SG Berlin, Urteil vom 07.07.2015 - S 76 KR 1743/13
Fundstelle
openJur 2015, 11820
  • Rkr:

Ein Rechtsreferendar, der im Rahmen seines Vorbereitungsdienstes einem Rechtsanwalt zur Ausbildung zugeteilt ist und während dieser Ausbildungsstation neben der Unterhaltsbeihilfe von dem Rechtsanwalt eine zusätzliche Vergütung erhält, ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 Nr. 4 SGB VI rentenversicherungsfrei, wenn sich eine Trennung der verrichteten Arbeiten in einen ausbildungsbezogenen Teil und eine hiervon unabhängige Beschäftigung anderer Art nicht vornehmen lässt.

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 13.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2013 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den Arbeitnehmeranteil der von der Beigeladenen zu 1) für ihn im Zeitraum vom ... bis ... entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten und dem Grunde nach mit 4 % zu verzinsen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung des Arbeitnehmeranteils von Beiträgen zur Rentenversicherung in Höhe von 954,24 €, die die Beigeladene zu 1) während des juristischen Vorbereitungsdienstes für ihn abgeführt hat.

Der Kläger hat vom ….2010 bis zum ….2012 am Kammergericht (KG) den juristischen Vorbereitungsdienst absolviert. Im Rahmen der Pflichtstation „Rechtsanwalt“ des Referendariats wurde er vom ... bis zum ... der Beigeladenen zu 1) zugewiesen. Er erhielt von dieser ein zusätzliches Entgelt neben seiner vom KG weitergezahlten Unterhaltsbeihilfe. Die Beigeladene zu 1) entrichtete für den Kläger insgesamt einen Arbeitnehmeranteil in Höhe von 954,24 € an die Beigeladene zu 2).

Am 25.07.2012 stellte der Kläger bei der Beklagten als Einzugsstelle einen Antrag auf Erstattung der entrichteten Rentenversicherungsbeiträge. Er vertrat u.a. die Auffassung, dass die Abführung der Rentenversicherungsbeiträge durch die Beigeladene zu 1) zu Unrecht erfolgt wäre, da es sich bei seiner Tätigkeit für diese wie bei sämtlichen anderen Ausbildungsstationen ausschließlich um einen Teil des juristischen Vorbereitungsdienstes gehandelt hätte, der nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) rentenversicherungsfrei sei. Insbesondere handele es sich nicht um eine weitere Beschäftigung, für die eine Gewährleistungsentscheidung hätte ergehen müssen. Der Anspruch auf Rückerstattung der Beiträge folge aus § 26 Abs. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Der Betrag sei gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV in Höhe von 4 % zu verzinsen.

Mit Bescheid vom 13.03.2013 lehnte die Beklagte den Erstattungsantrag ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass eine Gewährleistungserstreckungsentscheidung der obersten Landesverwaltungsbehörde nicht vorliege. Daher sei für die Beurteilung der Rentenversicherungspflicht während der Wahlstation zu unterscheiden, ob es sich um eine Vergütung ohne zwingenden Rechtsgrund oder ein Arbeitsentgelt aus einer neben der Ausbildung bestehenden Zweitbeschäftigung handele. Ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis zum Dienstherrn sei dann anzunehmen, wenn durch die Wahlstation eine zusätzliche Vergütung ohne zwingenden Rechtsgrund gewährt werde. Die Vergütung sei von der Beigeladenen zu 1) nicht ohne zwingenden Rechtsgrund gezahlt worden; es habe eine vertragliche Vereinbarung zur Zahlung des Entgelts bestanden. Die Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen zu 1) stelle somit kein einheitliches Beschäftigungsverhältnis zum Dienstherrn dar. Die gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung seien somit zu Recht entrichtet worden – eine Erstattung könne nicht erfolgen.

Der Kläger legte gegen den Bescheid Widerspruch ein. Die Rechtslage sei abschließend durch das Bundessozialgericht (BSG) geklärt. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit seiner am 29.08.2013 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt u.a. vor, dass Referendare in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich versicherungsfrei seien, im Land Berlin folge dies aus § 12 Abs. 3 des Gesetzes über die Ausbildung von Juristinnen und Juristen im Land Berlin (JAG) i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 Nr. 4 SGB VI. Vereinbarungen zwischen der Beigeladenen zu 1) und „einer Vielzahl von Oberlandesgerichten“ berührten seinen versicherungsrechtlichen Status nicht. Die eigenverantwortlich durch die Beigeladene zu 1) abgegebenen Verpflichtungserklärungen berührten alleine das Innenverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem jeweiligen Gericht. Er habe mit der Beigeladenen zu 1) keinesfalls einen Arbeitsvertrag geschlossen. Er habe sich zu keiner Leistung verpflichtet, die über die Stationsausbildung hinausgegangen wäre. Er sei bei der Beigeladenen zu 1) lediglich dem Rechtsanwalt R. im Rahmen der Ausbildung in der Anwaltsstation zugewiesen gewesen. Diese Tätigkeit sei originärer Bestandteil des juristischen Vorbereitungsdienstes gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den Arbeitnehmeranteil der von der Beigeladenen zu 1) für ihn für den Zeitraum vom ... bis ... entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu erstatten und dem Grunde nach mit 4 % zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Widerspruchsbescheids.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt. Die Beigeladene zu 1) vertritt die Auffassung, dass sich die Rentenversicherungspflicht für Referendare aus § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ergebe. Sie (die Beigeladene zu 1)) habe sich gegenüber einer Vielzahl von Oberlandesgerichten als Ausbildungsbehörden verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge für Stationsreferendare zu entrichten. An diese Zusage sei sie gebunden. Hier habe ein separater Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und ihr bestanden. Dieser stelle einen Rechtsgrund dar, aus welchem von einer Zweitbeschäftigung auszugehen sei, die rentenversicherungspflichtig sei. Die Beigeladene zu 2) hat sich den Ausführungen der Beigeladenen zu 1) angeschlossen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz der Abwesenheit der Beigeladenen zu 1) und 2) in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da diese in den jeweiligen Terminsmitteilungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren (vgl. § 126 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat gemäß § 26 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SGB IV einen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Rentenversicherungsbeiträge.

Gemäß § 26 Abs. 2 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Der Erstattungsanspruch steht gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV dem zu, der die Beiträge getragen hat, hier also dem Kläger, soweit es um den Arbeitnehmeranteil der für ihn entrichteten Rentenversicherungsbeiträge geht.

Schuldnerin des Erstattungsanspruchs ist die Beklagte als Einzugsstelle. Gemäß § 126 SGB VI ist zwar grundsätzlich der Rentenversicherungsträger für die Durchführung der Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung, die auch die Erstattung von Beiträgen umfasst, zuständig. Die Einzugsstelle ist aber gemäß § 211 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Rentenversicherung dann zuständig, wenn der Erstattungsanspruch noch nicht verjährt ist, die Beiträge vom Träger der Rentenversicherung noch nicht beanstandet worden sind und die Träger der Rentenversicherung dies mit den Einzugsstellen oder den Leistungsträgern vereinbart haben. Nach Nr. 4.3.1. Abs. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Grundsätze für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus einer Beschäftigung der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit vom 21.11.2006 ist für die Bearbeitung des Antrags auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge die Einzugsstelle zuständig, soweit sich aus den Abschnitten 4.3.2 und 4.3.3 nichts anderes ergibt.

Die Beigeladene zu 1) hat zu Unrecht Rentenversicherungsbeiträge für den Kläger entrichtet, denn seine Tätigkeit für sie war gemäß § 12 Abs. 3 JAG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 Nr. 4 SGB VI rentenversicherungsfrei.

Die Kammer teilt die Auffassung des Klägers, wonach die Rechtslage bereits durch das BSG geklärt ist. Schon mit Urteilen vom 31.05.1978 (Az.: 12 RK 25/77, 12 RK 48/76 und 12 RK 49/76, alle zitiert nach Juris) hat das BSG entschieden, dass ein Rechtsreferendar, der im Rahmen seines Vorbereitungsdienstes einem Rechtsanwalt zur Ausbildung zugeteilt ist und während dieser Ausbildungsstation neben dem Unterhaltszuschuss von dem Rechtsanwalt eine zusätzliche Vergütung erhält, insgesamt versicherungsfrei ist, wenn sich die vom Ausbildungszweck freie Beschäftigung von der Ausbildungsbeschäftigung nicht abgrenzen lässt. Referendare, die im Rahmen ihres juristischen Ausbildungsdienstes neben dem Unterhaltszuschuss von den ausbildenden Stellen zusätzlich Vergütungen erhielten, seien während dieser Zeit jedenfalls dann nicht rentenversicherungspflichtig, wenn sich eine Trennung der verrichteten Arbeiten in einen ausbildungsbezogenen Teil und eine hiervon unabhängige Beschäftigung anderer Art nicht vornehmen lasse. Die Referendarausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses ist eine „Beschäftigung“ i.S.d. § 7 SGB IV. Das ausbildende Land bleibt auch dann alleiniger Arbeitgeber der Referendare, wenn die praktische Ausbildung bei Stellen außerhalb von Gerichtsbarkeit und der Verwaltung erfolgt. Der „Dienstherr“ überlässt der auszubildenden Person bzw. Stelle dabei regelmäßig nur das Weisungsrecht in Bezug auf die von den Referendaren im Einzelnen zu erfüllenden Aufgaben (BSG, Urteil vom 31.03.2015, Az.: B 12 R 1/13 R, zitiert nach Terminbericht Nr. 12/15 vom 01.04.2015; das Urteil liegt noch nicht im Volltext vor).

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben zwar angegeben, dass der Kläger im Rahmen eines „Arbeitsvertrages“ für die Beigeladene zu 1) tätig geworden wäre. Einen Arbeitsvertrag haben sie aber nicht vorlegen können. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nochmals vorgetragen, dass er keinen Arbeitsvertrag mit der Beigeladenen zu 1) abgeschlossen hätte. Aus dem von der Beigeladenen zu 1) eingereichten Schreiben der Präsidentin des KG an den Rechtsanwalt R. von der Beigeladenen zu 1) vom 26.10.2010 ergibt sich lediglich, dass der Kläger dem Rechtsanwalt R. „zur Fortsetzung des Vorbereitungsdienstes (…) überwiesen“ wurde. Das Schreiben enthält des Weiteren die Mitteilungen, dass der Kläger zur Anfertigung der Prüfungsarbeiten von der Dienstleistungspflicht befreit sei, dass die Teilnahme an der Einführungsveranstaltung Rechtsanwalt zu Stationsbeginn Dienstpflicht sei und jedem anderen Dienst vorgehe und dass der Kläger noch einer Arbeitsgemeinschaft zugeteilt werde. In dem Schreiben der Präsidentin des KG an den Kläger vom 26.10.2010 wird dieser angewiesen, sich „pünktlich am ersten Arbeitstag zur Fortsetzung [seines] Vorbereitungsdienstes zu melden und [seinen] Ausbilder über die Arbeitsgemeinschaftstermine in Kenntnis zu setzen“. In ihrem Schreiben an den Kläger vom 18.10.2010 bestätigt die Beigeladene zu 1) diesem, dass sie ihn während seiner Anwaltsstation gerne ausbilden werde und dass er für diese „Ausbildung“ eine Vergütung erhalten werde.

Für die Kammer steht daher fest, dass die Beigeladene zu 1) nicht neben dem Land Berlin weitere Arbeitgeberin des ihr nur zur Ausbildung zugewiesenen Klägers war. Der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) ist es nicht gelungen, zur Überzeugung der Kammer nachzuweisen, dass es mündliche oder schriftliche Absprachen gab, durch die sich der Kläger verpflichtet hat, über die Ausbildung hinaus Dienstleistungen für die Beigeladene zu 1) zu erbringen. Die von der Beigeladenen zu 1) gewährten Zahlungen wurden daher freiwillig und ohne Rechtsgrund erbracht, und die Eingliederung in ihren Betrieb ging nicht über das Maß hinaus, welches die Referendarausbildung erforderte. Eine Beschäftigung durch die Beigeladene zu 1), die abgrenzbar neben dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis bestand, kann damit nicht angenommen werden (vgl. BSG, a.a.O.).

Der Anspruch des Klägers auf Verzinsung ergibt sich aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache. Die Kosten der Beigeladenen waren nicht zu erstatten, da sie keine Anträge gestellt und damit auch kein eigenes Kostenrisiko übernommen haben. Darüber hinaus haben sie sich inhaltlich der Position der Beklagten angeschlossen, die vom Gericht nicht geteilt wird.