LG Frankfurt am Main, Urteil vom 28.11.2014 - 2-21 O 139/14
Fundstelle
openJur 2015, 10846
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Der Streitwert beträgt 75.746,90 €.

Tatbestand

Die Kläger machen Ansprüche nach dem Widerruf eines Darlehensvertrages geltend.

Die Kläger schlossen am 13.11.2007 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der F (im Folgenden Beklagte genannt), einen Darlehensvertrag. Der Nennbetrag belief sich auf 79.970,00 Euro. Das Darlehen diente der Finanzierung einer Immobilie; es wurde durch Grundschulden dinglich abgesichert. Der Zinssatz belief sich auf 4,95 % und war bis zum 29.11.2015 festgeschrieben. Wegen der Einzelheiten des Darlehensvertrages wird auf Anlage K1 verwiesen.

Die Kläger erhielten darüber hinaus eine Widerrufsbelehrung. Diese lautet wie folgt:

Widerrufsbelehrung – Nach Muster gemäß § 14 der BGB – Informationspflichten-Verordnung

Widerrufsrecht

Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Fax. E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:

F AG in xxxx

Banking Services/Credit Services

Kredit-Service-Center

00000 xxxx

Telefax: (000) 00000000

E-Mail: Widerruf. xxx@F.com

Widerrufsfolgen

Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzen (z. B. Zinsen) herauszugeben. Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit ggf. Wertersatz leisten. Dies kann dazu führen, dass Sie die vertraglichen Zahlungsverpflichtungen für den Zeitraum bis zum Widerruf gleichwohl erfüllen müssen. Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen Sie innerhalb von 30 Tagen nach Absendung Ihrer Widerrufserklärung erfüllen.

2011 wollten die Kläger eine Sondertilgung vornehmen. Die Beklagte lehnte dies unter Verweis auf den Darlehensvertrag ab.

Mit Schreiben vom 26.7.2013 widerriefen die Kläger den Darlehensvertrag. Sie wiesen darauf hin, dass keine Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K2 verwiesen. Die Beklagte lehnte eine Rückabwicklung ab.

Die Kläger sind der Ansicht, die Widerrufsbelehrung sei fehlerhaft. Ein Fehler liege darin, dass es in der Widerrufsbelehrung heiße, der Lauf der Frist beginne „frühestens“ mit Erhalt der Belehrung. Darüber hinaus fehle ein Hinweis auf die Besonderheiten bei schriftlich abzuschließenden Verträgen. Es gebe keinen hinreichenden Hinweis darauf, dass dem Kunden die Widerrufsbelehrung vor Beginn der Widerrufsfrist in Textform vorliegen müsse. In der Widerrufsbelehrung sei darüber hinaus keine ladungsfähige Anschrift des Widerrufsadressaten angegeben. Die Beklagte könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie sich nicht an der Musterbelehrung der Anlage 2 zu § 14 BGB Informationspflichtenverordnung (BGB InfoV) a.F. orientiert habe. Rechtsmissbrauch oder Verwirkung lägen nicht vor. Denn die Beklagte habe es in der Hand gehabt, die Kläger erneut und ordnungsgemäß zu belehren. Wenn sie dies nicht tue, scheide eine Verwirkung aus. Die Kläger verweisen ergänzend auf die sog. Heininger-Entscheidungen des BGH und des EuGH. Es gebe kein schutzwürdiges Interesse eines Unternehmers an eine Abkürzung des ewigen Widerrufsrechts. Ferner verweisen die Kläger auf das EuGH-Urteil vom 19.12.2013 (C-209/12) und den Schlussantrag der Generalanwältin in gleicher Sache.

Die Kläger beantragen:

1.

Es wird festgestellt, dass die Kläger aus dem Darlehensvertrag mit der Nr. 0000000 aufgrund des Widerrufs der Kläger vom 26.7.2013 nur verpflichtet sind, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von Euro 48.371,94 zu zahlen abzgl. zukünftiger Zinsen aus Euro 50.115,51 in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.3.2014 sowie abzgl. weiterer zukünftiger monatlicher Zahlungen jeweils zum 30. des Monats in Höhe von Euro 613,55 nebst zukünftiger Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Tag des Zahlungseingangs bei der Beklagten seit dem 20.3.2014 bis zu Rechtskraft des Urteils.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, in öffentlich beglaubigter Form die Zustimmung zur Löschung der im Grundbuch für ABC des Amtsgerichts ABC, Blatt 0000, Flur Nr. 000/00 zu ihren Gunsten eingetragenen Grundschuld Lfd. Nr. 1 in Höhe von 103.000,00 Euro sowie der Grundschuld in Höhe von Euro 127.000,00 zu erteilen Zug um Zug gegen Zahlung des sich aus dem Klageantrag zu 1. ergebenden Betrages.

3.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der im Klageantrag zu 1. genannten Leistung in Annahmeverzug befindet.

4.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger als Nebenforderung Euro 1.372,13 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Kläger seien durch die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß belehrt worden. Die Belehrung entspreche dem Musterwiderrufsbelehrung nach Anlage 2 zu § 14 BGB Info-V a.F. Die Beklagte genieße Vertrauensschutz. Die Beklagte beruft sich zudem auf die Einwände der Verwirkung und der unzulässigen Rechtsausübung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze beider Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben keine Ansprüche gegen die Beklagte aufgrund des Widerrufs des streitgegenständlichen Darlehensvertrages. Einem etwaigen Widerrufsrecht der Kläger stehen die Einwände der Verwirkung und der unzulässigen Rechtsausübung, die als Unterfall der Verwirkung angesehen werden kann, entgegen (§ 242 BGB).

1)

Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist, was im Folgenden zu Gunsten der Kläger unterstellt wird. Die Verwendung einer Großkundenpostleitzahl als Anschrift des Widerrufsempfängers würde für sich alleine gesehen aber wohl keine Widerrufsmöglichkeit begründen (vgl. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 10.04.2014, 2-05 O 493/13, bestätigt durch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 25.9.2014, 19 U 100/14). Gleiches gilt für die Verwendung des Begriffs „frühestens“. Zumindest insoweit könnte sich die Beklagte auf den Vertrauensschutz von Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfV berufen. Offen bleiben kann, ob die weiteren von den Klägern vorgetragenen Argumente dazu führen, dass die Widerrufsbelehrung als fehlerhaft anzusehen ist (vgl. hierzu OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 7.7.2014, 23 U 172/13).

2)

Der Geltendmachung eines Widerrufsrechts steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.

a)

Gemäß § 242 BGB bilden Treu und Glauben eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und verstößt gegen § 242 BGB (Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 242 Rn. 38). Eine Rechtsausübung ist insbesondere dann missbräuchlich, wenn ihr kein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt. Dies ist der Fall, wenn die Ausübung eines Rechts als Vorwand für die Erreichung vertragsfremder Zwecke genutzt wird (Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 242 Rn. 50).

Der Einwand des Rechtsmissbrauchs steht einem Anspruch auch auf Basis der von den Klägern zitierten BGH-Rechtsprechung entgegen, „wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen.“ Eine Rechtsausübung kann „unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen“ (BGH IX ZR 103/11, Rn. 12; ähnlich BGH IV ZR 76/11, Rn. 40).

Soweit sich die Kläger darauf berufen, die Motive für ihren Darlehenswiderruf dürften bei der Prüfung der unzulässigen Rechtsausübung nicht berücksichtigt werden, vermag sich die Kammer diesem Argument nicht anzuschließen. Denn auch nach der von den Klägern zitierten BGH-Rechtsprechung ist eine Gesamtwürdigung der Interessen der Parteien vorzunehmen, um festzustellen, ob im konkreten Einzelfall die Interessen der Gegenpartei – hier der Beklagten – vorrangig schutzwürdig sind. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung sind auch die Motive der Kläger zu berücksichtigen.

b)

Ausgehend von diesen Maßstäben sind nach Auffassung der Kammer die Voraussetzungen der unzulässigen Rechtsausübung erfüllt. Die Kläger haben kein schutzwürdiges Interesse an einem Widerruf.

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Zweck der Widerrufsvorschriften vorliegend nicht einschlägig ist. Dieser liegt darin, dass der Verbraucher „wegen der wirtschaftlichen Bedeutung eines Darlehensvertrages vor übereilter Bindung geschützt werden [soll], indem ihm während einer Bedenkzeit die Möglichkeit eröffnet wird, den Vertrag zu beseitigen“ (Palandt/Weidenkaff, BGB, 72. Aufl., § 495 Rn. 1). Dieser Schutzzweck ist vorliegend nicht gegeben. Die Kläger hatten auch auf Basis der fehlerhaften Widerrufsbelehrung die Möglichkeit, während einer Bedenkzeit den Vertrag im Sinne des Schutzzwecks der Widerrufsvorschriften zu beseitigen, auch wenn die Belehrung teilweise fehlerhaft gewesen sein sollte. Von dieser Möglichkeit haben die Kläger keinen Gebrauch gemacht.

Die Kläger nutzen vielmehr eine formal bestehende Widerrufsmöglichkeit aus, um im Vertrag nicht angelegte Zwecke zu erreichen. Sie haben den Darlehensvertrag widerrufen, weil sie Zinsen bzw. eine Vorfälligkeitsentschädigung einsparen möchten. Dies ist unstreitig, folgt aber auch aus dem Schreiben der Kläger vom 26.7.2013 (Anlage K2), in dem es heißt: „Wir weisen darauf hin, dass keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangt werden d[arf]“. Da der Beklagten bei Kündigung eines Darlehensvertrages durch den Kunden vom Grundsatz her eine Vorfälligkeitsentschädigung zusteht (vgl. §§ 488, 490 BGB), ist es ein vertragsfremder Zweck, wenn die Kläger eine ggf. formal bestehende Rechtsposition aus dem Grunde ausnutzen, um sich ihrer Verpflichtung zur Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung zu entziehen.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Kläger innerhalb der aus der Widerrufsbelehrung hervorgehenden Bedenkzeit und der Bedenkzeit, die sich bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung ergeben hätte, nicht die Absicht hatten, den Darlehensvertrag zu widerrufen. Vielmehr waren sie auf ein Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs der Immobilie angewiesen.

Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Auffassung, dass die Kläger eine formale Rechtsposition zum Zwecke des Erreichens vertragsfremder Zwecke ausnützen möchten, wobei sie aus den oben genannten Gründen weniger schutzwürdig sind als die Beklagte, was die Tatbestandsmerkmale einer unzulässigen Rechtsausübung erfüllt.

2)

Darüber hinaus steht der Ausübung eines etwaigen Widerrufsrechts nach Auffassung der Kammer auch der Einwand der Verwirkung entgegen.

a)

Der Ausübung eines Widerrufsrechts im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung kann der Einwand der Verwirkung entgegenstehen, wobei der bloße Zeitablauf nicht ausreicht, um einen Verstoß gegen § 242 BGB anzunehmen.

Soweit die Kläger einwenden, mit Blick auf den Gesetzeszweck und §§ 506 BB a.F., 511 BGB n.F. könne im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung generell keine Verwirkung des Widerrufsrechts angenommen werden, vermag sich die Kammer diesem Argument nicht anzuschließen. Vielmehr ist es die wohl ganz herrschende Meinung, dass auch die Ausübung eines Widerrufsrechts der Verwirkung unterliegen kann (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 242 Rn. 107: „Das iF einer nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung unbefristete Widerrufsrecht (§ 312) unterliegt der Verwirkung“).

Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (Zeitmoment), der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat (Umstandsmoment), dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, und die verspätete Geltendmachung daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Die erforderliche Zeitdauer, die seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts verstrichen sein muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind vor allem die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Intensität des von dem Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten. Ein Verhalten des Berechtigten, das einem konkludenten Verzicht nahekommt, mindert die erforderliche Zeitdauer. Die Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten wird wesentlich bestimmt durch den Umfang seiner Vertrauenssituation und seinen Informationsstand (OLG Köln, Entscheidung vom 25.1.2012, 13 U 30/11 m.w.N.).

Zutreffend ist der Einwand der Kläger, die mit der unterlassenen oder nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen Nachteile habe vom Grundsatz her der Geschäftspartner des Verbrauchers zu tragen (BGH, Urteil vom 18.10.2004, II ZR 352/02, Rn. 23). Dies schließt jedoch nicht aus, dass im Einzelfall wie hier eine andere rechtliche Bewertung vorzunehmen ist.

b)

Ausgehend von den oben genannten Voraussetzungen sieht die Kammer das Zeitmoment in Anbetracht der Tatsache, dass die Kläger, nachdem ihnen die Widerrufsbelehrung vorlag, mehr als 6 Jahre haben verstreichen lassen, bevor sie den Widerruf erklärt haben, als erfüllt an. Insbesondere kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob sie von dem trotz Fristablaufs tatsächlich - d.h. aus rechtlichen Gründen - fortbestehenden Widerrufsrecht Kenntnis hatten (vgl. OLG Köln, Entscheidung vom 25.1.2012, 13 U 30/11 m.w.N.).

Angesichts des Umstandes, dass die Kläger auf ein Darlehen zur Finanzierung der Immobilie angewiesen waren, dass es keine Kausalität zwischen der fehlerhaften Widerrufsbelehrung und dem Fortführen des Darlehensvertrages gibt, und dass die Kläger das Darlehen über einen längeren Zeitraum hinweg bedient hatten, ist die Kammer der Auffassung, dass auch das sog. Umstandsmoment erfüllt ist.

Dabei ist im Unterschied zu anderen Sachverhaltskonstellationen die Besonderheit zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen durch Grundpfandrecht gesicherten Kredit handelt. Dieser ist wegen seiner Besonderheiten anders zu bewerten als sonstige Kredite (vgl. die Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, Präambel, Ziff. 14). Die Beklagte musste wegen dieser Besonderheiten – insbesondere da die Kläger wegen des Immobilienerwerbs auf ein Darlehen angewiesen waren – nicht mehr mit einem Widerruf des Darlehensvertrages und einer sich daran knüpfenden Rückabwicklung der Verträge rechnen, sondern durfte auf den Bestand der beiderseitigen Vertragserfüllung vertrauen. Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt erheblich beispielsweise von dem darlehensfinanzierten Erwerb eines geschlossenen Fonds zu Anlagezwecken. Dieser Unterschied ist bei der Prüfung der Verwirkung zu berücksichtigen.

Soweit die Kläger einwenden, der Gesetzgeber habe das Widerrufsrecht einheitlich ausgestaltet, so dass es auf die Frage des Grundpfandrechts nicht ankommen, vermag sich die Kammer diesem Argument nicht anzuschließen. Zwar trifft es zu, dass das Widerrufsrecht in Bezug auf Darlehen (nicht aber z.B. Versicherungsverträge) einheitlich unbefristet ausgestaltet ist. Ob Verwirkung anzunehmen ist, ist jedoch stets eine Frage des Einzelfalles, bei der eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen ist. Auch die Besonderheiten der Darlehensverwendung einschließlich der grundpfandrechtlichen Absicherung sind vor diesem Hintergrund zu berücksichtigen.

c)

Dieses Ergebnis wird durch die besonderen Umstände des Einzelfalles nochmals bestätigt.

Die Kläger haben vom Grundsatz her eine Widerrufsbelehrung erhalten, so dass ihnen nach ihrem Informationsstand bekannt gewesen sein musste, dass sie das Darlehen widerrufen durften. Gleichwohl haben sie den Widerruf zunächst nicht erklärt. Wenn es um eine nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung geht, ist ein Kläger weniger schutzbedürftig als in einem Fall, in dem die Widerrufsbelehrung gänzlich fehlt. Die streitgegenständliche Widerrufsbelehrung konnte einen durchschnittlichen Verbraucher, selbst wenn sie fehlerhaft war, über das Bestehen eines befristeten Widerrufsrechts als solches nicht im Unklaren lassen (vgl. OLG Köln, Entscheidung vom 25.1.2012, 13 U 30/11).

Die Widerrufsfrist von 2 Wochen im Falle der ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung steht zudem in einem erheblichen Gegensatz zu der Frist von über 6 Jahren, nach der die Kläger den Widerruf erklärt haben. Je größer dieser Gegensatz ist, desto größer ist der Vertrauenstatbestand, den der Kläger gesetzt hat.

Dies gilt umso mehr als die Zinsbindung des Vertrages (lediglich) noch bis zum Jahr 2015 galt, so dass die vertraglichen Verpflichtungen von beiden Seiten bereits über ca. ¾ des Zeitraums der Zinsbindungsfrist hinweg erfüllt worden waren. Die Zinsbindungsfrist ist für die Vorfälligkeitsentschädigung, auf die es den Klägern maßgeblich ankam, von besonderer Bedeutung.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass es nach Einschätzung des Gesetzgebers für ein Unternehmen schwer ist, den gesetzlichen Informationspflichten fehlerfrei nachzukommen. In diesem Sinne hat der Rechtsausschuss ausgeführt: „Der Ausschuss ist sich bewusst, dass es Unternehmern angesichts der zunehmenden Informationspflichten zunehmend schwerer fällt, dieser "Informationslast", die freilich zum Schutz des Verbrauchers unabdingbar ist, fehlerfrei nachzukommen.“ (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/7052, S. 208). Die Kammer teilt diese Einschätzung des Rechtsausschusses. Die Schwierigkeiten, den gesetzlichen Informationspflichten nachzukommen, sind auch daran erkennbar, dass es selbst dem Gesetzgeber in einem ersten Anlauf nicht gelang, eine fehlerfreie Muster-Widerrufsbelehrung zu erstellen (vgl. Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV a.F.). Je schwieriger es für die Rechtssubjekte ist, den gesetzlichen Anforderungen nachzukommen, desto eher ist die Rechtsprechung gehalten, im Rahmen des § 242 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ein Korrektiv anzunehmen.

Ein Rechtsverständnis, bei der es der einen Seite schwer gemacht wird, formale Kriterien zu erfüllen und es der anderen Seite leicht gemacht wird, Formalfehler zu vertragsfremden Zwecken auszunutzen, stünde mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, wie sie der Gesetzgeber im Zivilrecht festgeschrieben hat (§ 242 BGB) nicht in Einklang. Ein solcher Ansatz wäre auch mit Blick auf das im Grundgesetz festgeschriebene Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) bedenklich. Denn aus diesem folgt, dass die Rechtssubjekte ihre Pflichten möglichst klar erkennen müssen. Je schwieriger die Pflichten zu erkennen sind, desto weniger schwerwiegend dürfen die Folgen eines Verstoßes gegen Formalvorgaben sein. Die Gerichte sind verpflichtet, diese Wertvorstellungen des Grundgesetzes in die Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln einzubeziehen.

Gegen die Annahme einer Verwirkung lässt sich zwar das Argument anführen, dass der Beklagten die Möglichkeit eröffnet war, die Kläger durch Übersendung einer korrekten Widerrufsbelehrung über ihr Widerrufsrecht (nochmals) zu belehren und die Widerrufsfrist rechtsverbindlich in Gang zu setzen. Doch ist dieses Argument vorliegend weniger überzeugend als in anderen Fällen. Denn nachdem die Kläger das Darlehen mehrere Jahre lang bedient hatten und auf das Darlehen zum Zwecke der Finanzierung einer Immobilie angewiesen waren, brauchte die Bank nicht mehr mit einem Widerruf zu rechnen. Sie hatte keine Veranlassung, die Kläger erneut über ein Widerrufsrecht zu belehren. Damit, dass die Kläger zum Zwecke der Einsparung einer Vorfälligkeitsentschädigung den Widerruf erklären würden, brauchte sie nicht zu rechnen, weil es sich insoweit um ein vertragsfremdes, nicht rechtlich geschütztes Interesse der Kläger handelt. Im Übrigen hatten die Kläger im Unterschied zu anderen Fällen aufgrund der Widerrufsbelehrung vom Grundsatz her Kenntnis über ihr Widerrufsrecht.

Das genannte Argument überzeugt auch aus dem Grunde nicht, weil es unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles der Frage gleichgekommen wäre, ob die Kläger ihre Ansprüche noch geltend machen wollen. Ein Vertragspartner hat es jedoch stets in der Hand, sich beim anderen Vertragspartner zu erkundigen, ob dieser seine Ansprüche noch geltend machen möchte. Auch hat der eine Vertragspartner stets eine Ursache für den Anspruch des anderen Vertragspartners gesetzt, ggf. auch durch ein pflichtwidriges Handeln. Würde man das genannte Argument verallgemeinern, liefe das Rechtsinstitut der Verwirkung weitgehend leer. Wenn die Rechtsprechung in der Vergangenheit auf dieses Argument gleichwohl in Ergänzung der übrigen Begründung zurückgegriffen hatte, ging dies nicht selten auf europarechtliche Vorgaben zurück. Soweit Europarecht entgegensteht, darf keine Verwirkung nach nationalem Recht angenommen werden. Eine solche Sachverhaltskonstellation liegt hier jedoch nicht vor.

Ein weiterer Unterschied zu vielen früher von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen liegt darin, dass die Beklagte aufgrund des zwischenzeitlich gesunkenen Zinsniveaus schutzwürdiger ist als in anderen Sachverhaltskonstellationen. Räumt man den Klägern in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation eine Widerrufsmöglichkeit ein, bedeutet dies bei wirtschaftlicher Betrachtung, dass die Bank während der Laufzeit des Darlehensvertrages nicht nur das Risiko steigender Zinsen zu tragen hatte, sondern dass die Kläger zusätzlich das Risiko gesunkener Zinsen nachträglich auf die Bank abwälzen dürfen. Eine solche Asymmetrie bei der Risikoverteilung hat nicht zur Folge, dass das Widerrufsrecht bereits aus diesem Grunde ausgeschlossenen ist, wohl aber, dass die Bank in einer solchen Sachverhaltskonstellation schutzwürdiger ist als bei gleichbleibendem oder gestiegenem Zinsniveau. Dieser Umstand ist von der Rechtsprechung im Rahmen der gebotenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

3)

Europäische Rechtsvorschriften oder die Rechtsprechung des EuGH stehen der Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung und einer Verwirkung im Streitfall nicht entgegen.

Soweit die Rechtsprechung in der Vergangenheit bei der Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung und einer Verwirkung des Widerrufsrechts teilweise restriktiv war, beruhte dies nicht selten auf europarechtlichen Vorgaben (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 7. Mai 2014, IV ZR 76/11, Rn. 39, mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH). Diese Vorgaben sind im Rahmen der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln (z.B. §§ 241, 242 BGB) aufgrund des Vorranges des Europarechts vor dem nationalen Zivilrecht zu berücksichtigen (s.o.). Doch stehen im vorliegenden Fall europarechtliche Vorgaben der Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung und einer Verwirkung des Widerrufsrechts nicht entgegen. Das Europarecht erfordert für den Streitfall keine restriktivere Auslegung des nationalen Rechts, so dass es bei dem sich aus nationalem Recht für den vorliegenden Einzelfall ergebenden Verlust der Widerrufsmöglichkeit verbleibt.

a)

Die von den Klägern zitierten europarechtlichen Entscheidungen sind nicht einschlägig. Sie betreffen andere Sachverhaltskonstellationen, namentlich zu Haustürwiderrufsgeschäften und Versicherungsverträgen. Demgegenüber bestehen europarechtliche Besonderheiten bei Darlehensverträgen, die wie im Streitfall durch Grundverbindlichkeiten gesichert sind (s.o.). In diesem Sinne heißt es beispielsweise in der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates: „Durch Grundpfandrechte gesicherte Kreditverträge sollten vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sein. Es handelt sich hierbei um eine besondere Form des Kredits“ (Präambel, Ziff. 14). Damit steht im Streitfall Europarecht einer Verwirkung oder unzulässigen Rechtsausübung nicht entgegen. Diese Besonderheit unterscheidet den Fall von anderen Fällen.

b)

Soweit die Kläger auf die sog. Heininger-Entscheidung des EuGH verweisen, lässt sich daraus kein europarechtliches Verbot einer Verwirkung für den streitgegenständlichen Fall herleiten. Die Heininger-Entscheidung betrifft die Auslegung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Der EuGH hat hierzu festgestellt, dass der nationale Gesetzgeber durch die Richtlinie 85/577 daran gehindert ist, das Widerrufsrecht für den Fall, dass der Verbraucher nicht gemäß dieser Richtlinie belehrt wurde, auf ein Jahr nach Vertragsabschluss zu befristen.

Doch geht es im Streitfall nicht um eine Befristung des Widerrufsrechts auf ein Jahr, auch nicht um einen Vertrag, der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde. Eine Anwendung der Heininger-Rechtsprechung auf Immobilienkredite ist nur möglich, wenn der Darlehensvertrag in einer Haustürsituation abgeschlossen wurde (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 355 Rn. 21). In einem solchen Fall entspricht es zwingenden Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, dass der Zeitablauf nicht zum Wegfall des Widerrufsrechts führt (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 355 Rn. 22). Eine solche Situation ist hier jedoch nicht gegeben.

Die Richtlinie über Haustürgeschäfte bezweckt hauptsächlich, den Verbraucher vor den Gefahren zu schützen, die sich aus den Umständen eines Vertragsschlusses außerhalb von Geschäftsräumen ergeben (EuGH, Urteil vom 10. April 2008, C-412/06). Dieser Schutzzweck ist vorliegend nicht berührt, so dass die Grundsätze der Heininger-Entscheidung auf den Streitfall nicht übertragbar sind.

c)

Soweit die Kläger vortragen, Gesetzgeber, EuGH und BGH hätten vor dem Hintergrund der Heininger-Entscheidung entschieden, dass es kein schutzwürdiges Interesse der Unternehmer gebe, das zu einer Abkürzung eines „ewigen Widerrufsrechts“ führe, vermag sich die Kammer diesem Argument nicht anzuschließen.

Die Annahme eines „ewigen Widerrufsrechts“ war der deutschen Rechtsordnung schon immer fremd. Das Widerrufsrecht ist unbefristet, aber nicht unbegrenzt. Auch der EuGH hat klargestellt, dass es kein ewiges Widerrufsrecht gibt. Insbesondere hat er mit Urteil vom 10. April 2008 (C-412/06) entschieden, dass „die Richtlinie über Haustürgeschäfte dahin auszulegen ist, dass der nationale Gesetzgeber für den Fall einer fehlerhaften Belehrung des Verbrauchers über die Modalitäten der Ausübung des mit Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie eingeführten Widerrufsrechts vorsehen kann, dass dieses Recht nicht später als einen Monat nach vollständiger Erbringung der Leistungen aus einem langfristigen Darlehensvertrag durch die Vertragsparteien ausgeübt werden kann.“ Damit ist der EuGH dem Argument eines ewigen Widerrufsrechts nicht gefolgt.

Der BGH hat ebenfalls klargestellt, dass ein Widerrufsrecht aufgrund des Fehlens einer ausreichenden Widerrufsbelehrung zeitlich nicht unbegrenzt ist (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2013 – IV ZR 52/12). Auch der BGH ist dem Argument eines „ewigen Widerrufsrecht“ nicht gefolgt.

Aus dem Urteil des BGH vom 7. Mai 2014, IV ZR 76/11, lässt sich nichts anderes herleiten. Vielmehr hat der BGH für das Versicherungsrecht die zeitliche Begrenzung des Widerrufsrechts für Sachverhalte, die § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag a.F. unterfallen, bestätigt, soweit EU-Recht nicht entgegensteht (vgl. Rn. 27 der Entscheidung), und aufgehoben, soweit Europarecht entgegensteht. Nur soweit es das Europarecht verlangt, geht das Widerrufsrecht nach der BGH-Rechtsprechung nicht verloren, andernfalls erlischt es in Einklang mit dem nationalen Recht bereits 1 Jahr nach der ersten Prämienzahlung. Würde man diese Entscheidung analog auf den vorliegenden Fall übertragen, wäre das Widerrufsrecht der Kläger bereit ein Jahr nach der ersten Zahlung der Darlehensrate erloschen. Eine solche Analogie wäre nach Auffassung der Kammer unstatthaft, gleichwohl zeigt auch diese Entscheidung des BGH, dass es kein ewiges Widerrufsrecht gibt.

Spätestens mit dieser Entscheidung hat der BGH zugleich das früher angestrebte Prinzip der einheitlichen Behandlung der Widerrufsrechte aufgehoben. Dieses war angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung europarechtlicher und nationaler Vorschriften zum Widerruf nicht aufrechtzuerhalten. Vor diesem Hintergrund vermag auch das Argument der Kläger nicht zu überzeugen, mit Blick auf eine einheitliche Behandlung aller Widerrufsrechte könne keine Verwirkung und keine unzulässige Rechtsausübung angenommen werden.

Darüber hinaus hat der BGH wiederholt entschieden, dass nicht jeder Fehler in einer Widerrufsbelehrung dazu führt, dass der Verbraucher ein Widerrufsrecht hat. Auch bei fehlerhaften Widerrufsbelehrung kann die Bank bereits vor vollständiger Erbringung aller Leistungen aus dem Vertrag Vertrauensschutz genießen (BGH, Urteil vom 15. August 2012 – VIII ZR 378/11 –, BGHZ 194, 238-245, zur Schutzwirkung des § 14 BGB-InfoV). Dies ist – auch wenn es dogmatisch anders hergeleitet wird – der Sache nach nichts anderes als eine Verwirkung. Soweit in der Rechtsprechung darüber hinaus angenommen wird, kleinere Abweichungen von der Musterwiderrufsbelehrung ließen den Vertrauensschutz der Bank nicht entfallen, ist dies der Sache nach ebenfalls nichts anderes als eine Verwirkung. Auch diese Umstände bestätigen, dass eine Verwirkung des Widerrufsrechts nicht von vornherein ausgeschlossen ist.

d)

Auch das von den Klägern zitierte Urteil des EuGH vom 19. Dezember 2013, C-209/12, steht der Annahme einer Verwirkung nicht entgegen. Darin hat der EuGH entschieden, dass das Europarecht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der bei Versicherungsverträgen ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist. Diese Entscheidung ist vorliegend nicht einschlägig. Denn es fehlt nicht zur Gänze an einer Widerrufsbelehrung.

5)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.