OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.08.2015 - 6t E 964/13.T
Fundstelle
openJur 2015, 16605
  • Rkr:

Das durch § 58a Abs. 4 HeilBerG NRW angeordnete Verfahren für die berufsgerichtliche Nachprüfung einer gemäß § 58a Abs. 1, 3 HeilBerG NRW durch den Kammervorstand erteilten Rüge ist nach den für das heilberufsgerichtliche Verfahren auch sonst geltenden Bestimmungen des VI. Abschnitts des HeilBerG NRW durchzuführen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2014 - 6t E 470/12.T -, juris).

a. Im Grundsatz ist daher auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil zu entscheiden (§§ 84 ff., §§ 92 ff. HeilBerG NRW), gegen welches das Rechtsmittel der Berufung gegeben ist (§ 98 HeilBerG NRW).

b. Abweichend davon kann das Gericht gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW nach Ermessen in leichteren Fällen ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden. Rechtsbehelf ist dann entsprechend § 83 Abs. 3 HeilBerG NRW der Antrag auf mündliche Verhandlung.

c. Bestreitet der Beschuldigte das ihm vorgeworfene Verhalten im Tatsächlichen, ist eine Hauptverhandlung durchzuführen.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird an das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.

Die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Facharzt für Gefäßchirurgie, Chirurgie und Phlebologie. Die Gemeinschaftspraxis, in der er neben Dr. W. C. tätig ist, befindet sich im Girardet-Haus in F. . Der Apotheker M. G. betreibt in diesem Haus eine Apotheke.

Der Antragsteller übersandte der Antragsgegnerin Anfang September 2009 den Entwurf eines Kooperations-/Beratervertrages zwischen ihm und der Sanitätshaus X. GmbH, P. (im Folgenden: S. W. GmbH) mit der Bitte um standesrechtliche Überprüfung. Der Kooperationsvertrag sollte die Einrichtung eines Depots mit näher aufgeführten Hilfsmitteln in der Arztpraxis, die Versorgung von Notfallpatienten mit diesen Hilfsmitteln sowie gemeinsame Sprechstunden regeln. Gegenstand des Beratervertrages sollten die dort in § 4 näher definierten Beratungsleistungen des Antragstellers sein, für die er von der S. W. GmbH als Gegenleistung eine Vergütung (monatlicher Abschlag in Höhe von 2.924,00 Euro) erhalten sollte. Die Antragsgegnerin ging in ihren Stellungnahmen vom 13. Oktober 2009, vom 18. Dezember 2009 bzw. vom 2. März 2010 davon aus, dass der Kooperationsvertrag in den Anwendungsbereich des § 128 SGB V falle, jedoch unter dem Vorbehalt der Notfallversorgung zulässig sei. Der Beratervertrag sei unzulässig.

Der Apotheker M. G. wandte sich unter dem 26. April 2010 an die Apothekerkammer Nordrhein und beschwerte sich über "Aktivitäten" in der Gemeinschaftspraxis "Dr. O. & Partner in unserem Haus". Wörtlich führte er u.a. Folgendes aus:

"- Als Heilberufler dürfen Herr Dr. O. & Kollegen per Gesetz nicht, in ihren eigenen Räumlichkeiten Hilfsmittel zu deponieren und diese an Patienten auszuhändigen mit oder ohne Einverständnis von Patienten.

- Herr Dr. O. und Kollegen dürfen nicht Rezepte für Hilfsmittel-Verordnungen und andere Verordnungen für Medikamente in der Praxis sammeln und diese in einer bestimmten Apotheke beliefern bzw. abholen lassen.

- Diese ist noch nicht alles, was wir beobachtet haben. Solche Aktivitäten bauen sich derart so aus, dass regelmäßig eine Angestellte der Firma Sanitätshaus X. aus P. in den Räumen der Praxis auch zum jetzigen Zeitpunkt mit Kompressionstrumpfmessungen beschäftigt ist. Dazu hat man eine Extra-Ecke konfiguriert. Hierbei hat auch unsere Hausverwaltung keine Mitteilung darüber erhalten, ob gewisse Flächen dort untervermietet sind.

Wochenlang hing extra ein Hinweisschild über die Räumlichkeit des Sanitätshauses X. aus P. mit der Wegbeschreibung - Gang entlang, durch die Eisentür dann rechts - d.h. links neben der Eingangstür zur Praxis Herrn Dr. O. & Partner. Siehe dazu die nachgereichten Fotos vom 18. November 2009.

Es ist zu erwähnen, dass die Dienstleistungen wie individuelle Messung von Kompressionstrümpfen usw. aktiv und fachmännisch in unserer Apotheke angeboten werden. Der Versuch, Umsätze in diesem Sinne zum eigenen Vorteil zu erwirtschaften, ist in diesem Zusammenhang für einen Arzt nicht legal. Solche Abläufe bedeuten für uns Umsatzeinbuße und die Gefährdung der Arbeitsplätze und im schlimmsten Falle Existenzbedrohung.

Alle diese Aussagen sind wahrheitsgemäß getroffen und im Bedarfsfall wird eine Liste von Augenzeugen nachgereicht, welche es uns mitgeteilt haben."

Die Apothekerkammer Nordrhein übersandte die Beschwerde mit Schreiben vom 10. Mai 2010 an die Antragsgegnerin. Diese bat den Antragsteller mit Schreiben vom 19. Mai 2010, zur Beschwerde Stellung zu nehmen.

Der Antragsteller teilte der Antragsgegnerin unter dem 11. Juni 2010 mit, die Vorwürfe des Apothekers M. G. seien haltlos. Das in seinen Räumlichkeiten vorgehaltene Hilfsmitteldepot sei ein Notfalldepot. Es sei richtig, dass Mitarbeiter der S. W. GmbH ihn, den Antragsteller, gelegentlich aufsuchten. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die gerade bei der phlebologischen Versorgung in komplexen Fällen notwendig sei, sei indes erlaubt. Richtig sei, dass ein Schild zum Depot der S. W. GmbH geführt habe. Die entsprechenden Materialien hätten aus Platzgründen nicht in der Praxis gelagert werden können. Sie seien aber auch deshalb nicht dort gelagert worden, weil er sich keinem "bösen Schein" habe aussetzen wollen und zudem deren Verlust nicht habe verantworten wollen. Der von der S. W. GmbH für die Lagerung von Materialien genutzte Raum stehe einer Bekannten für Lifestyle- und Adipositasberatung zur Verfügung. Hierfür werde keine Miete entrichtet.

Die Antragsgegnerin wandte sich mit Schreiben vom 5. August 2010 an die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. (im Folgenden: Wettbewerbszentrale) und rügte einen Wettbewerbsverstoß des Antragstellers. Unter dem 28. Oktober 2010 teilte sie der Wettbewerbszentrale mit, die Sache solle nach Abwägung der mit einer gerichtlichen Weiterverfolgung verbundenen Risiken nicht weiterverfolgt werden. Unter dem 2. Februar 2011 informierte sie die Wettbewerbszentrale darüber, dass der Apotheker M. G. sich in einem Schreiben vom 25. Januar 2011 bereit erklärt habe, die Kosten einer gerichtlichen Weiterverfolgung zu übernehmen.

Der Apotheker M. G. hatte sich mit dem genannten Schreiben an die Antragsgegnerin gewandt und beklagt, dass "trotz aller Bemühungen vor Ort immer noch die alten Abläufe festzustellen" seien. Er hatte u.a. seine Ehefrau, Frau T. G. , und eine Angestellte, Frau T1. M. , sowie Frau I. W. als Zeugen benannt und seinem Schreiben deren handschriftliche Ausführungen vom 16. November 2009 bzw. 9. Dezember 2010 beigefügt. Schließlich hatte er angemerkt, er sei bereit, die Kosten der Prozessführung zu übernehmen.

Die Wettbewerbszentrale wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 8. Februar 2011 darauf hin, dass die streitgegenständliche Vorgehensweise exakt belegbar sein müsste, wenn sie, die Wettbewerbszentrale, das Verfahren erneut aufgreife. Zunächst würden eidesstattliche Versicherungen der vom Apotheker M. G. benannten Zeugen sowie eine sehr genaue Sachverhaltsschilderung - insbesondere eine Datierung sowie eine exakte Angabe der beteiligten Personen - benötigt. Sodann werde die Angelegenheit erneut überprüft und die Frage der Verfahrenskosten mit der Antragsgegnerin erörtert.

Nachdem die Antragsgegnerin dieses Schreiben an den Apotheker M. G. . weitergereicht hatte, teilte dieser ihr unter dem 4. April 2011 mit, Frau S. G. . und Frau M. seien bereit, im gerichtlichen Verfahren als Zeugen auszusagen, und fügte Schriftstücke vom 23. bzw. 28. März 2011 bei, in welchen diese ihre Beobachtungen schilderten und die Richtigkeit der Angaben eidesstattlich versicherten.

Die Antragsgegnerin leitete die Unterlagen an die Wettbewerbszentrale weiter. Diese teilte der Antragsgegnerin unter dem 13. April 2011 mit, sie könne für ein "Nicht-Mitglied wie die Apotheke im Giradet-Haus" keinen aufwändigen Prozess führen, dessen Ergebnis zudem von Zeugenaussagen abhänge. Sie fragte, ob die Antragsgegnerin die Kostendeckung übernähme. Die Antragsgegnerin verneinte dies.

Der Apotheker M. G. übersandte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22. November 2011 und vom 4. Dezember 2011 schriftliche Ausführungen der Frau J. T2. vom 9. November 2011, die über ihre Versorgung mit Kompressionsstrümpfen in der Praxis des Antragstellers berichtete und ebenfalls die Richtigkeit ihrer Angaben eidesstattlich versicherte.

Diesbezüglich bat die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 8. Dezember 2011 um Stellungnahme und bemerkte, "nach Aktenlage könnte der Verdacht der unzulässigen Zusammenarbeit mit einem Sanitätshaus (§ 34 Abs. 5 BO für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte) bestehen". Sie erinnerte den Antragsteller unter dem 6. Januar 2012 und schließlich unter dem 13. Februar 2012 an die Erledigung ihres Schreibens vom 8. Dezember 2011.

Der Antragsteller teilte ihr unter dem 17. Februar 2012 mit, der Apotheker M. G. versuche, sie, die Antragsgegnerin, zu seinen, des Antragstellers, Lasten zu instrumentalisieren. Dem Apotheker gehe es nicht um einen freien Wettbewerb und erst recht nicht um die Wahrung der Berufsordnung der Ärzte. Er wolle vielmehr seine, des Antragstellers, Patienten versorgen. Das sich in den Praxisräumen befindende Depot der S. W. GmbH werde nur für eine nach § 128 SGB V zulässige Notfallversorgung verwendet. Die Patientin T2. , eine Teilzeitangestellte des Apothekers M. G. , habe im Rahmen ihrer Nachbehandlung mitgeteilt, sie habe "die Formulierungen auf Wunsch ihres Chefs vorgenommen". Sie habe sich von ihren schriftlichen Äußerungen distanziert. Die komplizierte Versorgung dieser Patientin mit Kompressionsstrümpfen habe in Zusammenarbeit mit einem Gesundheitshandwerker erfolgen müssen. Eine Versorgung mit Standardkompressionsstrümpfen sei nicht möglich gewesen. Vielmehr sei eine Maßanfertigung erforderlich gewesen.

In seiner Sitzung vom 4. April 2012 beschloss der Vorstand der Antragsgegnerin, dem Antragsteller eine Rüge mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro zu erteilen.

Mit Bescheid vom 28. April 2012, dem Antragsteller zugestellt am 4. Mai 2012, erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Rüge und verhängte zugleich ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro. Zur Begründung führte sie an:

Der Antragsteller habe ihr Anfang September 2009 den Entwurf eines Kooperati- ons-/Beratervertrages zwischen ihm und der S. W. GmbH mit der Bitte um Prüfung vorgelegt. Den Beratervertrag habe sie, die Antragsgegnerin, als unzulässig erachtet.

Durch ein Schreiben der Apothekerkammer vom 10. Mai 2010 sei bekannt geworden, dass über einen längeren Zeitraum neben dem Arztschild vor der Arztpraxis ein Werbeplakat der S. W. GmbH gehangen habe, das etwa die gleiche Größe wie das Arztschild gehabt habe. Dieses Werbeplakat sei mittlerweile von dem Antragsteller entfernt worden.

Des Weiteren sei ihr durch den Apotheker M. G. als auch durch Zeugen mitgeteilt worden, dass Mitarbeiter der S. W. GmbH fast täglich die Praxisräume des Antragstellers aufsuchten, um dort erforderliche Messungen für die Kompressionsstrumpfanpassung bei den Patienten vorzunehmen. Dafür stelle der Antragsteller eine Ecke bzw. einen Raum zur Verfügung.

Er selbst habe ihr, der Antragsgegnerin, zugetragen, dass er im Rahmen der Patientengespräche die S. W. GmbH empfehle, da diese seiner Ansicht nach die notwendige qualifizierte phlebologische Versorgung des Patienten gewährleiste, der Patient jedoch letztendlich selbst entscheiden könne, an wen er sich wende.

Er, der Antragsteller, habe durch die nicht hinreichend abgegrenzte Zusammenarbeit zwischen ihm und der S. W. GmbH gegen § 34 Abs. 5 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte in der Fassung vom 17. März 2007 (MBl. NRW. S. 406), im Folgenden: BO a.F., verstoßen. Danach sei es Ärzten nicht gestattet, Patienten ohne hinreichenden Grund an bestimmte Apotheken, Geschäfte oder Anbieter von gesundheitlichen Leistungen zu verweisen. Eine Verweisung im Sinne dieser Vorschrift umfasse nach Ansicht des Bundesgerichtshofes (BGH) nicht nur eine bindende Überweisung, sondern in der gebotenen weiten Auslegung des Begriffs auch Empfehlungen. Dies solle die unbeeinflusste Wahlfreiheit des Patienten in Bezug auf Apotheken, Geschäfte und Anbieter gesundheitlicher Leistungen gewährleisten. Die Wahlfreiheit sei beeinträchtigt, wenn der Arzt dem Patienten von sich aus einen Erbringer gesundheitlicher Leistungen nahelege.

Ein hinreichender Grund für eine Verweisung an einen bestimmten Erbringer gesundheitlicher Leistungen sei nur gegeben, wenn dieser aus Sicht des behandelnden Arztes aufgrund der speziellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten besondere Vorteile in der Versorgungsqualität biete. Generelle Erwägungen könnten nach Ansicht des BGH nicht anerkannt werden. Dies gelte auch für die allgemein hohe fachliche Kompetenz eines Anbieters oder seiner Mitarbeiter. Der BGH sehe damit in dem Verbot die Regel und in der hinreichenden Veranlassung die Ausnahme.

Die Regelung wolle der Gefahr vorbeugen, dass eine Beeinflussung des Arztes durch wirtschaftliche Vorteile, die aus einer Absprache folgen könnten, ausgeschlossen bleibe. Es reiche für die Verletzung des Berufsrechts daher schon der sich aufdrängende Anschein, das eigene Verordnungsverhalten könne dem wirtschaftlichen Anreiz des Heil- und Hilfsmittelerbringers unterworfen sein.

Durch die Größe und Platzierung des Werbeplakates habe der Antragsteller seine Patienten in unzulässiger Weise beeinflusst, sich an die S. W. GmbH zu wenden. Die Patienten seien durch das Plakat darauf hingewiesen worden, dass die S. W. GmbH mit dem Antragsteller zusammenarbeite und gerade durch sie eine adäquate Versorgung des Patienten sichergestellt werden könne. Auch wenn das Plakat dort nicht mehr platziert sei, könne daraus der Rückschluss gezogen werden, dass eine Zusammenarbeit der S. W. GmbH und dem Antragsteller bestanden habe bzw. bestehe.

Aus den Schilderungen der Zeugen S. H. . und M. gehe hervor, dass fast täglich Mitarbeiter der S. W. GmbH die Arztpraxis des Antragstellers aufsuchten. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller den Patienten die S. W. GmbH empfohlen habe, werde der Anschein erweckt, dass nicht nur die Versorgung von Notfallpatienten erfolge, sondern dass durch die S. W. GmbH das Alltagsgeschäft bedient werde. Da den Patienten die Möglichkeit eröffnet werde, sich direkt nach ihrer Behandlung an Mitarbeiter der S. W. GmbH zu wenden, liege es nahe, dass nicht nur Notfallpatienten den Arztbesuch gleichzeitig mit der Messung für die Kompressionsstrumpfanpassung verbänden, sondern auch ein Großteil der anderen Patienten, die auf Kompressionsstrümpfe angewiesen seien. Aufgrund der Standorte der S. W. GmbH, von denen sich keiner in F. befinde, könnte es zudem für viele Patienten schwierig werden, die S. W. GmbH zu erreichen, so dass sie, um der Empfehlung des Antragstellers nachzukommen, geneigt seien, aus praktischen Gründen das Angebot in seinen Praxisräumen wahrzunehmen.

Selbst wenn es den Patienten freigestellt werde, an welches Sanitätsunternehmen sie sich wenden, stelle die enge und nicht hinreichend abgegrenzte Zusammenarbeit mit der S. W. GmbH in den Praxisräumen des Antragstellers eine unsachliche Beeinflussung der Patienten dar.

Gemäß § 58a Abs. 1 des Heilberufsgesetzes (HeilBerG NRW) sei der Kammervorstand berechtigt, einen Kammerangehörigen zu rügen, wenn dieser gegen die ihm obliegenden Berufspflichten verstoße und die Schuld als gering einzustufen sei. Nach § 58a Abs. 3 HeilBerG NRW könne die Rüge mit einem Ordnungsgeld verbunden werden. Zur Überzeugung des Kammervorstandes seien die Voraussetzungen des § 58a Abs. 1 HeilBerG NRW vorliegend als gegeben anzusehen. Unter Abwägung aller Umstände erscheine die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 2.000,00 Euro angezeigt. Im Wiederholungsfall "der Zuweisung ohne hinreichenden Grund", der ihr, der Antragsgegnerin, angezeigt werde, sei ein berufsgerichtliches Verfahren unumgänglich.

Der Antragsteller hat am 23. Mai 2012 beim Berufsgericht für Heilberufe die Nachprüfung der erteilten Rüge beantragt. Er hat im Wesentlichen vorgetragen:

Er habe der Antragsgegnerin den Entwurf eines Kooperations-/Beratungsvertrages übersandt, um sich möglichst korrekt zu verhalten. Die Vorlage des Vertrages werde nunmehr als Indiz für eine unzulässige Zusammenarbeit mit der S. W. GmbH gewertet. Das Gegenteil sei aber der Fall. Er habe gerade keine unzulässige Zusammenarbeit gewollt. Eine solche habe es auch nicht gegeben. Dass die S. W. GmbH das Notfalldepot betreue, sei nicht zu beanstanden. In einer phlebologischen Praxis sei nicht immer absehbar, welches Hilfsmittel nach einer Behandlung benötigt werde.

Das Schild der S. W. GmbH habe in einem Flur des H1. -Hauses gehangen. Die S. W. GmbH habe seit dem Jahr 2009 im H1. -Haus Räume angemietet, die sich nicht in seiner, des Antragstellers, Praxis befänden. Um die eigenen Räume zu bewerben, habe die S. W. GmbH das Schild mit der Wegbeschreibung aufgehängt. Er, der Antragsteller, trage hierfür nicht die rechtliche Verantwortung. Er habe das Schild auch nicht entfernt, sondern lediglich die S. W. GmbH gebeten, das Schild zu entfernen. Dieser Bitte sei die S. W. GmbH nachgekommen. Das Schild habe nur kurz, maximal drei Monate im Spätjahr 2009, gehangen.

Die Antragsgegnerin missverstehe die Reichweite des Urteils des BGH vom 13. Januar 2011 - I ZR 112/08 -. In diesem Urteil sei ausgeführt, dass die Verweisung an einen bestimmten Hilfsmittelanbieter aus Sicht des behandelnden Arztes auf Grund der speziellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten besondere Vorteile in der Versorgungsqualität bieten müsse. Demgegenüber handele es sich bei in langjähriger vertrauensvoller Zusammenarbeit gewonnenen guten Erfahrungen, wie auch bei der allgemein hohen fachlichen Kompetenz eines Anbieters oder seiner Mitarbeiter um Umstände, die unabhängig von den Bedürfnissen des einzelnen Patienten generell vorlägen. Würden sie als hinreichender Grund im Sinne des § 34 Abs. 5 BO a.F. ausreichen, wäre die Verweisung von Patienten an den entsprechenden Leistungserbringer stets uneingeschränkt möglich. Dass sei jedenfalls mit dem Charakter der Vorschrift als Ausnahmevorschrift unvereinbar und ließe die Vorschrift im Ergebnis weitgehend leerlaufen. Der BGH weise in der Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der einschlägigen Vorschrift um eine Ausnahmevorschrift handele. Ein Ausnahmefall komme nach seiner Auffassung in Betracht, wenn der Patient ausdrücklich und von sich aus nach einem Leistungserbringer frage oder wenn spezielle Bedürfnisse des einzelnen Patienten vorlägen.

Er, der Antragsteller, empfehle die S. W. GmbH "auf Grund besonderer Qualifikationen im Bereich der Kompressionsstrumpfversorgung". Dem liege allerdings ein im Sinne der Rechtsprechung des BGH spezielles Bedürfnis des Patienten zu Grunde. Er nehme in seiner Praxis hoch anspruchsvolle Versorgungen in der Phlebologie vor. Die phlebologische Behandlung von komplexen Fällen sei mit Hilfsmitteln zu flankieren. Es bedürfe in einem solchen Fall einer besonders qualifizierten Zusammenarbeit von Hilfsmittelerbringer und Arzt. Eine Kontrolle der beiderseitigen Tätigkeiten sei unabdingbar. Die Spitzenverbände gingen davon aus, dass in diesem Fall eine gemeinsame Sprechstunde zulässig sein müsse und im Interesse der Patienten auch notwendig sei.

Er empfehle einzelnen Patienten, bei denen es wegen der erforderlichen komplexen medizinischen Versorgung auf die Zusammenarbeit mit einem zuverlässigen Sanitätshaus besonders ankomme, die S. W. GmbH. Gleichzeitig teile er dem jeweiligen Patienten mit, dass er auch gerne mit einem anderen Sanitätshaus zusammenarbeite, falls der Patient dies vorschlage. Diese Vorgehensweise entspreche der Rechtsprechung des BGH.

Er bestreite den Vortrag der Antragsgegnerin, dass "fast täglich" Mitarbeiter der S. W. GmbH in seiner Praxis tätig seien. Die Antragsgegnerin vermute aufgrund der Schilderungen der Frau S. G. und der Frau M. , dass durch die S. W. GmbH das "Alltagsgeschäft" in der Praxis bedient werde. Es sei fraglich, wie belastbar die Schilderungen seien. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen sei zweifelhaft.

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,

die Rüge vom 28. April 2012 einschließlich des Ordnungsgeldes in Höhe von 2.000,00 Euro aufzuheben.

Die Antragsgegnerin hat sinngemäß beantragt,

den Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung zurückzuweisen.

Sie hat auf die Gründe der angefochtenen Rüge Bezug genommen und vertiefend im Wesentlichen angeführt:

Der Antragsteller habe der S. W. GmbH in seiner Praxis Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Nach den eidesstattlichen Versicherungen der Zeuginnen G. , M1. und W. nähmen dort beinahe täglich Mitarbeiter der S. W. GmbH Kompressionsstrumpfmessungen in einem Umfang vor, der die reine Notfallversorgung deutlich überschreite. Ferner sei unmittelbar neben dem Praxisschild gleichformatig auf die S. W. GmbH hingewiesen und so eine gemeinsame Außendarstellung geschaffen worden.

Daneben räume der Antragsteller ein, seinen Patienten die S. W. GmbH aufgrund besonderer Qualifikationen im Bereich der Kompressionsstrumpfversorgung zu empfehlen. Eine derartige Empfehlung - ohne besondere Begründung - sei nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 13. Januar 2011 - I ZR 112/08 -) nicht zulässig. Die vom Antragsteller vorgebrachten generellen Erwägungen im Hinblick auf die Qualität und Zuverlässigkeit der S. W. GmbH genügten dem speziellen Begründungserfordernis nicht. Die Rechtsprechung des BGH habe der Gesetzgeber mittlerweile in die Berufsordnung aufgenommen. § 34 BO a.F. sei durch § 31 Abs. 2 BO in der Fassung vom 19. November 2011, MBl. NRW. 2012 S. 215, ersetzt worden.

Zwar wende der Antragsteller ein, dass es jedem Patienten freistehe, sich entgegen seiner ausdrücklichen Empfehlung die Kompressionsstrümpfe bei einem anderen Anbieter zu besorgen. Diese Wahlfreiheit werde jedoch aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses sowie der direkten Verfügbarkeit der Leistungen der S. W. GmbH in der Praxis in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Die Möglichkeit, sich direkt nach der ärztlichen Behandlung an Mitarbeiter der S. W. GmbH zu wenden, werde offensichtlich nicht nur von Notfallpatienten wahrgenommen.

Dem Entwurf des Kooperations-/Beratervertrages, den der Antragsteller ihr, der Antragsgegnerin, zur rechtlichen Überprüfung vorgelegt habe, komme in diesem Zusammenhang Indizwirkung zu. Der Entwurf habe gezeigt, dass der Antragsteller und die S. W. GmbH eine über die reine Notfallversorgung hinausgehende Zusammenarbeit angestrebt hätten.

Es werde angeregt, einen Abgleich der Verordnungen des Antragstellers mit den Abrechnungen der S. W. GmbH für den fraglichen Zeitraum durchzuführen.

Das Berufsgericht hat mit Beschluss vom 19. August 2013, auf den für die Einzelheiten Bezug genommen wird, den Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung zurückgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es, gegen den Beschluss sei das Rechtsmittel der Beschwerde nach §§ 105 Abs. 1, 112 HeilBerG NRW, § 304 StPO zulässig.

Der Beschluss ist dem Antragsteller am 10. September 2013 und seinem Beistand am 12. September 2013 zugestellt worden. Er hat am 12. September 2013 Beschwerde eingelegt.

Zu deren Begründung verweist er auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren und macht ergänzend geltend, der angefochtene Beschluss sei unter Verstoß gegen den Mündlichkeitsgrundsatz ergangen. In Anbetracht seiner Einwendungen und der notwendigen Gewichtung von Zeugenaussagen sei es fraglich, ob eine Entscheidung im "Beschlusswege" geeignet gewesen sei.

Die Annahme des Berufsgerichts, es spreche nichts dafür, dass die S. W. GmbH außerhalb der Gemeinschaftspraxis Räume angemietet habe, sei zu beanstanden. Es sei insoweit nicht seine, des Antragstellers, Sache, die zivilrechtlichen Verhältnisse und Situationen vor Ort darzustellen; es hätte vielmehr dem Berufsgericht oblegen, dies nachzuvollziehen.

Das Berufsgericht hätte die Frage der Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Gesundheitshandwerker und Arzt sachverständig prüfen lassen müssen. Es habe nicht beachtet, dass er, der Antragsteller, die postoperative Versorgung nach Venenoperationen durchführe. Das Anpassen von Kompressionsstrümpfen erfordere vor diesem Hintergrund regelmäßig eine herausgehobene Sachkunde.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (1.) und mit der Maßgabe begründet, dass sie zur Zurückverweisung der Sache analog § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW führt (2.).

1. Die erhobene Beschwerde ist zulässig.

Grundsätzlich ist in der gegebenen Konstellation allerdings analog § 83 Abs. 3 Satz 1 HeilBerG NRW der Antrag auf mündliche Verhandlung der richtige Rechtsbehelf; davon hat der Antragsteller keinen Gebrauch gemacht (a.). Die stattdessen eingelegte Beschwerde ist ausnahmsweise zulässig (b.).

a. Wie der erkennende 1. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen bereits in seinem Beschluss vom 13. Oktober 2014 - 6t E 470/12.T -, juris, ausgeführt hat, sind die Regelungen des HeilBerG NRW über das Verfahren für die berufsgerichtliche Nachprüfung einer gemäß § 58a Abs. 1, 3 HeilBerG NRW durch den Kammervorstand erteilten Rüge - wie sie auch hier vorliegt - defizitär. § 58a Abs. 4 Satz 1 HeilBerG NRW ordnet an, dass "die nach Absatz 3 getroffenen Entscheidungen", also die mit einem Ordnungsgeld verbundenen Rügen, der berufsgerichtlichen Nachprüfung unterliegen. Für Rügen nach Absatz 1, also solche ohne zusätzliches Ordnungsgeld, enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung; gleichwohl muss auch hierfür der Antrag auf berufsgerichtliche Nachprüfung zur Verfügung stehen. Keine Aussage trifft das Gesetz ferner zu der sich aufdrängenden Frage, in welchem Verfahren diese Nachprüfung zu erfolgen hat.

In Übereinstimmung mit dem 2. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,

vgl. Beschluss vom 12. Dezember 2014 - 13 E 260/13.T -,

geht der erkennende 1. Senat nunmehr,

vgl. Beschluss vom 13. Oktober 2014 - 6t E 470/12.T -, juris,

davon aus, dass das durch § 58a Abs. 4 HeilBerG NRW angeordnete Nachprüfungsverfahren nach den für das heilberufsgerichtliche Verfahren auch sonst geltenden Bestimmungen des VI. Abschnitts des HeilBerG NRW durchzuführen ist, soweit diese von ihrem Gegenstand her anwendbar sind.

Im Regelfall ist daher auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil zu entscheiden (§§ 84 ff., §§ 92 ff. HeilBerG NRW), gegen welches das Rechtsmittel der Berufung gegeben ist (§ 98 HeilBerG NRW). Abweichend davon bietet § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW die Möglichkeit, in leichteren Fällen auch ohne Hauptverhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Die Vorschrift eröffnet dem Gericht bei Vorliegen eines leichteren Falls hinsichtlich der Verfahrensweise Ermessen. Ein solcher Fall wird angesichts der Voraussetzungen für die Erteilung einer Rüge gemäß § 58a Abs. 1 HeilBerG NRW häufig anzunehmen sein. Als Rechtsbehelf ist dann gemäß § 83 Abs. 3 Satz 1 HeilBerG NRW anstelle der Beschwerde, über die der Antragsteller hier belehrt worden ist, der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben.

Diese prozessrechtliche Behandlung des auf die Nachprüfung einer Rüge gerichteten Antrags hat einen doppelten Vorzug: Einerseits wird dadurch eine weniger aufwändige Erledigung solcher Berufspflichtverletzungen ermöglicht, deren Sachverhalt unstreitig ist und deren Bedeutung nach Einschätzung aller Beteiligten (einschließlich des Gerichts) nicht den Aufwand einer mündlichen Verhandlung erfordert. Andererseits ist gewährleistet, dass gegen den Willen eines Beteiligten (oder des Gerichts) eine mündliche Verhandlung nicht unterbleiben darf und eine abschließende Entscheidung erst dann ergeht, wenn alle dafür erheblichen Tatsachenfragen aufgeklärt sind. Insbesondere ist auch in solchen Fällen ein sachgerechter prozessrechtlicher Rahmen gewährleistet, in denen der Antragsteller den ihm zur Last gelegten Sachverhalt im Tatsächlichen bestreitet.

Vgl. 1. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim OVG NRW, Beschluss vom 13. Oktober 2014 - 6t E 470/12.T -, juris.

Der Antragsteller hat von dem Antrag auf mündliche Verhandlung keinen Gebrauch gemacht, sondern - der Rechtsmittelbelehrung folgend - Beschwerde eingelegt. Für eine Auslegung dieser Beschwerde als Antrag auf mündliche Verhandlung gibt es keine hinreichende Grundlage.

b. Im Streitfall ist aber ausnahmsweise auch die Beschwerde als zulässiges Rechtsmittel anzusehen. Dies folgt aus dem Meistbegünstigungsprinzip, das als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der allgemeinen Gleichheit vor dem Gesetz und des Vertrauensschutzes in Fällen unklarer, insbesondere auf einem Fehler der angefochtenen Entscheidung beruhender Prozessrechtslage zum Tragen kommt. Danach steht den Beteiligten, wenn das Gericht eine der Form nach unrichtige Entscheidung gewählt hat, sowohl dasjenige Rechtsmittel zu, welches nach der Art der ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung gegeben wäre. Darüber hinaus kommt das Meistbegünstigungsprinzip auch dann zur Anwendung, wenn für den Rechtsmittelführer eine Unsicherheit in Bezug auf das einzulegende Rechtsmittel besteht, soweit diese auf einem Fehler oder einer Unklarheit der anzufechtenden Entscheidung beruht.

Vgl. 1. Senat des Landesberufsgerichts für Heilberufe beim OVG NRW, Beschluss vom 13. Oktober 2014 - 6t E 470/12.T -, juris, mit weiteren Nachweisen.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt: Nach der Art seiner Entscheidung hat das Berufsgericht einen Beschluss gefasst, ohne sein Ermessen nach § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW ausgeübt zu haben; ferner hat es die Beteiligten fälschlich dahin belehrt, dass die Beschwerde das zutreffende Rechtsmittel sei. Beides sind Fehler der angefochtenen Entscheidung, die in der unzureichenden Gesetzeslage ihren Ursprung und eine Unsicherheit in Bezug auf das statthafte Rechtsmittel nach sich gezogen haben.

2. Die Beschwerde hat Erfolg; sie führt zur Zurückverweisung der Sache (§ 104 Abs. 1 HeilBerG NRW analog).

Nach § 104 Abs. 1 lit. a bzw. lit. b HeilBerG NRW kann der Senat durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und an das zuständige Berufsgericht für Heilberufe zurückverweisen, wenn das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Mangel leidet bzw. wenn weitere Aufklärung erforderlich ist. Die Vorschrift ist hier anwendbar (a.). Ihre Voraussetzungen sind gegeben (b.). Die Verfahrensmängel nötigen zur Zurückverweisung der Sache (c.); sie ist unvermeidbar (d.).

a. § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW ist - analog - anwendbar. Zwar ergibt sich aus der systematischen Stellung der Bestimmung - nach § 103 HeilBerG NRW (Berufungsurteil), vor § 105 HeilBerG NRW (Beschwerde) -, ferner aus der Wendung "durch Urteil", dass die Norm sich auf das Berufungsverfahren bezieht. Hier hat der Antragsteller aber Beschwerde eingelegt, für die das Gesetz keine Zurückverweisung vorsieht. Es ist indessen eine planwidrige Regelungslücke bei gleichartiger Interessenlage anzunehmen. Gerade in der Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung liegt, wie nachfolgend zu zeigen ist, ein Verfahrensmangel. Dessen Behebung kann nur durch Nachholung der mündlichen Verhandlung erfolgen, und zwar vor dem Berufsgericht erster Instanz.

b. Die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW für die Zurückverweisung sind gegeben; es liegen wesentliche Verfahrensmängel vor (aa.), auch ist weitere Aufklärung erforderlich (bb.).

aa. Das Verfahren erster Instanz leidet an wesentlichen Mängeln (§ 104 Abs. 1 lit. a HeilBerG NRW).

Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens folgt bereits aus dem Ermessensfehler bei der Wahl der Verfahrensweise. Das Berufsgericht hat im Ausgangspunkt nicht erkannt, dass ihm gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW Ermessen bei der Wahl des gerichtlichen Verfahrens und der Entscheidungsform eröffnet war. Es hat vielmehr eine Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung für prozessual zwingend erachtet.

Überdies war im Streitfall das dem Gericht gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW eröffnete Ermessen eingegrenzt durch die Prozessgrundsätze des fairen Verfahrens und der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung, die hier die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unabweisbar erscheinen lassen.

Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Antragsteller das ihm vorgeworfene Verhalten im Tatsächlichen bestreitet (1). In einer solchen Verfahrenskonstellation wird den Verteidigungsbelangen des Betroffenen nur dann angemessen entsprochen, wenn er vom Gericht selbst gehört wird, ferner etwaige Zeugen und Sachverständige in seiner Gegenwart vor Gericht zu Wort kommen und ihm Gelegenheit gegeben wird, sich mit ihnen unmittelbar auseinander zu setzen (2).

(1) Das Berufsgericht hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Antragsteller durch die Art der von ihm gewählten Zusammenarbeit mit der S. W. GmbH gegen § 34 Abs. 5 BO a.F. verstoßen habe. Die Tätigkeit der S. W. GmbH in den Räumlichkeiten der Gemeinschaftspraxis des Antragstellers habe die reine Notfallversorgung und die Versorgung von ganz besonders komplexen Fällen jedenfalls in dem Zeitraum, der in den eidesstattlichen Versicherungen der Frau S. H. . und Frau M. vom 28. März 2011 beschrieben worden sei, überschritten. Eine reine Notfallversorgung und eine Versorgung von ganz besonders komplexen Fällen erfordere es regelmäßig nicht, dass eine Mitarbeiterin der S. W. GmbH in der Praxis des Antragstellers nahezu täglich erscheine und dass für die S. W. GmbH mit einem Schild vor der Praxis geworben werde. Für diese Annahme hat das Berufsgericht sich zum einen auf die in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Fotografien gestützt, die ein DIN A 4 großes, in Folie gehülltes Blatt mit der Aufschrift "T. U X. " zeigen, das in der Nähe des Praxisschildes angebracht worden ist. Zum anderen gründet die Annahme des Berufsgerichts auch und insbesondere auf den genannten eidesstaatlichen Versicherungen der Frau S. G. und Frau M. . Da eine Verhandlung nicht stattgefunden hat, hat das Gericht weder diese beiden noch andere Zeugen oder den Antragsteller selbst gehört. Der Antragsteller bestreitet jedoch und hat durchgehend bestritten, in der ihm vorgeworfenen Weise mit der S. W. GmbH zusammengearbeitet zu haben.

(2) In einer solchen Situation zwingen die auch im heilberufsgerichtlichen Verfahren Geltung beanspruchenden Prozessgrundsätze des fairen Verfahrens und der Unmittelbarkeit dazu, eine Beweiserhebung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durchzuführen.

Die Verteidigungsbelange des Verfahrensbetroffenen sind von Verfassungs wegen durch verfahrensrechtliche Garantien geschützt, die sich neben den wichtigsten speziellen Verfahrensgrundrechten - wie den Ansprüchen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) - aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insbesondere aber dem Rechtsstaatsprinzip ergeben. Der Beschuldigte bzw. Antragsteller darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein. Als Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren steht ihm ein Anspruch darauf zu, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen zu können. Insbesondere muss ihm die effektive Möglichkeit eröffnet werden, Zeugen zu befragen und deren Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in Frage zu stellen (Konfrontationsrecht). Diese Ansprüche werden einerseits bestätigt, andererseits ausgeformt durch die als Auslegungshilfe verstandenen Regelungsinhalte des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 6 Abs. 3 EMRK.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2491/07 -, juris; vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 411/07 -, juris; vom 27. Dezember 2006 - 2 BvR 1814/04 -, juris, vom 5. Juli 2006 - 2 BvR 1317/05 -, NJW 2007, 204, vom 17. September 2004 - 2 BvR 2122/03 -, juris, und vom 20. Dezember 2000 - 2 BvR 591/00 -, NJW 2001, 2245.

Defizite bei der Ermöglichung der Befragung können in Grenzen durch eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung ausgeglichen werden.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2491/07 -, juris, und vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 411/07 -, juris.

Diese Rechte stehen auch dem Verfahrensbetroffenen im berufsgerichtlichen Verfahren zu, wenn auch kein Strafverfahren in Rede steht und Art. 6 EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR nicht eingreifen dürfte. Denn der Beschuldigte bzw. Antragsteller soll auch im berufsgerichtlichen Verfahren für ein norm- bzw. berufspflichtwidriges Verhalten durch ein staatliches Gericht unter Eingriff in seine Grundrechte zur Verantwortung gezogen werden.

Dementsprechend gilt für das Verfahren der Heilberufsgerichte - von einer hier nicht einschlägigen Ausnahme abgesehen - das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung, das insbesondere in §§ 250 ff. StPO normiert ist.

Vgl. Willems, Das Verfahren vor den Heilberufsgerichten, 2009, Rn. 380 bis 382.

Danach hat die Beweisaufnahme in der Regel vor dem erkennenden Gericht selbst zu erfolgen (formelle Unmittelbarkeit) und ist für den Beweis einer Tatsache das sachnächste Beweismittel heranzuziehen (materielle Unmittelbarkeit).

Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage 2015, § 250 Rn. 2 f.

Diesen Anforderungen ist bei der hier getroffenen Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht entsprochen worden. Das Gericht hätte den Antragsteller hören und Zeugen - mindestens den Apotheker M. G. und seine Ehefrau S. G. sowie Frau M. , evtl. auch weitere Zeugen - selbst vernehmen müssen. Dem Antragsteller hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, sich mit den Zeugen unmittelbar auseinander zu setzen. Er ist aber weder selbst vom Gericht gehört worden noch hatte er eine Möglichkeit, die Zeugen zu befragen und deren Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in Frage zu stellen. Dass das Berufsgericht diese Mängel durch eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung ausgeglichen hätte, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil es keinen Anhalt dafür gibt, dass dem Gericht dieses Erfordernis vor Augen stand. Überdies dürfte ein vollständiger Verzicht auf die gebotene Beweisaufnahme, zudem ohne tragfähigen Grund, auf der Ebene der Beweiswürdigung nicht ausgleichsfähig sein.

Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2007 - 2 BvR 1814/04 -, a.a.O.

bb. Die Zurückverweisung ist ferner gemäß § 104 Abs. 1 lit. b HeilBerG NRW angezeigt, weil weitere Aufklärung erforderlich ist. § 88 Abs. 2 HeilBerG NRW gebietet, den zu beurteilenden Sachverhalt in bestmöglicher Weise von Amts wegen aufzuklären.

Dazu Willems, a.a.O., Rn. 402 mit weiterenNachweisen.

Das ist aus den unter aa. genannten Gründen nicht geschehen.

c. Der Senat übt das ihm durch § 104 Abs. 1 HeilBerG NRW eröffnete Ermessen,

vgl. Willems, a.a.O., Rn. 615 mit weiteren Nachweisen,

dahin aus, die Sache zurückzuverweisen. Im Streitfall ist die Zurückverweisung zwingend. Anderenfalls würde dem Antragsteller eine Instanz genommen und zudem der erstinstanzlich gemachte Fehler - Vorenthaltung der notwendigen Aufklärung in der mündlichen Verhandlung unter Wahrung der verfassungsrechtlich verbürgten Verteidigungsbelange - perpetuiert.

d. Die Zurückverweisung lässt sich schließlich nicht deshalb vermeiden, weil die Rüge aus anderen Gründen aufzuheben wäre. Insbesondere ist ein etwaiger Anhörungsmangel unbeachtlich (aa.) und die vorgeworfene Berufspflichtverletzung hinreichend konkretisiert (bb.).

aa. Eine ordnungsgemäße Anhörung setzt voraus, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Das verlangt in tatsächlicher Hinsicht die Bekanntgabe des Sachverhalts, der zur Einleitung des Verfahrens Veranlassung gibt, und in rechtlicher Hinsicht dessen berufsrechtliche Bewertung anhand der einschlägigen Normen.

Vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe beim OVG NRW, Urteil vom 23. September 2009 - 6t A 2297/07.T -, juris; Willems, Die Rüge durch die Heilberufskammer, MedR 2010, 770.

Die Antragsgegnerin hat sich darauf beschränkt, dem Antragsteller mit Schreiben vom 8. Dezember 2011 die schriftlichen Ausführungen der Frau J1. T2. , die ihr vom Apotheker M. G. zugeleitet worden waren, zur Stellungnahme zu übersenden und zu bemerken, nach "Aktenlage könnte der Verdacht der unzulässigen Zusammenarbeit mit einem Sanitätshaus (§ 34 Abs. 5 BO für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte) bestehen". Ob diese Vorgehensweise den genannten Anforderungen genügt, ist zweifelhaft. Dies kann indes dahinstehen.

Ein etwaiger Anhörungsmangel wäre jedenfalls deshalb unbeachtlich, weil der Antragsteller nachträglich bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem erstinstanzlichen Berufsgericht die Gelegenheit erhalten hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG NRW); eine Aufhebung des Rügebescheides im Rahmen der berufsgerichtlichen Nachprüfung scheidet in diesem Fall aus.

Vgl. Willems, a.a.O.

bb. Den an eine Rüge zu stellenden Mindestanforderungen an die Konkretisierung der vorgeworfenen Berufspflichtverletzung ist noch genügt.

Die Rüge muss den Gegenstand des als Berufspflichtverletzung vorgeworfenen Verhaltens eindeutig benennen und die Grenzen des dazu unterbreiteten Tatsachenstoffs genau umreißen. Insoweit gilt für den notwendigen Inhalt einer Rüge, deren Erlass gemäß § 58a Abs. 1 Satz 1 HeilBerG NRW in der Entscheidungsfreiheit der Antragsgegnerin liegt, nichts anderes als für den Inhalt eines Antrags auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens nach § 71 Abs. 1 HeilBerG NRW. Die Antragsschrift hat in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand festzulegen, über den das Berufsgericht zu entscheiden hat. Sie darf sich in der Kennzeichnung der Tat nicht darauf beschränken, den Gesetzeswortlaut wiederzugeben sowie Tatzeit, Tatort und das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen mitzuteilen. Sie muss vielmehr konkrete Tatumstände nennen. Dies hat in Verbindung mit den abstrakten gesetzlichen Merkmalen und außerhalb der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen zu geschehen. Es müssen die Tatsachen, auf die sich der Vorwurf einer Verletzung von Berufspflichten stützt, konkret ausgeführt werden.

Vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe beim OVG NRW, Urteil vom 23. September 2009 - 6t A 2297/07.T -, juris; Willems, a.a.O.

Ob den so verstandenen Bestimmtheitsanforderungen im Einzelfall genügt ist, der Betroffene also erkennen kann, was genau ihm berufsrechtlich vorgeworfen wird, beurteilt sich im Zweifel aus der Sicht eines verständigen Empfängers. Nicht der innere Wille zählt, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Adressat bei verständiger Würdigung verstehen konnte.

Vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe beim OVG NRW, Urteil vom 23. September 2009 - 6t A 2297/07.T -, juris; Willems, a.a.O.

Hiervon ausgehend ist der angefochtene Rügebescheid noch hinreichend konkretisiert. Dem Bescheid ist zu entnehmen, dass dem Antragsteller vorgeworfen wird, durch die nicht hinreichend abgegrenzte Zusammenarbeit zwischen ihm und der S. W. GmbH gegen § 34 Abs. 5 BO a.F. verstoßen zu haben.

Das Schild der S. W. GmbH, das längere Zeit neben dem Arztschild vor der Praxis des Antragstellers gehangen habe, sowie die Aussagen der Zeuginnen S. G. und M. , ferner auch der im September 2009 vorgelegte Entwurf eines Kooperations-/Beratungsvertrages sowie die eigene Einlassung des Antragstellers werden von der Antragsgegnerin als Beweis für ein über die Notfallversorgung hinausgehendes und nicht durch einen hinreichenden Grund im Sinne des § 34 Abs. 5 BO a.F. gerechtfertigtes Zuweisungsverhalten angesehen. Aus der Sicht eines verständigen Adressaten liegt hierin der eigentliche Vorwurf. Die zahlreichen Unklarheiten in Bezug auf diesen Vorwurf haben ihren Grund in der besonderen Beweissituation. Das ändert nichts daran, dass der Gegenstand, über den das Berufsgericht zu entscheiden hat, sowie Tatzeit und -ort noch hinreichend bestimmt sind.

Hingegen sollen - für den verständigen Adressaten erkennbar - die das Schild der S. W. GmbH betreffenden Begebenheiten keinen eigenen Anschuldigungspunkt bilden. Dass diesbezüglich den vorgenannten Bestimmtheitsanforderungen nicht in der gebotenen Weise Rechnung getragen, insbesondere keine hinreichend genaue Eingrenzung von Gegenstand und Zeit vorgenommen worden ist, stellt somit nicht in Frage, dass die Antragsgegnerin die dem Antragsteller vorgeworfene Berufspflichtverletzung, wie dargestellt, hinreichend konkretisiert hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 107 Abs. 1, § 108 Abs. 4 HeilBerG NRW. Die Kostenentscheidung im Übrigen bleibt der dem Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.