BGH, Urteil vom 12.01.2006 - IX ZR 131/04
Fundstelle
openJur 2011, 12136
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden die Urteile des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 24. Juni 2004 und der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 7. Januar 2004 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Räumung des von ihnen zu Wohnzwecken genutzten Teils eines Grundstücks.

Die zweite Ehefrau des Beklagten zu 1, K. , und waren hälftige Miteigentümer des Hausgrundstücks A. . Mit notariellem Vertrag vom 10. März 1995 übertrug ihren Miteigentumsanteil auf H. . Als Gegenleistung räumte diese K. und dem Beklagten zu 1 als Gesamtberechtigten einen lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch an dem Grundbesitz ein. Am 30. Mai 1995 erstritt die Klägerin gegen den Beklagten zu 1, ihren früheren Geschäftsführer, ein Urteil des Landgerichts Köln, durch das der Beklagte zu 1 als Gesamtschuldner neben der T. GmbH i.L. verurteilt wurde, an die Klägerin 367.900,23 DM zuzüglich Zinsen zu zahlen. Am 31. Mai 1996 erließ das Vollstreckungsgericht auf Antrag der Klägerin wegen dieser Forderung einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, wonach der angebliche Nießbrauch des Beklagten zu 1 gepfändet und der Klägerin die Befugnis zur Ausübung der aus dem Nießbrauch folgenden Rechte überwiesen wurde. Dem Beklagten zu 1 wurde geboten, sich jeder Verfügung über den Nießbrauch, insbesondere auch der Ausübung, zu enthalten. Die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an H. als Drittschuldnerin ist zwischen den Parteien streitig. Am 13. Dezember 1996 wurde die Pfändung des Nießbrauchs im Grundbuch eingetragen. Der Beklagte zu 1, der von K. getrennt lebt, nahm die Beklagte zu 2, seine geschiedene Frau aus erster Ehe, in den Haushalt auf.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstreben diese die Abweisung der Klage.

Gründe

Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Abweisung der Klage.

I.

Das Revisionsgericht hat die Sachurteilsvoraussetzungen auch ohne entsprechende Rüge von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGHZ 85, 288, 290; BGH, Urt. v. 21. Februar 2000 - II ZR 231/98, WM 2000, 891, 892; Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 557 Rn. 14; Kayser in Hk-ZPO, § 557 Rn. 12). Hierzu gehört das Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Klage.

1. Das Rechtsschutzbedürfnis kann fehlen, wenn über den Anspruch bereits ein noch nicht rechtskräftiges Urteil oder ein sonstiger Vollstreckungstitel vorliegt oder der Anspruch auf einem einfacheren Weg geltend gemacht werden kann (vgl. BGHZ 75, 230, 235; 111, 168, 171). Vorliegend kann die Klägerin das wirtschaftliche Ziel ihrer Klage, nämlich die Fremdvermietung der von den Beklagten bewohnten Räume und den Einzug des Mietzinses von den Mietern, einfacher durch einen Antrag nach § 857 Abs. 4 ZPO erreichen. Die danach zulässige Anordnung der Verwaltung ist nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich an die Vorschriften der §§ 146 ff ZVG anzulehnen (vgl. Stöber, Forderungspfändung 14. Aufl. Rn. 1712 a; Rossak MittBayNot 2000, 383, 385; OLG Düsseldorf Rpfleger 1997, 315; LG Lübeck Rpfleger 1993, 360). Sie kann bereits im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss geschehen, ist aber auch nachträglich noch zulässig und ermöglicht - worauf noch einzugehen sein wird - die Fremdvermietung des Nießbrauchsgegenstandes.

2. Letztlich kann die Frage, ob für die Räumungsklage ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist, offen bleiben, zumal gegen die Beklagte zu 2 kein Vollstreckungstitel vorliegt. Grundsätzlich darf zwar erst nach Feststellung der Prozessvoraussetzungen in die Sachprüfung eingetreten werden. Wenn allerdings feststeht, dass die Klage unbegründet ist, kann das Gericht auch bei möglicherweise fehlendem Rechtsschutzbedürfnis eine Sachentscheidung treffen (vgl. BGHZ 130, 390, 399 f).

II.

Gemäß den §§ 1065, 985 BGB kann der Nießbraucher von dem Eigentümer und von Dritten, die sein Besitzrecht (§ 1036 Abs. 1 BGB) verletzen, die Herausgabe des Nießbrauchsgegenstandes verlangen.

1. Das Berufungsgericht hat gemeint, dieser Anspruch stehe der Klägerin aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegenüber dem Beklagten zu 1 zu, weil sie durch die Pfändung in dessen Rechtsposition eingetreten sei. Ihr Herausgabeanspruch folge aus der dem Vollstreckungsgläubiger überwiesenen Nutzungsbefugnis. Sie sei als Pfändungspfandgläubigerin nicht darauf beschränkt, eine Verwaltungsanordnung nach § 857 Abs. 4 Satz 2 ZPO herbeizuführen; vielmehr könne sie unmittelbar die Herausgabe der dem Nießbrauch unterworfenen Sache verlangen.

2. Diese Auffassung trifft nicht zu. Die Vorschrift des § 1065 BGB ist auf die Rechtsbeziehung zwischen dem Nießbraucher und demjenigen, der die Ausübung des Nießbrauchs gepfändet hat, nicht anzuwenden.

a) Allerdings ist beim Nießbrauch Gegenstand der Pfändung der Nießbrauch selbst und nicht nur ein obligatorischer Anspruch auf seine Ausübung (BGHZ 62, 133, 136; BayObLG ZIP 1997, 1852; Brox/Walker, Zwangsvoll- streckungsrecht 7. Aufl. Rn. 763; MünchKomm-BGB/Pohlmann, 4. Aufl. § 1059 Rn. 19; Raebel, in Lambert-Lang/Tropf/Frenz, Handbuch der Grundstückspraxis 2. Aufl. Teil 5 Rn. 32; Stöber, Forderungspfändung aaO Rn. 1710, jeweils m.w.N.). Der Nießbrauch ist, wie sich aus § 857 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 1059 BGB ergibt, der Pfändung insoweit unterworfen, als die Ausübung einem anderen überlassen werden kann (vgl. BGH aaO S. 136f). Wegen seiner Unveräußerlichkeit, die auch in der Zwangsvollstreckung Bestand hat, darf der Pfändungspfandgläubiger den Nießbrauch nicht zu seiner Befriedigung verwerten, sondern ihn nur zu diesem Zwecke ausüben. Dies schließt eine Überweisung des Stammrechts selbst zur Einziehung oder an Zahlungs Statt nach § 857 Abs. 1, § 835 Abs. 1 ZPO ebenso aus wie eine anderweitige Verwertung durch Versteigerung oder freien Verkauf. Die - hier vom Vollstreckungsgericht im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss angeordnete - Überweisung der Ausübungsbefugnis ist dagegen von § 857 Abs. 1, § 835 Abs. 1 Fall 1 ZPO gedeckt (vgl. BGHZ aaO S. 136f; Stöber, Forderungspfändung aaO Rn. 1710, 1712a; Rossak aaO S. 385; Brox/Walker, aaO Rn. 765). Ist der Beklagte zu 1 trotz der Pfändung und Überweisung Inhaber des Stammrechts geblieben, scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 1065 BGB, der Abwehransprüche des Nießbrauchers und nicht Ansprüche gegen den Nießbraucher regelt, aus.

b) Auch eine entsprechende Anwendung von § 1065 BGB kommt hier nicht in Betracht.

aa) Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Rpfleger 1997, 315) hat in einem vergleichbaren Fall entschieden, ein Herausgabeanspruch bestehe nur im Verhältnis des Pfändungsgläubigers zum Grundstückseigentümer. Gegenüber dem Vollstreckungsschuldner, der das vom Nießbrauch erfasste Haus selbst bewohne, könne der Pfändungsgläubiger die Herausgabe des Nießbrauchsgegenstands nicht verlangen. Als Verwertungsmöglichkeit verbleibe in diesem Fall nur die Anordnung der Verwaltung durch das Vollstreckungsgericht nach § 857 Abs. 4 Satz 2 ZPO.

bb) Dieser Auffassung ist das Schrifttum überwiegend beigetreten (vgl. MünchKomm-ZPO/Smid, 2. Aufl. § 857 Rn. 17; Musielak/Becker, aaO § 857 Rn. 14; Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl. § 857 Rn. 12; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO 3. Aufl. § 857 Rn. 75; Rossak aaO, S. 385; MünchKomm-BGB/Pohlmann, aaO § 1059 Rn. 25; wohl auch Kemper in Hk-ZPO, § 857 Rn. 16; Stöber, Forderungspfändung aaO Rn. 1712; Zöller/Stöber, ZPO 25. Aufl. § 857 Rn. 13; Brox/Walker, aaO Rn. 765; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. § 857 ZPO Rn. 25). Ihr ist zuzustimmen.

(1) Das Berufungsgericht hat gemeint, aus der systematischen Stellung des § 857 ZPO unter den Vorschriften der Mobiliarzwangsvollstreckung folge, dass eine Verwaltung nach § 857 Abs. 4 ZPO nicht die ausschließliche Verwertungsart eines gepfändeten Nießbrauchs darstellen könne. Nur bei Gegenständen, die der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (§§ 864ff ZPO) unterlägen, sei der Gläubiger - abgesehen von der Eintragung einer Zwangshypothek - auf die Verwertung durch Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung beschränkt. Die Anordnung der Zwangsverwaltung habe der Gesetzgeber beim Nießbrauch nur fakultativ vorgesehen, weil in manchen Fällen eine anderweitige Verwertung des gepfändeten Rechts durch den Gläubiger problematisch sein könne.

Diese Erwägungen vernachlässigen, dass die Pfändung unveräußerlicher Rechte nur eine eingeschränkte Wirkung in dem Sinne entfaltet, dass der Pfändungspfandgläubiger das unveräußerliche Recht nicht zum Zwecke seiner Befriedigung verwerten, sondern es zu diesem Zwecke nur ausüben darf. Dies konkretisiert § 857 Abs. 4 ZPO insbesondere für den Fall der Eigennutzung durch die Anordnung einer Verwaltung (vgl. BGHZ aaO S. 137). Nach dieser Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht - wie schon dargelegt worden ist - im Rahmen der Zwangsvollstreckung in ein Nutzungsrecht besondere Anordnungen erlassen, die an die Vorschriften der §§ 146ff ZVG anzulehnen sind. Diese beinhalten zweckmäßigerweise den Vorschriften der § 150 Abs. 2, § 152 Abs. 1, §§ 154f ZVG entsprechende Regelungen. Hierzu gehört die Ermächtigung des Verwalters, sich den Besitz des mit dem Nießbrauch belasteten Grundstücks zu verschaffen, sowie die Anordnung an diesen, die Grundstücksnutzungen in Geld umzusetzen und den nicht für die Verwaltung benötigten Erlös an den Gläubiger bis zur Befriedigung seines Anspruchs abzuliefern (vgl. Stöber, Forderungspfändung aaO Rn. 1709 mit Muster; Brox/Walker, aaO Rn. 765). Der eine solche Ermächtigung des Verwalters zur Besitzverschaffung enthaltende Beschluss ist - ebenso wie der Räumungsbeschluss nach § 149 Abs. 2 ZVG - Vollstreckungstitel gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, der notfalls mit Hilfe des Gerichtsvollziehers durchsetzbar ist (vgl. Stöber, Forderungspfändung aaO Rn. 1712a; Depre/Mayer, Praxis der Zwangsverwaltung 2. Aufl. Rn. 832f; Schuschke/Walker, aaO § 857 ZPO Rn. 9; Rossak aaO Rn. 346; LG Lübeck aaO; für § 149 Abs. 2 ZVG auch Stöber, ZVG 18. Aufl. § 149 Anm. 3.8). Ein Schuldner, der das mit dem Nießbrauch belastete Grundstück selbst bewohnt, kann sich gegen eine derartige Verwaltungsanordnung auch nicht unter Berufung auf ein Wohnrecht entsprechend § 149 Abs. 1 ZVG wehren. Diese Vorschrift, die in der Zwangsverwaltung einen Fall der Unterhaltsgewährung aus Billigkeitsgründen darstellt, wirkt allein zugunsten des Schuldners als Eigentümer (vgl. BGHZ 130, 314, 318f zum Wohnungsrecht gemäß § 1093 BGB). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist diese Rechtsprechung auf den Nießbrauch zu übertragen. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass dieser Weg im Streitfall nicht gangbar ist oder ihrem Interesse nicht hinreichend gerecht wird, den wirtschaftlichen Wert des Nießbrauchs zur Schuldtilgung einzusetzen.

(2) Wäre es dem Pfändungspfandgläubiger gestattet, als Ausfluss der Nutzungsmöglichkeit den Besitz durch Räumung unbefristet auf sich überzuleiten, führte dies zu einer dem Zweck der Zwangsvollstreckung widersprechenden Überkompensation. Die Zwangsvollstreckung darf nicht weiter ausgedehnt werden, als es zur Befriedigung des Gläubigers und zur Deckung der Kosten des Verfahrens erforderlich ist (§ 803 Abs. 1 Satz 2, § 818 ZPO, § 161 Abs. 2 ZVG). Der Nießbraucher kann insoweit nicht auf den Weg der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO verwiesen werden, um den Erfüllungseinwand geltend zu machen.

Auf der Grundlage der Auffassung des Berufungsgerichts gewährleistet dieser Rechtsbehelf keinen effektiven Rechtsschutz, weil der Nießbraucher mit der Klage nur erreichen kann, die Zwangsvollstreckung aus dem Titel für unzulässig zu erklären (vgl. Musielak/Lackmann, aaO § 767 Rn. 9; Zöller/Herget, aaO § 767 Rn. 1f), ohne jedoch den Besitz des Nießbrauchsgegenstandes zurückzuerlangen. Mit der rechtsgestaltenden Entziehung der Vollstreckbarkeit ist für ihn somit noch nichts gewonnen. Anders verhält es sich bei angeordneter Verwaltung. Ist die titulierte Forderung getilgt, hat der Verwalter die Verwaltung zu beenden (vgl. Stöber, Forderungspfändung aaO Rn. 1709). Er hat Rechnung zu legen und dem Schuldner dessen Besitz wieder einzuräumen. Besteht über die Erfüllung der titulierten Forderung Streit und legt der Nießbraucher, der den Weg der Vollstreckungsgegenklage erfolgreich beschritten hat, die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vor, aus der sich ergibt, dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt ist, hat das Vollstreckungsgericht die Zwangsvollstreckung nach § 775 Nr. 1 ZPO einzustellen und zugleich nach § 776 Satz 1 ZPO die bereits getroffenen Vollstreckungsmaßregeln aufzuheben. Mit dem Vollzug des stattgebenden Urteils erlangt der Nießbraucher sonach seine alte Rechtsstellung selbst dann wieder, wenn die Verwaltungsanordnung mit Regelungen nach § 150 Abs. 2, § 152 Abs. 1 ZVG verbunden war.

c) Da die Klage gegen den Beklagten zu 1 schon aus den vorstehenden Erwägungen erfolglos bleibt, braucht der Senat nicht dazu Stellung nehmen, ob die - deklaratorische - Eintragung der Pfändung in das Grundbuch eine Vermutung für das Pfändungspfandrecht am Nießbrauch begründet oder ob der Pfandrechtsgläubiger, der seine Rechte aus der Pfändung herleitet, die Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den Drittschuldner als Wirksamkeitsvoraussetzung der Pfändung (vgl. § 857 Abs. 1, § 829 Abs. 3 ZPO) nachweisen muss.

3. Gegenüber der Beklagten zu 2 bleibt die Räumungsklage ebenfalls ohne Erfolg. Könnte der Pfändungspfandgläubiger die Herausgabe von einem Dritten verlangen, der aufgrund einer schuldrechtlichen Vereinbarung mit dem Nießbraucher im Besitz oder Mitbesitz des Nießbrauchsgegenstandes ist, träte die Gefahr der Überkompensation des Gläubigers in gleicher Weise wie im Verhältnis zum Nießbraucher auf. Mangels geeigneter Verwaltungsanordnungen wäre auch dann offen, wann der Gläubiger befriedigt wäre und welche Rechtsschutzmöglichkeiten der Vollstreckungsschuldner und der Dritte nach Eintritt der Befriedigung hätten.

Fischer Raebel Kayser Cierniak Lohmann Vorinstanzen:

LG Köln, Entscheidung vom 07.01.2004 - 20 O 33/03 -

OLG Köln, Entscheidung vom 24.06.2004 - 12 U 9/04 -