 1/2003 das Instrument der Verpflichtungszusage in das deutsche Recht eingeführt werden (vgl. BT-Drucksache 15/3640, S. 33 f. und S. 51 f.). Für Verpflichtungszusagen gemäß Art. 9 VO 1/2003 ist im Hinblick auf Erwägungsgrund 13 der Verordnung sowie die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. vom 19. Februar 2002, Nr. C 45, S. 3 ff., Tz. 31) anerkannt, dass eventuelle Schadensersatzansprüche Dritter nicht ausgeschlossen werden (vgl. Ritter in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., VO 1/2003 Art. 9, Rn. 31). Nach der Mitteilung der Kommission lässt selbst die Gewährung eines Bußgelderlasses oder einer Ermäßigung die zivilrechtlichen Folgen für ein Unternehmen wegen seiner Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV (Art. 81 EGV a.F.) unberührt.

Bei einer Beendigung des Kartellverwaltungsverfahrens durch eine bestandskräftige Entscheidung der Kartellbehörde sieht § 33 Abs. 4 GWB eine Bindungswirkung an die im Verfahren getroffenen Feststellungen zu Gunsten des Kartellgeschädigten in dessen Schadensersatzprozess vor. Hierdurch soll nach der Begründung zur 7. GWB-Novelle, mit der § 33 Abs. 4 GWB Eingang in das Gesetz gefunden hat, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erleichtert werden (vgl. BT-Drucks. 15/3640, S. 35). Diese Vorschrift ist jedoch im Bereich von § 32b GWB nicht anwendbar, da die Kartellbehörde mit der Verbindlicherklärung der Verpflichtungszusage gerade keine endgültige Aussage darüber trifft, ob ein Kartellverstoß vorlag oder nicht. Der Geschädigte ist daher gehalten, in einem solchen Fall die für die Darlegung und den Nachweis eines Kartellverstoßes erforderlichen Tatsachen und Beweise selbst zusammenzutragen. Dies wird jedoch häufig ohne Einsicht in die Akte des Kartellverwaltungsverfahrens nicht möglich sein.

Die Rechtsbeschwerden weisen zutreffend darauf hin, dass dem Wunsch eines möglichen Kartellgeschädigten auf Akteneinsicht berechtigte Interessen des betroffenen Unternehmens, z.B. im Hinblick auf Geschäftsgeheimnisse oder freiwillige Angaben in Bonusanträgen oder Verpflichtungszusagen entgegenstehen können. Diesem Umstand ist jedoch bei der zu treffenden Ermessensentscheidung angemessen Rechnung zu tragen, ebenso wie der Frage, wie gewichtig die Interessen des Antragstellers an der begehrten Akteneinsicht sind. Dabei kann auch die Belastung der Behörde mit zahlreichen Einsichtsersuchen berücksichtigt werden. Ein genereller Ausschluss eines Akteneinsichtsrechts Dritter rechtfertigt sich aus diesen Erwägungen jedoch nicht.

Ein solcher genereller Ausschluss kann auch nicht mit dem Argument begründet werden, dass die Möglichkeit einer Akteneinsicht durch einen Kartellgeschädigten oder anderen Dritten das Instrument der Verpflichtungszusage praktisch wirkungslos werden lasse. Berechtigten Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitsinteressen ist vielmehr im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung, gegebenenfalls durch Ausschluss einzelner Unterlagen, Rechnung zu tragen. Selbst für Bonusanträge hat das Bundeskartellamt in seiner Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen - Bonusregelung - vom 7. März 2006 unter Rn. 22 mitgeteilt, dass es Anträge privater Dritter auf Akteneinsicht im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessens grundsätzlich (nur) insoweit ablehnen wird, als es sich um den Antrag auf Erlass oder Reduktion der Geldbuße und die dazu übermittelten Beweismittel handelt (noch enger Art. 6 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 16 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union).

cc) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerden kann der Antragsteller nicht anstelle der Akteneinsicht auf die zivilprozessuale Möglichkeit einer Aktenbeiziehung nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO oder §§ 420 ff. ZPO verwiesen werden (vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 2003, 800, 802). Unabhängig davon, dass die Zivilgerichte nicht zur Amtsermittlung verpflichtet sind und es grundsätzlich dem Kläger obliegt, seinen Anspruch substantiiert darzulegen, würden die Risiken einer Schadensersatzklage einseitig dem Antragsteller auferlegt werden, verwiese man ihn allein auf die Möglichkeit der Aktenbeiziehung im Zivilprozess. Um eine Aktenbeiziehung im Zivilprozess zu erreichen (vgl. hierzu OLG Hamm, BB 2014, 526), müsste der Antragsteller zunächst auf eigenes Kostenrisiko eine Zivilklage erheben, ohne zu wissen, ob er, gegebenenfalls mit Hilfe der begehrten Akten, in der Lage sein wird, seinen Schadensersatzanspruch hinreichend zu substantiieren. Will man die Geltendmachung von Schadensersatz nicht durch die Aufbürdung zusätzlicher Prozessrisiken erschweren, kann einem Kartellgeschädigten, der im Rahmen des ihm Zumutbaren Anhaltspunkte für einen Schadensersatzanspruch darlegen kann, nicht von vornherein versagt werden, bereits vor Klageerhebung mittels Akteneinsicht abzuklären, ob es ihm überhaupt möglich sein wird, einen Schadensersatzanspruch substantiiert zu begründen.

dd) Dieser Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung wird im vorliegenden Fall nicht durch das Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes bzw. entsprechender Landesgesetze ausgeschlossen.

Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes ist gem. § 1 Abs. 1 IFG auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da Informationsrechte nicht gegenüber einer Bundes-, sondern gegenüber einer Landesbehörde geltend gemacht werden. In Hessen besteht, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, kein dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes entsprechendes Landesgesetz. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch könnte daher allenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes eine generelle Sperrwirkung entfalten würde oder, so die Rechtsbeschwerden, wenn der Tatsache, dass der hessische Landesgesetzgeber bislang kein Informationsfreiheitsgesetz auf Landesebene erlassen hat, eine solche Wirkung beizumessen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Es bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Nichterlass eines Informationsfreiheitsgesetzes auf Landesebene die Wirkung eines Ausschlusses des von der Rechtsprechung anerkannten außergesetzlichen Akteneinsichtsrechts nach Ermessen beizumessen wäre. Die bisherige Untätigkeit des Landesgesetzgebers bedeutet vielmehr lediglich, dass keine spezialgesetzliche Regelung der Informationsrechte der Bürger gegenüber den Landesbehörden besteht.

c) Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt hat.

aa) Hierzu ist die Darlegung eines eigenen, gewichtigen und auf andere Weise nicht zu befriedigenden Interesses erforderlich, das gerade auch im Zusammenhang mit der unmittelbaren oder mittelbaren Durchsetzung von Rechten stehen kann. Die Annahme eines solchen Interesses ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Antragsteller zu der Behörde in einer konkreten Rechtsbeziehung steht und die fraglichen Akten einen Bezug zu dieser Rechtsbeziehung haben (BVerwGE 30, 154, 160; BVerwGE 61, 15, 22 f.; unklar BVerwGE 69, 278, 280). Vielmehr kann das Interesse auch in der Vorbereitung möglicher Sekundäransprüche liegen, wenn der am Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Dritte zur sachgemäßen Wahrnehmung seiner Rechte auf eine entsprechende Akteneinsicht angewiesen ist (vgl. OVG Münster, NJW 1989, 544 f.; OVG Koblenz, NVwZ 1992, 384; OVG Schleswig, NVwZ 1996, 408, 409; VG Göttingen, Urteil vom 11. Februar 2009 - 1 A 393/06, juris Rn. 15; VG Braunschweig, NJW 1987, 459).

Der Antragsteller möchte durch die Akteneinsicht Erkenntnisse für eine zivilrechtliche Schadensersatzklage gegen die Betroffene gewinnen. Hierzu muss er die anspruchsbegründenden Tatsachen eines Schadensersatzanspruchs nach § 33 Abs. 3 GWB, insbesondere einen Kartellverstoß der Betroffenen, darlegen und gegebenenfalls beweisen. Dabei kann der Antragsteller bereits der Verfügung der Landeskartellbehörde vom 2. Dezember 2013 verschiedene Umstände im Hinblick auf die Marktabgrenzung und die marktbeherrschende Stellung der Betroffenen entnehmen. Die Frage eines Kartellverstoßes der Betroffenen wurde in dieser Verfügung jedoch ausdrücklich offen gelassen. Insbesondere hat die Landeskartellbehörde offen gelassen, ob die von ihr herangezogenen Vergleichsunternehmen tatsächlich im konkreten Fall vergleichbar waren und ob die von der Betroffenen geltend gemachten Rechtfertigungsgründe nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB vorlagen. Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, ist nicht auszuschließen, dass die begehrte Akteneinsicht weitere Erkenntnisse hierzu ergibt. Diese Umstände sind für den Antragsteller zur Beantwortung der Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang er Klage erhebt, von Bedeutung. Dass der Akte keine über die Verfügung vom 2. Dezember 2013 hinausgehenden Erkenntnisse über die von der Landeskartellbehörde herangezogenen Vergleichsunternehmen oder die von der Betroffenen konkret vorgebrachten Rechtfertigungsgründe nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB entnommen werden können, zeigen die Rechtsbeschwerden nicht auf. Ob der Antragsteller mit Hilfe der Akteneinsicht einen Anspruch auf Schadensersatz mit hinreichender Aussicht auf Erfolg wird darlegen können, oder ob die begehrte Akteneinsicht, wie die Landeskartellbehörde meint, dem Antragsteller dies nicht ermöglichen wird, bleibt der Prüfung des Antragstellers vorbehalten. Das vermag die Akteneinsicht jedoch nicht von vornherein auszuschließen. Anderenfalls würde die dem Antragsteller zustehende rechtliche Prüfung seiner Prozessrisiken und -chancen anhand der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen auf die Landeskartellbehörde übertragen.

Das berechtigte Interesse kann nicht im Hinblick auf ein bloßes Ausforschungsinteresse des Antragstellers abgelehnt werden. Bei der vom Antragsteller in den Blick genommenen Zivilklage handelt es sich nicht um eine von vornherein aussichtslose Klage. Vielmehr könnte sich ein Schadensersatzanspruch des Antragstellers als Kunde der Betroffenen ergeben, sollte der Verdacht der Landeskartellbehörde im Hinblick auf einen Preismissbrauch zutreffend gewesen sein.

Vom Antragsteller kann schließlich auch nicht verlangt werden, dass er, wie von den Rechtsbeschwerden unter Bezugnahme auf die zur Akteneinsicht in Kommissionsakten ergangene Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 27. Februar 2014 (C-365/12 P, WUW/E EU-R 2939, Rn. 101 ff. - EnBW) geltend gemacht, im Einzelnen darlegt, in welche bestimmten Dokumente er Einsicht nehmen möchte. Dem steht entgegen, dass einem Antragsteller regelmäßig der genaue Akteninhalt nicht bekannt sein wird und er daher auch keine Dokumente benennen kann, die Gegenstand der Akteneinsicht sein sollen. Es genügt vielmehr, dass der Antragsteller substantiiert darlegt, wofür er die Akten benötigt, so dass die Behörde einerseits das berechtigte Interesse des Antragstellers prüfen und andererseits erkennen kann, auf welche Akten(-teile) sich der Antrag erstreckt. Dies entspricht auch der Ausgestaltung des Akteneinsichtsrechts des Geschädigten nach § 406e StPO im Rahmen von Kartellbußgeldverfahren. Danach ist ebenfalls lediglich die Darlegung eines berechtigten Interesses erforderlich, das in der Verfolgung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche liegen kann (vgl. BVerfG, BeckRS 2009, 18693, Rn. 22 ff.), ohne dass einzelne Unterlagen benannt werden müssten.

bb) Gemessen daran hat der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt. Sollte die Betroffene tatsächlich missbräuchlich überhöhte Preise verlangt haben, stünde dem Antragsteller als Kunden der Betroffenen ein Schadensersatzanspruch zu. Da nicht ersichtlich ist, dass dem Antragsteller nähere Einzelheiten zum Stand und Umfang des Verwaltungsverfahrens bekannt sind, können von ihm keine weiteren Darlegungen erwartet werden. Aus dem Antrag ergibt sich vielmehr klar, dass der Antragsteller zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs diejenigen Unterlagen benötigt, die den der Betroffenen vorgeworfenen Preishöhenmissbrauch betreffen.

d) Die angefochtene Verfügung der Landeskartellbehörde vom 8. Januar 2014 ist ermessensfehlerhaft.

aa) Dabei kann offen bleiben, ob ein Fall des sog. Ermessensnichtgebrauchs oder ein Fall des Ermessensfehlgebrauchs vorliegt.

Von einem Ermessensnichtgebrauch ist auszugehen, wenn die Behörde verkennt, dass ihr überhaupt ein Ermessen zusteht (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 114, Rn. 14; Rennert in Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl., § 114, Rn. 17). Ein Ermessenfehlgebrauch liegt dagegen vor, wenn die Behörde von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung zuwiderlaufenden Weise Gebrauch gemacht hat, sich also von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (Rennert, aaO, Rn. 20). Vorliegend hat die Landeskartellbehörde zwar im Zusammenhang mit der Darstellung eines möglichen Akteneinsichtsrechts nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 6. Juni 2013 - C-536/11, WUW/E EU-R 2746, Rn. 29 ff. - Donau Chemie) sowie hypothetisch für den Fall der Anwendbarkeit von § 29 VwVfG nach Beiladung des Antragstellers Ermessenserwägungen angestellt. Die Landeskartellbehörde hat in der angefochtenen Entscheidung jedoch keine Ausführungen zu einem Akteneinsichtsrecht des Antragstellers nach Ermessen gemacht. Sie hat hierzu auch weder in der angefochtenen Verfügung noch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ausreichende Ermessenserwägungen angestellt. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Landeskartellbehörde von ihrem Ermessen einen anderen Gebrauch gemacht hätte, wenn sie den außergesetzlichen Anspruch des Klägers erwogen hätte, ist von einem Ermessensfehler auszugehen.

bb) Die angefochtene Verfügung stellt sich nicht deshalb als richtig dar, weil die Versagung der Akteneinsicht im Hinblick auf eine Ermessensreduzierung auf Null denkmöglich nur zu einer Verfügung mit demselben Inhalt hätte führen können.

Die Rechtsbeschwerden stellen darauf ab, dass die in der angefochtenen Verfügung vorgenommenen Ermessenserwägungen zutreffend gewesen seien und auch bei Annahme eines außergesetzlichen Rechts auf Akteneinsicht zu deren Versagung hätten führen müssen; dabei seien insbesondere auch die Bedeutung der Vertraulichkeit von Angaben eines Unternehmens im Rahmen einer Verpflichtungszusage sowie der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen von Bedeutung.

Diese Gesichtspunkte vermögen eine Ermessensreduzierung auf Null nicht zu begründen. Die Landeskartellbehörde stellt in der angefochtenen Verfügung darauf ab, dass die Verpflichtungszusage keine Feststellungswirkung nach § 33 Abs. 4 GWB entfalte und daher die Rechtsposition des Antragstellers in einem möglichen Schadensersatzprozess durch den Ausgang des Kartellverwaltungsverfahrens nicht berührt werde. Auch könne der Antragsteller mangels Feststellung eines Kartellverstoßes keine für ihn günstigen Schlüsse aus dem Verwaltungsverfahren ziehen, weshalb die Akteneinsicht nicht zur Verfolgung seiner Interessen erforderlich sei. Wie bereits ausgeführt, erhöht jedoch gerade die fehlende Feststellungswirkung der Verpflichtungszusage das berechtigte Interesse an der Akteneinsicht, da sich der Antragsteller nicht auf eine Verfügung oder einen Bußgeldbescheid der Kartellbehörde berufen kann, sondern die für den Nachweis eines Kartellverstoßes erforderlichen Beweise selbst beschaffen muss. Schon im Hinblick auf die Dauer des Verwaltungsverfahrens kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Akte belastbare Ermittlungsergebnisse zu einem möglichen Preishöhenmissbrauch entnommen werden können.

Soweit die Rechtsbeschwerden auf das Erfordernis der Vertraulichkeit freiwilliger Angaben der Betroffenen sowie den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen abstellen, sind dies gegebenenfalls Gesichtspunkte, die im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sein werden. Sie vermögen jedoch nicht pauschal eine Versagung der Akteneinsicht zu rechtfertigen. Neben der allgemeinen Abwägung der Interessen der Betroffenen auf Vertraulichkeit der von ihr freiwillig gemachten Angaben, dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verfolgung von Wettbewerbsverstößen und dem Interesse des Antragstellers an der Verfolgung möglicher Schadensersatzansprüche wäre insoweit auch zu erwägen, ob dem Interesse der Vertraulichkeit und der effektiven Verfolgung von Wettbewerbsverstößen dadurch genügt werden kann, dass lediglich die von der Betroffenen freiwillig gemachten Angaben von der Akteneinsicht ausgenommen werden, wie dies auch in Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie 2014/104/EU vorgesehen ist. Soweit es um den Schutz etwaiger Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geht, wäre zu erwägen, ob dem anderweitig, etwa durch Schwärzung oder Ausnahme einzelner Dokumente, Rechnung getragen werden kann.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 GWB.

Raum Strohn Kirchhoff Bacher Deichfuß Vorinstanz:

OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 04.09.2014 - 11 W 3/14 (Kart) -