VG Augsburg, Beschluss vom 13.04.2015 - Au 3 E 15.251
Fundstelle
openJur 2015, 10578
  • Rkr:

Fehlendes Recht zur Beantragung von Jugendhilfeleistungen;Rechtliche Inobhutnahme trotz faktischer Hilfe zur Erziehung (Heimerziehung);Rechtswidrigkeit einer Inobhutnahme aufgrund überlanger Dauer (viereinhalb Jahre);Zuständigkeitsrelevante Leistungsunterbrechung (Gesamtbetrachtung, Dauer);Widerrechtliche Verbringung der Kinder ins Ausland (Österreich) einstweiliger Rechtsschutz (auch für vergangene Zeiträume); Hilfe zur Erziehung (Vollzeitpflege bzw. Heimerziehung); Jugendamt als Amtsvormund (Beteiligungsfähigkeit); (vorläufige) örtliche Zuständigkeit; Beginn der Leistung; Inobhutnahme als andere Aufgabe, nicht Leistung der Jugendhilfe; Familiengericht; nur teilweise Entziehung der Personensorgeberechtigung; Brüssel-IIa-Verordnung (Europäische Eheverordnung); Konsultationsverfahren

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig ab Entscheidung des Gerichts die Kosten für die Unterbringung von ... in der Jugendhilfeeinrichtung St. ... in ... zu tragen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.

Der Antragsteller als Amtsvormund zweier Geschwister begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung stationärer Jugendhilfeleistungen.

1. ... (geb. am ...2002) und ... (geb. am ...2004) hatten zunächst zusammen mit ihren drei älteren Geschwistern ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei den Eltern – beides deutsche Staatsangehörige ursprünglich aus ... – in ... (Landkreis ...).

Seit Oktober 2003 war die Familie der Kinder dem dortigen Jugendamt des Beigeladenen bekannt, nachdem die Polizeiinspektion ... wiederholt massive tätliche Angriffe und Auseinandersetzungen innerhalb der Familie gemeldet hatte. Insbesondere der Vater war hierbei aufgrund hochaggressiven, z.T. gewalttätigen Verhaltens auffällig geworden.

Mit Bescheid des Jugendamts des Beigeladenen vom 15. März 2004 wurde den Eltern ab 18. Februar 2004 antragsgemäß Hilfe zur Erziehung in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe gewährt. Mit Bescheid vom 19. November 2007 wurde diese Hilfegewährung auf Wunsch der Eltern eingestellt.

Bereits mit Schreiben vom 20. August 2007 stellte das Jugendamt des Beigeladenen beim Amtsgericht ...– Familiengericht – einen (Eil-)Antrag nach § 1666 BGB i.V.m. § 50 Abs. 3 SGB VIII mit dem Ziel, dem Vater aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls das Aufenthaltsbestimmungsrecht u.a. für ... und ... zu entziehen und den Umgang mit den Kindern nur noch in begleiteter Form zu erlauben. Diesem Antrag folgte das Familiengericht zunächst nicht.

Am 5. Mai 2009 erfolgte sodann durch das Jugendamt des Beigeladenen eine Inobhutnahme von ... und ... nach § 42 SGB VIII aufgrund dringender Gefahr für das Kindeswohl. Vorangegangen waren erhebliche gewaltsame Übergriffe des Vaters gegenüber seiner Ehefrau und den Kindern. Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 und 28. Mai 2009 zeigte das Jugendamt des Beigeladenen die Inobhutnahme gegenüber dem Amtsgericht ... – Familiengericht – an. Hierbei gab der Beigeladene an, dass die Mutter der Inobhutnahme zugestimmt habe, der Vater jedoch nicht.

Mit Schreiben vom 22. Mai 2009 und 1. Juli 2009 wandte sich der Vater gegenüber dem Jugendamt des Beigeladenen gegen die aus seiner Sicht rechtswidrige Inobhutnahme der Kinder. Mit am 23. Juli 2009 beim Amtsgericht ... – Familiengericht – eingegangenem Schreiben legte auch die Mutter „Widerspruch“ gegen die Inobhutnahme der Kinder ein.

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 28. Juli 2009 (Az. ...) wurde den Eltern aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls das Aufenthaltsbestimmungsrecht u.a. hinsichtlich ... und ... im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig entzogen und dem Jugendamt des Beigeladenen als Ergänzungspflegervorläufig übertragen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – ebenfalls vom 28. Juli 2009 (Az. ...) wurde ferner hinsichtlich des Vaters wegen Gewalttätigkeit gegenüber den Kindern und der Mutter ein Umgangsausschluss angeordnet.

Bereits am 21. Juli 2009 hatte der Vater seinen und den Hauptwohnsitz seiner Ehefrau und Kinder von ... nach ... (...) umgemeldet. Mit Blick hierauf beantragte das Jugendamt des Beigeladenen mit Schreiben vom 26. August 2009 beim Landratsamt ... (...) Kostenerstattung und Fallübernahme hinsichtlich der Hilfegewährung u.a. an ... und ... Später stellte sich jedoch heraus, dass in ... tatsächlich nicht der vorwiegend genutzte Wohnsitz der Familie lag, so dass es bei einer Fallbearbeitung durch das Jugendamt des Beigeladenen verblieb.

2. Sodann erfolgte durch das Jugendamt des Beigeladenen zunächst bis 18. Oktober 2009 eine Unterbringung von ... und ... in einer Pflegefamilie in ... (Landkreis ...), vom 19. Oktober 2009 bis 27. August 2010 in einer Pflegefamilie in ... (Landkreis ...) sowie ab 28. August 2010 in einer Pflegefamilie in ... (Landkreis ..., ...). Die Pflegefamilien erhielten jeweils Pflegegeld in gesetzlicher Höhe. Eine Zustimmung der grundsätzlich weiterhin (teilweise) personensorgeberechtigten Eltern zu diesen Maßnahmen erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 7. April 2010 teilte das Jugendamt des Beigeladenen dem Amtsgericht ... – Familiengericht – im Verfahren zur elterlichen Sorge (Az. ...) mit, dass es aus seiner Sicht dringend geboten sei, nunmehr in der Hauptsache zu entscheiden, um eine stabile Situation für die Kinder zu schaffen. Mit Schreiben vom 9. April 2010 teilte hierzu das Familiengericht mit, dass die elterliche Sorge derzeit aufgrund der einstweiligen Anordnung eindeutig und verbindlich geregelt sei; im Übrigen sei vor einer Entscheidung in der Hauptsache eine Klärung der Lebenssituation der Mutter im Interesse des Kindeswohls zwingend erforderlich.

Ab dem 4. September 2010 wurden die Kinder sodann durch das Jugendamt des Beigeladenen in einem heilpädagogischen Kinderheim in ... (..., Landkreis ...) untergebracht.

Ausweislich eines Protokolls des Jugendamts des Beigeladenen vom 2. November 2010 zur Fortschreibung des Hilfeplans für ... und ... sei bislang Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII geleistet worden; seit 4. September 2010 werde Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII in Form von Heimerziehung geleistet.

In einer internen E-Mail vom 11. November 2010 wies der Bereich „Wirtschaftliche Jugendhilfe“ des Beigeladenen die zuständige Fachkraft des Beigeladenen darauf hin, dass die Fälle von ... und ... dort weiterhin als Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII geführt würden. Sollte das Jugendamt durch das Familiengericht zwischenzeitlich die Befugnis zur jugendhilferechtlichen Antragstellung zugesprochen bekommen haben, so sollten die entsprechenden Anträge hinsichtlich der Gewährung von Hilfe zur Erziehung gestellt werden. Ausweislich eines Aktenvermerks des Jugendsamts des Beigeladenen vom 14. Dezember 2010 wurde die Mutter mit Blick auf die fortdauernde Inobhutnahme vergeblich um entsprechende Antragstellung gebeten.

Etwa ab 2011 verlegten die Kindsmutter und der Kindsvater ihren Hauptwohnsitz – mit Unterbrechungen, z.T. getrennt lebend – nach Österreich (u.a. ..., ..., ..., ...; jeweils Bundesland ...).

Mit Schreiben vom 25. Januar 2011 beantragte das Jugendamt des Beigeladenen beim Amtsgericht ... – Familiengericht – die Einleitung des Hauptsacheverfahrens (§ 52 FamFG) mit dem Ziel, zum Schutze des Kindeswohls die vollständige Personensorge u.a. für ... und ... auf das Jugendamt des Beigeladenen zu übertragen.

Ausweislich von Protokollen des Jugendamts des Beigeladenen vom 12. Mai 2011 zur Fortschreibung des Hilfeplans für ... und ... sei damals Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII in Form von Heimerziehung geleistet worden.

Mit Schreiben vom 8. Juni 2011drang das Jugendamt des Beigeladenen gegenüber dem Amtsgericht ... – Familiengericht – nochmals darauf, zum Schutze des Kindeswohls die vollständige Personensorge u.a. für ... und ... auf das Jugendamt des Beigeladenen zu übertragen.

Ausweislich eines Protokolls des Jugendamts des Beigeladenen vom 30. November 2011 zur Fortschreibung des Hilfeplans für ... und ... sei seit 4. September 2010 Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII geleistet worden.

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 26. Januar 2012 (Az. ...) – ausgefertigt am 22. März 2012 – wurde den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht u.a. hinsichtlich ... und ... entzogen und dem Antragsteller als Ergänzungspflegerübertragen. Ausweislich der Beschlussgründe ging das Gericht von einer Kindeswohlgefährdung bei einem fortbestehenden Aufenthalt bei den Eltern aus, da der Kindsvater die Kindsmutter aber auch die Kinder mehrfach körperlich misshandelt habe. Die Kindsmutter habe ebenfalls körperliche Misshandlungen der Kinder vorgenommen, jedenfalls aber die Misshandlungen der Kinder durch den Vater geduldet. Es sei nach alledem von einer Erziehungsunfähigkeit der Eltern auszugehen. Hintergrund für die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Antragsteller sei, dass ... und ... ihren ständigen gewöhnlichen Aufenthalt im heilpädagogischen Kinderheim in ...– und damit im Landkreis ... – hätten.

Mit E-Mail vom 22. März 2012 nahm das Jugendamt des Beigeladenen mit dem Antragsteller Kontakt auf, um die weitere Vorgehensweise zu klären. In der Folge entstand eine laufende Korrespondenz, etwa zur weiteren Entwicklung (Hilfepläne) und zur Abstimmung von Terminen zu Hilfeplangesprächen.

Ausweislich von Protokollen des Jugendamts des Beigeladenen vom 6. Juni 2012 und 22. Februar 2013 zur Fortschreibung des Hilfeplans jeweils für ... und ... sei seit 4. September 2010 Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII in Form von Heimerziehung geleistet worden.

Mit Schreiben vom 9. April 2013 teilte das Jugendamt des Beigeladenen dem Amtsgericht ... – Familiengericht – mit, dass von den Eltern bislang keine Unterschrift zu einem Antrag auf Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 34 SGB VIII zu erlangen gewesen sei, so dass die Unterbringung von ... und ... seit Jahren im Wege einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII erfolge. Das Familiengericht wurde insoweit dringend um Ersetzung der Unterschrift der sorgeberechtigten Eltern gebeten, da eine rechtliche Handlungsgrundlage benötigt werde.

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 13. August 2013 (Az. ...) wurde ein Antrag der Mutter auf Rückführung von ... und ... zurückgewiesen. Hinsichtlich der elterlichen Sorge verbleibe es beim Beschluss des Amtsgerichts vom 26. Januar 2012. Ausweislich der Beschlussgründe ging das Gericht von einer fortdauernden Kindeswohlgefährdung aus.

3. Am 18. November 2013 verbrachte sodann die Kindsmutter ... und ... widerrechtlich nach Österreich (Bundesland ...), wo sie sich zunächst bei ihrem Großvater väterlicherseits in ..., später sodann bei ihren Eltern in ... aufhielten. Dort erhoben die Kinder gegenüber der österreichischen Jugendanwaltschaft erhebliche Vorwürfe gegen Mitarbeiter des heilpädagogischen Kinderheims in ...

Mit E-Mail vom 25. November 2013 schlug das Jugendamt des Beigeladenen dem Antragsteller mehrere Möglichkeiten zur künftigen Unterbringung der Kinder vor. Mit E-Mails vom 2. Dezember 2013 teilte das Jugendamt des Beigeladenen ergänzend mit, dass das Kinderheim in ... die Kinder im Falle einer Rückführung nach Deutschland – mit Blick auf die erhobenen Vorwürfe – nicht mehr aufnehmen wolle. Man habe daher eine Einrichtung in ... (Landkreis ...) kontaktiert, die bereit sei, die Kinder in Obhut zu nehmen.

Sodann betrieb der Antragsteller als Ergänzungspfleger in Abstimmung mit dem Jugendamt des Beigeladenen über das Bundesamt für Justiz die Rückführung der Kinder nach Deutschland. Am Verhandlungstermin beim Bezirksgericht ... (Österreich) vom 10. Januar 2014 nahmen u.a. der zuständige Mitarbeiter des Antragstellers sowie die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamts des Beigeladenen teil.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts ... (Österreich) vom 27. Januar 2014 (Az. ...) wurde schließlich die Rückführung von ... und ... nach Deutschland angeordnet.

Mit E-Mail vom 10. Februar 2014 teilte das Jugendamt des Beigeladenen mit, dass eine Einrichtung in ... bereit sei, die Kinder nach einer Rückführung in Obhut zu nehmen. Dort bestehe auch die Möglichkeit einer dauerhaften Unterbringung.

In der Folge trennte sich die Kindsmutter – abermals – vom Kindsvater und zog mit den Kindern am 17. Februar 2014 zu einer befreundeten Familie nach ... (Bundesland ..., Österreich). Daraufhin wurde seitens des Antragstellers zunächst von einem Vollzug des Rückführungsbeschlusses des Bezirksgerichts ... (Österreich) vom 27. Januar 2014 abgesehen.

Mit Beschluss des Landesgerichts ... (Österreich) vom 6. März 2014 wurde ein Rechtsmittel der Kindsmutter gegen den Beschluss des Bezirksgerichts ... (Österreich) vom 27. Januar 2014 zurückgewiesen.

Ausweislich einer „Hilfeplanung und -vereinbarung“ der Bezirkshauptmannschaft ... (Österreich) vom 14. April 2014 sollte die Kindsmutter von dort ab 1. März 2014 bis auf weiteres für ... und ... Hilfe zur Erziehung nach dem österreichischen Kinder- und Jugendhilfegesetz im Rahmen des Aufenthalts bei der befreundeten Familie in ... erhalten (u.a. eine Kostenübernahme i.H.v. EUR 400,-- monatlich).

Laut eines Protokolls zu einem Verhandlungstermin beim Oberlandesgericht ... vom 9. Mai 2014 erklärte der zuständige Mitarbeiter des Antragstellers in diesem Rahmen, dass aus seiner Sicht von einer Rückführung der Kinder nach Deutschland abgesehen werden könne, soweit eine Trennung der Kinder vom Vater gewährleistet sei und keine negativen Mitteilungen von den österreichischen Jugendhilfebehörden vorlägen, die ein entsprechendes Einschreiten veranlassten. Am betreffenden Verhandlungstermin nahm auch die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamts des Beigeladenen teil und äußerte sich zur Sache. Das Oberlandesgericht ... gelangte schließlich zu dem Schluss, dass es aktuell nicht gerechtfertigt sei, das Aufenthaltsbestimmungsrecht hinsichtlich der Kinder auf die Mutter zurück zu übertragen. Die Mutter müsse zunächst ihre Persönlichkeit stärken; hierbei sei auch die Befolgung der Auflagen der Bezirkshauptmannschaft ... (Österreich) in der „Hilfeplanung und -vereinbarung“ vom 14. April 2014 von Bedeutung.

Ausweislich eines Aktenvermerks der Bezirkshauptmannschaft ... (Österreich) vom 26. Juni 2014 fand am 23. Juni 2014 vor Ort in ... ein jugendhilferechtliches Standortgespräch statt, in dem behördlicherseits gegenüber der Kindsmutter und der befreundeten Familie die Umsetzung der „Hilfeplanung und -vereinbarung“ vom 14. April 2014 – insbesondere eine gebotene Erziehungsberatung der Kindsmutter – erörtert wurde.

Einem Aktenvermerk der Bezirkshauptmannschaft ... (Österreich) vom 29. Juli 2014 ist zu entnehmen, dass am selben Tag in ... ein Hausbesuch der österreichischen Kinder- und Jugendhilfe erfolgte. Hierbei wurde eine nicht zufriedenstellende Entwicklung der damaligen Erziehungssituation thematisiert. Man kam überein, dass die Kindsmutter noch ein halbes Jahr Zeit erhalte, um sich zu beweisen.

Im Nachgang des behördlichen Hausbesuchs vom 29. Juli 2014 zog die Kindsmutter – ohne Absprache mit dem Antragsteller oder den österreichischen Jugendhilfebehörden – mit den Kindern bei der befreundeten Familie in ... aus und zog nach ...

Mit E-Mail vom 11. September 2014 teilte daraufhin die Bezirkshauptmannschaft ... (Österreich) dem Antragsteller mit, dass aus dortiger Sicht Schutzmaßnahmen für ... und ... – etwa eine Rückführung nach Deutschland – als dringend erforderlich erachtet würden. Zum einen sei der Kindsvater in ... anwesend; zum anderen habe die Kindsmutter sogar die Kinder – trotz Kontaktverbots – zum Kindsvater nach ... gebracht.

Mit E-Mail vom 15. September 2014 teilte das Jugendamt des Beigeladenen dem Antragsteller nochmals mit, dass die Einrichtung in ... (Landkreis ...) bei einer Rückführung nach Deutschland die Kinder in Obhut nehmen könne.

Mit E-Mail vom 16. September 2014 teilte das Jugendamt des Beigeladenen dem Antragsteller ergänzend mit, dass dort mit Blick auf eine Einstellung der jugendhilferechtlichen Inobhutnahme zum 30. November 2013 – im Nachgang der Verbringung der Kinder nach Österreich – eine weitere jugendhilferechtliche Zuständigkeit und Kostenerstattungspflicht bezweifelt werde; die Zuständigkeitsfrage werde aktuell geprüft.

Mit E-Mails vom 24. September 2014 teilte das Jugendamt des Beigeladenen dem Antragsteller mit, dass man dort nach intensiver Prüfung die Auffassung vertrete, dass gegenwärtig keine jugendhilferechtliche Zuständigkeit des Beigeladenen bestehe. An weiteren Besprechungen würden Mitarbeiter des Beigeladenen daher nicht mehr teilnehmen.

4. Auf Betreiben des Antragstellers wurden daraufhin die Kinder in Vollzug des Beschlusses des Bezirksgerichts ... (Österreich) vom 27. Januar 2014 nach Deutschland zurückgeführt. Die Kinder wurden durch Mitarbeiter des Antragstellers mit Unterstützung der österreichischen Behörden am 2. Oktober 2014 in Österreich abgeholt und sodann direkt in die Jugendhilfeeinrichtung St. ... in ... (..., Landkreis ...) verbracht.

Mit Schreiben vom 3. Oktober 2014 informierte der Antragsteller das Jugendamt des Antragsgegners von der Verbringung der Kinder in seinen örtlichen Zuständigkeitsbereich und bat um jugendhilferechtliche Übernahme des Falles. Da die Kinder keinen gewöhnlichen Aufenthalt hätten, würde sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt richten.

Ausweislich einer gutachterlichen Stellungnahme des ... (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie) vom 9. Oktober 2014 wurde ... am 7. Oktober 2014 dorthin zur stationären Behandlung verbracht. Zuvor war er mehrfach aus der Einrichtung in ... weggelaufen und hatte polizeilich gesucht werden müssen. Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 10. Oktober 2014 (Az. ...) wurde die vorläufige Unterbringung von ... in der geschlossenen Abteilung des ... bis längstens 21. November 2014 familienrechtlich genehmigt.

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2014 teilte das Jugendamt des Antragsgegners dem Antragsteller mit, dass nach dortiger Auffassung eine örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners nach den §§ 86, 86d, 87 SGB VIII nicht bestehe. Die Kinder hätten vor Beginn der Heimunterbringung am 2. Oktober 2014 weder einen gewöhnlichen noch einen tatsächlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners gehabt.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2014 teilte die Einrichtung in ... dem Antragsteller mit, dass ohne eine unverzügliche Kostenübernahmeerklärung keine weitere Unterbringung der Kinder mehr erfolgen könne.

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 15. Oktober 2014 (Az. ...) wurde die Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern „zur laufenden Jugendhilfemaßnahme nach den §§ 27 ff. SGB VIII (Heimunterbringung)“ für ... und ... vorläufig familiengerichtlich ersetzt.

Unter Bezugnahme auf diesen als Anlage beigefügten Gerichtsbeschluss bat der Antragsteller mit Schreiben vom 16. Oktober 2014 beim Jugendamt des Antragsgegners um Bewilligung von Hilfe zur Erziehung für die Kinder ... und ...

Mit ergänzendem Schreiben vom 17. Oktober 2014 wies der Antragsgegner darauf hin, dass das ... auf eine Kostenzusage dränge. In der Folge erklärte sich jedoch die Krankenkasse bereit, die Kosten für die Unterbringung ... im ... zu übernehmen.

Mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 lehnte das Jugendamt des Antragsgegners gegenüber dem Antragsteller eine örtliche Zuständigkeit weiterhin ab. Das Jugendamt des Beigeladenen sei örtlich zuständig, eine Leistungsunterbrechung im zuständigkeitsrechtlichen Sinne habe nie stattgefunden.

Das vom Jugendamt des Antragsgegners um Auskunft gebetene Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. gelangte in einer Stellungnahme vom 5. November 2014 zu dem Ergebnis, dass aufgrund einer direkten faktischen Unterbringung der Kinder in ... (Landkreis ...) nach ihrem Aufenthalt in Österreich für die Leistungsgewährung ab 15. Oktober 2014 – dem Zeitpunkt der familiengerichtlichen Ersetzung der Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern „zur laufenden Jugendhilfemaßnahme nach den §§ 27 ff. SGB VIII (Heimunterbringung)“ – das Jugendamt des Antragsgegners nach § 86 Abs. 4 SGB VIII örtlich zuständig sei; dieses könne jedoch ggf. einen Kostenerstattungsanspruch nach § 89d SGB VIII geltend machen.

Das Bayerische Landesjugendamt nahm auf Anfrage des Antragstellers mit E-Mail vom 7. November 2014 u.a. dahingehend Stellung, dass nach dortiger Auffassung die Unterbringung der Kinder im Landkreis ... vom 2. Oktober 2014 bis zur familiengerichtlichen Ersetzung der Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern zur Jugendhilfemaßnahme am 15. Oktober 2014 rechtswidrig gewesen sei. Es sei aufgrund der eigenmächtigen rechtswidrigen Unterbringung der Kinder im Nachbarlandkreis ... durch den Landkreis ... als Ergänzungspfleger nunmehr schwierig, überhaupt eine gesetzmäßige örtliche Zuständigkeit festzustellen. Würde man in dieser Konstellation eine örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners bejahen, sei allgemein Manipulationen Tür und Tor geöffnet. Als Verursacher der rechtswidrigen Situation sei daher wohl der Landkreis ... kostentragungspflichtig. Die Ablehnung der Fallübernahme durch den Antragsgegner sei somit wohl zu Recht erfolgt. Eine örtliche Zuständigkeit des Beigeladenen sei nicht nachvollziehbar, da keine der beteiligten Personen einen tatsächlichen oder gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis ... habe; es fehle daher jeder Anknüpfungspunkt.

Mit E-Mail vom 2. Dezember 2014 wies die Einrichtung in ... den Antragsteller darauf hin, dass ohne schriftliche Zusage der Kostenübernahme ein Verbleib der Kinder in der Einrichtung über den 29. Dezember 2014 hinaus nicht mehr möglich sei.

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 16. Dezember 2014 (Az. 1 F 406/14) wurde den Eltern das Sorgerecht für ... und ... vollständig entzogen und Vormundschaft angeordnet. Der Antragsteller wurde zum Amtsvormund bestellt.

5. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 – eingegangen am 29. Dezember 2014 – stellte der Antragsteller als Amtsvormund beim Antragsgegner förmliche Anträge auf Gewährung von Jugendhilfe in Form von Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII. Die Anträge waren auf eine rückwirkende Leistungsgewährung ab 2. Oktober 2014 gerichtet. Die Zuständigkeit des Antragsgegners folge aus § 86d SGB VIII.

Mit Schreiben vom 5. Januar 2015 bat das Jugendamt des Antragsgegners um Auskünfte und weitere Unterlagen zum gegenständlichen Fall. Diese wurden in der Folge durch den Antragsteller erteilt bzw. übersandt.

... lebt seit 7. Januar 2015 zur Pflege bei seiner Tante mütterlicherseits nebst Onkel in ... (..., ...). Mit Schreiben vom 7. Januar 2015 teilte der Antragsteller der Stadt ... mit, dass nach dortiger Auffassung das Jugendamt des Antragsgegners nach § 86d SGB VIII örtlich zuständig sei; derzeit werde daher kein Antrag auf Hilfe zur Erziehung bei der Stadt ... gestellt. Mit Schreiben ebenfalls vom 7. Januar 2015 informierte der Antragsteller das Jugendamt des Antragsgegners von ... Umzug nach ... und stellte klar, dass sich der Antrag auf Hilfe zur Erziehung auch auf diese (Anschluss-)Maßnahme beziehe.

... lebt weiterhin in der Einrichtung in ...Die Mutter hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in Österreich (...). Der Vater ist offenbar unbekannten Aufenthalts.

6. Mit Bescheid des Landratsamts ... vom 23. Januar 2015 – eingegangen beim Antragsteller am 27. Januar 2015 – wurden die Anträge auf Gewährung von Jugendhilfe für ... und ... abgelehnt. Zur Begründung wurde u.a. angeführt, dass eine örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners weder aus § 86 SGB VIII noch aus § 86d SGB VIII folge. Vielmehr sei eine örtliche Zuständigkeit des Beigeladenen gegeben.

Gegen den Ablehnungsbescheid des Landratsamts ... vom 23. Januar 2015 legte der Antragsteller als Amtsvormund mit Schreiben vom 19. Februar 2015 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

7. Am 26. Februar 2015 stellte der Antragsteller als Amtsvormund sodann beim Verwaltungsgericht Augsburg einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Es wird beantragt,

den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten,

- die Kosten der Unterbringung für ... für den Zeitraum vom 2. Oktober 2014 – 6. Januar 2015 in der Jugendhilfeeinrichtung St. ... in ... zu tragen.

- die Kosten der Unterbringung für ... für den Zeitraum ab 7. Januar 2015 in der Vollzeitpflegestelle Familie ... (... Str. ..., ...) zu tragen.

- die Kosten der Unterbringung für ... für den Zeitraum ab 2. Oktober 2014 in der Jugendhilfeeinrichtung St. ... in ... zu tragen.

Ein Anordnungsanspruch folge aus dem Drängen des Trägers des Leistungserbringers, des Erziehungs- und Jugendhilfeverbunds ..., auf Kostenerstattung. Der Leistungserbringer habe deutlich gemacht, dass ohne baldige Kostenübernahmeerklärung des jugendhilferechtlich zuständigen Trägers der zeitnahe Abbruch der Maßnahme drohe. Eine vorläufige Kostenübernahme des Landkreises ... trotz Kenntnis der eigenen örtlichen Unzuständigkeit komme insoweit nicht in Betracht; denn eine solche wäre rechtswidrig und würde keinen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem tatsächlich (vorläufig) örtlich zuständigen Träger begründen. Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs gelte, dass die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners für vorläufige Jugendhilfeleistungen aus § 86d SGB VIII folge. Stehe die örtliche Zuständigkeit nicht fest oder werde der zuständige örtliche Träger nicht tätig, so sei hiernach der örtliche Träger vorläufig zum Tätigwerden verpflichtet, in dessen Bereich sich das Kind vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält. Der tatsächliche Aufenthalt der beiden Kinder vor Beginn der Leistung am 2. Oktober 2014 habe im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners gelegen; denn die Kinder seien im Rahmen der Rückführung aus Österreich direkt in die Jugendhilfeeinrichtung in ... (..., Landkreis ...) verbracht worden. Zum Zeitpunkt der förmlichen Antragstellung am 22. Dezember 2014 habe sich die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners zudem aus § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ergeben. Hiernach sei in einer Konstellation, in der das Kind während der letzten sechs Monate vor Beginn der Leistung keinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält. Ein Konsultations- und Zustimmungsverfahren nach Art. 56 EuEheVO (EG-VO 2201/2003 – Europäische Eheverordnung – sog. Brüssel-IIa-Verordnung) sei vorliegend nicht erforderlich gewesen; denn es sei nicht darum gegangen, ursprünglich in Österreich lebende Kinder in Deutschland unterzubringen, sondern ursprünglich in Deutschland lebende und rechtswidrig entzogene Kinder nach Deutschland zurückzuführen.

8. Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit werde zwar nicht bestritten. Eine (vorläufige) örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners bestehe jedoch nicht. Vielmehr sei der Beigeladene aufgrund § 86 SGB VIII örtlich zuständig. Denn richtigerweise sei zum Zeitpunkt der Entführung der Kinder nach Österreich am 18. November 2013 Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 34 SGB VIII durch den Beigeladenen zu leisten gewesen bzw. faktisch geleistet worden. Der Beigeladene habe hingegen offenbar rechtswidrigerweise über viereinhalb Jahre eine Inobhutnahme der Kinder nach § 42 SGB VIII durchgeführt, ohne ein Hilfeplanverfahren mit dem Ziel einer Umwandlung in eine Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 34 SGB VIII einzuleiten. Ein Einstellungs- bzw. Umwandlungsbescheid des Beigeladenen sei dem Antragsgegner jedenfalls nicht bekannt. Das konkludente Verhalten des Beigeladenen nach der Entführung der Kinder im Oktober 2013 lasse zudem darauf schließen, dass man dort bereits seit längerem von einer eigenen Zuständigkeit und einer faktischen Leistungsgewährung nach den §§ 27, 34 SGB VIII ausgegangen sei. So habe die zuständige Mitarbeiterin des Beigeladenen bereits am 2. Dezember 2013 die weitere Unterbringung der Kinder in der Einrichtung in ... organisiert. Die Mitarbeiterin des Beigeladenen habe auch am Gerichtstermin beim Bezirksgericht ... (Österreich) am 10. Januar 2014 teilgenommen, bei dem es um die Rückführung der Kinder gegangen sei. Nach Erlass des gerichtlichen Rückführungsbeschlusses vom 27. Januar 2014 habe sodann die Mitarbeiterin des Beigeladenen am 10. Februar 2014 und 15. September 2014 signalisiert, dass die Plätze in der Einrichtung in ... noch frei seien. Erst am 24. September 2014 habe der Beigeladene dann mitgeteilt, dass er seine örtliche Zuständigkeit nicht mehr anerkenne. Die faktische Leistungsgewährung nach den §§ 27, 34 SGB VIII durch den Beigeladenen sei jedoch richtigerweise bislang nicht rechtsrelevant durch Einstellung aufgrund fehlenden Hilfsbedarfs unterbrochen worden, so dass die örtliche Zuständigkeit des Beigeladenen nach § 86 SGB VIII fortbestehe. Beginn der Leistung i.S.d. §§ 86, 86d SGB VIII sei daher die Unterbringung der Kinder durch das Jugendamt des Beigeladenen im heilpädagogischen Kinderheim in ... (Landkreis ...). Unabhängig davon sei der Beschluss des Bezirksgerichts ... (Österreich) vom 27. Januar 2014 nicht rechtmäßig, da allen Beteiligten von vornherein klar gewesen sei, dass keine Rückführung der Kinder zum Ergänzungspfleger selbst, sondern eine Heimunterbringung erfolgen würde. Zudem sei vorliegend das erforderliche Konsultations- und Zustimmungsverfahren nach Art. 56 EuEheVO (EG-VO 2201/2003 – Europäische Eheverordnung – sog. Brüssel-IIa-Verordnung) unterblieben, das für die grenzüberschreitende Unterbringung von Kindern in Deutschland durch ausländische Gerichte und Behörden eine vorherige Zustimmung des Landesjugendamts unter Regelung der Kostenübernahme vorsehe. Das Konsultationsverfahren sei auch anwendbar, da die Kinder von Februar bis September 2014 mit Einverständnis des Antragstellers als zuständigem Ergänzungspfleger ihren (gewöhnlichen) Aufenthalt bei der Mutter in Österreich gehabt hätten. Aus den vorliegenden Akten sei ferner nicht ersichtlich, welche Rolle das österreichische Jugendamt im Jahr 2014 eingenommen habe und welche Hilfen von dort gewährt worden seien. Soweit das Gericht eine örtliche Zuständigkeit des Beigeladenen aus § 86 SGB VIII verneine, werde vorsorglich darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt der erstmaligen Jugendhilfe-Antragstellung beim Antragsgegner (Eingang am 29. Dezember 2014) sich nur ... tatsächlich im Landkreis ... aufgehalten habe; ... habe sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Klinikum ... in ... befunden. Für ... sei daher gemäß § 86d SGB VIII bzw. § 86 Abs. 4 SGB VIII in dieser Konstellation jedenfalls das Jugendamt der Stadt ... örtlich zuständig.

9. Mit Beschluss des Gerichts vom 2. März 2015 wurde der Landkreis ... – Kreisjugendamt – zum Verfahren beigeladen, da durch die Entscheidung seine rechtlichen Interessen berührt werden.

Der Beigeladene stellt keinen förmlichen Antrag. Er weist jedoch in formeller Hinsicht darauf hin, dass für Kostenerstattungsansprüche zwischen Jugendhilfeträgern im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO bereits ein Anordnungsgrund fehle. Daher könne der gegenständliche Antrag auf einstweilige Anordnung seitens des Amtsvormunds allenfalls auf eine vorläufige Jugendhilfegewährung bzw. Kostenübernahme gerichtet sein. In der Sache sei die am 5. Mai 2009 durch das Jugendamt des Beigeladenen erfolgte Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII nicht rechtswidrig gewesen. Das Jugendamt des Beigeladenen sei nicht untätig gewesen, sondern habe die Inobhutnahme dem Familiengericht ordnungsgemäß mit Schreiben vom 7. Mai 2009 angezeigt. Durch eine nachfolgende Untätigkeit der Familiengerichte habe sich jedoch die Inobhutnahme bis zur Übertragung der Vormundschaft an den Antragsteller durch Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 16. Dezember 2014 hingezogen. Mit Verbringung der Kinder nach Österreich sei die Jugendhilfemaßnahme des Beigeladenen zum 30. November 2013 faktisch beendet worden. In der Folge seien auch die österreichischen Jugendhilfebehörden mit dem Fall befasst gewesen. Damit sei zumindest eine wesentliche Zäsur in der Fallgeschichte eingetreten. Gegenüber dem Beigeladenen sei seitens des Amtsvormunds bislang weder eine Kostenübernahme noch seitens des Landkreises ... eine Kostenerstattung beantragt worden.

10. Im Übrigen wird hinsichtlich des Sachverhalts auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat nur zum Teil Erfolg.

1. Der Antrag ist zulässig.

In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass ausweislich der Antragsschrift vom 11. Februar 2015 (Blatt 2 der Gerichtsakte) Antragsteller vorliegend ausdrücklich das Jugendamt des Landkreises ... als Amtsvormund der Kinder, nicht jedoch der Landkreis ... als Gebietskörperschaft ist.

Hiergegen bestehen keine rechtlichen Bedenken.

Gemäß § 55 Abs. 1 des Achten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VIII) wird das Jugendamt Beistand, Pfleger oder Vormund in den durch das Bürgerliche Gesetzbuch – BGB – vorgesehenen Fällen (Beistandschaft, Amtspflegschaft, Amtsvormundschaft). Nach § 1791b Abs. 1 Satz 1 BGB kann auch das Jugendamt zum Vormund bestellt werden, falls eine als ehrenamtlicher Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden ist.

Ausweislich des Gesetzeswortlauts („das Jugendamt“) wird somit u.a. die Amtsvormundschaft ausdrücklich dem Jugendamt – und nicht etwa der Gebietskörperschaft, dessen Behörde das Amt ist oder dem nach § 55 Abs. 2 SGB VIII konkret mit der Ausübung der Vormundschaft betrauten Beamten oder Angestellten – übertragen. Zwar ist das Jugendamt keine juristische Person, sondern eine rechtlich unselbständige Untergliederung des Landkreises als Rechtsträger. Das Jugendamt besitzt jedoch in den Fällen des § 55 Abs. 1 SGB VIII eine Art Quasi-Rechtspersönlichkeit (siehe zum Ganzen: BSG, U.v. 11.12.2008 – B 9/9a VG 1/07 R – juris; BayVGH, B.v. 27.5.2011 – 12 CE 11.893 – juris Rn. 30; BayLSG, U.v. 13.2.2007 – L 15 VG 1/06 – juris Rn. 22-24; Mollik/Opitz in: Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 55 Rn. 5; Wiesner in: Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 55 Rn. 77; Hoffmann/Proksch in: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 55 Rn. 2; a.A. wohl noch BVerwG, U.v. 9.6.1971 – V C 104.69BVerwGE 38, 164 – juris Rn. 15, wo im Falle einer Personensorgeberechtigung des Jugendamts nach § 1793 BGB a.F. eine Aktivlegitimation des Rechtsträgers des Jugendamts bei Klagen auf Gewährung freiwilliger Erziehungshilfe bejaht wird).

Hiervon ausgehend ist das Jugendamt vorliegend als Vereinigung i.S.v. § 61 Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beteiligungsfähig, soweit § 55 Abs. 1 SGB VIII und das Bürgerliche Gesetzbuch ihm Rechte verleihen.

2. Der Antrag ist jedoch nur teilweise begründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).

Eine derartige einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO). Eine solche Glaubhaftmachung liegt in entsprechender Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) dann vor, wenn das Vorliegen von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch überwiegend wahrscheinlich ist.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 123 Rn. 54).

a) Ein Anordnungsgrund aufgrund Eilbedürftigkeit ist vorliegend nur hinsichtlich des Verbleibs von ... in der Einrichtung in ... (Landkreis ...) glaubhaft gemacht, nicht jedoch hinsichtlich ... Verbleib in der Pflegefamilie in ... (...).

Klarzustellen ist insoweit zunächst, dass der Antragsteller vorliegend als Amtsvormund i.S.v. § 55 Abs. 1 SGB VIII einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Hilfegewährung an die betroffenen Kinder begehrt und nicht etwa seitens des Landkreises ... als Jugendhilfeträger die vorläufige Regelung eines vorweggenommenen Kostenerstattungsanspruchs im Rahmen eines Streits über die örtliche Zuständigkeit begehrt wird (vgl. oben unter Ziffer II.1). In letzterer Konstellation müsste die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds i.S.v. § 123 VwGO von vornherein ausscheiden, denn Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Trägern der Jugendhilfe können nach der Regelungssystematik des Jugendhilferechts nicht zu Lasten des Kindes geführt werden. Fragen der örtlichen Zuständigkeit sind vielmehr in einem etwaigen Verfahren auf Kostenerstattung zu klären. Befürchtungen eines Jugendhilfeträgers, man könne ihm im Verfahren auf Kostenerstattung wegen „wissentlich unzuständig erbrachter Leistungen“ den Grundsatz von Treu und Glauben entgegenhalten, gehen im Falle einer Weigerung des anderen Jugendhilfeträgers, die unstreitig notwendige Hilfeleistung aufzunehmen bzw. fortzuführen, von vornherein ins Leere. Auch auf etwaige Nachteile der betroffenen Kinder kann sich ein Jugendhilfeträger insoweit zur Begründung der Eilbedürftigkeit seines vermeintlichen Anspruchs nicht berufen. Das Achte Buch Sozialgesetzbuch regelt an verschiedenen Stellen, wie bei Streitigkeiten hinsichtlich der Kostenerstattung zwischen Leistungsträgern im Interesse der notwendigen Hilfeleistungen zu verfahren ist (siehe zum Ganzen: BayVGH, B.v. 27.5.2011 – 12 CE 11.893 – juris Rn. 34-36; B.v. 25.2.2010 – 12 CE 09.2994 – juris Rn. 21).

Soweit sich der Antragsteller als Amtsvormund in seiner Antragstellung auf bereits vergangene Zeiträume bezieht, steht ihm mangels Eilbedürftigkeit kein Anordnungsgrund zur Seite. Insoweit geht es nämlich nicht um eine gegenwärtige Notlage, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abgeholfen werden könnte, sondern um einen Anspruch aus der Vergangenheit, deren Berechtigung im Hauptsacheverfahren zu prüfen ist. Nur in Ausnahmefällen, in denen die Verpflichtung zur Leistung für zurückliegende Zeiträume zur Abwendung eines gegenwärtigen Nachteils erforderlich ist, kann eine einstweilige Anordnung auch in Bezug auf in der Vergangenheit liegende Leistungszeiträume erlassen werden. Da der Antragsteller diesbezüglich keine Tatsachen substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, kommt eine vorläufige Regelung für den Zeitraum vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung nicht in Betracht. Auch eignet sich das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO nicht dazu, um Feststellungen über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Ablehnung von Leistungen für vergangene Bewilligungszeiträume zu treffen, um daraus für kommende Zeiten Erfolgsaussichten für etwaige Rechtsstreitigkeiten abschätzen zu können (vgl. zum Ganzen: BayVGH B.v. 25.2.2010 – 12 CE 09.2994 – juris Rn. 20; VG Würzburg, B.v. 9.11.2009 – W 3 E 09.1024 – juris Rn. 18 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 29.11.1993 – 12 CE 93.3058; B.v. 24.8.1994 – 12 CE 94.2401; B.v. 23.9.1998 – 12 CE 98.2194).

Soweit hingegen die Zeiträume ab der Entscheidung des Gerichts im einstweiligen Rechtsschutz betroffen sind, ist die für einen Anordnungsgrund erforderliche Eilbedürftigkeit nur hinsichtlich der Unterbringung von ... in der Einrichtung in ... (Landkreis ...) glaubhaft gemacht. Insoweit trägt der Antragsteller im Schriftsatz vom 4. März 2015 (Blatt 23 der Gerichtsakte) vor, dass der Erziehungs- und Jugendhilfeverbund ... (EJV ...) als Einrichtungsträger bei auch weiterhin fehlender Kostenübernahmeerklärung eines öffentlichen Jugendhilfeträgers mit dem baldigen Abbruch der Maßnahme drohe. Dieser Vortrag wird bestätigt durch entsprechende Aussagen der Einrichtung in einem Schreiben vom 15. Oktober 2014 (Blatt 80 der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band IV zu ...) und einer E-Mail vom 2. Dezember 2014 (Blatt 201 f. der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band IV zu ...).

Soweit es jedoch die seit 7. Januar 2015 bestehende Unterbringung von ... zur Pflege in der Familie seiner Tante mütterlicherseits in ... (...) betrifft, ist kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es ist nicht ersichtlich und wird auch seitens des Antragstellers nicht vorgetragen (vgl. Schriftsätze vom 11. Februar 2015 und 4. März 2015, Blatt 2 und 23 der Gerichtsakte), dass die Pflegeeltern ernstlich damit gedroht hätten, ... könne nicht länger in ihrem Haushalt verbleiben, sollte die Frage des örtlichen zuständigen Jugendhilfeträgers – und damit die Frage der Kostenübernahme bzw. der Zahlung von Pflegegeld – nicht einer unverzüglichen vorläufigen Klärung zugeführt werden (vgl. allg. VG Augsburg, B.v. 13.4.2012 – Au 3 E 12.434 – juris Rn. 41).

b) Auch ein Anordnungsanspruch ist nur hinsichtlich ..., nicht jedoch hinsichtlich ... glaubhaft gemacht.

Mit dem Erfordernis des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs wird die Verbindung zum materiellen Recht hergestellt. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist daher, dass überhaupt ein materieller Anspruch festgestellt werden kann. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient zwar letztlich keinem materiellen Rechtsschutzziel, soll aber die Rechtsschutzmöglichkeit in einem Hauptsachverfahren offen halten. Eine Entscheidung in der Hauptsache steht und fällt mit dem Bestehen des (geltend gemachten) materiell-rechtlichen Anspruchs. Gibt es einen solchen Hauptsacheanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner nicht, so kann auch keine einstweilige Anordnung zu dessen vorläufiger Regelung ergehen (BVerfG, B.v. 24.9.2002 – 2 BvR 857/02NVwZ 2003, 200; Happ in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 123 Rn. 46; siehe zum Ganzen: BayVGH, B.v. 25.2.2010 – 12 CE 09.2994 – juris Rn. 22 m.w.N.).

Unstreitig dürfte vorliegend im Kern zwischen den Beteiligten sein, dass hinsichtlich ... und ... grundsätzlich ein jugendhilferechtlicher Hilfebedarf besteht. Die Mutter der Kinder hat ausweislich des Rubrums des Beschlusses des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 16. Dezember 2014 (Az. ... – Blatt 239-253 der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band IV zu ...) ihren Hauptwohnsitz in Österreich (...); der Vater ist unbekannten Aufenthalts. Mit dem genannten familiengerichtlichen Beschluss wurde den Eltern das Sorgerecht für ... und ... vollständig entzogen und die Vormundschaft des Antragstellers angeordnet.

Ein Anspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner auf die begehrten stationären Jugendhilfemaßnahmen dürfte nach summarischer Prüfung jedoch nur hinsichtlich ..., nicht hinsichtlich ... bestehen. Es spricht insoweit vieles dafür, dass der Antragsgegner hinsichtlich ... nicht örtlich zuständig ist.

Die Eltern der minderjährigen Kinder ... und ... leben vorliegend seit etwa Anfang 2011 nicht im Inland, sondern in Österreich; der Vater ist zuletzt offenbar ohne bekannten Aufenthalt im In- oder Ausland. Damit ist für die örtliche Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers grundsätzlich § 86 Abs. 4 SGB VIII maßgeblich (vgl. VG Augsburg, B.v. 13.4.2012 – Au 3 E 12.434 – juris Rn. 43).

Gemäß § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII richtet sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes oder des Jugendlichen vor Beginn der Leistung, wenn die Eltern oder der nach § 86 Abs. 1 bis 3 SGB VIII maßgebliche Elternteil im Inland keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar ist, oder sie verstorben sind. Hatte das Kind oder der Jugendliche während der letzten sechs Monate vor Beginn der Leistung keinen gewöhnlichen Aufenthalt, so ist gemäß § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Leistung tatsächlich aufhält.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist unter "Beginn der Leistung" i.S.v. § 86 SGB VIII nicht bereits der Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der erstmaligen Prüfung der örtlichen Zuständigkeit durch den Leistungsträger zu verstehen, sondern das Einsetzen der Hilfegewährung und damit grundsätzlich der Zeitpunkt, ab dem die konkrete Hilfeleistung tatsächlich gegenüber dem Hilfeempfänger erbracht wird. Für den Begriff der "Leistung", an deren Beginn auch § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit anknüpft, ist eine Gesamtbetrachtung der verschiedenen Maßnahmen und Hilfen zugrunde zu legen, die zur Deckung eines qualitativ unveränderten jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlich sind. Dabei beginnt eine zuständigkeitsrechtlich "neue" Leistung bei einer geänderten Hilfegewährung im Rahmen eines einheitlichen, ununterbrochenen Hilfeprozesses nicht allein deswegen, weil die geänderte oder neu hinzutretende Jugendhilfemaßnahme oder ein Teil davon einer anderen Ziffer des § 2 Abs. 2 SGB VIII zugeordnet ist (siehe zum Ganzen: BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 5 C 25/11BVerwGE 145, 257 – juris Rn. 17; U.v. 19.10.2011 – 5 C 25/10BVerwGE 141, 77 – juris Rn. 18-20 u. 30; U.v. 19.8.2010 – 5 C 14/09BVerwGE 137, 368 – juris Rn. 20; U.v. 25.3.2010 – 5 C 12.09BVerwGE 136, 185 – juris Rn. 22; U.v. 29.1.2004 – 5 C 9.03BVerwGE 120, 116 – juris Rn. 18 ff.; vgl. auch VG Augsburg, B.v. 13.4.2012 – Au 3 E 12.434 – juris Rn. 43).

In diesem Zusammenhang gilt, dass eine Inobhutnahme i.S.v. § 42 SGB VIII weder eine Leistung i.S.v. § 2 Abs. 2 SGB VIII noch im Sinne der Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit (§ 86 Abs. 2 Satz 2 bis 4 und Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB VIII) darstellt. Der Übergang von einer Inobhutnahme zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung ist somit – auch bei einem an sich nicht qualitativ veränderten Bedarf – nicht mit einem bloßen Wechsel innerhalb des Leistungskatalogs des § 2 Abs. 2 SGB VIII gleichzusetzen. Das Gesetz nennt die Inobhutnahme nicht im Katalog der Leistungen der Jugendhilfe (§ 2 Abs. 2 SGB VIII), sondern führt sie ausdrücklich in § 2 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII unter der Kategorie der anderen Aufgaben der Jugendhilfe auf. Diese systematische und begriffliche Unterscheidung setzt sich in den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit fort. So hat der Gesetzgeber ausweislich der gesetzlichen Überschriften in § 86 SGB VIII die "örtliche Zuständigkeit für Leistungen" geregelt, während er in § 87 SGB VIII eine gesonderte Zuständigkeitsregelung für die Inobhutnahme getroffen und diese als "örtliche Zuständigkeit für andere Aufgaben" bzw. "für vorläufige Maßnahmen" gekennzeichnet hat. Dass die Inobhutnahme selbst keine Leistung im oben genannten Sinne ist, ergibt sich schließlich auch aus § 86 Abs. 7 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VIII, welcher – mit der Formulierung "geht der Leistungsgewährung eine Inobhutnahme voraus"... – die Inobhutnahme der Leistungsgewährung gegenüberstellt (so zum Ganzen: BVerwG, U.v. 25.3.2010 – 5 C 12.09BVerwGE 136, 185 – juris Rn. 21-23; vgl. OVG NW, U.v. 26.9.2014 – 12 A 2524/13 – juris Rn. 96-102; U.v. 21.3.2014 – 12 A 1211/12 – juris Rn. 87-89; VG Augsburg, U.v. 12.6.2012 – Au 3 K 11.1665 – juris Rn. 42; VG Würzburg, B.v. 9.11.2009 – W 3 E 09.1024 – juris Rn. 20).

bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze dürfte im vorliegenden Fall die Hilfegewährung des Beigeladenen ab 5. Mai 2009 keine Leistung i.S.v. § 86 Abs. 4 SGB VIII darstellen, an die zuständigkeitsrechtlich angeknüpft werden könnte.

(1) Das Jugendamt des Beigeladenen hat am 5. Mai 2009 unbestritten in eigener örtlicher und sachlicher Zuständigkeit (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII i.V.m. §§ 42, 87 SGB VIII) ... und ... in Obhut genommen; entsprechende ausdrückliche Schreiben wurden an die personensorgeberechtigten Eltern und auch das zuständige Familiengericht gerichtet (Blatt 242-245 der Verwaltungsakte des Beigeladenen).

Es spricht vieles dafür, dass diese Inobhutnahme (zunächst in Form der Unterbringung in Pflegefamilien, ab 4.9.2010 im heilpädagogischen Kinderheim im ..., Landkreis ...) am 18. November 2013 – dem Zeitpunkt der widerrechtlichen Verbringung der Kinder nach Österreich – rechtlich noch nicht nach § 42 Abs. 4 SGB VIII beendet war, da bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Übergabe der Kinder an die damals mangels anderweitiger familiengerichtlicher Regelung abgesehen vom Aufenthaltsbestimmungsrecht weiterhin personensorge- oder erziehungsberechtigten Eltern erfolgt war (§ 42 Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII) noch der Beigeladene – mangels entsprechenden Antrags – eine Entscheidung über die Gewährung von Hilfe nach dem Sozialgesetzbuch getroffen hatte (§ 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII; vgl. zum Ganzen: VG Würzburg, B.v. 9.11.2009 – W 3 E 09.1024 – juris Rn. 20; VG Ansbach, U.v. 22.4.2010 – AN 14 K 09.1869 – juris Rn. 30; vgl. auch BayVGH, B.v. 8.8.2011 – 12 ZB 10.974 – juris Rn. 19).

Grund für die rechtliche Fortdauer der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII über jedenfalls etwa viereinhalb Jahre war offenbar, dass von Mai 2009 bis November 2013 zwar zwischen dem zuständigen Amtsgericht ... – Familiengericht –, dem Jugendamt des Beigeladenen und dem Antragsteller als ab Anfang 2012 bestelltem Ergänzungspfleger für das Aufenthaltsbestimmungsrecht grundsätzliche Einigkeit bestanden hat, dass die Kinder nicht zu ihren Eltern zurückkehren können. Eine familiengerichtliche Entziehung des elterlichen Sorgerechts – nebst Antragsbefugnis hinsichtlich Jugendhilfeleistungen – und Übertragung auf das Jugendamt des Beigeladenen oder den Antragsteller erfolgte jedoch bis zum 18. November 2013 nicht. Mehrere Versuche des Jugendamts des Beigeladenen, beim bereits mit Schreiben vom 7. Mai 2009 (Blatt 248 der Verwaltungsakte des Beigeladenen) von der Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII unterrichteten Familiengericht eine entsprechende Beschlussfassung zu erreichen, scheiterten. Insoweit sei nur auf die Schreiben des Jugendamts des Beigeladenen an das Amtsgericht ... – Familiengericht – vom 7. April 2010, 25. Januar 2011, 8. Juni 2011 und vom 9. April 2013 (Blatt 1149, 1520-1522, 1864 f. und 2226-2228 der Verwaltungsakte des Beigeladenen) und insbesondere das abschlägige Antwortschreiben des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 9. April 2010 (Blatt 1129 der Verwaltungsakte des Beigeladenen) verwiesen. Ein entsprechender Antrag des Jugendamts des Beigeladenen auf (vorläufige) Sorgerechtsübertragung war gegenüber dem Amtsgericht ... – Familiengericht – erstmals bereits unter dem Datum des 20. August 2007 (Blatt 342 der Verwaltungsakte des Beigeladenen) gestellt worden.

Erst eine Übertragung des Rechts der „Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen“ hätte es dem Jugendamt des Beigeladenen oder einem Dritten als Ergänzungspfleger jedoch ermöglicht, den für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII erforderlichen Antrag zu stellen bzw. das insoweit erforderlich Einverständnis des Sorgeberechtigten zu erklären. Die Eltern von ... und ... hatten vorliegend – soweit ersichtlich – eine entsprechende Antragstellung wie auch eine Zustimmung zu jugendhilferechtlichen Maßnahmen durchgängig verweigert. Antragsbefugt war insoweit auch nicht der Antragsteller, denn dieser war vom 26. Januar 2012 bis 16. Dezember 2014 lediglich als Ergänzungspfleger für das Aufenthaltsbestimmungsrecht bestellt. Ohne einen jugendhilferechtlichen Antrag, der auch formlos als Einverständnis des Personensorgeberechtigten mit der Hilfeleistung vorliegen kann, wäre jedoch die Hilfegewährung nach den §§ 27, 34 SGB VIII rechtswidrig gewesen (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2008 – 5 B 130/07 – juris; U.v. 11.8.2005 – 5 C 18/04BVerwGE 124, 83 – juris; U.v. 28.9.2000 – 5 C 29/99BVerwGE 112, 98 – juris; BayVGH, B.v. 6.4.2009 – 12 C 08.2559 – juris; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 27.5.2011 – 12 CE 11.893 – juris Rn. 31 f.).

Vor diesem Hintergrund hat rechtlich wohl die Inobhutnahme i.S.v. § 42 SGB VIII vom 5. Mai 2009 jedenfalls bis zum 18. November 2013 fortbestanden, während in der Sache faktisch ab 4. September 2010 ausweislich der Protokolle des Jugendamts des Beigeladenen zu den Hilfeplanfortschreibungen hinsichtlich ... und ... vom 2. November 2010, 12. Mai 2011, 30. November 2011, 6. Juni 2012 und 22. Februar 2013 (Blatt 1435-1438, 1790-1795, 2279-2283, 2406-2411 und 2487-2492 der Verwaltungsakte des Beigeladenen) Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung nach den §§ 27, 34 SGB VIII geleistet wurde. Wie aus einer internen E-Mail des Beigeladenen vom 11. November 2010 (Blatt 25 der Verwaltungsakten des Beigeladenen – Bereich Wirtschaftliche Jugendhilfe) und den bereits genannten Schreiben an das Amtsgericht ... – Familiengericht – hervorgeht, war dem Jugendamt des Beigeladenen jedoch stets bewusst, dass rechtlich mangels Antrags der Sorgeberechtigten bzw. einer entsprechenden Ersetzung durch das Familiengericht weiterhin lediglich eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII möglich und gegeben war.

Die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII dürfte schließlich faktisch mit der rechtswidrigen Verbringung der Kinder nach Österreich am 18. November 2013 geendet haben, da sich die Kinder ab diesem Zeitpunkt rein tatsächlich und nicht nur vorübergehend nicht mehr in der Obhut des Jugendamts des Beigeladenen befanden. Rechtlich ist wohl davon auszugehen, dass das Jugendamt des Beigeladenen die Inobhutnahme – bei der es sich um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Satz 1 SGB X handelt (BVerwG, U.v. 11.7.2013 – 5 C 24/12BVerwGE 147, 170 – juris Rn. 11 f.) – spätestens konkludent mit Ablehnung der örtlichen Zuständigkeit in der an den Antragsteller gerichteten E-Mail vom 24. September 2014 (Blatt 2602 der Verwaltungsakte des Beigeladenen) noch vor Rückführung der Kinder nach Deutschland am 2. Oktober 2014 aufgehoben bzw. beendet hat (vgl. zum Ganzen auch Mann in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl. 2007, § 42 Rn. 31; Trenczek in: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 42 Rn. 52; Wiesner in: Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 42 Rn. 54).

(2) In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass für die Rechtsnatur einer Inobhutnahme i.S.v. § 42 SGB VIII irrelevant ist, ob die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, etwa wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit nach § 87 SGB VIII oder aber einer Überschreitung der rechtlich zulässigen Dauer. Da eine Inobhutnahme inhaltlich nicht nur eine reine Verwahrung, sondern – wie hier – auch gezielt und geplant die Gewährung von Hilfe zur Erziehung beinhalten kann, kommt auch das Vorliegen einer unschädlichen unzutreffenden Begriffswahl – mithin ein Fall von "falsa demonstratio non nocet" – nicht in Betracht. Die Qualifizierung der Maßnahme als Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII traf jedenfalls zum Zeitpunkt des Maßnahmebeginns auch in der Sache zu. Zwischen den Beteiligten dürfte unstreitig sein, dass am 5. Mai 2009 der objektiv-rechtliche Tatbestand einer Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII gegeben war, da eine dringende Gefahr für das Wohl der Kinder bestand (vgl. zum Ganzen: OVG NW, U.v. 26.9.2014 – 12 A 2524/13 – juris Rn. 89-95).

Ein grundsätzlich bei faktisch geleisteter Hilfe zur Erziehung denkbarer auch rechtlicher Übergang von einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII zu einer Leistung nach den §§ 27, 34 SGB VIII (vgl. hierzu allg. VG Augsburg, U.v. 14.10.2008 – Au 3 K 07.1374 – juris Rn. 34; OVG NW, B.v. 9.6.2012 – 12 B 726/12 – juris) war vorliegend jedoch – wie ausgeführt – mangels Zustimmung der Personensorgeberechtigten bzw. entsprechender familiengerichtlicher Entscheidung nicht möglich.

Der guten Ordnung halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass seitens des Gerichts ganz erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorliegend vom 5. Mai 2009 jedenfalls bis zum 18. November 2013 – und damit wenigstens über viereinhalb Jahre – fortgesetzten Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII bestehen.

Die Inobhutnahme ist – wie sich aus der Überschrift des ersten Abschnitts des dritten Kapitels des Achten Buchs Sozialgesetzbuch („vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen“) sowie aus § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII („... vorläufig unterzubringen ...“) ergibt – eine vorläufige Schutzmaßnahme im Sinne einer Krisenintervention, die darauf gerichtet ist, die Krisensituation zu beseitigen bzw. ihr mit geeigneten Hilfeangeboten zu begegnen. Sie ist jedoch nicht bereits selbst die vom Gesetz intendierte dauerhafte Lösung erzieherischer Probleme (vgl. BVerwG, U.v. 8.7.2004 – 5 C 63.03 – juris Rn. 14; B.v. 29.11.2006 – 5 B 107.06 – juris; B.v. 8.2.2007 – 5 B 100.06 – juris; VGH BW, U.v. 19.8.2003 – 9 S 2398/02 – juris). Die Vorläufigkeit der Maßnahme zeigt sich schon daran, dass das Jugendamt nach § 42 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII während der Inobhutnahme das Recht der Beaufsichtigung, Erziehung und Aufenthaltsbestimmung ausübt. Der damit verbundene Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes – GG und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK) ist so gering wie möglich zu halten. Widersprechen die Personensorgeberechtigten – wie hier – der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII unverzüglich (Nr. 1) das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder (Nr. 2) eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen. Aufgabe des Familiengerichts ist es im Falle von § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII nicht, die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme zu überprüfen oder lediglich ihre Fortdauer anzuordnen. Das Familiengericht hat vielmehr die notwendigen sorgerechtlichen Maßnahmen im Anschluss an die Eilmaßnahme der Inobhutnahme zu treffen. Kann es keine solche endgültige Entscheidung zu einem Eingriff in das Sorgerecht der Eltern zur Durchsetzung einer Anschlusshilfe treffen und hält es dennoch bis zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen Verbleib des Kindes- und Jugendlichen in fremder Obhut für erforderlich, hat es den Eltern zur Ermöglichung einer Anschlusshilfe vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und regelmäßig das Recht zur Beantragung von Leistungen zur Hilfen zur Erziehung oder der Eingliederungshilfe nach §§ 27 ff. bzw. § 35a SGB VIII zu entziehen. Wann das Amtsgericht – Familiengericht – über Maßnahmen nach § 1666 BGB (etwa die Entziehung des elterlichen Sorgerechts bei Gefährdung des Kindeswohls) entscheidet, steht nicht zur Dispositionsbefugnis des Jugendamts (BayVGH, B.v. 8.8.2011 – 12 ZB 10.974 – juris Rn. 20; Wiesner in: Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 42 Rn. 48). Auch gibt es keine feste zeitliche Grenze, bis zu der eine Inobhutnahme in eine Folgemaßnahme übergehen oder das Kind wieder allein dem Sorgeberechtigten überlassen werden muss. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit dürfte jedoch ein Jugendhilfeträger grundsätzlich nach Ablauf von ca. 3 Monaten seit Inobhutnahme verpflichtet sein, nunmehr eine alsbaldige vorläufige Entscheidung des Familiengerichts nach § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII durch förmliche Beantragung zu erzwingen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 8.7.2004, – 5 C 63.03 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 27.5.2011 – 12 CE 11.893 – juris Rn. 37; B.v. 25.2.2010 – 12 CE 09.2994 – juris Rn. 25; OVG NW, B.v. 11.9.2012 – 12 B 1020/12 – juris Rn. 18; B.v. 24.5.2011 – 12 A 2844/10 – juris Rn. 4 ff.; VG Freiburg, U.v. 24.4.2012 – 3 K 2715/10 – juris Rn. 20; VG Augsburg, U.v. 18.12.2006 – Au 3 K 05.2018 – juris Rn. 21).

Unabhängig von einer Beurteilung etwaiger Verschuldensbeiträge ist vorliegend objektiv festzustellen, dass es im Zusammenspiel zwischen Jugendamt des Beigeladenen und dem Amtsgericht ... – Familiengericht – während des viereinhalbjährigen Zeitraums der Inobhutnahme nicht gelungen ist, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, das ausweislich des Gesetzes nur vorübergehend angelegte Stadium der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII zu überwinden und eine Umwandlung in reguläre Leistungen der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII zu erreichen. Eine vorläufige, ggf. teilweise Entziehung des Sorgerechts bzw. jedenfalls des Antragsrechts hinsichtlich Jugendhilfeleistungen erfolgte familiengerichtlich nicht, während dort zugleich jedoch der weitere Verbleib der Kinder in der Obhut des Jugendamts nicht in Frage gestellt wurde. Eine über viereinhalb Jahre andauernde Inobhutnahme ist jedoch gerade mit Blick auf das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, 8 EMRK geschützte elterliche Erziehungsrecht von § 42 SGB VIII, der ausdrücklich nur vorläufige Maßnahmen umfasst, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr gedeckt. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung bereits eine eineinhalb Jahre andauernde Inobhutnahme ohne weiteres als rechtswidrig angesehen (VG Münster, U.v. 2.11.2010 – 6 K 291/09JAmt 2011, 479 – juris Rn. 22; vgl. Trenczek in: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 42 Rn. 47).

(3) Im Ergebnis dürfte somit die vom 5. Mai 2009 jedenfalls bis 18. November 2013 fortdauernde Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII durch das Jugendamt des Beigeladenen von vornherein keine Leistung i.S.v. § 86 Abs. 4 SGB VIII darstellen, an die zuständigkeitsrechtlich angeknüpft werden könnte (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2010 – 5 C 12.09BVerwGE 136, 185 – juris Rn. 21-23).

Hierbei kommt es – wie ausgeführt – nicht darauf an, ob die über viereinhalb Jahre fortdauernde Inobhutnahme rechtswidrig war und ausweislich der Hilfeplanfortschreibungen durch den Beigeladenen jedenfalls ab 4. September 2010 (Unterbringung der Kinder im heilpädagogischen Kinderheim in ..., Landkreis ...) faktisch Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung i.S.d. §§ 27, 34 SGB VIII geleistet wurde.

(4) Unabhängig davon gilt, dass die Hilfegewährung durch den Beigeladenen ab dem 5. Mai 2009 wohl auch dann nicht die maßgebliche Leistung i.S.v. § 86 Abs. 4 SGB VIII darstellte, soweit man davon ausginge, dass durch den Beigeladenen jedenfalls ab dem 4. September 2010 – der Unterbringung der Kinder im heilpädagogischen Kinderheim im ... – nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII geleistet worden ist. Grund hierfür ist, dass durch den zehneinhalbmonatigen Aufenthalt der Kinder in Österreich vom 18. November 2013 bis 2. Oktober 2014 jedenfalls eine zuständigkeitsrelevante Leistungsunterbrechung stattgefunden haben dürfte.

Wie bereits ausgeführt sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur BVerwG, U.v. 29.1.2004 – 5 C 9.03BVerwGE 120, 116 – juris; U.v. 25.3.2010 – 5 C 12.09BVerwGE 136, 185 – juris) als "Leistung", an deren Beginn auch § 86 Abs. 4 SGB VIII für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit anknüpft, unabhängig von der Hilfeart und Hilfeform alle im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahmen und Hilfen zu verstehen, sofern sie ohne relevante Unterbrechung gewährt worden sind, und zwar auch dann, wenn sich bei einem auf einem längeren Zeitraum angelegten Hilfeprozess die Schwerpunkte innerhalb des Hilfebedarfs verschieben und für die Ausgestaltung der Hilfe Modifikationen, Änderungen oder Ergänzungen bis hin zu einem Wechsel der Hilfeart erforderlich werden. Es kommt bei einem kontinuierlich Hilfe erfordernden unverändertem Bedarf auch nicht darauf an, ob eine neue für erforderlich erachtete Jugendhilfeleistung ganz oder teilweise einer anderen Ziffer des § 2 Abs. 2 SGB VIII unterfällt oder innerhalb des Achten Buchs Sozialgesetzbuch nach einer anderen Rechtsgrundlage zu gewähren ist als die bisherige Leistung, sondern allein darauf, ob sich die Hilfegewährung ungeachtet aller Modifikationen, Ergänzungen und Änderungen noch als Fortsetzung der ursprünglichen (Gesamt-)Maßnahme darstellt oder vielmehr der Deckung eines andersartigen, neu entstandenen Bedarfs dient. Maßgeblich ist insoweit eine Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls, wobei es darauf ankommt, ob hiernach mit einer alsbaldigen Wiederaufnahme der Leistung zu rechnen oder ein zukünftiger Hilfebedarf zumindest noch unklar war. Die bloße Einstellung der Hilfe genügt insoweit für sich genommen nicht, sofern sie nicht durch tragfähige Gesichtspunkte im Hinblick auf eine nicht absehbare zukünftige Hilfegewährung gestützt ist, d.h. eine konkretisierte Wiederaufnahmeperspektive nicht besteht (vgl. zum Ganzen: OVG NW, B.v. 26.9.2014 – 12 A 2524/13 – juris Rn. 97 f.; SächsOVG, U.v. 18.1.2010 – 1 A 753/08 – juris Rn. 23; VGH BW, U.v. 15.9.1997 – 9 S 174/96 – juris Rn. 18-20; VG Augsburg, B.v. 13.4.2012 – Au 3 E 12.434 – juris Rn. 44 f.; VG München, U.v. 25.7.2012 – M 18 K 11.2543 – juris Rn. 44; VG Ansbach – U.v. 14.6.2012 – AN 14 K 10.668 – juris Rn. 43 f.).

Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze dürfte vorliegend im Zuge einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalls davon auszugehen sein, dass durch den etwa zehneinhalbmonatigen Aufenthalt der Kinder in Österreich eine zuständigkeitsrelevante Leistungsunterbrechung eingetreten ist.

Gegen eine zuständigkeitsrelevante Unterbrechung spricht zwar, dass grundsätzlich im Nachgang der widerrechtlichen Verbringung der Kinder nach Österreich am 18. November 2013 eine Rückführung der Kinder nach Deutschland und damit eine Wiederaufnahme der auch bisher inhaltsgleich gewährten stationären Jugendhilfeleistungen durch den Beigeladenen konkret im Raum stand. So wurde ab November 2013 unverzüglich durch den Antragsteller in Abstimmung mit dem Beigeladenen die Rückführung über das Bundesamt für Justiz betrieben und schließlich mit Beschluss des Bezirksgerichts ... vom 27. Januar 2014 – bestätigt durch Beschluss des Landesgerichts ... vom 6. März 2014 – auch rechtlich dem Grunde nach erreicht. Allerdings befanden sich die Kinder somit jedenfalls seit März 2014 mit Zustimmung des Antragstellers als damaligem Ergänzungspfleger für das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei der Mutter in Österreich; der Vollzug des gerichtlichen Rückführungsbeschlusses vom 27. Januar 2014 wurde einvernehmlich ausgesetzt. Ausweislich des Protokolls zur Verhandlung beim Oberlandesgericht ... vom 9. Mai 2014 äußerte der Antragsteller damals, „die aktuelle Situation belassen und momentan von einer Rückführung nach Deutschland“ abzusehen, soweit „eine Trennung der Kinder zum Vater gewährleistet ist“ (Blatt 135 der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band III zu ...). Auch wenn es sich somit um einen bloßen Aufenthalt „bis auf weiteres“ bei grundsätzlich fortbestehendem gerichtlichen Rückführungsbeschluss handelte, war ab März 2014 der Aufenthalt der Kinder in Österreich nicht mehr von vornherein vorübergehend und auf Rückkehr nach Deutschland angelegt, sondern für den Fall einer fortgesetzten Trennung der Kinder vom Vater durchaus zukunftsoffen möglich (vgl. zur fehlenden Leistungsunterbrechung bei nur vorübergehendem Auslandsaufenthalt: VG München, B.v. 20.7.2004 – M 18 E 04.3224 – juris Rn. 24 f.). Zudem spricht für eine zuständigkeitsrelevante Leistungsunterbrechung, dass jedenfalls ab April 2014 die österreichischen Jugendhilfebehörden die Fallbetreuung für ... und ... übernommen hatten und bis zur Rückführung am 2. Oktober 2014 offenbar von dort auch konkrete Leistungen erbracht worden sind (vgl. „Hilfeplanung und -vereinbarung“ der Bezirkshauptmannschaft ... vom 14.4.2014: u.a. Kostenübernahme i.H.v. EUR 400,-- monatlich; Blatt 123-125 der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band III zu ...).

Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung des Einzelfalls dürfte vorliegend jedoch maßgeblich für eine Leistungsunterbrechung der Aspekt der Dauer des Aufenthalts der Kinder in Österreich (etwa zehneinhalb Monate) streiten. Im Lichte dieser ganz erheblichen Zeitspanne kann wohl nicht mehr von einer einheitlichen und andauernden Jugendhilfemaßnahme des Beigeladenen ausgegangen werden. Grundsätzlich dürfte unter Zugrundelegung anderer Vorschriften des Achten Buchs Sozialgesetzbuch, in denen zuständigkeitsverändernde Unterbrechungen der Leistungsgewährung geregelt werden (§§ 86 Abs. 7 Satz 4, 86a Abs. 4 Satz 2, 86b Abs. 3 Satz 2 und 95 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VIII), gelten, dass als zeitliche Grenze für eine unbeachtliche Dauer der Unterbrechung regelmäßig – vorbehaltlich jedoch der stets gebotenen Gesamtwürdigung des jeweiligen Einzelfalls – ein Zeitraum von zwischen zwei und drei Monaten vor der Wiederaufnahme angesehen werden kann. Hiervon ausgehend gilt, dass bei dem vorliegend mehr als zehneinhalb Monate andauerndem Auslandsaufenthalt der Kinder vieles dafür spricht, dass von einer einheitlichen Maßnahme des Beigeladenen nicht mehr die Rede sein kann (vgl. zum Ganzen: VG Ansbach, U.v. 23.9.2004 – AN 14 K 03.2411 – juris Rn. 29 – Bejahung einer zuständigkeitsrelevanten Unterbrechung bei Zeitspanne von fünf Monaten; G.v. 14.12.2000 – AN 14 K 99.1775 – juris Rn. 32; OVG RhPf, U.v. 13.2.2014 – 7 A 11043/13 – juris Rn. 25 f.; VGH BW, U.v. 15.9.1997 – 9 S 174/96 – juris Rn. 20; offen gelassen in: OVG NW, B.v. 26.9.2014 – 12 A 2524/13 – juris Rn. 109-112).

(5) Nach alledem spricht auch vieles dafür, dass der Beigeladene ebenfalls nicht nach § 86d SGB VIII zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet ist. Denn der Begriff „Beginn der Leistung“ in dieser Vorschrift ist mit dem in § 86 Abs. 4 SGB VIII verwendeten gleichen Terminus identisch (vgl. zum Ganzen: VG Augsburg, B.v. 13.4.2012 – Au 3 E 12.434 – juris Rn. 51).

cc) Als Beginn der Leistung i.S.v. § 86 Abs. 4 SGB VIII dürfte vorliegend auch nicht die – nicht im Vorfeld mit dem Antragsgegner abgestimmte – Unterbringung der Kinder durch den Antragsteller in der Einrichtung in ... (Landkreis ...) im Zuge der Rückführung nach Deutschland am 2. Oktober 2014 anzusehen sein.

Zwar wird vertreten, dass im Falle der Selbstbeschaffung i.S.v. § 36a Abs. 3 SGB VIII für den Beginn der Leistung – abweichend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit des tatsächlichen Hilfebeginns nach § 2 Abs. 2 SGB VIII – auf den Zeitpunkt der Selbstbeschaffung abzustellen ist (Eschelbach/Schindler in: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 86 Rn. 11; Kunkel in: Kunkel, LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 86 Rn. 10).

Vorliegend war jedoch am 2. Oktober 2014 wohl keine Selbstbeschaffung i.S.v. § 36 Abs. 3 SGB VIII gegeben. Die Vorschrift geht ausweislich ihres ausdrücklichen Wortlauts von einer Selbstbeschaffung von Hilfen „durch den Leistungsberechtigten“ aus. Leistungs- und antragsberechtigt hinsichtlich Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 1 SGB VIII – und damit unter den Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 zur Selbstbeschaffung berechtigt – ist jedoch nur der Personensorgeberechtigte (vgl. Fischer in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl. 2007, § 36a Rn. 20). Hier war jedoch der Antragsteller zum Zeitpunkt der Unterbringung der Kinder in ... am 2. Oktober 2014 lediglich Ergänzungspfleger für das Aufenthaltsbestimmungsrecht, d.h. ihm kam gerade nicht das Antragsrecht hinsichtlich Leistungen nach den §§ 27, 34 SGB VIII zu (vgl. hierzu obige Ausführungen unter Ziffer II.2.b.bb). Zum Amtsvormund der Kinder wurde der Antragsteller erst mit Beschluss des Familiengerichts vom 16. Dezember 2014 bestellt, eine förmliche jugendhilferechtliche Antragstellung durch den Antragsteller ging sodann dem Antragsgegner am 29. Dezember 2014 zu.

Letztlich kann für den Zeitpunkt des 2. Oktober 2014 im Fall des Antragsgegners somit nichts anderes gelten als für den Beigeladenen in den vorangehenden Zeiträumen. Auch am 2. Oktober 2014 wäre mangels Antragsbefugnis des Antragstellers für Jugendhilfeleistungen nach den §§ 27, 34 SGB VIII allenfalls eine Inobhutnahme der Kinder nach § 42 SGB VIII durch den Antragsgegner in Betracht gekommen. Eine solche stellt jedoch – wie eingehend ausgeführt – von vornherein keine Leistung i.S.v. § 86 Abs. 4 SGB VIII dar, an die zuständigkeitsrechtlich angeknüpft werden könnte.

dd) Allerdings dürfte ein Beginn der Leistung i.S.v. § 86 Abs. 4 SGB VIII vorliegend ab 15. Oktober 2014 anzunehmen sein (vgl. zum Nachfolgenden: Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V., Stellungnahme 5.11.2014 – Blatt 40-43 der Verwaltungsakte des Antragsgegners).

Mit Beschluss des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 15. Oktober 2014 (Az. 1 F 416/14 – Blatt 83-85 der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band IV zu ...) wurde die Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern „zur laufenden Jugendhilfemaßnahme nach den §§ 27 ff. SGB VIII (Heimunterbringung)“ für ... und ... vorläufig familiengerichtlich ersetzt.

Damit lagen ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich die Voraussetzungen einer Gewährung von Jugendhilfe vor. Das unter Beifügung des familiengerichtlichen Beschlusses an das Jugendamt des Antragsgegners gerichtete Schreiben des Antragstellers vom 16. Oktober 2014 war daher im Kern als wirksamer Antrag auf Gewährung von (bereits in der Einrichtung in ... selbstbeschafften) Jugendhilfeleistungen nach den §§ 27, 34 SGB VIII zu sehen.

Hiervon ausgehend dürfte sodann zuständigkeitsrechtlich auf § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII abzustellen sein, da ... und ... während der letzten sechs Monate vor Beginn der Leistung am 15. Oktober 2014 keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten.

Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Ob und wo danach eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist für jede Person einzeln zu bestimmen. Dies gilt auch für Kinder und Jugendliche, die einen von ihren Eltern oder einem Elternteil abweichenden gewöhnlichen Aufenthalt haben können. Zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich. Es genügt, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts setzt nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zudem voraus, dass der Betreffende an dem Ort, an dem er einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen will, zumindest kurzfristig auch tatsächlich Aufenthalt genommen hat. Der tatsächliche Aufenthalt ist zwar nicht hinreichende, aber notwendige Bedingung für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts. Dies gilt auch für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts bei minderjährigen Kindern, der rechtlich selbstständig und gegebenenfalls unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen ist. Der physische Aufenthalt am Ort des (zu begründenden) gewöhnlichen Aufenthalts kann nicht durch den bloßen Willen der Eltern bzw. des personensorgeberechtigten Elternteils, an diesem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt für das Kind zu begründen, oder entsprechende objektive Vorbereitungshandlungen (etwa Anmietung und Einrichtung einer Wohnung; melderechtliche Anmeldung) ersetzt werden. Durch die Eltern bzw. den maßgeblichen Elternteil kann allenfalls der Wille ersetzt werden, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, den selbstständig zu bilden zumindest ein Kleinkind auch tatsächlich nicht in der Lage ist. Die tatsächliche Aufenthaltsnahme ist daher unabhängig von allen weiteren Indizien und dem Willen, an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, der frühest denkbare Zeitpunkt der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 5 C 46.01; U.v. 7.7.2005 – 5 C 9.04; so zum Ganzen: BVerwG, U.v. 14.11.2013 – 5 C 25/12 – juris Rn. 39).

Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze ist im hier gegebenen Fall zu bedenken, dass sich ... und ... vom 18. November 2013 bis 2. Oktober 2014 in Österreich befunden haben. Ferner gilt, dass sich die Kinder jedenfalls seit dem 6. März 2014 (Datum der abschließenden Bestätigung des Rückführungsbeschlusses des Bezirksgerichts ... vom 27. Januar 2014 durch das Landesgericht ...) bis 2. Oktober 2014 mit dem freien Einverständnis des Antragstellers als Ergänzungspfleger für das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei der Mutter im Ausland aufgehalten haben. Es sollte der Mutter Gelegenheit gegeben werden, ihre Erziehungsfähigkeit zu beweisen. Mit Blick auf diese etwa siebenmonatige Zeitspanne eines einvernehmlichen, grundsätzlich – vorbehaltlich negativer Berichte der österreichischen Jugendhilfebehörden – zukunftsoffenen Aufenthalts geht das Gericht davon aus, dass die Kinder in Österreich einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I begründet hatten, da zu erwarten war, dass sie an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilen würden. Die Zeitspanne von 2. Oktober bis 14. Oktober 2014 in ... hingegen erscheint von vornherein zu kurz und gerade mit Blick auf die zum damaligen Zeitpunkt ungeklärte weitere sorgerechtliche Situation nicht geeignet, um dort bereits die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder im Inland anzunehmen.

Im Ergebnis hatte ... somit zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns der (selbstbeschafften) Leistung am 15. Oktober 2014 – wie auch bis heute – ihren tatsächlichen Aufenthalt i.S.v. § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII in der Einrichtung in ... (Landkreis ...), so dass sich insoweit eine örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners ergeben dürfte (so im Kern auch: Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V., Stellungnahme 5.11.2014 – Blatt 40-43 der Verwaltungsakte des Antragsgegners).

... hingegen hatte seinen tatsächlichen Aufenthalt bereits seit dem 7. Oktober 2014 im ..., wo er auch bis zu seinem Umzug in die Pflegefamilie in ... (...) am 7. Januar 2015 verblieb. Eine örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners für ... aus § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII besteht daher wohl nicht.

ee) Einer örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners dürfte auch die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Europäische Eheverordnung – EuEheVO – bzw. Brüssel-IIa-Verordnung) nicht entgegenstehen.

Erwägt das nach den Art. 8 bis 15 EuEheVO zuständige Gericht die Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder in einer Pflegefamilie und soll das Kind in einem anderen Mitgliedstaat untergebracht werden, so zieht das Gericht gemäß Art. 56 Abs. 1 EuEheVO vorher die Zentrale Behörde oder eine andere zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats zurate, sofern in diesem Mitgliedstaat für die innerstaatlichen Fälle der Unterbringung von Kindern die Einschaltung einer Behörde vorgesehen ist. Die Entscheidung über die Unterbringung nach Art. 56 Abs. 1 EuEheVO kann nach Art. 56 Abs. 2 EuEheVO im ersuchenden Mitgliedstaat nur getroffen werden, wenn die zuständige Behörde des ersuchten Staates dieser Unterbringung zugestimmt hat. Zuständig für die Erteilung der Zustimmung zu einer Unterbringung eines Kindes nach Art. 56 EuEheVO im Inland ist gemäß § 45 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz – IntFamRVG) der überörtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Bereich das Kind nach dem Vorschlag der ersuchenden Stelle untergebracht werden soll, andernfalls der überörtliche Träger, zu dessen Bereich die Zentrale Behörde den engsten Bezug festgestellt hat. Die Aufgaben des überörtlichen Trägers werden im Freistaat Bayern grundsätzlich durch das Landesjugendamt wahrgenommen (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze – AGSG). Dem Ersuchen nach Art. 56 Abs. 1 EuEheVO soll in der Regel zugestimmt werden, wenn insbesondere die Übernahme der Kosten geregelt ist, § 46 Abs. 1 Nr. 6 IntFamRVG.

Das vom Antragsgegner in Bezug genommene Konsultationsverfahren aus Art. 56 EuEheVO dürfte vorliegend bereits keine Anwendung finden. Denn im hier gegebenen Fall haben weder das österreichische Bezirksgericht ... in seinem Beschluss vom 27. Januar 2014 (Blatt 247-252 der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band II zu ...) noch das Landesgericht ... in seinem Beschluss vom 14. März 2014 (Blatt 45-52 der Verwaltungsakte des Antragstellers, Band III zu ...) die Unterbringung der Kinder in einem Heim oder in einer Pflegefamilie in Deutschland verfügt, sondern schlicht die Rückführung der Kinder nach Deutschland als den Aufenthaltsort angeordnet, der nach Maßgabe des Antragstellers als damaligem Ergänzungspfleger für das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein rechtmäßig war. Eine im Kern jugendhilferechtliche Zielrichtung hatten die betreffenden Gerichtsbeschlüsse ausweislich des Tenors und der Gründe nicht.

Unabhängig davon spricht vieles dafür, dass selbst ein Verstoß gegen Bestimmungen zum Verfahren aus Art. 56 EuEheVO – insbesondere ein Fehlen der nach Art. 56 Abs. 2 EuEheVO i.V.m. § 45 IntFamRVG erforderlichen Zustimmung des Landesjugendamts – nicht einer örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII entgegengehalten werden kann. Grund hierfür ist, dass die betreffende Verordnung ausweislich Art. 1 Abs. 1 und 2 EuEheVO nur für familienrechtliche Zivilsachen (u.a. auch die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie oder einem Heim, Art. 1 Abs. 2 lit. d EuEheVO) gelten dürfte, nicht jedoch im verwaltungsrechtlichen Verhältnis zwischen den Eltern bzw. dem Amtsvormund und dem angegangenen Jugendhilfeträger. Fehler im Verfahren aus Art. 56 Abs. 1 und 2 EuEheVO dürften daher allenfalls die Rechtmäßigkeit des zivil- bzw. familiengerichtlichen Unterbringungsbeschlusses in Frage stellen, nicht jedoch die verwaltungsrechtlichen Zuständigkeitsregelungen der §§ 86 ff. SGB VIII berühren.

ff) Wie eingangs bereits ausgeführt wird die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Leistungen der Hilfe zur Erziehung für ... nach §§ 27, 34 SGB VIII vorliegend seitens des Antragsgegners nicht in Frage gestellt. Die Beteiligten streiten sich allein um die örtliche Zuständigkeit.

Auch aus Sicht des Gerichts spricht vieles dafür, dass die Voraussetzungen einer zulässigen Selbstbeschaffung der erforderlichen Hilfe zur Erziehung für ... aus § 36a Abs. 3 SGB VIII ab dem Zeitpunkt des Beschlusses des Amtsgerichts ... – Familiengericht – vom 15. Oktober 2014 (Az. ...) gegeben waren. Insbesondere dürfte die Deckung des Bedarfs keinen Aufschub geduldet haben (§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII).

c) Nach alledem war dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich ... ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts stattzugegeben. Hinsichtlich ... jedoch war der Antrag abzulehnen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Beigeladene, der keinen förmlichen Antrag gestellt hat, trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO). Die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO entfällt vorliegend nicht. Grund hierfür ist, dass der Antragsteller als Amtsvormund für die von ihm betreuten Kinder eine einstweilige Jugendhilfegewährung begehrt, nicht jedoch in der Sache die vorläufige Durchsetzung eines vorweggenommenen Kostenerstattungsanspruchs (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2011 – 12 CE 11.893 – juris Rn. 38; B.v. 25.2.2010 – 12 CE 09.2994 – juris Rn. 26).