BGH, Urteil vom 22.03.2006 - VIII ZR 212/04
Fundstelle
openJur 2011, 11247
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 7, vom 24. Juni 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagten waren gemäß Mietvertrag vom 1. April 1998 Mieter eines Einfamilienhauses des Klägers in H. . Nach Beendigung des Mietverhältnisses am 30. April 2002 hat der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung der Miete für den Monat April 2002 sowie auf Schadensersatz unter anderem für die Vornahme von Schönheitsreparaturen, die Beseitigung von Schäden, die Reinigung der Mietsache und einen dadurch bedingten Mietausfall von eineinhalb Monaten in Anspruch genommen. Die Beklagten haben, zum Teil hilfsweise, mit Verwendungs- und Ersatzansprüchen aufgerechnet.

Das Amtsgericht hat der zuletzt auf Zahlung von insgesamt 25.388,73 € nebst Zinsen gerichteten Klage in Höhe von 24.407,55 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt und den Antrag angekündigt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, soweit dieses der Klage stattgegeben hat. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der vom Senat zugelassenen Revision.

Gründe

Die Revision ist begründet. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer umfassenden Würdigung des Sach- und Streitstandes (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f.).

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Die Berufungsbegründung der Beklagten genüge nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Der bloße Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung ohne Sachantrag könne lediglich dann als ordnungsgemäßer Berufungsantrag gewertet werden, wenn der Berufungsbegründung ansonsten hinreichend klar entnommen werden könne, ob beziehungsweise in welchem Umfang der erstinstanzliche Klagabweisungsantrag weiterverfolgt werden solle. Hiervon könne im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden. Bei mehreren prozessualen Ansprüchen, wie sie auch vom Kläger geltend gemacht worden seien, sei eine entsprechende Berufungsbegründung für jeden Anspruch nötig; beziehe sich die Berufungsbegründung lediglich auf einzelne Streitpunkte, reiche dies nur aus, wenn hierdurch das gesamte Urteil in Frage gestellt werde. Diesen Anforderungen genüge die Berufungsbegründung der Beklagten nicht. Zur zugesprochenen Miete für April 2002 fänden sich darin keine Ausführungen. Bezüglich des zugesprochenen Schadensersatzes für Renovierungskosten werde nicht deutlich, welchen konkreten Betrag die Beklagten insoweit angreifen wollten. Hinsichtlich des vom Amtsgericht zugesprochenen Schadensersatzes wegen Mietausfalls für eineinhalb Monate wollten die Beklagten nur einen Zeitraum von zehn Tagen gelten lassen. Insoweit sei das Bestreiten der Beklagten indes ohne Substanz. Die in der Berufungsbegründung geltend gemachte Aufrechnungsforderung sei höher als die, derer sich die Beklagten in erster Instanz berühmt hätten, jedoch geringer als der vom Amtsgericht zugesprochene Zahlungsanspruch, so dass auch insofern nicht davon ausgegangen werden könne, die Beklagten hätten mit ihrer Berufung die erstinstanzlich begehrte Klagabweisung vollen Umfangs weiter verfolgen wollen. Insgesamt könne der Berufungsbegründung damit nicht entnommen werden, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angegriffen werden solle und welche Abänderungen erstrebt würden. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die von den Beklagten zur Aufrechnung gestellten Aufwendungsersatzansprüche auch der Sache nach als unbegründet anzusehen seien.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, die Berufung der Beklagten sei gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil ihre Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO entspreche.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der mit § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO wortgleichen Vorschrift des § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F. genügt auch ein lediglich auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag grundsätzlich dem Erfordernis, dass die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten muss, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Denn in der Regel lässt dieser Antrag die Weiterverfolgung des bisherigen Sachbegehrens als Ziel des Rechtsmittels erkennen (Urteil vom 6. Mai 1987 - IVb ZR 52/86, NJW 1987, 3264 unter II 1; Senatsurteil vom 11. Juli 1990 - VIII ZR 165/89, WM 1990, 2128 unter II 1; Urteil vom 31. Mai 1995 - XII ZR 196/94, NJW-RR 1995, 1154 unter II 1; Urteil vom 27. März 1996 - XII ZR 83/95, NJW-RR 1996, 833 unter 2, jew. m.w.Nachw.). In einem solchen Fall schadet es nicht, wenn ein ausdrücklicher Sachantrag unterbleibt. Die Vorschrift des § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F. und nunmehr des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO soll den Berufungskläger im Interesse der Beschleunigung des Berufungsverfahrens dazu anhalten, sich eindeutig über Umfang und Ziel seines Rechtsmittels zu erklären und Berufungsgericht sowie Prozessgegner über Umfang und Inhalt seiner Angriffe möglichst schnell und zuverlässig ins Bild setzen. Sie erfordert dafür nicht unbedingt einen förmlichen Antrag. Vielmehr reicht es aus, wenn die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (Urteil vom 6. Mai 1987 aaO; Senatsbeschluss vom 13. November 1991 - VIII ZB 33/91, NJW 1992, 698 unter 2.; Urteil vom 31. Mai 1995 aaO; Urteil vom 27. März 1996 aaO; Senatsbeschluss vom 13. Mai 1998 - VIII ZB 9/98, NJW-RR 1999, 211 unter II 1 a und b; Beschluss vom 24. Februar 1999 - IX ZB 2/98, NJW 1999, 2372 unter B I, in BGHZ 140, 395 insoweit nicht abgedruckt; Beschluss vom 15. Oktober 2003 - XII ZB 103/02, FamRZ 2004, 179 unter II 2, jew. m.w.Nachw.).

b) Dies hat das Berufungsgericht allerdings entgegen der Rüge der Revision nicht verkannt. Vielmehr heißt es in dem Berufungsurteil unter Hinweis auf die Kommentierung von Zöller/Gummer/Heßler (ZPO, 24. Aufl., § 520 Rdnrn. 28, 32 m.w.Nachw.), die ihrerseits wieder auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bezug nimmt, der bloße Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung ohne Sachantrag könne lediglich dann als ordnungsgemäßer Berufungsantrag gewertet werden, wenn der Berufungsbegründung ansonsten hinreichend klar entnommen werden könne, ob beziehungsweise in welchem Umfang der erstinstanzliche Klagabweisungsantrag weiterverfolgt werde. Danach geht das Berufungsgericht - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - davon aus, dass "der bloße Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung ohne Sachantrag" ausreichen kann, um die mit der Berufung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO notwendigerweise angestrebte sachliche Abänderung des angefochtenen Urteils erkennen zu lassen, und dass der Umfang der gewünschten Abänderung grundsätzlich auch der Berufungsbegründung entnommen werden kann.

Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, aus der Berufungsbegründung der Beklagten gehe nicht hervor, ob beziehungsweise in welchem Umfang der erstinstanzliche Klageabweisungsantrag weiterverfolgt werden solle. Insoweit hat es, wie die Revision zutreffend beanstandet, übersehen, dass es in der Berufungsbegründung heißt, das angefochtene Urteil werde "vollen Umfangs zur Überprüfung gestellt" und das Amtsgericht habe "dem Klaganspruch zu Unrecht in Höhe von 24.407,55 Euro stattgegeben und die Gegenansprüche der Beklagten rechtsfehlerhaft als unsubstantiiert abgetan". Hieraus ergibt sich unzweifelhaft, dass die Beklagten die beantragte Aufhebung und Zurückverweisung nicht unzulässigerweise um ihrer selbst willen (vgl. BGH, Urteile vom 6. Mai 1987, vom 31. Mai 1995 und vom 27. März 1996, jew. aaO) erstreben, sondern ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag im vollen Umfang und damit hinsichtlich aller Teile des Streitgegenstandes weiterverfolgen wollen. Hinzu kommt, dass die Beklagten in der Berufungsbegründung abschließend "auf das gesamte bisherige Vorbringen" Bezug genommen haben. Auch hieraus wird deutlich, dass die Beklagten an ihrem bisherigen Sachbegehren festhalten wollen. Es handelt sich zwar um eine Floskel, die einen Sachvortrag nicht ersetzen kann. Darauf kommt es jedoch im Rahmen der Auslegung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden, nicht an; insoweit dürfen die Anforderungen an den Berufungsantrag (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO) nicht in unzulässiger Weise mit den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsgründe nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO vermengt werden (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995, aaO). Ob die Berufung der Beklagten bezüglich aller der mit der Klage verfolgten Ansprüche diesen Erfordernissen entspricht, steht hier nicht zur Entscheidung.

2. Soweit das Berufungsgericht "ergänzend" darauf hingewiesen hat, dass die von den Beklagten zur Aufrechnung gestellten Aufwendungsersatzansprüche auch der Sache nach als unbegründet anzusehen seien, gelten diese Ausführungen, die auch nur einen Teil des Streitgegenstandes betreffen, als nicht geschrieben (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1998 - LwZR 3/98, NJW 1999, 794 unter 4; Beschluss vom 28. Mai 2003 - XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531 unter II 3, jew. m.w.Nachw.).

III.

Nach alledem kann das Berufungsurteil mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, da es noch einer weiteren Prüfung der Zulässigkeit und gegebenenfalls der Begründetheit der Berufung bedarf. Daher ist das Berufungsurteil aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Dr. Deppert Ball Dr. Leimert Wiechers Dr. Wolst Vorinstanzen:

AG Hamburg-Blankenese, Entscheidung vom 30.01.2004 - 518 C 302/02 -

LG Hamburg, Entscheidung vom 24.06.2004 - 307 S 50/04 -