OLG Bamberg, Urteil vom 17.12.2014 - 3 OLG 8 Ss 140/14
Fundstelle
openJur 2015, 5533
  • Rkr:

1. Hat das Tatgericht (hier: Berufungsgericht) ausweislich seiner Urteilgründe gegen den Angeklagten Strafen bzw. Nebenstrafen festgesetzt, obwohl es ihn wegen der insoweit angenommenen Taten nicht schuldig gesprochen hat, fehlt den angeordneten Rechtsfolgen die Grundlage, weshalb die insoweit ausgeurteilten Rechtsfolgen auf die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hin entfallen müssen. Da die noch nicht abgeurteilten Tatvorwürfe bei dem Revisionsgericht bereits nicht anhängig geworden sind, unterliegen sie weiterhin der Kognition des erkennenden Tatgerichts, das im Falle einer Berufung des Angeklagten bislang nur unvollständig über das Rechtsmittel entschieden hat (Anschluss an BGH, Beschluss vom 15.10.2014 - 2 StR 215/14 [bei juris]).2. Die Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis setzt über Feststellungen zu Tatzeit und zur Tatbestandsverwirklichung an einem bestimmten Ort weitere den Schuldumfang wesentlich (mit-) bestimmende, der Tat erst ihr Gepräge gebende und damit nicht nur für den Rechtsfolgenausspruch bedeutsame Feststellungen zum Tatmotiv, den Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung sowie zum Fahrtanlass und gegebenenfalls weiteren konkreten Umständen der Tat, insbesondere zu Art, Dauer und Länge der beabsichtigten oder tatsächlich absolvierten Fahrtstrecken voraus, (Festhaltung u.a. an OLG Bamberg DAR 2013, 585 = OLGSt StVG § 21 Nr. 10 und OLG Bamberg BA 50 [2013], 88 = VerkMitt 2013, Nr. 36 = OLGSt StPO § 318 Nr. 20 = zfs 2013, 589).3. Auch dann, wenn die Körperverletzung unter Einsatz eines Kraftfahrzeugs begangen wurde, hängt die Erfüllung des Tatbestandes nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB davon ab, dass das Fahrzeug tatsächlich als 'efährliches Werkzeug', d.h. als ein nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (Festhaltung u.a. an BGH, Beschluss vom 28.09.2010 - 3 StR 338/10 [bei juris]).

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 28. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt wurde, wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

III. Soweit das Landgericht gegen den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens trotz Fahrverbots in zwei Fällen jeweils Einzelfreiheitsstrafen von drei Monaten festgesetzt und ein Fahrverbot angeordnet hat, hat die erkennende Strafkammer des Landgerichts noch über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 30.07.2013 zu entscheiden.

Gründe

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 30.07.2013 wegen vorsätzlichen Fahrens trotz Fahrverbots in zwei Fällen, Verstößen gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (§ 4 Satz 1 GewSchG) in drei Fällen, fahrlässiger Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer aus Einzelfreiheitsstrafen von zweimal drei Monaten, dreimal zwei Monaten, einem Monat und neun Monaten gebildeten, nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Daneben hat es dem Angeklagten gemäß § 44 StGB für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.

Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil mit Urteil vom 28.07.2014 dahin „abgeändert“, dass es den Angeklagten „der fahrlässigen Körperverletzung“ und „der gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit zwei rechtlich zusammentreffenden Vergehen der Nötigung“ schuldig gesprochen und ihn „deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt“ und „im Übrigen die Berufung des Angeklagten zurückgewiesen“ hat.

Im Hinblick auf die amtsgerichtliche Verurteilung wegen dreier Verstöße gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach dem GewSchG wurde in der Berufungshauptverhandlung von einer weiteren Verfolgung des Angeklagten gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen.

Mit seiner gegen das Berufungsurteil eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die Revision führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Soweit das Landgericht gegen den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens trotz Fahrverbots in zwei Fällen jeweils Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von drei Monaten festgesetzt und deshalb gegen ihn ein dreimonatiges Fahrverbot angeordnet hat, wurde von der Berufungskammer bislang ein Schuldspruch nicht verkündet. Deshalb fehlt für die in den Urteilsgründen ausgeworfenen Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von jeweils drei Monaten und für das angeordnete Fahrverbot die Grundlage, weshalb Einzelstrafen und Fahrverbot entfallen müssen. Da der vom Landgericht bislang nicht abgeurteilte Tatvorwurf wegen vorsätzlichen Fahrens trotz Fahrverbots in zwei Fällen bei dem Revisionsgericht nicht anhängig geworden ist, unterliegt er weiterhin der Kognition der erkennenden Berufungskammer des Landgerichts, die bislang nur unvollständig über die Berufung des Angeklagten entschieden hat (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 15.10.2014 – 2 StR 215/14 [bei juris]).

2. Mit Blick auf die insoweit gebotene Fortsetzung des Berufungsverfahrens durch die erkennende Berufungskammer bemerkt der Senat rein vorsorglich, dass die (bisherigen) tatrichterlichen Feststellungen überdies an Feststellungs- und Darstellungsmängeln leiden, die auf die Sachrüge des Angeklagten (ohnehin) eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens trotz Fahrverbots in zwei Fällen gefährdet hätten.

a) Hinsichtlich des objektiven Tatbestandes beschränkt sich die Berufungskammer nach Klärung der Existenz eines rechtskräftigen bußgeldrechtlichen Fahrverbots auf die Feststellung, dass der Angeklagte, obwohl er wusste, dass gegen ihn ein Fahrverbot bestand, zu den angegebenen Tatzeiten, nämlich „am 14.04.2013“ und „am 16.04.2013 gegen 19.20 Uhr“, jeweils „mit dem Pkw Mercedes“ [mitsamt benanntem Kennzeichen], die „F-Straße“ bzw. die „L-Straße“ in B. „befuhr“. Weitere den Schuldumfang wesentlich (mit-) bestimmende Feststellungen zur konkreten jeweiligen Tatmotivation, den konkreten Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung und zum konkreten (privaten oder beruflichen) Anlass und ggf. weiteren Umständen der Tat, insbesondere zu Art, Dauer und Länge der beabsichtigten oder tatsächlich absolvierten Fahrtstrecken, fehlen hingegen vollständig. Feststellungen zu diesen Umständen, die den Taten das Gepräge geben, sind bei Delikten nach § 21 StVG deshalb regelmäßig unabdingbar, weil ohne sie keine Grundlage für die Verhängung von Rechtsfolgen gegeben ist (vgl. neben OLG Bamberg, Urt. v. 25.06.2013 – 3 Ss 36/13 = DAR 2013, 585 = OLGSt StVG § 21 Nr. 10 zuletzt auch OLG Bamberg, Beschluss vom 21.07.2014 – 3 Ss 86/14 = NStZ 2015, 55; vgl. auch KK/Gericke 7. Aufl. § 353 Rn. 13, jew. m.w.N.).

b) Soweit das Landgericht ausweislich seiner Urteilsgründe Einzelfreiheitsstrafen unter sechs Monaten festgesetzt hat, genügten die bisherigen Strafzumessungserwägungen selbst bei einer Gesamtschau der Urteilsgründe den auch für die gesonderte Bemessung der Einzelstrafen bei Einbeziehung in eine zu bildende Gesamtstrafe regelmäßig zu beachtenden gesteigerten sachlich-rechtlichen Begründungsanforderungen nach § 267 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz StPO i.V.m. § 47 Abs. 1 StGB nicht (vgl. hierzu z.B. Fischer StGB 61. Aufl. § 47 Rn. 7 ff. und Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 154 ff., jeweils m.w.N.). Zwar hat das Landgericht zutreffend als strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte erheblich vorbestraft ist. Die Aussagekraft seiner zu den Vorstrafen des Angeklagten getroffenen Feststellungen leidet indes daran, dass es die Berufungskammer verabsäumt, die regelmäßig bedeutsamen und ohne Schwierigkeiten aus den Registerauskünften festzustellenden Zeitpunkte des jeweiligen Rechtskrafteintritts der Vorahndungen im Urteil mitzuteilen, so dass eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafzumessungserwägungen zumindest unnötig erschwert, wenn nicht im Einzelfall sogar vereitelt wird.

III.

Soweit die Berufungskammer den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt hat, führt das Rechtsmittel auf die Sachrüge zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts, weil das angefochtene Urteil an durchgreifenden Feststellungs- und Darstellungsmängeln leidet, welche den Senat zur vollständigen Aufhebung des Schuldspruchs zwingen. Auf die Erfolgsaussichten der nur einen möglichen Schuldspruch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen berührenden Verfahrensrüge kommt es nicht an.

1. Im Hinblick auf den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen G. fehlen schon ausreichende Feststellungen, die das nur kurzfristige Anfahren des Angeklagten mit dem Pkw in Richtung auf die beiden Zeugen als eine „mittels eines […] gefährlichen Werkzeugs“ begangene Körperverletzung und damit als relevante Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hinreichend belegen könnten, zumal sich weitere Feststellungen zu dieser Frage auch nicht etwa angesichts der im Urteil umschriebenen Tatsituation erübrigten.

a) Auch dann, wenn die Körperverletzung unter Einsatz eines Kraftfahrzeugs bzw. eines Pkw begangen wurde, hängt die Erfüllung des Tatbestandes nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB davon ab, dass das Fahrzeug tatsächlich als 'gefährliches Werkzeug', d.h. als ein nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 28.09.2010 – 3 StR 338/10 [bei juris] m.w.N.). Dies ist nach den bisherigen Feststellungen, die sich nicht zur Beschleunigung beim Anfahren verhalten, hier schon deshalb fraglich, weil die von dem Zeugen erlittene Schürfwunde am rechten Schienbein – wie sachverständig ausgeführt – tatsächlich erst durch „ein Verrutschen der Textilien (Hose)“ auf der Haut „hervorgerufen“ worden sein könnte, weshalb „es auf das Material der Stoßstange nicht ankomme“. Hinzu kommt, dass der Zeuge M., der sich ebenfalls vor den Pkw des Angeklagten gestellt hatte, nicht verletzt wurde.

b) Ferner geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte damit „rechnete“, dass „durch seine Vorgehensweise“ bei dem Zeugen „eine Verletzung am Bein erfolgen könne“ und „dies billigend in Kauf“ nahm. Nach den weiteren Feststellungen der Berufungskammer versteht sich das hier aber wegen der Besonderheiten des gesamten Tatgeschehens gerade nicht von selbst. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar belegt, dass der Angeklagte eine Körperverletzung des Zeugen überhaupt oder gar eine erhebliche Verletzung tatsächlich auch nur in Kauf genommen hätte, zumal der sich in identischer Gefährdungslage befindliche Zeuge M. unverletzt blieb. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte zunächst nach vorne, um die beiden im Abstand von ca. 20 cm vor der Motorhaube seines Pkw stehenden Zeugen „dazu zu bringen, den Weg frei zu machen“, ehe es zu der Berührung des rechten Schienbeins mitsamt „einer eintägig schmerzenden Schürfwunde am rechten Schienbein“ des Zeugen G. kam und beide Zeugen sodann – bedingt durch die Berührung – nach vorn auf die Motorhaube fielen, wo sie sich mit den Händen abfangen konnten, ehe der Angeklagte sein Fahrzeug zurücksetzte und davonfuhr. Hiernach erscheint es sogar fraglich, ob von den Feststellungen die Erfüllung des Tatbestandes einer nur 'einfachen' (versuchten oder vollendeten) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB als hinreichend gedeckt anzusehen wäre. Erst recht rechtfertigten die Feststellungen mangels eines hinreichend belegten Tatentschlusses auch einen Schuldspruch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 224 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2, 22, 23 StGB nicht. Feststellungen, die eine Verurteilung des Angeklagten nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB rechtfertigen könnten, hat das Landgericht weder zur objektiven noch zur subjektiven Tatseite getroffen.

2. Auch soweit das Landgericht das geschilderte An- bzw. Losfahren des Angeklagten in Richtung auf beide Zeugen als tateinheitlich zur gefährlichen Körperverletzung begangene (untereinander ebenfalls tateinheitliche) Nötigungen wertet, sind seine Feststellungen lückenhaft. Denn die Berufungskammer geht nicht der Frage nach, ob die im Raum stehende Nötigungshandlung des Angeklagten aufgrund der Gesamtumstände im Ergebnis deshalb nicht als „verwerflich“ im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB anzusehen sein könnte, weil sich der Angeklagten in der konkreten, zumindest aus seiner Sicht bedrohlichen Situation in einer subjektiv als notwehrähnlich empfundenen Zwangslage befand. Immerhin wollten ihn die beiden Zeugen nicht nur daran hindern, seine Fahrt fortzusetzen; unmittelbar zuvor war es zwischen dem Angeklagten und den Zeugen, die „alle drei […] angetrunken“ waren, bereits zu einer „Rangelei und einem Geschreie“ gekommen. Aus welchen Gründen die Zeugen den Angeklagten an der Weiterfahrt hindern wollten, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Ferner bleibt unklar, warum sich der Angeklagte entfernen wollte. Auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen ist es dem Senat nicht möglich, eine abschließende Wertung zu der Frage zu treffen, ob zu Lasten des Angeklagten unter den gegebenen Umständen von einer Verwerflichkeit der Tat ausgegangen werden durfte.

3. Schließlich begegnet auch der Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachtteil des Zeugen G. durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht legt schon nicht hinreichend oder sich sonst aus den Umständen heraus nachvollziehbar erschließend dar, worauf es seine Überzeugung gründet, dass der Angeklagte zur Tatzeit gegen 02.40 Uhr in vorwerfbarer Weise, nämlich aufgrund „den Straßenverhältnissen […] nicht angepasster Geschwindigkeit“ die Verletzung des nach eigenen Angaben bei einer AAK von 0,91 mg/l angetrunkenen und gerade im Überqueren der Straße begriffenen Zeugen verursacht haben soll.

IV.

Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel bedarf die Sache – soweit nicht die erkennende Strafkammer selbst das Verfahren fortzuführen hat - der neuen Verhandlung und Entscheidung durch eine andere Strafkammer des Landgerichts (§ 354 Abs. 2 StPO).