SG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.06.2015 - S 26 AS 795/13
Fundstelle
openJur 2015, 10856
  • Rkr:
Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.2.Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer Sanktion im Rahmen des SGB II streitig.

Der 1965 geborene Kläger steht im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Der Beklagte hatte den Kläger dabei am 11.12.2012 zu einer persönlichen Vorsprache eingeladen. Diesen Termin nahm der Kläger nicht wahr und legte über seinen Prozessbevollmächtigten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 10.12.2012 bis 22.12.2012 vor. In der Folge legte er weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchgehend bis 14.1.2013 und nach einer erneuten Einladung zu einem Gesprächstermin am 17.1.2013 weiter bis 25.1.2013.

Mit Schreiben vom 17.1.2013 lud der Beklagte den Kläger dann nochmals zu einem persönlichen Beratungsgespräch am 24.1.2013 ein mit dem Ziel, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. In dem Schreiben führte der Beklagte an, dass bei unentschuldigtem Fernbleiben von dem Termin eine Minderung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs eintrete. Die Einladung wirke auf den ersten Tag der Arbeitsfähigkeit fort, sofern der Kläger zu dem genannten Termin arbeitsunfähig erkrankt sei. Es werde auch darauf hingewiesen, dass eine bescheinigte Arbeitsunfähigkeit lediglich eine berufliche Tätigkeit ausschließe und keine Aussage darüber treffe, ob ein Meldetermin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrgenommen werden könne. Der Kläger sei deshalb aufgefordert, gegebenenfalls eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, da andernfalls das Nichterscheinen als unentschuldigtes Fernbleiben gewertet werde.

Der Prozessbevollmächtigte teilte daraufhin in einem Schreiben vom 31.1.2013 mit, dass der Kläger bis 25.1.2013 krankgeschrieben sei und er deshalb um Terminsstreichung und Mitteilung eines neuen Termins bitte. Er legte zudem weiter durchgehende Krankschreibungen des Klägers bis 22.3.2013 vor.

Mit Schreiben vom 8.2.2013 hörte der Beklagte den Kläger zu einem möglichen Meldeverstoß wegen des Nichterscheinens zum Termin am 24.1.2013 an. Der Prozessbevollmächtigte verwies bei seiner Stellungnahme darauf, dass der Kläger krankgeschrieben gewesen sei und dies dem Beklagten auch bekannt gegeben habe.

Mit Bescheid vom 20.2.2013 minderte der Beklagte sodann das Arbeitslosengeld II des Klägers für die Zeit vom 1.3.2013 bis 31.5.2013 um monatlich 38,20 € (10 %). Zur Begründung führte der Beklagte an, dass der Kläger ohne anzuerkennenden Grund der Aufforderung zur Meldung am 24.1.2013 nicht nachgekommen sei.

Gegen den Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte am 25.2.2013 Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5.6.2013 zurückwies. Der Kläger sei zu dem Termin am 24.1.2013 unstreitig nicht erschienen, obwohl er zuvor über die Rechtsfolgen informiert worden sei. Einen wichtigen Grund für sein Fehlverhalten habe der Kläger dabei nicht nachgewiesen, wobei die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht geeignet seien, das Terminversäumnis zu entschuldigen. Die Meldepflicht erlösche nicht ohne weiteres bei Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Im Falle des Klägers sei es gerechtfertigt gewesen, die Vorlage einer Reiseunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen, da begründete Anhaltspunkte vorlägen, dass die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzeitig die Unfähigkeit zur Wahrnehmung eines Meldetermins begründe. Bereits vor dem Meldeverstoß am 24.1.2013 habe der Kläger zwei Termine bei dem Beklagten unter Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht wahrgenommen. Das Verhalten des Klägers verhindere faktisch eine zweckgerichtete Unterstützung durch den Beklagten, da weder das Ziel der Eingliederung in Arbeit erreicht werden, noch festgestellt werden könne, ob der Kläger möglicherweise erwerbsunfähig sei und damit in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Leistungsträgers falle. Der Eintritt einer Sanktion in Höhe von 10 % sei deshalb rechtmäßig.

Hiergegen richtet sich die am 13.6.2013 zum Sozialgericht Frankfurt erhobene Klage. Zur Begründung ließ der Kläger vortragen, dass er bereits in frühester Kindheit schwer traumatisiert worden sei und dies dazu geführt habe, dass es ihm in Situationen, in denen er nicht mehr in erster Linie als Mensch behandelt werde, nicht möglich sei, durch Logik und Vernunft Lösungen zu erlangen, sein Immunsystem zusammenbreche und seine Gesundheit Schaden nehme. Da der Beklagte den Kläger bereits in der Vergangenheit Leistungen verweigert habe, habe sich diese traumatische Erfahrung noch verstärkt. Allein die Auseinandersetzung mit dem Beklagten anlässlich eines persönlichen Termins löse bei dem Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schwerste gesundheitliche Probleme aus. Der behandelnde Arzt rate deshalb von der Wahrnehmung persönlicher Termine ab. Dementsprechend sei der Kläger zwar reisefähig, aber nicht terminsfähig, so dass es keiner Reiseunfähigkeitsbescheinigung bedürfe. Aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ergebe sich, dass der Kläger nicht in der Lage sei, Termine bei dem Beklagten wahrzunehmen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.6.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trug der Beklagte vor, dass der klägerische Vortrag nicht als wichtiger Grund im Sinne des Gesetzes angesehen werden könne. Die andauernde Nichtwahrnehmung von Terminen sei mit den allgemeinen Grundsätzen des SGB II nicht in Einklang zu bringen.

Im Gerichtsverfahren forderte das Gericht den Kläger zur Vorlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung auf. Der Kläger ließ daraufhin mitteilen, dass er eine solche nicht übersenden werde. Die Erörterung seines Krankheitsbildes verstoße gegen seine verfassungsmäßigen Rechte. Er sei der Ansicht, dass Vergeltungsmaßnahmen wie die vorliegend ausgesprochene Sanktion gegen den Grundsatz der Menschenwürde verstießen. Er bestehe auf die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht, da eine Entbindung einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Vertrauensverhältnis zwischen seinem Arzt und im Darsteller. Ein solcher Eingriff sei auch nicht notwendig.

Der Kläger legte sodann ein ärztliches Attest seines Hausarztes Dr. D. vom 6.6.2014 vor, wonach er im Zeitraum März und April 2013 aufgrund seiner damaligen Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, notwendige Meldetermine bei dem Beklagten wahrzunehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Frankfurt ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.6.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Beklagte hat gegenüber dem Kläger zu Recht eine Sanktion in Höhe von 10% des Regelbedarfs ausgesprochen, weil der Kläger den Meldetermin am 24.1.2013 nicht wahrgenommen hat.

Kommen Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nach, mindert sich das Arbeitslosengeld II oder das Sozialgeld gemäß § 32 Abs. 1 SGB II jeweils um 10 Prozent des für sie nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn der Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegt und nachweist.

Vorliegend hat der Kläger unstreitig den Termin am 24.1.2013 nicht wahrgenommen. Auf die Rechtsfolgen seines Ausbleibens ist er in der Einladung vom 17.1.2013 auch mit Hinweis des Eintritts einer Sanktion in Höhe von 10 % des Regelbedarfs ordnungsgemäß hingewiesen worden. Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger dabei auch einen wichtigen Grund für sein Verhalten nicht nachgewiesen.

Zwar hat der Kläger dem Beklagten eine für den Tag der Meldung geltende Bescheinigung über den Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit vorgelegt. Dies ist auch grundsätzlich ausreichend zum Nachweis eines wichtigen Grundes im Sinne des § 32 Abs. 1 S. 2 SGB II, da als Nachweis für die Unfähigkeit, aus gesundheitlichen Gründen beim Leistungsträger zu erscheinen, regelmäßig die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Betracht kommt. Arbeitsunfähigkeit ist dabei zwar nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen (BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 4 AS 27/10 R; Sonnhoff, in: JurisPK-SGB II, 2. Aufl., Stand 24.8.2010, § 31, Rn. 193; Loose in: GK-SGB II, § 31, Rn. 78, Stand Mai 2008; Düe, in: Brand/Niesel, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 309, Rn. 21; a.A. Winkler, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 309, Rn. 21a, Stand Juni 2006). Mit einer Arbeitsunfähigkeit ist aber regelmäßig die Vermutung verbunden, dass ein Meldetermin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrgenommen werden kann. Diese Vermutung ist dabei im Streitfall von den Sozialgerichten zu überprüfen (BSG, a.a.O.).

In begründeten Ausnahmefällen kann jedoch von dem Leistungsberechtigten zusätzlich die Vorlage einer Reiseunfähigkeitsbescheinigung verlangt werden. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Leistungsberechtigte über einen längeren Zeitraum mehrere Termine unter Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen versäumt hat und insoweit Zweifel an einer tatsächlichen Reiseunfähigkeit bestehen.

Vorliegend durfte der Beklagte zur Überzeugung der Kammer von dem Kläger Reiseunfähigkeitsbescheinigungen fordern, da dieser bereits vor dem hier streitigen Termin mehrere Termine unter Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht wahrgenommen hatte. Der Kläger hat insoweit auch nicht bestritten, dass er reisefähig war. Er hat vielmehr vorgetragen, dass er „nicht meldefähig“ gewesen sei.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger tatsächlich aufgrund einer Erkrankung den hier streitigen Termin nicht wahrnehmen konnte, so dass dies vom Gericht zu überprüfen ist. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, dass das Gericht den Arzt befragt, der die entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat. Die hierzu erforderliche Schweigepflichtentbindungserklärung hat der Kläger jedoch nicht abgegeben, so dass das Gericht entsprechende Ermittlungen nicht anstellen konnte. Da der Kläger für das Bestehen des wichtigen Grundes beweispflichtig ist, gehen Zweifel, die das Gericht aufgrund des Vortrags in der Klagebegründung und auch des damaligen Vorgangs mit einer durchgehenden 3-monatigen Arbeitsunfähigkeit durchaus hat, zu seinen Lasten.

Das vom Kläger dabei im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Attest von Dr. D. ändert hieran nichts, da es sich bereits nur auf die Monate März und April 2013 bezieht, der Meldetermin aber im Januar war. Auch im Übrigen hält die Kammer ein solches Attest nicht für ausreichend. Vielmehr wäre es nötig gewesen, dass der Arzt spezifische, vom Gericht gestellte Fragen hinsichtlich der der Arbeitsunfähigkeit zugrundeliegenden Erkrankung beantwortet, da der Vortrag, der Kläger habe zum damaligen Zeitpunkt generell keine Meldetermine wahrnehmen können, sehr ungewöhnlich ist. Eine Erkrankung, die dazu führt, dass der Betroffene keine Meldetermine beim Jobcenter wahrnehmen kann, im Übrigen aber reise- und gesellschaftsfähig ist, ist dem Gericht nicht bekannt und hätte einer ausführlichen Erläuterung durch den behandelnden Arzt bedurft. Da dies aufgrund der Entscheidung des Klägers, seinen Arzt nicht von der Schweigepflicht zu befreien, nicht möglich war, hat der Kläger somit einen wichtigen Grund für die Nichtwahrnehmung des Meldetermins nicht bewiesen.

Die vom Beklagten ausgesprochene Sanktion erweist sich damit als rechtmäßig, so dass die Klage abzuweisen war. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Für eine Zulassung der gesetzlich nicht zulässigen Berufung hat die Kammer keinen Anlass gesehen.

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