BGH, Beschluss vom 27.01.2015 - VI ZB 40/14
Fundstelle
openJur 2015, 4471
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 U 10/13

1. Eine Berufungsbegründung bedarf einer aus sich heraus verständlichen Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Sie muss auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Hierfür reicht es nicht aus, auf Vorbringen in der Klageschrift zu verweisen und einen Gehörsverstoß wegen Verletzung der Hinweispflicht zu rügen, ohne auszuführen, was auf einen entsprechenden Hinweis vorgetragen worden wäre.

2. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist die Berufung unzulässig.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 21. Mai 2014 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 125.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen einer angeblich fehlerhaften ärztlichen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.

In den Jahren 2001 bis 2005 befand sich die Klägerin beim Beklagten, der eine orthopädische Praxis betreibt, wegen eines massiven Lymphödems im Ausmaß einer Elephantiasis, das die Versorgung der Klägerin mit orthopädischen Maßschuhen erforderlich machte, in Behandlung. Der Beklagte verordnete der Klägerin in dieser Zeit mehrere Paar Schuhe (Halbschuhe, Hausschuhe und Stiefel). Mit der Behauptung, diese Schuhe seien mangelhaft gefertigt worden, hätten gedrückt und gerieben, was zu schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen geführt habe, nahm die Klägerin zunächst das Sanitätshaus, das die Schuhe hergestellt hatte, auf Schadensersatz in Anspruch. Diese Klage wurde rechtskräftig abgewiesen. Nunmehr nimmt die Klägerin den Beklagten mit der Behauptung in Anspruch, bereits die Verordnungen der Schuhe seien sämtlich fehlerhaft gewesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es fehle bereits an einer Pflichtverletzung des Beklagten; es lasse sich auch nicht feststellen, dass die Beschwerden der Klägerin auf die Verordnungen des Beklagten zurückzuführen seien; zudem seien die von der Klägerin verfolgten Ansprüche verjährt. Die von der Klägerin dagegen geführte Berufung hat das Oberlandesgericht - nach vorherigem Hinweis - durch Beschluss als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber nicht zulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss die Klägerin weder in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

1. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung der Klägerin sei mangels ausreichender Berufungsbegründung unzulässig. Diese genüge den Anforderungen des § 520 Abs. 1 und 3 ZPO nicht, weil sie sich hinsichtlich der vom Landgericht festgestellten Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche, die die klageabweisende Entscheidung allein trage, auf den Hinweis beschränke, bereits in der Klageschrift sei vorgetragen worden, dass eine Verjährung nicht eingetreten sei. Unabhängig von der Frage, ob dieser allgemeine Hinweis bzw. die darin liegende Bezugnahme auf die Klageschrift ausreichend sei, seien die in der Klageschrift niedergelegten Ausführungen zur Verjährungsproblematik auch nicht geeignet, insoweit einen wirksamen Berufungsangriff zu führen.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - IX ZB 46/12, juris Rn. 7 mwN).

Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (Senat, Beschluss vom 18. Oktober 2005 - VI ZB 81/04, VersR 2006, 285 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2014 - III ZB 32/13, juris Rn. 13; vom 23. Oktober 2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 11; vom 15. Juni 2011 - XII ZB 572/10, NJW 2011, 2367 Rn. 10; vgl. auch Hk-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 520 Rn. 23; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 520 Rn. 37a; jeweils mwN).

b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin nicht gerecht. Hinsichtlich der das landgerichtliche Urteil selbständig tragenden Annahme der Verjährung fehlt es - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - an einem hinreichenden Berufungsangriff (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 1998 - IX ZR 389/97, NJW 1998, 3126; Beschluss vom 25. Januar 1990 - IX ZB 89/89, VersR 1990, 543).

aa) Bei der Annahme des Landgerichts, die streitgegenständlichen Ansprüche seien verjährt, handelt es sich um eine rechtliche Erwägung, die das Urteil selbständig und unabhängig von den anderen rechtlichen Erwägungen trägt, und nicht nur um einen bloßen Hinweis des Gerichts, hinsichtlich dessen es keines Berufungsangriffs bedürfte (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003 - I ZR 195/01, NJW-RR 2004, 1002; Hk-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 520 Rn. 23). Zwar führt das Landgericht einleitend aus, die Kammer weise nur der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die klägerseits verfolgten Ansprüche zudem verjährt wären und der Beklagte auch die dahingehende Einrede erhoben habe. Aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe ergibt sich aber, dass das Landgericht seine Entscheidung auch auf diesen Gesichtspunkt stützt. So belässt es das Landgericht - anders als im dem Urteil des I. Zivilsenats vom 18. Dezember 2003 (I ZR 195/01 aaO) zugrundeliegenden Fall - nicht bei einem kurzen Hinweis. Vielmehr legt es - in der Gliederung den anderen, ohne weiteres tragenden Erwägungen gleichgeordnet - ausführlich dar, warum es zum Ergebnis gelangt, die "insoweit zugunsten der Klägerin unterstellte[n]" Ansprüche wären "jedenfalls" nicht mehr durchsetzbar. Den Schluss, die Klage stelle sich "damit [...] als vollumfänglich abweisungsreif dar", zieht es im Anschluss daran und legt diesem damit auch die Ausführungen zur Verjährung zugrunde.

bb) Hinsichtlich der vom Landgericht angenommenen Verjährung fehlt es an einem hinreichend dargelegten (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 3 ZPO) Berufungsangriff. Die bloße Bezugnahme auf Ausführungen in der Klageschrift erschöpft sich in einem - wie ausgeführt - nicht ausreichenden Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen. Ob die Ausführungen in der Klageschrift selbst - wie die Rechtsbeschwerde von der Bewertung des Berufungsgerichts abweichend meint - geeignet sind, das angefochtene Urteil in Frage zu stellen, ist deshalb unerheblich (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 1998 - IX ZR 389/97, NJW 1998, 3126).

Soweit die Berufungsbegründung darüber hinaus rügt, das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, darauf hinzuweisen, dass es die streitgegenständlichen Ansprüche auch für verjährt halte, und das erstinstanzliche Verfahren in einer Weise betrieben, die darauf habe schließen lassen, dass es vom Eintritt der Verjährung gerade nicht ausgehe, hilft dies der Klägerin nicht weiter. Denn ein tauglicher Berufungsangriff kann auch darin nicht erblickt werden. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 139 ZPO und/oder Art. 103 Abs. 1 GG ist nämlich in einem solchen Fall nur dann in ausreichender Weise erhoben, wenn dargelegt wird, was auf einen entsprechenden Hinweis vorgetragen worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - IX ZB 46/12, juris Rn. 10; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 139 Rn. 20; jeweils mwN). Dies hat die Klägerin in der Berufungsbegründung nicht getan.

cc) Die von der Rechtsbeschwerde gegen den angefochtenen Beschluss im Übrigen erhobenen Einwände greifen nicht.

Dies gilt zunächst für den Einwand, im Arzthaftungsprozess - wie vorliegend - seien auch an die Berufungsbegründung nur maßvolle und verständig geringe Anforderungen zu stellen, wie generell an die Substantiierungspflicht des klagenden Patienten. Dies mag im Ansatz zutreffen, betrifft aber nur Vortrag zu fachspezifischen Fragen, der besondere Sachkunde erfordert, insbesondere also Vortrag zu medizinischen Vorgängen, bezüglich derer vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis erwartet werden kann (vgl. Senatsurteile vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 335; vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 252; vom 19. Mai 1981 - VI ZR 220/79, VersR 1981, 752). Die Frage nach dem Verjährungsbeginn ist im Streitfall gerade keine solche Frage. Zudem ist auch bezüglich fachspezifischer Fragen kein Grund ersichtlich, die Darlegungsobliegenheit in der Berufungsbegründung so weit abzuschwächen, dass hier - anders als sonst - der bloße Verweis auf die Klageschrift ausreichend wäre.

Weiter ist für die Frage der Zulässigkeit der Berufung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ohne Bedeutung, dass sich die Klägerin in ihrem beim Berufungsgericht nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 12. November 2013 vertieft mit der Verjährungsfrage auseinandersetzt. Denn eine unzulängliche Berufungsbegründung kann nach Fristablauf nicht mehr geheilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 1997 - III ZR 285/95, VersR 1997, 643 f.). Erst recht sind - anders als die Rechtsbeschwerde offenbar meint - Ausführungen des Berufungsbeklagten in der Berufungserwiderung nicht geeignet, eine unzulängliche Berufungsbegründung zu heilen.

c) Das Berufungsgericht hat die Berufung mithin zu Recht als unzulässig verworfen. Auf Fragen der Begründetheit der Berufung, also insbesondere auf die den Streitfall betreffenden Ausführungen der Rechtsbeschwerde zur Frage des Verjährungseintritts und der den Tatrichter nach ihrer Auffassung treffenden Pflicht, ein neues Sachverständigengutachten einzuholen, kommt es deshalb nicht mehr an.

Galke Pauge Stöhr Offenloch Oehler Vorinstanzen:

LG Frankenthal, Entscheidung vom 27.02.2013 - 4 O 446/11 -

OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 21.05.2014 - 5 U 10/13 -