OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.11.2014 - 11 UF 1097/14
Fundstelle
openJur 2015, 1976
  • Rkr:

1. Das Gebot, eine Jugendhilfeleistung außerhalb der Familie anzunehmen und nicht zu beeinträchtigen solange vom Jugendamt keine andere Leistung angeboten wird, stellt im Vergleich zu dem Entzug wesentlicher Teilbereiche der elterlichen Sorge den geringeren Eingriff in das Elternrecht vor.2. Dieses Gebot kommt insbesondere in Betracht, wenn die Inhaber der elterlichen Sorge mit einer Trennung des Kindes von der Familie grundsätzlich einverstanden sind, aber die angebotene Leistung des Jugendamtes ablehnen. Mit dem Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge würden die Inhaber der elterlichen Sorge nämlich zugleich ihr Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB VIII sowie ihre Beteiligungsrechte an der Hilfeplanung nach § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII verlieren.3. Die Familiengerichte sind nicht zur Entscheidung über die Auswahl einer geeigneten Leistung der Jugendhilfe berufen. Vielmehr unterliegt das Handeln des Jugendamtes der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kelheim vom 11.07.2014 in Nummer 1 und 2 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Mutter des Kindes E… S…, geboren am … 2002, wird geboten, vom Jugendamt angebotene öffentliche Hilfen für das Kind, insbesondere in Form einer Heimerziehung oder sonstigen betreuten Wohnform gemäß § 34 SGB VIII, in Anspruch zu nehmen; ihr wird verboten, die derzeitige Hilfegewährung zu beeinträchtigen oder zu beenden, solange ihr vom Jugendamt keine andere Hilfe zur Erziehung angeboten wird.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin ist Mutter von insgesamt fünf Kindern. In ihrem Haushalt lebt neben E…, ihrem jüngsten Kind, noch dessen Halbschwester A..., 16 Jahre alt, und P…, 19 Jahre alt. Beide befinden sich derzeit in Berufsausbildung. Daneben hat die Mutter noch zwei weitere Kinder, einen erwachsenen Sohn, der nicht mehr bei der Familie wohnt, und eine 21-jährige Tochter, die in Regensburg in einer Wohngruppe wohnt. Die Tochter kommt regelmäßig an den Wochenenden nach A…, um insbesondere den engen Kontakt mit E… zu pflegen. Sie war auch bei dem Termin zur Anhörung von E… vor dem Senat anwesend.

Bereits am 16.07.2013 sprach die Kindesmutter persönlich beim Kreisjugendamt Kelheim vor und teilte mit, dass sie mit E… überfordert sei. Dieser raste völlig aus, wenn sie sein Zimmer betrete. Er werfe mit Geschirr umher, horte Essensreste im Bettkasten bis diese schimmeln, bestemple mit einem Stempel die Innenwände des gesamten Hauses, werfe Gegenstände umher, räume den gesamten Inhalt des Kühlschrankes aus, werfe diesen in die Toilette und verteile überall Waschpulver, Zahnpasta und Flüssigseife. Es sei unmöglich, ihn zum Arzt zu fahren, weil er auch aus dem fahrenden Auto aussteige. Wiederholt sei er abgängig gewesen, weshalb sie ihn zum Teil auch nachts habe suchen müssen. Die Mutter stellte einen Antrag auf Gewährung von Jungendhilfeleistungen in Form einer stationären Unterbringung. In Absprache mit dem Jugendamt stellte sie E… danach bei Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Regensburg vor, um den genauen Bedarf des stationären Settings für E… klären zu lassen. Dort wurde eine reaktive Bindungsstörung diagnostiziert. Nach Rücksprache mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde durch das Jugendamt in einer Einrichtung im Kreis Rhön-Grabfeld (Bischofsheim) angefragt, ob diese bereit wäre, E… aufzunehmen. Der Aufnahmetermin wäre am 09.10.2013 gewesen. Die Kindesmutter gab jedoch an, dass E… in der Einrichtung nicht untergebracht werden solle, da sich diese zu weit von ihrem Wohnort weg befinde und sie sich die Fahrt nicht leisten könne. Nach dem Bericht des Jugendamtes wurde ihr die Übernahme der Fahrtkosten in Aussicht gestellt. Das Jugendamt wandte sich hierauf an das Familiengericht mit einer Mitteilung nach § 8 a Abs. 3 SGB VIII. In dieser Mitteilung regte das Jugendamt an, der Kindesmutter im Eilverfahren die Personensorge für E… einstweilen zu entziehen und auf das Kreisjugendamt in Form einer Ergänzungspflegschaft zu übertragen.

Der vom Amtsgericht eingesetzte Verfahrensbeistand berichtete am 12.11.2013, er habe ein Gespräch mit der Kindesmutter und E… geführt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie seien angespannt. Die Kindesmutter verdiene als Reinigungskraft in der Realschule durchschnittlich monatlich 650,-- Euro und bekomme für drei Kinder Kindergeld. Der Kindesvater von E… bezahle für diesen regelmäßig Kindesunterhalt in Höhe von 272,-- Euro. Die Warmmiete betrage 700,-- Euro. Das Wohnumfeld wurde vom Verfahrensbeistand (ebenso wie später vom Sachverständigen) als angemessen bezeichnet, die Wohnung mache einen ordentlichen und aufgeräumten Eindruck. E… besuchte damals die fünfte Klasse der Mittelschule in A…. Auch dem Verfahrensbeistand gegenüber berichtete die Kindesmutter, dass sie bei Konflikten hinsichtlich der Zimmergestaltung keinen Zugriff mehr auf das Kind habe. E… habe ein eigenes TV-Gerät in seinem Zimmer und sehe unter der Woche regelmäßig bis 22.00 Uhr, am Wochenende sogar länger fern. Mit seinem Vater hätte E… zuletzt etwa im Jahr 2004 oder 2005 Kontakt gehabt.

E… machte gegenüber dem Verfahrensbeistand einen aufgeweckten und freundlichen Eindruck. Zur Schule beschrieb er, dass er in einer Ganztagsschule sei. Um 13.00 Uhr gehe er zum Essen. Um 15.30 Uhr verlasse er die Nachmittagsbetreuung. Auf sein Zimmer angesprochen und auf den Wunsch des Verfahrensbeistands, dieses kurz zu sehen, reagierte er ablehnend. Auf Nachfrage wollte er unter keinen Umständen die häusliche Gemeinschaft verlassen.

In seiner ersten richterlichen Anhörung vor dem Familiengericht im Verfahren der einstweiligen Anordnung am 13.11.2013 fing E… bei der Frage, ob es schlimm wäre, wenn er von seiner Mutter weg müsste und in einer Einrichtung zusammen mit anderen Kindern leben müsste, zu weinen an. Zum Abschluss des Verfahrens der einstweiligen Anordnung wurde durch die zuständige Richterin mit allen Beteiligten erörtert, dass nach der Ansicht des Gerichts derzeit keine so akute Situation vorliege, die eine Herausnahme aus der Familie notwendig mache.

Von Seiten des Familiengerichts wurde ein Hauptsacheverfahren eingeleitet und in diesem ein kinderpsychologisches Gutachten in Auftrag gegeben. Zu dem Ergebnis der Begutachtung wird auf das schriftliche Gutachten vom 17.06.2014 sowie die Vermerke der Anhörungen des Sachverständigen vor dem Amtsgericht am 11.07.2014 (Bl. 21 ff. d. A.) sowie vor dem Senat am 30.09.2014 (Bl. 55 ff. d. A.) Bezug genommen.

Noch vor dem Termin beim Familiengericht wurde E… am 05.06.2014 in Obhut genommen und im Kinderzentrum St. V… in Regensburg betreut. Anlass der Inobhutnahme war ein Vorfall bei dem E… nach Darstellung der Mutter den Laptop von seinem Bruder erlangen wollte, was dieser abgelehnt habe. Sodann habe E… auch mit dem Bruder mitfahren wollen, was dieser wiederum nicht gewollt habe. E… habe hierauf die Wohnung völlig verwüstet. Die Kindesmutter erklärte sich mit der Unterbringung im Kinderheim in Regensburg einverstanden. Mit der vom Jugendamt erneut anvisierten Unterbringung im Landkreis Rhön-Grabfeld sei sie nicht einverstanden. Gegenüber dem Amtsgericht äußerte die Kindesmutter, sie sei sich bewusst, dass sie mit E… nicht mehr fertig werde und dieser eine kriminelle Laufbahn nehmen könnte. Sie sei mit den Nerven am Ende.

In dem Termin vor dem Familiengericht schloss sich der Verfahrensbeistand der Einschätzung des Sachverständigen an, wonach auch bei einem Einverständnis der Mutter mit einer Unterbringung des Kindes im Landkreis Rhön-Grabfeld aus Kindeswohlgründen dennoch ein gewisser Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge erforderlich erscheine. In einem weiteren Termin beim Amtsgericht wurde E… nochmals angehört, der erklärte, ihm ginge es im St. V…-Heim in Regensburg gut. Er wolle in Regensburg bleiben, weiter weg wolle er nicht, weil er dann seine Mutter, seine Schwester und seinen Bruder nicht besuchen könne.

Das Amtsgericht folgte den Empfehlungen des Sachverständigen und entzog mit dem bereits genannten Beschluss vom 11.07.2014 der Mutter das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung schulischer und gesundheitlicher Belange und das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen. Das Kreisjugendamt Kelheim wurde als Ergänzungspfleger eingesetzt.

Gegen diesen der Kindesmutter am 16.07.2014 zugestellten Beschluss wendet sie sich mit ihrer von ihrer Bevollmächtigten beim Amtsgericht Kelheim am 11.08.2014 eingereichten Beschwerde.

In ihrer Beschwerde teilt sie erneut mit, sie sei grundsätzlich mit einer stationären Unterbringung ihres Sohnes einverstanden. Sie wolle jedoch, dass E… so ortsnah untergebracht werde, dass es ihr und seinen vier Geschwistern ohne größeren finanziellen Aufwand möglich sei, ihn zu besuchen. Dieser sei - nach dem Beschluss des Amtsgerichts - am 22.07.2014 in die Jugendhilfeeinrichtung in Bischofsheim verbracht worden. Vom Jugendamt sei ihr dann auch mitgeteilt worden, dass sie E… dort am Wochenende besuche könne und die Fahrtkosten „eventuell“ erstattet bekäme. Ihr sei von der für die Fahrtkosten zuständigen Stelle des Jugendamtes mitgeteilt worden, diese Kosten würden für das Jugendamt explodieren, wenn regelmäßig für fünf Personen nach Bad Neustadt a. d. Saale Fahrtkosten erstattet werden müssten. Es würden mit der Verbringung E… faktisch die Bindungen des Kindes zu seiner Familie gekappt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass es keine geeignete Einrichtung für Elias in der näheren Umgebung geben solle.

Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Mutter und der Einrichtung beträgt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen ca. 4 (mit von der Mutter jedenfalls nicht selbst finanzierbarer ICE-Nutzung) und ca. 5 Stunden (ohne ICE-Nutzung). Die Mutter verfügt über keinen eigenen Pkw.

Das Jugendamt teilte mit, die Haltung von E… bezüglich des Aufenthalts in Bischofsheim habe sich seit der richterlichen Befragung am 11.07.2014 nicht verändert.

In der Anhörung vor dem Senat erklärte der Vater des Kindes, wie bereits bei der Anhörung durch das Amtsgericht, er könne nicht beurteilen, was das Beste für E… sei. Das müssten die Leute entscheiden, die es dann auch zu verantworten hätten.

Zur Auswahl des Heimes erklärte der Vertreter des Jugendamtes unter anderem, die Unterbringung von E… im St. V…-Heim wäre suboptimal gewesen, weil dieses Heim ihn in der therapeutischen Gruppe nur während der Woche, nicht aber am Wochenende hätte betreuen können. Gerade mit Kindern, die Bindungsprobleme aufweisen würden, hätten sie in der Vergangenheit auch weniger gute Erfahrungen mit dem St. V…-Heim gemacht. Dagegen gewährleiste das Heim in Bischofsheim eine durchgehende Betreuung in ein und derselben Gruppe. Eine Alternative wäre lediglich eine Einrichtung gewesen, die im Drei-Länder-Eck Österreich-Deutschland-Tschechien liege, aber in diesem Sommer keinen Platz anbieten konnte.

Der Verfahrensbeistand des Kindes sprach sich in dem Termin dafür aus, den Status quo momentan aufrechtzuerhalten. Die Frage der Unterbringung sei bereits am Amtsgericht ausführlich erörtert worden.

Die Kindesmutter hielt bei der Anhörung daran fest, sie wolle E… häufig besuchen und so den Kontakt zu ihm aufrechterhalten. Sie wolle deshalb auch nach wie vor, dass E… in einer stationären Einrichtung in der Nähe ihres Wohnorts untergebracht werde.

In der vom Senat durchgeführten Anhörung, auf deren Ergebnis Bezug genommen wird (Bl. 66 ff. d. A.) erklärte auch E… selbst nochmals, dass er zurück zur Einrichtung St. V… in Regensburg wolle.

Vor der Anhörung übergab auch seine (Halb-)Schwester eine eigene Stellungnahme zu dem Verfahren, auf die ebenfalls Bezug genommen wird. Die Schwester erklärt ebenfalls, gegen eine Unterbringung zu sein, die aufgrund von zu weiter Entfernung die emotionale Bindung zur Familie und das regelmäßige Besuchen unterbinde. E… habe sich in der Regensburger Heimeinrichtung entfalten können. Aktivitäten mit Familienmitgliedern seien ein wichtiger Bestandteil seines persönlichen Glücks. Da dies nun durch den Aufenthalt in Bischofsheim auf ein Minimum reduziert werde, sei dies ein wesentlicher Bestandteil für eine problematische Entwicklung und Entfaltung.

II.

Die gemäß §§ 57 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter führt zur Abänderung der familiengerichtlichen Entscheidung.

Mit dem Familiengericht hält auch der Senat Maßnahmen nach § 1666 BGB weiterhin für geboten, weil das Wohl von E… gefährdet ist.

Nach dem in sich schlüssigen und auch in der Anhörung von keinem der Beteiligten in Frage gestellten Sachverständigengutachten zeigen sich vor allem in der Bindungsstruktur der Kindesmutter massive Defizite. Die Kindesmutter hatte selbst bestätigt, dass sie keinerlei emotionalen Zugang zu E… finden würde. In der Gesamtsicht zeige sich im Verhältnis Mutter-E… ein Bindungsmuster, das in der Bindungsforschung als charakteristisch für eine ambivalent-vermeidende bis desorganisierte Bindungsbeziehung charakterisiert werde (Seite 21 des Gutachtens). Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstruktur der Mutter, aber auch der psychischen Lage von E… selbst, könne davon ausgegangen werden (Seite 25 des Gutachtens),

dass keinerlei tragfähige Bindungsbeziehung zwischen E… und der Mutter bestehe,

E… extrem emotional verunsichert und desorientiert sei,

der Mutter auch im Zusammenhang mit ihrer eigenen Biografie die Fähigkeit fehle, durch eine einfühlsame, empathische Haltung die Widerstände des Kindes aufzulösen,

das Beziehungsgefüge zwischen E… und der Mutter bereits jetzt schon irreversibel gestört sei,

der Mutter zwischenzeitlich die Motivation und Anstrengungsbereitschaft fehle, selbst konstruktiv an der Veränderung der Beziehung zu E… arbeiten zu wollen und

selbst mit unterstützender therapeutischer Hilfe, auf die sich die Mutter aber derzeit nicht einlassen werde, kaum eine positive Nachentwicklung im Beziehungsgefüge als Voraussetzung einer Rückführung von E… erwartet werden könne.

E… realisiere sehr genau die erzieherische Hilflosigkeit seiner Mutter ihm gegenüber (Seite 33 des schriftlichen Gutachtens unten). Dabei wirke die Kindesmutter durch erzieherische Kapitulation wiederum negativ motivierend, was die Identität des Jungen mit der Mutter erschwere. In einer erstaunlich offenen Weise habe die Kindesmutter eingeräumt, dass es ihr zwischenzeitlich egal sei, ob E… in ein Heim komme, sie habe weder die Kraft, noch die Bereitschaft, eine vertiefte Beziehung zum Kind zu finden. Sie wolle endlich ihr eigenes Leben leben und sich nicht ständig von den Schwierigkeiten des Jungen unterdrücken und ihr „Leben versauen“ lassen. Lange genug habe sie in die Kinder investiert und jetzt sei es Zeit, dass sie für sich selbst einen Weg finde (Seite 34 des schriftlichen Gutachtens). Der Sachverständige sieht im Ergebnis, selbst mit unterstützender therapeutischer Hilfe, innerhalb eines verantwortbaren Zeitraums keine wirkungsvolle Möglichkeit, eine Auflösung der Bindungsstörungen einerseits und einen so nachhaltigen erzieherischen Kompetenzzuwachs bei der Mutter andererseits erreichen zu können, dass eine Belassung von E… im mütterlichen Lebensumfeld verantwortbar wäre. In der Gesamtsicht sehe er nur durch die Herausnahme von E… und durch eine langjährige Fremdbetreuung in einer heilpädagogisch strukturierten Einrichtung noch die Möglichkeit einer schrittweisen Stabilisierung von E…, um ein Abgleiten in eine dissoziale Fehlentwicklung und eine delinquente Karriere verhindern zu können.

In der mündlichen Anhörung vor dem Familiengericht erklärte der Sachverständige auf die Frage des Gerichts, ob auch, falls die Mutter sich nunmehr doch mit einer Unterbringung des Kindes in Rhön-Grabfeld einverstanden erklären würde, dennoch aus Kindeswohlgründen ein Entzug gewisser Teilbereiche der elterlichen Sorge erforderlich erscheine, die Mutter sei in ihrem Verhalten hoch ambivalent. Teilweise tue ihr das Kind wieder leid. Es sei keine konstante positive Zusammenarbeit der Kindesmutter mit dem Jugendamt zu erwarten. Die Mutter befinde sich in einem Loyalitätskonflikt gegenüber dem Kind. Aus seiner Sicht seien aufgrund der hochgradigen Störungen des Kindes und der Schwierigkeit auch die Teilbereiche der elterlichen Sorge, wie das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung schulischer Belange, das Recht zur Regelung der gesundheitlichen Belange sowie das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen aus Kindeswohlgründen auf das Kreisjugendamt Kelheim als Ergänzungspfleger zu übertragen. Die Beziehungssituation zur Mutter sei nachhaltig schwer gestört. Auch im Ablauf der Begutachtungsphase sei es immer wieder zu Verwüstungssituationen durch E… gekommen. Die Mutter habe keinerlei erzieherische Einwirkungsmöglichkeiten.

Auch im Beschwerdeverfahren hat keiner der Beteiligten in Frage gestellt, dass eine Rückführung von E… in den mütterlichen Haushalt zu einer massiven Gefährdung seines Wohls führen würde. Die Kindesmutter ist mit einer Fremdunterbringung einverstanden, sie hat sich auch insoweit bereits zwei Mal an das Jugendamt gewandt. Im Ergebnis begehrt die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch nur deshalb, weil sie damit eine ortsnahe Unterbringung des Kindes erreichen möchte. Dabei ist zu bedenken, dass nicht nur das Recht der elterlichen Sorge verfassungsrechtlichen Schutz genießt, sondern auch sowohl das Recht des Kindes als auch das Recht der Mutter auf Umgang unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG steht (vgl. etwa BVerfG FamRZ 2013, 433). Auch die von Art. 8 EMRK geforderte Achtung des Familienlebens schützt sowohl das Umgangsrecht von Eltern und Kind (EGMR FamRZ 2001, 342; FamRZ 2004, 1456), als auch der Geschwister untereinander (EGMR FamRZ 2010, 1046). Dass diese Rechte durch die Betreuung des Kindes in einer wenigstens 4 Fahrtstunden vom Wohnort der Restfamilie entfernten Einrichtung beeinträchtigt werden, liegt auf der Hand.

Aus Sicht des Senates ist auch angesichts der massiven Gefährdung des Kindeswohls der Entzug wesentlicher Teile der elterlichen Sorge nicht erforderlich, vielmehr genügt angesichts der grundsätzlichen Bereitschaft der Kindesmutter zur Annahme von Hilfen zur Erziehung das gemäß § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB ausgesprochene Gebot und Verbot, um die Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden.

Der vom Amtsgericht beschlossene Teilentzug ist allerdings zweifellos ein geeignetes Mittel, um langfristig die Erziehung des Kindes außerhalb des ihn gefährdenden familiären Umfelds zu sichern. Aus Sicht des Senates ist der Entzug weiter Teilbereiche der elterlichen Sorge aber nicht notwendig. Dem ambivalenten Verhalten der Kindesmutter, aufgrund dessen auch in einer Phase des Mitleids mit dem Kind mit der Herausnahme des Kindes aus der Einrichtung zu rechnen wäre, kann auch durch das Gebot entgegengewirkt werden, Hilfen zur Erziehung in Form der Heimerziehung anzunehmen und die laufende Maßnahme nicht zu beeinträchtigen oder zu beenden. Eine Anordnung gemäß § 1666 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auch bezüglich einer Heimerziehung möglich (Y. Döll in Erman, BGB, 14. Aufl., § 1666 BGB, Rn. 15a), wobei auch die Voraussetzungen des § 1666a BGB vorliegen müssen, weil ein solches Gebot zur Trennung des Kindes von der Familie führt. Die hier vorausgesetzte nachhaltige Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls des Kindes (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 492, Rn. 18; FamRZ 2014, 907 mit Anm. Hammer S. 1005, Rn. 18) liegt angesichts des bereits dargestellten Ergebnisses der Begutachtung durch den Sachverständigen vor. Angesichts der massiven Bindungsstörung und der fehlenden Einwirkungsmöglichkeit der Kindesmutter auf ihren Sohn, ist mit einer erheblichen Schädigung auch mit ziemlicher Sicherheit zu rechnen (BVerfG FamRZ 2012, 1127 Rn. 24), wie die oben dargestellten Verhaltensweisen des Kindes im mütterlichen Haushalt zeigen.

Die Anordnung ist allerdings auch erforderlich, weil die Kindesmutter mit der konkreten Maßnahme nicht einverstanden ist und ohne das Gebot mit ihrer Beendigung zu rechnen wäre. Ohne ihre Zustimmung wäre die Hilfegewährung nämlich rechtswidrig (BVerwG NJW 2002, 232; OVG Bautzen NJW 2008, 3729 jeweils zur Hilfegewährung nach isoliertem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts).

Bei einem Verstoß gegen das Gebot und Verbot, insbesondere einem weiterhin fehlenden Einverständnis der Mutter, wäre auch kurzfristig eine familiengerichtliche Entscheidung möglich, mit der die weitere Betreuung sichergestellt werden könnte. Ein vorsorglicher Entzug der elterlichen Sorge im Hinblick auf ein mögliches Fehlverhalten der Kindesmutter, die immerhin zweimal von sich aus den Weg zum Jugendamt mit dem Ziel, Hilfen in Anspruch zu nehmen, gefunden hat, ist aber nicht notwendig und auch nicht verhältnismäßig. Das vorliegende Gebot und Verbot kommt in seinen Auswirkungen einer Verbleibensanordnung in einer Pflegefamilie (§ 1632 Abs. 4 BGB) nahe, die ebenfalls gegenüber einem Teilentzug der elterlichen Sorge den geringeren Eingriff darstellt und deshalb vorrangig ist (BGH FamRZ 2014, 543).

Damit kann das eigentliche Ziel der Kindesmutter, das Jugendamt zur Unterbringung in einer ortsnahen Einrichtung zu veranlassen, allerdings nicht erreicht werden. Die Familiengerichte sind insoweit aber auch gar nicht befugt, dem Jugendamt Weisungen zu erteilen. Die Entscheidung über die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen und die Leistungserbringung jugendhilferechtlicher Leistungen erfolgt durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 3 Abs. 2 S. 2 SGB VIII) als Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) oder im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags (§ 53 SGB X). Die Fach- und Sachkompetenz ist grundsätzlich beim Jugendamt angesiedelt (vgl. OLG Koblenz, NJW 2012, 3108 ff., Rn. 41 im juris-Ausdruck). Auf die Frage, ob im Einzelfall das grundsätzliche Entscheidungsprimat des Jugendamts durch eine Weisungsbefugnis des Familiengerichts durchbrochen werden muss, wenn das Familiengericht eine Herausnahme des Kindes bei der Gewährung von Hilfen zur Erziehung innerhalb der Familie nicht erforderlich hält, während das Jugendamt solche Hilfe nicht gewähren will (so OLG Koblenz a.a.O.; a. A. Olzen in MünchKomm, BGB, 6. Aufl., § 1666 BGB Rn. 176; Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 36a SGB VIII Rn. 10; zweifelnd BVerfG FamRZ 2014, 1005, zitiert nach juris, Rn. 52 mit ausführlicher Besprechung von Riegner NZFam 2014, 625; Gottschalk, ZKJ 2014, 246 spricht von einem Dilemma an der Schnittstelle zwischen Familiengericht und Sozialrecht), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Alle Beteiligten gehen im vorliegenden Verfahren davon aus, dass die Trennung des Kindes von der Familie erforderlich ist.

Die Auswahl der geeigneten Einrichtung erfolgt im Rahmen des Hilfeplans gemäß § 36 SGB VIII. Ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich, so sind Sorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche bei der Auswahl der Einrichtung oder der Pflegestelle zu beteiligen (§ 36 Abs. 1 S. 3 SGB VIII). Die Vorschrift konkretisiert das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB VIII (Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage, § 36 SGB VIII, Rn. 43; Meysen in Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl., § 36 SGB VIII Rn. 19; Goerdeler in Goerdeler/Wapler, SGB VIII-OK, § 36 SGB VIII Rn. 12 f.). Ist einem Elternteil die Personensorge allerdings ganz oder teilweise nach § 1666 BGB entzogen und auf einen Pfleger übertragen worden, so tritt er im Hinblick auf das Wunsch- und Wahlrecht an die Stelle des Elternteils. Demgemäß kann die Mutter, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht auf Beantragung von Sozialleistungen entzogen worden ist, der Unterbringung des Kindes in einer Pflegestelle nicht widersprechen (Wiesner, a. a. O., § 5 SGB VIII, Rn. 6; Tillmanns in MünchKomm, BGB, 6. Aufl., § 5 SGB VIII, Rn. 3; Wapler in Goerdeler/Wapler, SGB VIII-OK, § 5 SGB VIII Rn. 6). Erst mit der Rückübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts auf Beantragung von Sozialleistungen erhält die Mutter überhaupt die Möglichkeit, bei der Auswahl der Einrichtung ihre Wünsche aktiv (zur Beteiligung nicht sorgeberechtigter Eltern beim Hilfeplan vgl. insbesondere Münder in Frankfurter Kommentar zum SB VIII, 7. Aufl., § 36 SGB VIII Rn. 29) einzubringen und die Entscheidung des Jugendamtes gegebenenfalls einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Den Verwaltungsgerichten kommt die Befugnis zu, das Jugendamt zu einem bestimmten Handeln zu verpflichten und ihre Hilfeansprüche durchzusetzen (§ 113 VwGO, vgl. auch insoweit Wiesner, a. a. O., § 36 a SGB VIII, Rn. 9; BVerfG FamRZ 2014, 1005, zitiert nach juris Rn. 52; FamRZ 2014, 1266 Rn. 55). Schon bei der Auswahl der geeigneten Einrichtung ist auch das verfassungsrechtlich geschützte Umgangsrecht zu berücksichtigen.

Der Senat hat sich auch deshalb auf das Gebot beschränkt, dass die Kindesmutter vom Jugendamt angebotene Hilfen insbesondere in Form der Heimunterbringung, anzunehmen hat. Inwieweit das Jugendamt verpflichtet ist, der Kindesmutter andere Hilfen, als diejenigen durch die Einrichtung in Bischofsheim anzubieten, entzieht sich der Prüfung des Senates. Der Senat verfügt im Übrigen auch nicht über die Fachkenntnisse, ob andere geeignete Einrichtungen (vgl. § 5 SGB VIII) im näheren Umfeld zur Verfügung stehen und ob diese derzeit über freie Plätze verfügen (hierzu auch Meysen, NJW 2008, 2673, 2674). Der Senat hat deshalb auch nicht die Frage zu beantworten, ob eine solche ortsnahe Einrichtung den Bedürfnissen des Kindes überhaupt gerecht werden würde, weil E… damit dem (auch negativen) Einfluss seiner Mutter dauernd ausgesetzt wäre und die Erziehungskompetenz der Einrichtung durch Besuche und Treffen beeinträchtigt würde.

Anders als das Amtsgericht und der Sachverständige in seiner Stellungnahme vor dem Amtsgericht geht der Senat auch davon aus, dass es (außer der Klärung des derzeitigen Aufenthalts) keiner Entziehung von Teilbereichen der elterlichen Sorge bedarf. Die Kindesmutter hat sich, wie bereits ausgeführt, zwei Mal selbst mit der Bitte um Hilfe an das Jugendamt gewandt und hat auch einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung gestellt. Unter diesen Umständen ist zu erwarten, dass sie auch in Zukunft im Hinblick auf die Fragen der Gesundheit und der Schule mit dem Jugendamt zusammenarbeiten wird. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass sie etwa notwendige medizinische Behandlungen verhindern oder den Schulbesuch beeinträchtigen würde. Sollte sich diese Prognose des Senats nicht bestätigen, wären auch insoweit noch familiengerichtliche Maßnahmen möglich. Kurzfristige das Kindeswohl gefährdende Entscheidungen der Kindesmutter sind jedenfalls nicht zu erwarten. Ein vorsorglicher Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge im Hinblick auf mögliche künftige Fehlentwicklungen, ist nicht verhältnismäßig. Grundkompetenzen kommen den in der Einrichtung tätigen Pflegepersonen schon aufgrund der Regelung des § 1688 Abs. 1 und 2 BGB zu.

Nach alledem wird E… zunächst in der Einrichtung in Bischofsheim bleiben müssen. Die Kindesmutter hat nunmehr aber die Möglichkeit, im Rahmen des Hilfeplans ihre Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich der Unterbringung des Kindes einzubringen und die Entscheidung des Jugendamts gegebenenfalls einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterziehen zu lassen. Bis zu einem anderen Angebot des Jugendamtes hat sie E… in der Einrichtung in Bischofsheim zu belassen und diese Maßnahme nicht zu beeinträchtigen. Hinsichtlich ihres Umgangs ist die Kindesmutter nochmals auf die Möglichkeit längerer Besuche, die bereits im Termin erörtert worden sind, hinzuweisen. Von Seiten des Jugendamtes wurde im Termin auch ausgeführt, dass die Kosten für solche Besuche übernommen werden können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG.

Die Entscheidung über den Verfahrenswert folgt aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

IV.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Der Beschluss ist deshalb mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht anfechtbar.