SG Marburg, Urteil vom 10.12.2014 - S 12 KA 599/13
Fundstelle
openJur 2015, 3335
  • Rkr:

Das nicht apothekenpflichtige Präparat "Tabotamp" ist in Hessen nicht als Sprechstundenbedarf verordnungsfähig (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.11.2008 - L 3 KA 169/06 - RID 09-02-50).

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Er hat auch die Gerichtskosten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um eine Regressforderung der Beigeladenen wegen unzulässiger Verordnung von Tabotamp als Sprechstundenbedarf im Quartal I/09 in Höhe von 2.351,21 Euro.

Der Kläger ist als Facharzt für Chirurgie und Orthopädie mit dem Schwerpunkt Unfallchirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 19.02.2013 auf Antrag der Verbände der Krankenkassen einen Regressbetrag in Höhe von 2.375,71 Euro wegen der Verordnung von Thrombocutan Gel/Salbe und Tabotamp als Sprechstundenbedarf im Quartal I/09 fest, wobei 2.351,21 Euro auf die Verordnung von Tabotamp entfielen. Zur Begründung führte sie aus, Thrombocutan Gel/Salbe sei nicht zu Lasten des Sprechstundenbedarfs verordnungsfähig, da es nur apothekenpflichtig sei und Ziff. 16 AM-RL zu beachten sei. Das Medikament diene auch zur Therapie für einen bestimmten Zeitraum, weshalb seine Verordnung als Sprechstundenbedarf auch aus diesem Grund nicht zulässig sei. Nach Anl: 3 Ziff. 26 AM-RL seien Externa bei traumatisch bedingten Schwellungen, Ödemen und stumpfen Traumata grundsätzlich nicht verordnungsfähig. Das Medikament Tabotamp sei in der Sprechstundenbedarfsvereinbarung nicht aufgelistet. Es handele sich auch um ein nicht apothekenpflichtiges Medizinprodukt. Die Sprechstundenbedarfsvereinbarung sei eine Positivliste. Artikel und Präparate, die nicht Inhalt der Vereinbarung seien, seien nicht zu Lasten des Sprechstundenbedarfs verordnungsfähig.

Die Beklagte setzte mit weiterem Bescheid vom 19.02.2013 auf Antrag der Verbände der Krankenkassen einen Regressbetrag in Höhe von 583,32 Euro wegen der Verordnung von Thrombocutan Gel/Salbe und Tabotamp als Sprechstundenbedarf im Quartal III/09 mit gleichlautender Begründung fest, wobei 568,62 Euro auf die Verordnung von Tabotamp entfielen.

Hiergegen legte der Kläger am 04. und 11.03.2013 Widerspruch ein, den er auf die Verordnung von Tabotamp beschränkte. Er führte aus, Haemostyptica, zu denen Tabotamp gehöre, seien Bestandteil der Sprechstundenbedarfsvereinbarung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2013 wies die Beklagte die Widersprüche aus den Gründen der Ausgangsbescheide zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 25.11.2013 die Klage zum Az.: S 12 KA 599/13 erhoben. Die Kammer hat mit Beschluss vom 27.11.2013 das Verfahren bzgl. des Quartals III/09 unter dem Az.: S 12 KA 629/13 abgetrennt.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 02.07.2013 auf Antrag der Verbände der Krankenkassen einen Regressbetrag in Höhe von insgesamt 4.248,25 Euro wegen der Verordnung von Sprechstundenbedarf fest, wovon 183,68 Euro wegen der Verordnung von Thrombocutan Gel/Salbe und Indigocarmin im Quartal II/10, 2.876,07 Euro wegen der Verordnung von Thrombocutan Gel/Salbe, Tabotamp, Sterilium und Mini Spike im Quartal III/10 und von 1.188,50 Euro wegen der Verordnung von Tabotamp im Quartal IV/10 festgesetzt wurden; hiervon entfielen 2.696,73 Euro bzw. 1.188,50 Euro (zusammen 3.885,23 Euro) auf die Verordnung von Tabotamp.

Hiergegen legte der Kläger am 08.07.2013 Widerspruch ein, den er auf die Verordnung von Tabotamp beschränkte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2013 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen wie in den Vorquartalen zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 13.01.2014 die Klage zum Az.: S 12 KA 35/14 erhoben.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 10.12.2014 die Verfahren zu den Az.: S 12 KA 35/14 und S 12 KA 629/13 zum Ruhen gebracht.

Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, bei Tabotamp handele es sich um ein Haemostypticum, d. h. um ein Blutstillungsmittel, bestehend aus Cellulose, das resorbierbar sei. Es sei nicht apothekenpflichtig. Es unterfalle der Ziff. 6.1 lit. d der Anl. 1 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung. Darüber hinaus handele es sich bei Tabotamp auch um sog. Hydrocolloidverbände. Es unterfalle auch als Verband- und Nahtmaterial Ziff. 1 der Anl. 1 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung, ebenso als „Zellstofftupfer“. Insofern könne es nicht darauf ankommen, ob die Cellulose geringfügig weiterbehandelt worden sei. Tabotamp könne im Krankenhaus als Sprechstundenbedarf verordnet werden, was eine Benachteiligung der niedergelassenen Vertragsärzte bedeute.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 19.02.2013, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2013, und den Bescheid vom 02.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom11.12.2013 insoweit aufzuheben, als ein Regress wegen der Verordnung von Tabotamp als Sprechstundenbedarf festgesetzt worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie verweist auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, Mittel zur Blutstillung seien nur verordnungsfähig, wenn sie apothekenpflichtig seien. Es handele sich nicht um einen Hydrokolloidverband. Solche Verbände würden hauptsächlich bei chronischen Wunden wie Druckgeschwüren oder Unterschenkelgeschwüren eingesetzt. Hierbei handele es sich nicht um blutstillende Mittel. „Zellstofftupfer“ seien Produkte aus dem Grundstoff Zellstoff, die vor allem zum Aufsaugen von Wundflüssigkeit bestimmt seien oder der Hautreinigung vor Injektionen dienten. Tabotamp werde aus Gaze hergestellt und sei ein chemisch präpariertes Produkt, das gezielt zur Blutstillung eingesetzt werde. Als nicht apothekenpflichtiges Arzneimittel sei Tabotamp auch kein „sonstiges Arzneimittel“ im Sinne der Sprechstundenbedarfsvereinbarung.

Die Beigeladenen haben sich zum Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 27.11.2013 und 24.10.2014 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Gründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 19.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2013 ist insoweit rechtmäßig, als ein Regress wegen der Verordnung von Tabotamp als Sprechstundenbedarf festgesetzt worden ist. Er war daher, soweit er noch angefochtenen wurde, nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Die sachlich-rechnerische Berichtigung ist formell rechtmäßig, insbesondere war die Beklagte zuständig.

Im Bereich der Beklagten ist eine Zuständigkeit der Prüfungseinrichtungen durch gesamtvertragliche Regelungen nicht begründet worden. § 48 Abs. 1 BMV-Ä in der ab 01.01.1995 geltenden Fassung sieht die Zuständigkeit der Prüfungseinrichtungen zur Feststellung von Schäden, die einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, vor (zum Arzneikostenregress bei Einzelverordnungen s. a. Bundessozialgericht <BSG>, Urt. v. 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Dem entsprechend bestimmt auch § 15 Abs. 1 der ab 01. Januar 2004 geltenden und zwischen den hessischen Gesamtvertragsparteien geschlossenen Prüfungsvereinbarung vom 19.08.2004, veröffentlicht als Anlage 3 zum Landesrundschreiben/Bekanntmachung der Beklagten vom 02.11.2005, dass der Prüfungsausschuss auch prüft, ob der Vertragsarzt mit seinen sonstigen Verordnungen gegen die Zulässigkeit der Verordnung, insbesondere im Hinblick auf die Richtlinien der Sprechstundenbedarfsvereinbarung verstoßen hat, soweit andere vertragliche Regelungen dem nicht entgegenstehen. Nach § 1 Abs. 4 der zwischen den hessischen Gesamtvertragsparteien geschlossenen Vereinbarung über die vertragsärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf vom 07. November 1994, gültig ab 1. Januar 1995, www.kvhessen.de (im Folgenden: SV), sind, werden andere als die nach dieser Vereinbarung zulässigen Mittel als Sprechstundenbedarf verordnet, die hierdurch entstandenen Kosten bzw. Mehrkosten zu erstatten. Entsprechende Korrekturen sollen bei der Prüfung der Rechnungslegung vorgenommen werden. Scheidet diese Möglichkeit aus, sind auf Antrag der AOK Hessen die Kosten von der KVH im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung festzustellen und vom Vertragsarzt zu erstatten. Anträge auf Erstattung können nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Ausstellungsquartales der Verordnung gestellt werden und der betroffene Arzt soll zeitnah über die Einleitung eines Verfahrens informiert werden. Hiervon unberührt bleiben eventuelle Prüfanträge wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise. Diese richten sich nach den Bestimmungen der Prüfvereinbarung. Damit haben die Gesamtvertragsparteien in zulässiger Weise (vgl. LSG Sachsen, Urt. v. 26.01.2005 - L 1 KA 30/02 - juris, Rdnr. 51) eine Zuständigkeit der Beklagten begründet.

Die sachlich-rechnerische Berichtigung ist auch materiell rechtmäßig.

Die Ärzte können als Sprechstundenbedarf im Sinne der Allgemeinen Bestimmungen A I.4. des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) die in den Anlagen zu der Sprechstundenbedarfsvereinbarung aufgeführten Arzneimittel, Verbandmittel, Instrumente, Gegenstände und Materialien verordnen. Als Sprechstundenbedarf gelten hiernach nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Versicherten Verwendung finden oder bei Notfällen sowie im Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff bei mehr als einem Patienten zur Verfügung stehen müssen (§ 1 Abs. 1 SV). Mittel, die nur für einen einzelnen Patienten bestimmt sind, stellen keinen Sprechstundenbedarf dar, sondern sind zu Lasten der zuständigen Krankenkasse auf den Namen des Versicherten bzw. Berechtigten zu verordnen, sofern sich aus den Anlagen nichts anderes ergibt. Die Mittel, die auf den Namen des Patienten verordnet wurden (z.B. Ampullen), jedoch von diesem nicht mehr benötigt werden, gehen in den Sprechstundenbedarf über (§ 2 Abs. 2 SV).

28Die Verordnung von Tabotamp Nu Knit als Sprechstundenbedarf ist nicht zulässig.

Sieht man Tabotamp als Arzneimittel an, was vorliegend offen bleiben kann, kann es nicht nach Ziff. 6.1. d) Anlage 1 der SV als „Mittel zur Blutstillung“ verordnet werden, da es nicht apothekenpflichtig ist. Arzneimittel sind nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie apothekenpflichtig sind. Dies betrifft auch die Verordnungsfähigkeit als Sprechstundenbedarf, weil diese nicht weiter gehen kann als die grundsätzliche Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung reicht. Tabotamp ist aber unstreitig nicht apothekenpflichtig (vgl. bereits LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.11.2008 - L 3 KA 169/06 - juris Rdnr. 30).

Eine Verordnung als Verband- und Nahtmaterial nach Ziff. 1 Anlage 1 der SV scheidet ebf. aus. Tabotamp ist kein Hydrocolloidverband. Es wird vom Hersteller selbst als resorbierbares Hämostyptikum, also als Arzneimittel zur Blutstillung bezeichnet. Ein Hydrokolloidverband ist eine Wundauflage in der feuchten Wundbehandlung. Er besteht aus zwei Anteilen. Der äußere Teil ist meist eine Folie oder eine halbdurchlässige Membran. Im inneren des Verbands befindet sich eine Matrix, welches meist aus einer Zellulose oder einem anderen Geliermittel besteht. Demgegenüber ist die Darreichungsform von Tabotamp ein Wundgaze.

Bei Tabotamp handelt es sich auch nicht um Zellstofftupfer. Hierzu können bei wortlautorientierter Auslegung nur nicht weiter behandelte Produkte aus dem Grundstoff Zellstoff zählen, die - wie z.B. Zellstofftupfer oder Verbandszellstoff - vor allem zum Aufsaugen von Wundflüssigkeiten bestimmt sind. Demgegenüber handelt es sich bei Tabotamp um ein aus Gaze hergestelltes und chemisch präpariertes Produkt, das gezielt zur Blutstillung eingesetzt wird und - anders als gewöhnlicher Zellstoff - vom Körper resorbiert wird (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., Rdnr. 32). Letztlich handelt es sich bei Tabotamp um ein gegenüber der Sprechstundenbedarfsvereinbarung neues Mittel mit neuer Anwendungsform, da es nicht zur Auflage auf die Wunde dient, sondern zur Wundeinlage, da es resorbierbar ist. Um dieses Mittel als Sprechstundenbedarf zu verordnen, bedarf es daher einer Ergänzung der Vereinbarung durch die Gesamtvertragspartner. Eine analoge oder ergänzende Auslegung durch das Gericht kommt nicht in Betracht.

Eine Benachteiligung der niedergelassenen Vertragsärzte gegenüber Krankenhausärzten scheidet schon deshalb aus, weil eine Vergleichbarkeit aufgrund der unterschiedlichen Versorgungsaufgaben und Regelungen nicht gegeben ist.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.