SG Detmold, Urteil vom 18.06.2015 - S 3 KR 493/14
Fundstelle
openJur 2015, 17524
  • Rkr:
Tenor

Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 01.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2015 wird festgestellt, dass der Antrag der Klägerin vom 25.11.2013 auf Kostenübernahme für eine Verkleinerung der Brüste als genehmigt gilt. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine operative Verkleidung der Brüste.

Die 1954 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Sie leidet unter einer Makromastie beider Brüste.

Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung beantragte die Klägerin am 25.11.2013 bei der Beklagten die Gewährung einer operativen Verkleinerung beider Brüste.

Mit Schreiben vom 26.11.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass weitere Auskünfte zu den bisher durchgeführten Therapien der diagnostizierten Rückenbeschwerden benötigt würden. Erst wenn diese Angaben vorliegen würden, könnte der Antrag zur Stellungnahme an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) weitergeleitet werden.

Mit Schreiben vom 28.11.2013 begründete die Klägerin ihren Antrag weiter, verwies auf die Feststellungen der sie behandelnden Ärzte und stellte der Beklagten anheim, Befundberichte einzuholen.

Nach einem Vermerk bat die Beklagte am 03.12.2013 die Klägerin um Übersendung einer Fotodokumentation.

Mit Schreiben vom 08.09.2014 überreichte die Klägerin weitere ärztliche Unterlagen.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schriftsatz vom 15.09.2014 mit, dass sie über den Antrag auf Kostenübernahme innerhalb von 5 Wochen zu entscheiden habe, da mittlerweile der MDK eingeschaltet worden sei.

In einem Gutachten vom 24.09.2014 kam Dr. M (MDK) zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestehe keine Indikation für eine operative Verkleinerung der Brüste.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 01.10.2014 ab.

Am 15.10.2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2015 als unbegründet zurück.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 01.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2015 festzustellen, dass ihr Antrag auf Kostenübernahme vom 25.11.2013 für eine Verkleinerung der Brüste als genehmigt gilt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, eine Genehmigungsfiktion sei nicht eingetreten, da die Klägerin nur einen unvollständigen Antrag vorgelegt habe und selber davon ausgegangen sei, dass die Nachreichung weiterer Unterlagen notwendig wäre. Darüber hinaus sei eine operative Verkleinerung der Brüste medizinisch nicht indiziert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der Entscheidung.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Richtige Klageart ist gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, dass ihr Antrag vom 25.11.2013 als genehmigt gilt. Als berechtigt gilt ein Interesse jeglicher wirtschaftlicher und ideeller Art. Es besteht insbesondere bei Unsicherheit über die Rechtslage. Hier bestreitet die Beklagte einen Leistungsanspruch der Klägerin, was ein Feststellungsinteresse begründet.

Die Klage ist auch begründet. Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gilt der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für eine operative Verkleinerung der Brüste als genehmigt. Der dem entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 01.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch gemäß § 54 Abs. 2 SGG in ihren Rechten.

Maßgebliche Vorschrift ist hier § 13 Abs. 3a SGB V, welche mit Wirkung vom 26.02.2013 durch Art. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 5 des Patientenrechtegesetzes vom 20.02.2013 (Bundesgesetzblatt I, S. 277 bis 282) eingefügt worden ist. Die Sätze 1 bis 7 der Norm haben folgenden Wortlaut: "Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von 3 Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von 6 Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von 4 Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet."

Vorliegend ist der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für eine operative Verkleinerung der Brüste bei der Beklagten am 25.11.2013 eingegangen. Die Beklagte hat nicht unverzüglich den MDK eingeschaltet, so dass sie gemäß § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V innerhalb von 3 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden hatte. Die Entscheidungsfristen für die Krankenkassen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V sind nach §§ 26 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 187, 188 und 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu bestimmen. Die Frist beginnt, da der sie auslösende "Antragseingang" ein Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB darstellt, am folgenden Tage. Nach § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB enden die Wochenfristen grundsätzlich mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingang entspricht (vgl. Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rz. 50i). Der Antrag der Klägerin vom 25.11.2013 war vollständig, hinreichend bestimmt und bei der richtigen Krankenkasse gestellt. Gesetzlich Krankenversicherte sind nicht gehalten, bereits im Rahmen der Antragstellung alle erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Die Beklagte ist gemäß § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zur umfangreichen Ermittlung des Sachverhaltes verpflichtet. Hierzu gehört auch die selbstständige Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte, sofern dies für notwendig erachtet wird. Die Klägerin hat ihren Antrag auch nicht innerhalb der maßgeblichen 3-Wochen-Frist zurückgenommen oder für erledigt erklärt. Sie hat vielmehr die Beklagte gebeten, die notwendigen Informationen über ihre behandelnden Ärzte selbstständig einzuholen. Die Entscheidungsfrist begann damit am 26.11.2013 und endete mit Ablauf des 16.12.2013. Die Beklagte hat innerhalb dieser Frist nicht über den Leistungsantrag der Klägerin entschieden. Sie hat der Klägerin auch nicht schriftlich mitgeteilt, dass sie es innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht schafft, über den Antrag zu entscheiden. Zwar hat die Beklagte mit Schreiben vom 26.11.2013 der Klägerin mitgeteilt, dass nach Vorlage weiterer Unterlagen die Einschaltung des MDK geplant sei. Ein solches Gutachten des MDK wurde seitens der Beklagten jedoch nicht unverzüglich in Auftrag gegeben, wie es § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V erfordert. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Einschaltung des MDK davon abhängig zu machen, dass die Klägerin weitere Unterlagen einreicht. Um die Entscheidungsfristen des § 13 Abs. 3a SGB V wahren zu können, ist die Beklagte gehalten, den MDK unverzüglich einzuschalten und dies dem Versicherten auch unverzüglich anzuzeigen. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Wichtig ist dies deshalb, damit dem Versicherten klar ist, ob für ihn die 3- oder die 5-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V gilt. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 01.10.2014 war somit verspätet. Der Leistungsantrag der Klägerin gilt nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt.

Soweit in Teilen der Rechtsprechung vertreten wird, von der Fiktionswirkung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V seien nur solche Leistungen erfasst, welche die Krankenkassen allgemeiner Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. SG Dortmund, Beschluss vom 16.07.2014, S 40 KR 742/14 ER; zitiert nach www.juris.de), ist auch unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Kriterien die Genehmigungsfiktion eingetreten. Bei einer operativen Brustverkleinerung handelt es sich um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 5, 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V), welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat.

Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen. Die Leistungsberechtigung des Antragstellers ist wirksam verfügt und die Krankenkasse ist mit allen Einwendungen, insbesondere im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V ausgeschlossen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2014, L 5 KR 222/14 B ER; zitiert nach www.juris.de). Der vom 16. Senat des Landessozialgerichts für das Land NRW im Beschluss vom 26.05.2014 (L 16 KR 154/14 B ER; zitiert nach www.juris.de) vertretenen Auffassung, wonach die Genehmigungsfiktion nur dann eingreift, wenn eine grundsätzlich von der Krankenkasse innerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldete Leistung dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V entspricht, folgt die Kammer nicht. Der Sanktionsgrund des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V würde leerlaufen, wenn die beklagte Krankenkasse nach Nichtbeachtung der in § 13 Abs. 3a SGB V genannten Vorgehensweise im weiteren (Klage-) Verfahren mit Erfolg einwenden könnte, die beantragte Leistung hätte im konkreten Fall nicht bewilligt werden dürfen. Zudem hätte bei einer solchen Auslegung ein Versicherter, ungeachtet eines Verstoßes der Krankenkasse gegen die in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V normierten Hinweispflicht, keine Gewissheit, dass die beantragte Leistung von der Krankenkasse bezahlt oder zumindest die Kosten hierfür erstattet werden. Dies kann nicht Sinn und Zweck des Patientenrechtegesetzes gewesen sein, welches gerade darauf abzielt, die Rechte der Patienten zu stärken (vgl. SG Heilbronn, Urteil vom 10.03.2015, S 11 KR 2425/14; zitiert nach www.juris.de).

Die Genehmigungsfiktion gilt auch nicht nur für Kostenerstattungsansprüche. Nach dem klaren Wortlaut der Norm gewähren Satz 6 und Satz 7 mittels einer Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch oder einen Kostenerstattungsanspruch. Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen ins Auge gefasst, wie es sich aus dem Entwurf des Patientenrechtegesetzes ergibt (vgl. Bundesrats-Drucksache 312/12, S. 46; Bundestags-Drucksache 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistungen bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (vgl. Bundestags-Drucksache 17/11710, S. 30), um es dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V lediglich auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme Satz 6 kein eigener Regelungsgehalt zu. Zudem schlösse eine solche Auslegung mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 GG praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V aus (vgl. SG Marburg, Urteil vom 15.01.2015, S 6 KR 160/13; zitiert nach www.juris.de).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.