BGH, Urteil vom 24.01.2008 - III ZR 156/07
Fundstelle
openJur 2011, 7291
  • Rkr:
Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. April 2007 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Kläger beabsichtigten im Sommer 2003, ein ihnen gehörendes, mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück an den Käufer P. zu veräußern. Der ursprüngliche Entwurf des Kaufvertrags sah eine Kaufpreisfälligkeit spätestens zum 31. Dezember 2003 und eine Besitzübergabe nach Zahlung des Kaufpreises von 325.000 € vor. Auf Wunsch des Käufers wurde die Kaufpreisfälligkeit jedoch auf den 31. Dezember 2004 hinausgeschoben. Der beklagte Notar beurkundete am 29. August 2003 den Kaufvertrag zwischen den Klägern und P. Darin wurde als Fälligkeitszeitpunkt der 31. Dezember 2004 bestimmt und weiter vereinbart, dass sich der Käufer wegen des Kaufpreises nebst den vertraglichen Zinsen der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwarf. Falls der Käufer mit der Kaufpreiszahlung ganz oder teilweise in Rückstand kam, konnten die Kläger nach Setzung einer Nachfrist zurücktreten. Der Käufer war berechtigt, das Kaufobjekt ab dem 15. September 2003 zu nutzen. Bis zum endgültigen Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten (31. Dezember 2004) hatte er an die Verkäufer eine monatliche Nutzungsentschädigung von 1.233,75 € zuzüglich 360 € Nebenkosten zu leisten. Dieses Nutzungsverhältnis sollte automatisch mit Eigentumsübergang auf den Käufer enden. Sollte es nicht zur Durchführung des Vertrags gelangen, verpflichtete sich der Käufer zur sofortigen Räumung des Objekts, wenn es zur Löschung der Auflassungsvormerkung gekommen war. Der Käufer verzichtete auf Räumungsschutz und unterwarf sich insoweit der sofortigen Räumungsvollstreckung aus der notariellen Urkunde.

Die Besitzübergabe fand am 14. September 2003 statt. P. leistete in der Folgezeit lediglich im Januar 2004 eine Zahlung in Höhe von 865,01 €. Durch Urteil des Amtsgerichts Essen-Borbeck vom 8. Juli 2004 wurde P. verurteilt, an die Kläger für den Zeitraum von September 2003 bis Mai 2004 ein rückständiges Nutzungsentgelt von 10.359,37 € nebst Zinsen zu zahlen sowie die von ihm bewohnte Wohnung zu räumen und an die Kläger herauszugeben. Seine Berufung wurde durch Urteil des Landgerichts Essen vom 25. November 2004 zurückgewiesen. P. teilte den Klägern am 3. Dezember 2004 mit, dass er auf eine Abwicklung des Kaufvertrags verzichte und die Löschung der Auflassungsvormerkung, die für ihn eingetragen war, veranlassen werde. Daraufhin wurde die Auflassungsvormerkung auf entsprechenden Antrag des Beklagten gelöscht. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Kläger gegen P. blieben erfolglos. Aus diesem Grund verzichteten sie auf die weitere gerichtliche Geltendmachung der noch offenen Nutzungsentschädigung ab Juni 2004.

Die Kläger nehmen den beklagten Notar auf Schadensersatz in Anspruch. Sie lasten ihm an, dass er sie nicht ausreichend über die Tragweite der in dem Kaufvertrag vereinbarten vorzeitigen Besitzüberlassung belehrt habe, bei der es sich um eine ungesicherte Vorleistung gehandelt habe.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 37.148,96 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht den Beklagten unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, an die Kläger Schadensersatz in Höhe von 19.141,85 € nebst 1.331,10 € vorgerichtlicher Anwaltskosten sowie Zinsen zu leisten, Zug um Zug gegen Abtretung der den Klägern gegen P. zustehenden Ansprüche. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Beklagte ist den Klägern aus Amtspflichtverletzung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO) zum Schadensersatz in der zugesprochenen Höhe verpflichtet.

1. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die zwischen den Klägern und dem Käufer P. vereinbarte vorzeitige Besitzüberlassung des Hausgrundstücks zum 15. September 2003 vor dem mit Fälligkeit des Kaufpreises zum 31. Dezember 2004 vereinbarten weiteren - kaufrechtlichen - Leistungsaustausch eine ungesicherte Vorleistung der Kläger an P. gewesen ist.

a) Der Besitz an der Kaufsache, zu dessen Übertragung auf den Käufer der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 BGB verpflichtet ist, stellt in der Hand des Verkäufers zugleich ein wesentliches Sicherungsmittel dar, um die Erbringung der vom Käufer geschuldeten Gegenleistung - Zahlung des Kaufpreises - zu erwirken. Indem die Kläger dem Käufer P. vorzeitig die tatsächliche Sachherrschaft - sei es auch zunächst in Form bloßen Fremdbesitzes - übertrugen, büßte der Besitz diese Sicherungsfunktion zumindest teilweise ein. Denn es war den Klägern nunmehr faktisch nicht mehr möglich, die Zurückbehaltung der Besitzübergabe als Druckmittel zur Erzwingung der Kaufpreiszahlung einzusetzen. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die Kläger bei der konkreten vertraglichen Gestaltung im Falle einer Nichtdurchführung des Kaufvertrags und einer nicht freiwilligen Rückgabe des Besitzes sich diesen von dem Käufer P. mühsam und zeitraubend wieder beschaffen mussten.

b) Zu Unrecht wendet die Revision hiergegen ein, die entgeltliche Nutzungsüberlassung für den Zeitraum von Septemer 2003 bis Dezember 2004 habe ein Mietverhältnis zwischen den Klägern und P. begründet; mit der Besitzüberlassung hätten die Kläger lediglich ihre mietvertragliche Hauptleistungspflicht aus § 535 Abs. 1 BGB erfüllt, und zwar Zug um Zug gegen Entrichtung des vereinbarten Mietzinses seitens des Nutzungsberechtigten P. Dass die Kläger im Falle des Ausbleibens des Nutzungsentgelts nicht ohne weiteres den Besitz der Mietsache von P. herausverlangen konnten, sondern Räumungsklage erheben mussten, sei ein typischerweise in der Natur eines mietvertraglichen Dauerschuldverhältnisses liegendes Risiko. Mietvertraglich sei zur Absicherung dieses Risikos nach § 551 Abs. 1 Satz 1 BGB lediglich eine Mietsicherheit in Höhe des dreifachen monatlichen Kaltmietzinses üblich. Eine solche wäre aber nicht geeignet gewesen, erhebliche Schäden der Kläger zu vermeiden, und habe deshalb vom Beklagten nicht vorhergesehen werden müssen.

Dem Berufungsgericht ist vielmehr darin zuzustimmen, dass die vorzeitige Nutzungsüberlassung nicht aus dem rechtlichen Kontext des Kaufvertrages herausgelöst werden kann und nicht isoliert betrachtet werden darf. Die Nutzungsüberlassung war Bestandteil des Kaufvertrags und hat die grundsätzlich Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises neben der Eigentumsverschaffung bestehende Pflicht des Verkäufers modifiziert, dem Käufer den Besitz der Kaufsache zu verschaffen. Die Kläger haben - entgegen der Betrachtungsweise der Revision - den Besitz an ihrem Hausgrundstück eben doch im Zusammenhang oder im Vorgriff auf die Erfüllung des Kaufgeschäfts - und nicht in Erfüllung einer vorgeschalteten mietvertraglichen Hauptleistungspflicht - (vorzeitig) übertragen. Dementsprechend ist dem Berufungsgericht auch darin zu folgen, dass es hier nicht lediglich um die unterbliebene Absicherung einer sekundären Vertragspflicht der Rückgabe des Grundstücks im Falle der Nichtdurchführung des Vertrags ging (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1996 - IX ZR 51/96 = BGHR BeurkG § 17 Abs. 1 Belehrungspflicht 18). Entscheidend ist vielmehr, dass die vorzeitige Besitzüberlassung einen Teil der Erfüllung des Kaufvertrags durch die Kläger darstellte und es für diesen Teil an einer hinreichenden Absicherung der vom Käufer zu erbringenden Gegenleistung zur Entrichtung des Kaufpreises fehlte (vgl. zur vorzeitigen Besitzüberlassung als ungesicherter Vorleistung auch Zugehör/Ganter/Hertel, Handbuch der Notarhaftung [2004] Rn. 1022; Reithmann/Albrecht, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, 2. Aufl. [2001] Rn. 513, jeweils m.w.N.).

2. Daraus folgt zugleich weiter, dass den Beklagten als den beurkundenden Notar hier die Belehrungspflicht in dem in der Rechtsprechung entwickelten Sinn getroffen hat: Soll ein Urkundsbeteiligter eine ungesicherte Vorleistung erbringen, die als solche nicht ohne weiteres erkennbar ist, obliegt dem Notar nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine doppelte Belehrungspflicht. Er hat zum einen über die Folgen zu belehren, die im Falle der Leistungsunfähigkeit des durch die Vorleistung Begünstigten eintreten (erste Pflicht), und zum anderen Wege aufzuzeigen, wie diese Risiken vermieden werden können (zweite Pflicht; vgl. hierzu Senatsurteile vom 12. Februar 2004 - III ZR 77/03 = BGHR BeurkG § 17 Abs. 1 Belehrungspflicht 23 = NJW-RR 2004, 1071, 1072 m.zahlr.w.N.; vom 17. Januar 2008 - III ZR 136/07, für BGHZ vorgesehen). Diese Belehrungspflichten sind dem § 17 Abs. 1 BeurkG zu entnehmen. Denn es geht um die rechtliche Tragweite des Geschäfts. Dazu gehören insbesondere die Voraussetzungen, von denen der beabsichtigte rechtliche Erfolg abhängt. Beabsichtigt ist ein gesicherter Leistungsaustausch. Dieser ist nicht gewährleistet, wenn dem einen Vertragsteil nach der rechtlichen Anlage des Geschäfts angesonnen wird, seine Leistung zu erbringen, ohne dass sichergestellt ist, dass er die Gegenleistung des anderen Vertragsteils erhält. Verwirklicht sich das darin liegende Risiko, ist der rechtliche Erfolg des Geschäfts ein anderer, als er von den Parteien gewollt war (BGH, Urteil vom 15. Januar 1998 - IX ZR 4/97 = BGHR BeurkG § 17 Abs. 1 Belehrungspflicht 19 = WM 1998, 783, 784).

3. Als Sicherungsmittel, durch die dieses Risiko zumindest teilweise hätte aufgefangen werden können, zieht das Berufungsgericht zutreffend die Vereinbarung eines Rechts der Kläger in Betracht, im Falle eines Verzugs mit der Zahlung der Nutzungsentschädigung vom Vertrag insgesamt zurückzutreten, verbunden mit der Unterwerfung des Käufers P. unter die Zwangsvollstreckung bezüglich des Rückgabeanspruchs der Kaufsache (Zugehör/Ganter/Hertel, aaO Rn. 1043). Nach der tatsächlichen Gestaltung waren die Kläger bis zum Jahre 2005 an den notariellen Kaufvertrag gebunden; auch sah der Wortlaut des Vertrags im Falle eines Ausbleibens der Nutzungsentschädigung keine Möglichkeit vor, sich vorzeitig von diesem zu lösen. Dies räumt auch die Revision ein. Den Klägern war als Verkäufern nur für den Fall eines Rückstands mit der erst zum 31. Dezember 2004 fällig werdenden Kaufpreiszahlung ein Rücktrittsrecht eingeräumt worden. Bei Nichtdurchführung des Vertrags war zwar eine Verpflichtung des Käufers zur sofortigen Räumung mit entsprechendem Verzicht auf Räumungsschutz und einer Zwangsvollstreckungsunterwerfung bezüglich des Räumungsanspruchs vorgesehen, sobald die Auflassungsvormerkung gelöscht war. Die Löschung der Auflassungsvormerkung war allerdings erst im Falle eines Rückstands des Käufers mit der Kaufpreiszahlung möglich. Damit fehlte es an einer ausreichenden Sicherung der mit der vorzeitigen Besitzüberlassung verbundenen Gefahr für die Kläger.

4. Auf diese durch die vertragliche Gestaltung hervorgerufenen besonderen Risiken hätte der Beklagte die Kläger bei der Beurkundung des notariellen Kaufvertrags hinweisen müssen. Nach dem Maßstab eines erfahrenen, pflichtbewussten und gewissenhaften Durchschnittsnotars (Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 5. Aufl. [2003] § 19 Rn. 102) hätte er dies auch erkennen können.

5. Das Berufungsgericht hat in eingehender tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass nach dem bei zutreffender Belehrung durch den Beklagten anzunehmenden hypothetischen Geschehensablauf ein Schaden für die Kläger jedenfalls in Höhe eines Betrags von 19.141,85 € und weiteren 1.331,10 € ver-

mieden worden wäre. Die rechtsfehlerfreie Schadensberechnung wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt.

Schlick Wurm Dörr Wöstmann Harsdorf-Gebhardt Vorinstanzen:

LG Essen, Entscheidung vom 15.09.2005 - 18 O 263/05 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 25.04.2007 - 11 U 145/05 -