BAG, Beschluss vom 03.06.2015 - 2 AZB 116/14
Fundstelle
openJur 2015, 11455
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 3. gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 29. Oktober 2014 - 11 TaBV 109/13 - wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I. Die Beteiligten stritten im Ausgangsverfahren über den Antrag der Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zu einer von ihr beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. - des damaligen Betriebsratsvorsitzenden - zu ersetzen. Das Arbeitsgericht gab dem Antrag statt. Auf die Beschwerden des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. wies das Landesarbeitsgericht den Antrag mit einem am 2. April 2014 verkündeten Beschluss ab. Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen.

Am 6. Mai 2014 erteilte der Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin außergerichtlich die erbetene Zustimmung zur Kündigung des Beteiligten zu 3. Mit Schriftsätzen vom 7. Mai 2014 erklärten die Arbeitgeberin und der Betriebsrat das Verfahren für erledigt. Dem hat sich der Beteiligte zu 3. ausdrücklich nicht angeschlossen. Mit Beschluss vom 21. Mai 2014 stellte das Landesarbeitsgericht - durch den Vorsitzenden der Kammer allein - das Verfahren "gem. § 83a Abs. 2 ArbGG" ein. Die Beteiligten haben Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe gegen diesen Beschluss nicht eingelegt.

Anfang Juni 2014 wurde den Beteiligten der Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 2. April 2014 mit Gründen versehen zugestellt. Arbeitgeberin und Betriebsrat legten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ein, mit der sie insbesondere rügten, dass das Landesarbeitsgericht "trotz Erledigung" Beschlussgründe erstellt habe. Der Senat hat die Beschwerden mit Beschlüssen vom 18. September 2014 und 8. Oktober 2014 als unzulässig verworfen.

Mit Beschluss vom 29. Oktober 2014 hat das Landesarbeitsgericht seinen Beschluss vom 2. April 2014 für wirkungslos erklärt. Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen; dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht statthaft.

1. Das Arbeitsgerichtsgesetz kennt die Nichtzulassungsbeschwerde nur im Hauptsache-/Erkenntnisverfahren. § 72a ArbGG sieht sie für Urteile des Landesarbeitsgerichts nach § 69 ArbGG, § 92a ArbGG für Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts nach § 91 ArbGG - und auch insoweit nicht für Beschlüsse über die Zurückweisung der Beschwerde nach § 87 Abs. 2 iVm. § 77 ArbGG - vor.

Gegen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts in Verfahren nach § 78 ArbGG und gegen solche, die es als Erstgericht außerhalb des Hauptsache-/ Erkenntnisverfahrens erlassen hat, findet die Rechtsbeschwerde dagegen nur statt, wenn sie vom Landesarbeitsgericht selbst zugelassen wurde. Die Zulassung durch das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde ist gesetzlich nicht vorgesehen (BAG 11. Juni 2009 - 9 AZA 8/09 - Rn. 6; 2. Juni 2008 - 3 AZB 24/08 - Rn. 8; GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 78 Rn. 43 mwN). § 78 Satz 2 ArbGG nimmt für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur auf § 72 Abs. 2 ArbGG Bezug, nicht auch auf § 72a ArbGG.

2. Der anzufechtende Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 29. Oktober 2014 ist kein Beschluss nach § 91 ArbGG. Er ist nicht im Hauptsache-/Erkenntnisverfahren ergangen.

a) Der anzufechtende Beschluss stellt fest, dass der Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 2. April 2014 wirkungslos ist. Er spricht damit die eo ipso eintretende rechtliche Folge aus, die mit der Einstellung des Verfahrens - die im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der förmlichen Entscheidung bedarf - verbunden ist. Wird das Verfahren - wie hier durch den Beschluss vom 21. Mai 2014 - wegen Erledigung eingestellt, verlieren alle bis dahin ergangenen, noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen ihre Wirkung (GK-ArbGG/Dörner Stand April 2015 § 83a Rn. 24) - eine Rechtsfolge, die im Streitfall deshalb nicht nur den Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 2. April 2014, sondern gleichermaßen den ihm vorausgegangenen Beschluss des Arbeitsgerichts Kempten vom 11. November 2013 - 1 BV 84/12 - erfasst. Der Beschluss vom 29. Oktober 2014 stellt diese Rechtsfolge in Anlehnung an § 269 Abs. 4 ZPO lediglich deklaratorisch fest. Ihm selbst kommt weder ein materiell-rechtlicher Gehalt noch eine eigenständige prozessrechtliche Bedeutung zu. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde findet damit von Gesetzes wegen nicht statt.

b) Daran ändert nichts der Umstand, dass der Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 21. Mai 2014, auf dem der Beschluss vom 29. Oktober 2014 beruht, so nicht hätte ergehen dürfen.

aa) Mit dem Beschluss vom 21. Mai 2014 hat das Landesarbeitsgericht "das Verfahren ... gem. § 83a Abs. 2 ArbGG eingestellt". Gefasst und unterschrieben hat diesen Beschluss allein der Vorsitzende der Kammer. Dies war rechtsfehlerhaft.

(1) § 83a Abs. 2 ArbGG - hier iVm. § 90 Abs. 2 ArbGG - gilt nur für den Fall übereinstimmender Erledigterklärungen (BAG 23. Januar 2008 - 1 ABR 64/06 - Rn. 9, BAGE 125, 300; Schwab/Weth/Weth 4. Aufl. § 83a ArbGG Rn. 20). Übereinstimmende Erklärungen eines jeden Beteiligten lagen hier nicht vor. Der Beteiligte zu 3. hatte den Erledigterklärungen von Arbeitgeberin und Betriebsrat widersprochen.

(a) Dieser Widerspruch war nicht etwa unbeachtlich. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1993 mit Blick auf entsprechende Auffassungen im Schrifttum - ohne sich festzulegen - erwogen, dass das Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG schon dann wegen Vorliegens übereinstimmender Erledigterklärungen einzustellen sein könnte, wenn jedenfalls der Betriebsrat sich der Erledigterklärung des Arbeitgebers angeschlossen hat (BAG 23. Juni 1993 - 2 ABR 58/92 -). Es hat aber schon seinerzeit auf Bedenken an dieser Ansicht hingewiesen.

(b) Diese Bedenken greifen durch. Es widerspräche prozessrechtlichen Grundsätzen, dass eine Person am Beschlussverfahren zwar mit allen Rechten - etwa der Befugnis, selbständig Rechtsmittel einzulegen - beteiligt ist, einer Beendigung des Verfahrens durch Erledigterklärungen der übrigen Beteiligten aber nicht sollte widersprechen können. Das Gesetz kennt keine Beteiligung "zweiter Klasse" (ähnlich GK-ArbGG/Dörner § 83a Rn. 23). Die von den Befürwortern der Gegenansicht angestellte Überlegung, es solle nicht der betroffene Arbeitnehmer gleichsam im "Alleingang", obwohl der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt und der Arbeitgeber diese - wie es die Regel sein dürfte - bereits ausgesprochen hat, den ohnehin unvermeidbaren, möglicherweise schon anhängigen Kündigungsschutzprozess im Beschlussverfahren inhaltlich vorwegnehmen können, entbehrt der sachlichen Grundlage. Gegenstand des Verfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG ist nach der einseitigen, zumindest nicht auf allseitige Zustimmung stoßenden Erledigterklärung des Arbeitgebers nicht mehr dessen bis dahin angebrachter Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung. Mit der einseitigen Erledigterklärung des Klägers im Urteils- bzw. des Antragstellers im Beschlussverfahren ist vielmehr stets - zumindest konkludent - eine Änderung des bisherigen Sachantrags in den neuen Sachantrag verbunden festzustellen, dass das Verfahren erledigt ist. Die darauf gerichtete materiell-rechtliche Prüfung erstreckt sich im Beschlussverfahren gerade nicht auf die Frage, ob der Antrag bis zur Erledigterklärung zulässig und begründet war (BAG 26. April 1990 - 1 ABR 79/89 - BAGE 65, 105 und seitdem in st. Rspr.).

Dies gilt auch für das Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Der dessen Erledigung widersprechende Arbeitnehmer hält nicht "systemwidrig" ein Beschlussverfahren aufrecht, dessen Gegenstand weiterhin das Vorliegen materieller Kündigungsgründe wäre. Vielmehr zwingt der widersprechende Arbeitnehmer die Beteiligten lediglich zur Fortsetzung eines Verfahrens, dessen Gegenstand der Eintritt eines erledigenden Ereignisses ist. Ihm auch diese Befugnis abzusprechen und ihm damit die Möglichkeit zu nehmen, den Eintritt eines solchen Ereignisses in Frage zu stellen, ist mit seiner gesetzlichen Beteiligtenstellung unvereinbar.

(2) Das Verfahren bei einseitiger Erledigterklärung des Antragstellers, der nicht sämtliche Beteiligten zustimmen, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen (BAG 23. Januar 2008 - 1 ABR 64/06 - Rn. 9, BAGE 125, 300).

(a) Ihnen entsprechend ist inhaltlich darüber zu entscheiden, ob das Verfahren sich tatsächlich erledigt hat. Anders als bei übereinstimmenden Erledigterklärungen aller Beteiligten hat einer möglichen Einstellung des Verfahrens die materiell-rechtliche Prüfung und Entscheidung voraus zu gehen, ob der mit der Erledigterklärung des Antragstellers (konkludent) verbundene geänderte Antrag - festzustellen, dass das Verfahren sich erledigt hat - begründet ist. Diese Entscheidung wird im Erkenntnisverfahren nach § 84 bzw. § 91 ArbGG getroffen. Sie hat unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu ergehen (BAG 23. Januar 2008 - 1 ABR 64/06 - Rn. 9, BAGE 125, 300).

Ob im Tenor der zu treffenden Kammerentscheidung - wenn nicht der Antrag mangels Erledigung abgewiesen wird - lediglich der Eintritt der Erledigung festgestellt und sodann das Verfahren vom Vorsitzenden allein in einem eigenständigen Beschluss analog § 83a Abs. 2 ArbGG förmlich eingestellt werden sollte, ob neben der Feststellung der Erledigung auch die Einstellung des Verfahrens von der Kammer tenoriert werden sollte oder ob sich schon der Tenor der Kammerentscheidung lediglich über die Einstellung verhalten und die Erledigung in den Gründen festgestellt werden sollte, bedarf hier keiner Klärung.

(b) Im Streitfall ist die Beteiligung der ehrenamtlichen Richter am Beschluss vom 21. Mai 2014 demnach zu Unrecht unterblieben.

bb) Der Beschluss vom 21. Mai 2014 hätte freilich selbst von der ganzen Kammer nicht mehr gefasst werden dürfen. Über die ihm zugrunde liegende, einseitig gebliebene Erledigterklärung der Arbeitgeberin (und des Betriebsrats) und den mit dieser Erklärung verbundenen neuen Sachantrag vermochte das Landesarbeitsgericht nicht mehr zu entscheiden. Über die Hauptsache hatte es mit der Verkündung des Beschlusses vom 2. April 2014 bereits entschieden. Das Landesarbeitsgericht hatte den bis dahin gestellten Sachantrag, die Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen, abgewiesen und auf diese Weise endgültig beschieden. Damit war das Erkenntnisverfahren als solches in zweiter Instanz - wenn auch noch nicht die Instanz selbst (vgl. BAG 18. Juli 2007 - 5 AZR 848/06 - Rn. 12, BAGE 123, 264) - beendet. Für eine anschließende einseitige Erledigterklärung, dh. für eine Entscheidung über einen anderen Sachantrag durch das Landesarbeitsgericht selbst war kein Raum mehr (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 91a Rn. 38 mwN; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 36. Aufl. § 91a Rn. 37, 40; Hausherr MDR 2010, 973). Der Umstand, dass der Beschluss vom 2. April 2014 am 21. Mai 2014 noch nicht formell rechtskräftig war, ist ohne Bedeutung. Das folgt schon aus § 318 ZPO.

cc) Gegen den fehlerhaft zustande gekommenen Einstellungsbeschluss vom 21. Mai 2014 haben sich die Beteiligten rechtlich nicht zur Wehr gesetzt. Mögliche Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsfristen sind abgelaufen. Der Beschluss ist formell und - da jedenfalls kein "Nicht-Beschluss" - materiell rechtskräftig.

Dem anzufechtenden Beschluss vom 29. Oktober 2014 kommt deshalb auch unter dem erörterten Aspekt eine eigenständige rechtliche Wirkung nicht zu. Damit steht zugleich fest, dass er zu Recht ergangen ist. Die gegen ihn gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist schon nicht statthaft, könnte aber auch in der Sache keinen Erfolg haben.

Kreft

Rachor

Niemann