SG Marburg, Urteil vom 20.06.2012 - S 12 KA 168/12
Fundstelle
openJur 2015, 9750
  • Rkr:
Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.2.Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.3.Die Berufung wird nicht zugelassen

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung der KB-Abrechnung 04/2008 und Folgeplan 07/2008 für die Behandlung des bei der TK versicherten Patienten P1 (geb. 1984) und hierbei noch um Absetzungen im Wert von insgesamt 394,12 €, im Einzelnen um die Absetzung aller Nachbehandlungsleistungen nach Nr. 2702 GoÄ-82 (achtmal) und 38 BEMA (16 mal) am 27., 29., 31.03. und 04.04.2008.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis mit drei zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Zahnärzten. Herr A1 ist Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Zahnarzt. Die übrigen Mitglieder der Gemeinschaftspraxis sind Zahnärzte.

Die Beklagte bat die Klägerin bzgl. der KB-Abrechnung 04/2008 im Fall P1 um Übersendung des OP-Berichts, der Röntgen-Aufnahmen und um Stellungnahme im Hinblick auf die verschiedenen Anästhesieleistungen sowie die Notwendigkeit der Vielzahl von Nachbehandlungen (Nr. 38 BEMA) im Zusammenhang mit der Abrechnung der Nummer 2702 GOÄ-82 (Behandlungstage 27.03.; 29.03.; 31.03. und 04.04.2008). Die Beklagte erinnerte die Klägerin unter Datum vom 18.11.2008 hieran.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 28.04.2009 die Absetzung verschiedener Anästhesieleistungen sowie der hier strittigen Nachbehandlungsleistungen vor. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe leider auf ihre Anfrage nicht geantwortet und die Unterlagen nicht übersandt. Sie habe daher nach Aktenlage entscheiden müssen. Sie habe daher alle Wiederholungen der Nr. 40 BEMA (insgesamt viermal) im Frontzahnbereich am Behandlungstag 26.03.2006 und alle Wiederholungen der Nr. 40 (insgesamt achtmal) und 41a BEMA (zweimal) am Behandlungstag 07.04.2008 sowie alle Nachbehandlungsleistungen (Nr. 2702 GoÄ-82 und 38 BEMA) am 27.03., 29.03., 31.03. und 04.04.2008 abgesetzt, da die Notwendigkeit der Indikation nicht nachgewiesen worden sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 11.05.2009 Widerspruch ein. Sie führte u. a. aus, die Nachbehandlungsleistungen stellten Korrekturen an den Schienen dar, d. h. Abdeckung von Drähten mit Kunststoffabdeckung und Adaption von Retentionshäkchen und anderes, Leistungen also, die den Leistungsinhalt der Nr. 2702 erfüllten.

Die Beklagte nahm mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2010, der Klägerin am 10.06.2010 mit Postzustellungsurkunde zugestellt, die Absetzung der Anästhesieleistungen zurück und wies im Übrigen den Widerspruch als unbegründet zurück. Hinsichtlich der verbliebenen Absetzungen führte sie aus, der Hinweis der Klägerin, Korrekturen seien an den Schienen durchgeführt worden, reiche für die Annahme, dass die getätigten Maßnahmen in jedem Einzelfall den Gebührentatbestand der Nr. 2702 GOÄ-82 erfüllen würde, nicht aus. Bei bestehenden und vorgetragenen Zweifeln an der eingereichten Abrechnung obliege es dem Vertragszahnarzt, diese Zweifel durch dezidierten und beweisbaren Vortrag auszuräumen. Auch zur Abrechnung der Leistungen nach Nr. 38 BEMA habe sie keine ergänzenden Angaben erhalten. Ihre Anfrage sei unbeantwortet geblieben.

Hiergegen hat die Klägerin am 05.07.2010 die Klage erhoben. Sie trägt vor, die Nr. 2702 GOÄ-82 sei für die Wiederanbringung einer gelösten Apparatur oder kleine Änderungen, teilweise Erneuerung von Schienen oder Spitzapparaten – auch Entfernung von Schienenunterstützapparaten – je Kiefer abrechenbar. Die Behandlung sei im Hinblick auf beidseits ausgerenkte Kiefergelenke erfolgt. Sie nehme Bezug auf den in Kopie anliegenden Auszug aus der Karteikarte, aus der sich die verschiedenen dokumentierten Behandlungen je Behandlungsdatum mit „Aufbau/Einschleifen/Erneuerung des Splints/IMF“ je Kiefer ergeben. Nachbehandlungen nach Nr. 38 BEMA seien berechnungsfähig, wenn sie in besonderen Sitzungen, jedoch nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer Extraktion oder Operation erforderlich seien. Die Leistung sei je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich je Sitzung abrechnungsfähig. Sie nehme Bezug auf den in Kopie anliegenden Auszug aus der Karteikarte mit den Angaben wie Wundreinigung H2O2, Spülung mit Kochsalzlösung und Salbe auftragen zu den einzelnen Behandlungsdaten je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 28.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ferner trägt sie vor, soweit die Klägerin nun weitere Unterlagen zur Begründung und Substantiierung der Abrechnung einbringe, so könne dies im Gerichtsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Die vollständige Leistungserbringung sei grundsätzlich bereits mit der Abrechnung nachzuweisen.

Die Kammer hat auf Antrag der Beteiligten im Hinblick auf verschiedene Berufungsverfahren der Beteiligten mit Beschluss vom 22.09.2010 das Ruhen angeordnet. Mit Verfügung vom 20.04.2012 hat sie das Verfahren von Amts wegen wieder aufgerufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Gründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 08.06.2010 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Die Beklagte war zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertrags(zahn)ärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertrags(zahn)ärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertrags(zahn)ärzte fest; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Es obliegt deshalb nach § 19 BMV-Z der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen (vgl. BSG, Urt. v. 10.05.1995 - 6 RKa 30/94 - SozR 3-5525 § 32 Nr. 1 = NZS 1996, 134 = Breith 1996, 280 = USK 95120, juris Rdnr. 12; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 5, juris Rdnr. 15; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 11 = BSGE 93, 69 = SGb 2004, 474 = GesR 2004, 522 = MedR 2005, 52 = NZS 2005, 549, juris Rdnr. 17) bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 EKV-Z (vgl. BSG, Urt. v. 13.05.1998 - B 6 KA 34/97 R - SozR 3-5555 § 10 Nr. 1 = USK 98155, juris Rdnr. 13; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R - aaO.; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - aaO.).

Bei den Absetzungen handelt sich auch um sachlich-rechnerische Berichtigungen. Die Beklagte geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Abrechnung der Gebührenpositionen vom Vertragszahnarzt nicht nachgewiesen worden sind. Von daher war sie für die Berichtigung zuständig.

Zum Zeitpunkt des Zugangs des angefochtenen Bescheids war die Ausschlussfrist von vier Jahren noch nicht verstrichen.

Der angefochtene Berichtigungsbescheid ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Absetzungen der Nr. 2702 GOÄ-82 (achtmal) waren nicht zu beanstanden.

Die mit 34 Punkten bewertete Leistung nach Nr. 2702 GOÄ-82 beinhaltet die Wiederanbringung einer gelösten Apparatur oder kleine Änderungen, teilweise Erneuerung von Schienen oder Stützapparaten - auch Entfernung von Schienen oder Stützapparaten -, je Kiefer.

Die Kammer hat bereits zwischen den Beteiligten mit Urteilen vom 07.07.2010 - S 12 KA 212/10 und 440/10 -, Nichtzulassungsbeschwerden jeweils zurückgewiesen durch Beschluss des LSG Hessen vom 11.11.2011 - L 4 KA 62/10 und 63/10 NZB -, entschieden, dass ein Vertragszahnarzt für die Erbringung der Leistung nach Nr. 2702 GOÄ-82 nachweis- und dokumentationspflichtig ist. Der Hinweis auf umfangreiche Änderungen an den Apparaturen reicht nicht aus. Es obliegt dem Vertragszahnarzt, durch substantiierten Vortrag und Nachweis wenigstens einer Dokumentation zu belegen, dass er den Inhalt der Leistungslegende erfüllt hat. Der Vortrag, es seien umfangreiche Änderungen an Apparaturen vorgenommen worden, reicht hierfür nicht aus.

Die Klägerin hat im Widerspruchsverfahren lediglich vorgetragen, die Nachbehandlungsleistungen stellten Korrekturen an den Schienen dar, d. h. Abdeckung von Drähten mit Kunststoffabdeckung und Adaption von Retentionshäkchen und anderes, Leistungen also, die den Leistungsinhalt der Nr. 2702 erfüllten. Im Klageverfahren hat sie ergänzt, die Behandlung sei im Hinblick auf beidseits ausgerenkte Kiefergelenke erfolgt und Bezug genommen auf die von ihr eingereichte Kopie eines Auszugs aus der Karteikarte, aus der sich die verschiedenen dokumentierten Behandlungen je Behandlungsdatum mit „Aufbau/Einschleifen/Erneuerung des Splints/IMF“ je Kiefer ergeben. Es hätte der Klägerin oblegen, durch substantiierten Vortrag und Nachweis wenigstens einer Dokumentation zu belegen, dass sie den Inhalt der Leistungslegende erfüllt hat.

Die Absetzungen der Nr. 38 BEMA (16mal) waren nicht zu beanstanden.

Die Nr. 38 Bema-Z wird definiert als Nachbehandlung nach chirurgischem Eingriff oder Tamponieren oder dergleichen, je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich, als selbstständige Leistung, je Sitzung und ist mit der Bewertungszahl 10 bewertet.

Die Beklagte bat die Klägerin bereits unter Datum vom 15.05.2008 um Stellungnahme im Hinblick auf die Notwendigkeit der Vielzahl von Nachbehandlungen (Nr. 38 BEMA) im Zusammenhang mit der Abrechnung der Nummer 2702 GOÄ-82. Dem ist die Klägerin nicht nachgekommen. Im Widerspruchsverfahren hat sie sich hierzu ebf. nicht geäußert. erst im Klageverfahren hat sie die Kopie eines Auszugs aus der Karteikarte vorgelegt, auf der Angaben wie Wundreinigung H2O2, Spülung mit Kochsalzlösung und Salbe auftragen zu den einzelnen Behandlungsdaten je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich handschriftlich vermerkt sind. Angesichts der Häufigkeit der Leistungen hätte es einer Dokumentation für die Leistungserbringung bedurft. Eine solche Dokumentation oder wenigstens eines dezidierten Vortrags hat die Klägerin auch im Verwaltungsverfahren nicht nachgereicht.

Im Übrigen kommt es auf die im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen nicht an. Es handelt sich um keine Dokumentation der Klägerin, die hinreichend zeitnah erstellt wurde, sondern um bloßes Beteiligtenvorbringen. Die Kammer hat bereits in der Verfügung vom 15.06.2012 darauf hingewiesen, dass sie Zweifel hat, ob es sich hierbei um eine Dokumentation handelt. Die handschriftlichen Zusätze sind offensichtlich wesentlich später angeführt worden und es wurde keinerlei Beweis erbracht, dass sie zeitnah erbracht wurden. Diese Zusätze sind erst im Gerichtsverfahren vorgelegt worden, also Jahre nach den strittigen Behandlungen und der ersten Nachfrage seitens der Beklagten. Die Klägerin hat zu keinem früheren Zeitpunkt darauf hingewiesen oder eine solche ergänzende Dokumentation vorgelegt oder gar das Original vorgelegt. Von daher geht die Kammer davon aus, dass es sich um keine zeitnah erstellte Dokumentation handelt. Es handelt sich eben um schlichtes Beteiligtenvorbringen, dem kein Beweiswert zukommt. Dies gilt auch nach arzthaftungsrechtlichen Gesichtspunkten. Der ärztlichen Dokumentation kann bis zum Beweis des Gegenteils Glauben geschenkt werden. Um die Annahme der Vollständigkeit der Dokumentation zu erschüttern, müssen konkret erkennbare Anhaltspunkte vorliegen, z.B. nachträgliche Änderungen am Operationsbericht oder dass er erst mit langem zeitlichen Abstand zur Operation verfasst worden ist (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 15.11.2011 - 1 U 31/11 - juris = GesR 2012, 310 m.w.N.). Im Übrigen ist die Klägerin auch als vertragsärztliche Leistungserbringerin verpflichtet, die vollständige Dokumentation vorzulegen und steht es nicht in ihrem Belieben, wann sie welche Teile gegenüber der Beklagten offenlegt.

Von daher war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.