KG, Beschluss vom 06.11.2014 - 4 Ws 112/14 - 141 AR 558/14
Fundstelle
openJur 2015, 4793
  • Rkr:

StPO § 117 Abs. 2 - Überprüfung des dringenden Tatverdachts durch das Beschwerdegericht während laufender HauptverhandlungIm Haftbeschwerdeverfahren während laufender Hauptverhandlung unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht vornimmt, nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht.

StPO § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 - Betrug als AnlasstatBetrugstaten kommen nur dann als Anlasstaten im Sinne des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO in Betracht, wenn sie hinsichtlich der Art der Tatausführung oder des Umfangs des verursachten Schadens, mithin in ihrem Schweregrad etwa dem besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 StGB entsprechen. Ein im Einzelfall eingetretener oder beabsichtigter Vermögensschaden von knapp 1.800 Euro zum Nachteil eines Versandhandelsunternehmens qualifiziert weder den Schweregrad der Tat noch deren Unrechtsgehalt als überdurchschnittlich und erscheint nicht geeignet, in weiten Kreisen das Gefühl der "Geborgenheit im Recht" zu beeinträchtigen, auch wenn wegen der sonstigen Umstände der Tatbegehung die Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe in Betracht kommt.

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19. September 2014, durch den der Haftverschonungsbeschluss der Kammer vom 21. Januar 2014 aufgehoben und der Vollzug des Haftbefehls vom 20. Dezember 2013 (auch) betreffend den Beschwerdeführer angeordnet worden ist, aufgehoben.

Der Angeklagte bleibt vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft in dieser Sache unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom 20. Dezember 2013 mit der Maßgabe, dass er des gewerbsmäßigen Betruges in 85 vollendeten und 12 versuchten Fällen dringend verdächtig ist, und unter den Bedingungen des vorgenannten Haftverschonungsbeschlusses in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 3. Juni 2014 verschont.

Gründe

I.

1. Gegen den Angeklagten K. findet seit dem 23. Mai 2014 die Hauptverhandlung vor der 17. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin statt. Nach der zugelassenen Anklage liegt ihm gewerbsmäßiger Bandenbetrug in 97, gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten M. R. und dem früheren Mitangeklagten B. R. begangenen Fällen zur Last, wobei es in zwölf Fällen (Fälle 11, 22, 66, 67, 68, 69, 72, 73, 97, 98, 99 und 100 der Anklage vom 22. Oktober 2013) beim Versuch geblieben sein soll. Der Angeklagte K. soll neben den mitangeklagten Brüdern M. und B. R. Mitglied einer arbeitsteilig agierenden Tätergruppe gewesen sein, die in Berlin in der Zeit vom 22. Oktober 2012 bis zum 18. Januar 2013 unter Vorspiegelung nicht vorhandener Zahlungsbereitschaft im Internet (Waren-)Bestellungen unter fremdem Namen vorgenommen haben soll. Die daraufhin übersandten Waren sollen von unbekannt gebliebenen Mittätern oder von den Angeklagten selbst mit dem PKW des B. R. an den bei der Bestellung angegebenen Adressen abgeholt worden sein. Da die Waren (wie beabsichtigt) in der Folgezeit nicht bezahlt worden seien, soll den Versandhändlern ein Schaden in Höhe von insgesamt 19.606,72 Euro entstanden sein. In den Fällen, in denen die Taten nicht zur Vollendung gelangt sein sollen, soll der erstrebte Vorteil in Warenwerten von insgesamt 7.103,93 Euro gelegen haben. Die Einzelschäden sollen zwischen 24,95 Euro und 1.758 Euro betragen, der höchste Bestellwert in den nicht zur Vollendung gelangten Fällen bei 1.784 Euro gelegen haben.

Nachdem das Verfahren gegen B. R. am 26. September 2014 zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und dieser durch inzwischen rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 15. Oktober 2014 freigesprochen worden ist, qualifiziert die Kammer diese Taten jeweils rechtlich nicht mehr als von dem Angeklagten K. gewerbs- und bandenmäßig begangenen Betrug, sondern als - gemeinschaftlich mit M. R. begangenen - gewerbsmäßigen Betrug (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB).

2. Nach Anklageerhebung am 30. Oktober 2013 hat die Kammer am 20. Dezember 2013 wegen bestehender Fluchtgefahr Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer und den Mitangeschuldigten M. R. unter Annahme dringenden Tatverdachts wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 88 vollendeten und zehn versuchten Fällen erlassen. Nachdem M. R. aufgrund dieses Haftbefehls am 15. Januar 2014 auf dem Flughafen X festgenommen worden war, hat sich der Beschwerdeführer nach entsprechender Ankündigung durch seinen Verteidiger am 21. Januar 2014 im Termin zur Haftbefehlsverkündung selbst gestellt und ist durch Beschluss der Kammer vom selben Tage vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden. Er ist angewiesen worden, sich dreimal wöchentlich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden, dem Gericht unaufgefordert und unverzüglich jeden Wohnsitzwechsel anzuzeigen und seinen Reisepass zu den Akten zu reichen. Mit dem (Teil-)Eröffnungsbeschluss der Kammer vom 2. Mai 2014 ist der Haftbefehl vom 20. Dezember 2013 mit der Maßgabe aufrecht erhalten worden, dass Fall 91 des Haftbefehls (= Fall 101 der Anklage) entfällt, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens in diesem Fall aus rechtlichen Gründen (Doppelverfolgung) abgelehnt worden war; die Haftverhältnisse im Übrigen sind nicht geändert worden. Nachdem der Angeklagte K. bei Beginn der Hauptverhandlung am 23. Mai 2014 und zu deren Fortsetzung am 27. Mai 2014 pünktlich erschienen war, hat die Kammer den ihn betreffenden Haftverschonungsbeschluss vom 21. Januar 2014 am 3. Juni 2014 dahin geändert, dass die Meldepflicht bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle auf einmal wöchentlich reduziert wurde. Auch in der Folge ist der Angeklagte K. zu allen Hauptverhandlungstagen erschienen.

3. Mit am Schluss der Sitzung vom 19. September 2014, dem 15. Hauptverhandlungstag, verkündetem Beschluss hat die Kammer ihren Haftverschonungsbeschluss vom 21. Januar 2014 aufgehoben und den Vollzug des Haftbefehls vom 20. Dezember 2013 (auch) hinsichtlich des Beschwerdeführers angeordnet. Der Angeklagte K. befindet sich seit diesem Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft in dieser Sache in der Justizvollzugsanstalt X.

Dieser Entscheidung der Kammer war die Bekanntgabe vorausgegangen, dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft vor Aufruf der Sache eine Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 5. August 2014 gegen den Angeklagten K. zur Kenntnisnahme überreicht habe und dass diese unter dem Aktenzeichen 537 - 19/14 bei dem Landgericht Berlin anhängig und dem Datenverarbeitungssystem „AULAK“ zufolge dem Angeklagten K. noch nicht zugestellt worden sei. Der Vorsitzende hatte die Tatvorwürfe der neuen Anklage den Verfahrensbeteiligten zusammengefasst mitgeteilt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme, insbesondere zu der Frage der Auswirkung der neuen Anklage auf die Haftverhältnisse gegeben.

Mit der genannten Anklage legt die Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeklagten K. im Verfahren 285 Js 2375/14 zur Last, in Berlin „in nicht rechtsverjährter Zeit vor dem 18. Januar 2013 und dem 25. März 2013“ gemeinschaftlich mit M. R. in zwei Fällen zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde hergestellt und gebraucht und in zehn Fällen gewerbsmäßig betrogen zu haben. Verfahrensgegenständlich sind der unbefugte Verkauf fremder Fondsanteilscheine und die Ableitung des Verkaufserlöses in Höhe von 77.817,63 Euro durch M. R. in zehn Teilbeträgen auf acht verschiedene Konten. Der Angeklagte K. soll eines dieser Konten unter missbräuchlicher Verwendung fremder Daten eröffnet oder die Daten zum Zwecke der Kontoeröffnung M. R. zur Verfügung gestellt haben. M. R. und der Angeklagte K. sollen die auf die Konten überwiesenen Beträge umgehend an verschiedenen Bankautomaten abgehoben haben, um sie für sich zu verwenden. Wegen der anklagegegenständlichen Taten hat die Staatsanwaltschaft Berlin bereits am 25. Februar 2014 Anklage gegen M. R. erhoben. Das insoweit beim Landgericht Berlin anhängig gewordene Verfahren (538) 285 Js 258/14 (5/14) ist am 14. März 2014 von der 17. großen Strafkammer übernommen und zu hiesigem Verfahren verbunden worden. Die genannte Anklage ist mit dem (Teil-)Eröffnungsbeschluss der Kammer vom 2. Mai 2014 „mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen“ worden, dass „betreffend die Taten zu 3. bis 12. auch eine Verurteilung gemäß § 263a StGB in Betracht kommt“.

Am 22. August 2014 sind die Verfahrensbeteiligten - namentlich auch der Verteidiger des zu dem für diesen Tag anberaumten Fortsetzungstermin (entschuldigt) nicht erschienenen Angeklagten K. - seitens der Kammer darüber informiert worden, dass das gegen den Angeklagten K. geführte Verfahren 285 Js 2375/14 (in welchem dessen auch dort für ihn tätiger Verteidiger am 31. Juli 2014 Akteneinsicht genommen hatte) aus Sicht der Staatsanwaltschaft „anklagereif“ sei und diese eine Nachtragsanklage erwäge. Da die Staatsanwaltschaft nicht mitgeteilt hatte, ob sie den K. als Mittäter oder als Gehilfen M. R.’ hinsichtlich aller diesem vorgeworfener Taten oder nur in Teilen hiervon anzuklagen beabsichtigt, beantragte der Verteidiger des Angeklagten K. mit Schriftsatz vom selben Tage die „Erörterung des Verfahrensstandes gem. § 257b StPO“. In einem Telefonat am 27. August 2014 teilte der Vorsitzende dem Verteidiger des Angeklagten K. mit, dass nach Auskunft der Staatsanwaltschaft beabsichtigt sei, seinen Mandanten wegen mittäterschaftlicher Begehung sämtlicher Taten, die M. R. mit der Anklage vom 25. Februar 2014 vorgeworfen werden, anzuklagen.

4. Mit Verteidigerschriftsatz vom 17. Oktober 2014 hat der Angeklagte K. Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 20. Dezember 2013 eingelegt und beantragt, diesen aufzuheben, hilfsweise unter geeigneten Auflagen außer Vollzug zu setzen. Fluchtgefahr bestehe angesichts der persönlichen und sozialen Situation des Angeklagten K. auch in Ansehung der Straferwartung im hiesigen und in dem neu anhängig gewordenen Verfahren derzeit nicht; zumindest sei weiterhin die Aussetzung des Vollzuges des Haftbefehls möglich. Allein die Erhebung einer weiteren Anklage begründe vorliegend keine so gravierende Erhöhung der Fluchtgefahr, dass eine Haftverschonung nicht mehr in Betracht käme.

5. Die Kammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23. Oktober 2014 mit der Maßgabe nicht abgeholfen, dass der Angeklagte K. „des gewerbsmäßigen Betruges in 98 Fällen, wobei es in zehn Fällen beim Versuch blieb, dringend verdächtig ist“. Die Aussetzung des Vollzuges des Haftbefehls komme nicht mehr in Betracht, nachdem gegen den Beschwerdeführer das neue Verfahren 537 - 19/14 wegen weiterer einschlägiger Taten anhängig gemacht worden ist, da der Angeklagte K. im Hinblick auf die Schadenshöhe in jenem Verfahren mit der Verhängung einer Strafe in erheblicher Höhe zu rechnen habe.

6. Nachdem der Verteidiger des Angeklagten K. die Begründung seiner Beschwerde im Hinblick auf den Nichtabhilfebeschluss der Kammer mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2014 ergänzt hatte, hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin unter dem 30. Oktober 2014 Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Es bestehe dringender Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer wegen 97 Fällen des gewerbsmäßigen Betruges, wobei es in zehn Fällen beim Versuch blieb. Der fortbestehenden Fluchtgefahr könne im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer in dem neuen Verfahren drohende erhebliche zusätzliche Strafe und darauf, dass dieser „seine Taten trotz der Verfolgungsmaßnahmen im hiesigen Verfahren fortgesetzt hat“, nicht mehr mit milderen Maßnahmen als dem Vollzug der Untersuchungshaft begegnet werden. Zudem bestehe subsidiär der Haftgrund nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Weder habe die Vollstreckung einer früheren (wegen einschlägiger Tat erkannten) Freiheitsstrafe den Beschwerdeführer gehindert, die verfahrensgegenständlichen Taten aus dem offenen Vollzug heraus zu begehen, noch habe die Durchsuchung im hiesigen Verfahren (der Beschwerdeführer und M. R. waren am 18. Januar 2013 observiert und festgenommen, ihre Person, das von ihnen an diesem Tag benutzte Fahrzeug des B. R. und die Wohnung des Beschwerdeführers durchsucht worden) von den im Verfahren 285 Js 2375/14 angeklagten Taten abgehalten.

Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Gründe der Entscheidungen der Kammer vom 20. Dezember 2013, 19. September und 23. Oktober 2014 sowie - wegen des Beschwerdevortrags - auf die Schriftsätze des Verteidigers vom 17. und 28. Oktober 2014 und auf die Erwiderung auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 4. November 2014 Bezug.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten K. gegen den Haftbefehl der Kammer vom 20. Dezember 2013 ist zulässig und hat mit dem Hilfsantrag Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 19. September 2014 und zur (erneuten) Aussetzung des Vollzuges des angefochtenen Haftbefehls nach Maßgabe des Haftverschonungsbeschlusses vom 21. Januar 2014 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 3. Juni 2014.

1. Dringender Tatverdacht besteht gegen den Beschwerdeführer wegen der ihm mit der zugelassenen Anklage zur Last gelegten und in dem angefochtenen Haftbefehl als Fälle 1 bis 90 und 92 bis 98 beschriebenen 97, gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten M. R. begangenen Straftaten, wobei diese rechtlich (nur noch) - wie die Kammer in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 23. Oktober 2014 zutreffend ausgeführt hat - als (gewerbsmäßig begangener) Betrug im Sinne des § 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB, in den Fällen 11, 22, 66, 67, 68, 69, 72, 73, 97, 98, 99 und 100 der Anklage als versuchter (gewerbsmäßiger) Betrug und damit als Vergehen zu bewerten sind.

a) Soweit die Kammer unter Berücksichtigung des aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnenen vorläufigen Beweisergebnisses die Voraussetzungen des dringenden Tatverdachts in diesem Umfang bejaht hat - dass sie auch im [durch Nichteröffnung des Hauptverfahrens diesbezüglich ausgeschiedenen] Fall 91 des Haftbefehls (= 101 der Anklage) den dringenden Tatverdacht und [entgegen der Eröffnungsentscheidung] lediglich in zehn [nicht 12] der nach der Eröffnungsentscheidung verfahrensgegenständlich gebliebenen 97 Fälle einen Versuch des Betruges angenommen hat, beruht angesichts der Haftentscheidung im (Teil-)Eröffnungs-beschluss ersichtlich auf einem Versehen -, entzieht sich diese Wertung einer näheren Überprüfung durch den Senat.

Im Haftbeschwerdeverfahren während laufender Hauptverhandlung unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht vornimmt, nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 - juris = StV 2008, 198;BGH NStZ-RR 2013, 16; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. September 2007 - 4 Ws 305/07 - juris; std. Rspr. des Kammergerichts, vgl. etwa Beschlüsse vom 24. März 2014 - 1 Ws 19/14 - und 8. Februar 2011 - 4 Ws 10/11 -; jeweils m.w.Nachw.). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder inzwischen entfallen ist. Dessen vorläufige Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme kann vom Beschwerdegericht nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden, weil es an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O.; KG StV 2001, 689). Anders als in den Fällen, in denen sich das Verfahren noch vor der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung befindet und der Tatverdachtsprüfung allein der bis dahin niedergelegte Akteninhalt zugrunde liegt, kann das Beschwerdegericht in diesem Verfahrensstadium in die Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch das Tatgericht nur dann eingreifen und diese durch eine abweichende eigene Entscheidung ersetzen, wenn der Inhalt der angefochtenen Haftentscheidung offensichtlich fehlerhaft ist, weil das Tatgericht den dringenden Tatverdacht aus Gründen bejaht oder verneint, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht vertretbar sind (vgl. zum Ganzen BGH a.a.O. und StV 1991, 525; OLG Frankfurt am Main StV 1995, 593; OLG Koblenz StV 1994, 316; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. September 2007 - 4 Ws 305/07 - juris m.w.Nachw.; KG, Beschlüsse vom 24. März 2014 - 1 Ws 19/14 - und 8. Februar 2011 - 4 Ws 10/11 - m.w.Nachw.). In welchem Umfang der Tatrichter das bisherige Beweisergebnis im Beschwerdeverfahren darlegen muss, orientiert sich an der Notwendigkeit, es dem Beschwerdegericht zu ermöglichen, die Haftentscheidung auf die erforderliche Plausibilität (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 368; KG a.a.O.) zu überprüfen. Die Anforderungen an die Darlegungspflicht des erkennenden Gerichts dürfen im Rahmen von Haftentscheidungen nicht überspannt werden (vgl. Senat OLGSt StPO § 112 Nr. 17; Beschlüsse vom 8. Februar 2011 - 4 Ws 10/11 - und 23. November 2000 - 4 Ws 202/00 - juris). Für den Fall, dass sich gegenüber den in der Anklageschrift zusammengetragenen Beweisannahmen Änderungen ergeben haben, sind diese darzustellen; haben sich die Annahmen nach dem Verständnis des Tatrichters im Wesentlichen bestätigt, so kann es - je nach den Umständen des Einzelfalles - genügen mitzuteilen, dass die Hauptverhandlung zu keiner Änderung der bislang angenommenen Beweislage geführt hat.

b) Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist das Landgericht seiner Darlegungspflicht noch ausreichend nachgekommen. In seinem Nichtabhilfebeschluss hat es mitgeteilt, dass es den dringenden Tatverdacht im Sinne gemeinschaftlicher Tatbegehung durch den Beschwerdeführer und M. R. hinsichtlich der (noch) verfahrensgegenständlichen Taten auch nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme weiterhin als gegeben ansieht, und ausreichend dargelegt, warum es die Taten abweichend von dem angefochtenen Haftbefehl rechtlich wertet.

Die Beschwerde hat sich zu Verlauf und Ergebnissen der bisherigen Beweisaufnahme nicht verhalten. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Annahme dringenden Tatverdachts in dem genannten Umfang auf einer nicht vertretbaren Wertung der zurzeit für und gegen diesen sprechenden Umstände beruht oder dass wesentliche tatsächliche Umstände nicht berücksichtigt oder verkannt worden sind.

2. Es besteht aus den fortgeltenden Gründen des angefochtenen Haftbefehls - bei Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsgrundsätze (vgl. nur Senat StV 2012, 350 m.w.N. = StRR 2012, 154 mit zust. Anm. Burhoff) - weiterhin Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat auch unter Berücksichtigung der abweichenden rechtlichen Bewertung der ihm (noch) zur Last gelegten Taten als Vergehen angesichts der Vielzahl der Taten und des Umstandes, dass er sie aus dem offenen Vollzug einer - wegen einer einschlägigen Straftat erkannten - mehrjährigen Freiheitsstrafe heraus begangen hat sowie im Hinblick auf seine einschlägigen Vorstrafen insgesamt im Verurteilungsfalle mit der Verhängung einer erheblichen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen. Die bestehenden beruflichen und sozialen Bindungen des Beschwerdeführers erscheinen jedenfalls nicht geeignet, den aus der konkreten Straferwartung resultierenden Fluchtanreiz so erheblich zu mindern, dass die Fluchtgefahr entfiele. Zudem hatte er nach Aktenlage zumindest am 18. Januar 2013 über den Mitangeklagten M. R. Zugang zu gefälschten Personalpapieren, so dass davon auszugehen ist, dass er grundsätzlich in der Lage ist, sich falsche Papiere zu verschaffen, die ihm eine Flucht oder ein Untertauchen in Deutschland erleichtern können.

3.a) Der bestehenden Fluchtgefahr kann jedoch (weiterhin) mit milderen Mitteln als dem Vollzug der Untersuchungshaft hinreichend begegnet werden, so dass die Voraussetzungen für eine (erneute) Außervollzugsetzung des angefochtenen Haftbefehls nach § 116 Abs. 1 StPO vorliegen. Der Zweck der Untersuchungshaft kann vorliegend mit den bereits im Haftverschonungsbeschluss der Kammer vom 21. Januar 2014 angeordneten, durch den Änderungsbeschluss vom 3. Juni 2014 an die mit Beginn der Hauptverhandlung veränderte Situation angepassten weniger einschneidenden Maßnahmen erreicht werden. Der Beschwerdeführer hat sich dem gerichtlichen Verfahren bislang gestellt. Er ist zu allen bis zum 19. September 2014 durchgeführten Hauptverhandlungsterminen erschienen - soweit er nicht krankheits- bzw. unfallbedingt verhandlungsunfähig und deshalb entschuldigt war -, ist seiner Meldepflicht beanstandungsfrei nachgekommen und hat auch die weiteren Weisungen aus dem Haftverschonungsbeschluss vom 21. Januar 2014 befolgt. Auch nachdem er Kenntnis von dem weiteren gegen ihn gerichteten Verfahren 285 Js 2375/14 und (nach Akteneinsicht seines auch dort für ihn tätigen Verteidigers am 31. Juli 2014) dessen Verfahrensstand erlangt hatte, selbst nach der am 22. August 2014 erfolgten Mitteilung, dass dieses Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft für „anklagereif“ gehalten wird und im Wege der Nachtragsanklage zum (weiteren) Gegenstand der hiesigen Hauptverhandlung gemacht werden soll, hat er sich regelmäßig bei dem zuständigen Polizeiabschnitt gemeldet und ist - jedenfalls seit dem 27. August 2014 auch in Kenntnis dessen, dass wegen mittäterschaftlicher Begehung der dem Mitangeklagten M. R. im verbundenen Verfahren 285 Js 258/14 zur Last gelegten 12 Taten zeitnah Anklage gegen ihn erhoben werden soll - (jedenfalls) am 5. und am 19. September 2014 an Gerichtsstelle erschienen, um an der für diese Tage geplanten bzw. durchgeführten Fortsetzung der Hauptverhandlung teilzunehmen. Danach und unter Berücksichtigung der bestehenden sozialen Bindungen an seine Herkunftsfamilie und seine (erwachsenen) Kinder kann mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die genannten milderen Maßnahmen geeignet sind, das Verfahren zu sichern und den Beschwerdeführer an der Flucht bzw. einem Untertauchen in Deutschland zu hindern, selbst wenn die vor seiner Inhaftierung bestehende berufliche Einbindung durch den Zeitablauf verloren gegangen sein sollte.

b) Die Anklageerhebung im Verfahren 285 Js 2375/14 rechtfertigt die Anordnung des Vollzuges des Haftbefehls nach § 116 Abs. 4 StPO nicht. Nach der - von der Kammer als Grundlage ihrer Entscheidung vom 19. September 2014 herangezogenen - Regelung in Nr. 3 der genannten Norm ordnet der Richter den Vollzug des Haftbefehls an, wenn neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen. Das ist vorliegend nicht der Fall. Zwar ist die durch die Erhebung einer weiteren Anklage potentiell erhöhte Straferwartung grundsätzlich geeignet, den Haftgrund der Fluchtgefahr zu verstärken. Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass die Straferwartung in hiesigem Verfahren infolge der abweichenden rechtlichen Bewertung der verfahrensgegenständlichen Taten im Vergleich zum Zeitpunkt der Haftverschonung durch die Kammer am 21. Januar 2014 gesunken ist. Damit hat sich durch die Anklageerhebung im Verfahren 285 Js 2375/14 - selbst bei Zugrundelegung einer anklagegemäßen Verurteilung und daraus resultierender Straferwartung - die Fluchtgefahr insgesamt nicht in einem Maße erhöht, dass die Verhaftung des Angeklagten im Sinne des § 116 Abs. 4 StPO erforderlich wäre. Zudem hat sich dieser auch in Kenntnis des weiteren gegen ihn gerichteten Verfahrens, vom Umfang der dortigen Tatvorwürfe und von der zu erwartenden Anklageerhebung dem Verfahren weiter gestellt, so dass die Vertrauensgrundlage der Aussetzungsentscheidung nicht als entfallen angesehen werden kann.

4. Der von der Generalstaatsanwaltschaft bejahte (subsidiäre) Haftgrund der Wiederholungsgefahr - dessen Annahme bei bestehen eines Haftgrundes nach § 112 StPO nur in Betracht kommt, wenn (wie hier) die Voraussetzungen für eine Haftverschonung nach § 116 StPO gegeben sind - besteht nicht; die Haftanordnung und der Vollzug der Untersuchungshaft ist daher (auch) nicht durch § 112a StPO gedeckt. Die dem Beschwerdeführer im hiesigen Verfahren zur Last gelegten Betrugstaten stellen keine Anlasstaten im Sinne der genannten Vorschrift dar. An die Anordnung (und den Vollzug) der Untersuchungshaft wegen Widerholungsgefahr sind im Hinblick auf ihren Charakter als präventive Sicherungshaft aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Senat NStZ-RR 2010, 291 m.w.Nachw.). Betrugstaten kommen danach nur dann als Anlasstaten in Betracht, wenn sie hinsichtlich der Art der Tatausführung oder des Umfangs des verursachten Schadens, mithin in ihrem Schweregrad etwa dem besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 StGB entsprechen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 112a Rdn.7 m.w.Nachw.). Zwar liegt dem Angeklagten K. eine Vielzahl (zum Teil versuchter) gewerbsmäßig begangener Betrugstaten zur Last. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung ist durch diese Taten aber nicht eingetreten. Art und Ausmaß des Schadens sind bei keiner der verfahrensgegenständlichen Straftaten erheblich. Ein im Einzelfall eingetretener oder beabsichtigter Vermögensschaden von knapp 1.800 Euro zum Nachteil eines Versandhandelsunternehmens qualifiziert weder den Schweregrad der Tat noch deren Unrechtsgehalt als überdurchschnittlich und erscheint nicht geeignet, in weiten Kreisen das Gefühl der „Geborgenheit im Recht“ zu beeinträchtigen (vgl. Schmitt a.a.O., Rdn. 9 m.w.Nachw.), auch wenn wegen der sonstigen Umstände der Tatbegehung in diesen Fällen die Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe in Betracht kommt.

5. Der Senat hebt daher die Haftanordnung der Kammer vom 19. September 2014 auf und verschont den Angeklagten K. unter Aufrechterhaltung des angefochtenen Haftbefehls - mit der tenorierten Maßgabe - (erneut) vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Er hat sich einmal wöchentlich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden, dem Gericht unaufgefordert und unverzüglich jeden Wohnsitzwechsel anzuzeigen und den Ladungen in dieser Sache auch weiterhin Folge zu leisten; sein Reisepass bleibt bei den Akten.