OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.08.2014 - 1 Ws 399/14
Fundstelle
openJur 2015, 552
  • Rkr:
Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit dem Sitz in Lingen vom 7. Juli 2014,

durch den die Einwendungen des Verurteilten gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 20. März 2014, weder den Vollstreckungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen noch die Nachholung der Vollstreckung auszusetzen und Haftaufschub zu gewähren, als unbegründet zurückgewiesen worden sind,

aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die Staatsanwaltschaft Osnabrück zurückgegeben.

Die Kosten des Rechtsmittels sowie die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1. Der Verurteilte ist mit Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 13. Juli 1998 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 20 Fällen, wobei er als Mitglied einer Bande gehandelt hat, sowie wegen gemeinschaftlicher Geldfälschung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

2. Auf Antrag des Verurteilten hatte die Staatanwaltschaft Osnabrück am 17. August 2001 entschieden, gemäß § 456a StPO von der weiteren Strafvollstreckung in Hinblick auf die Abschiebung des Verurteilten abzusehen. Zugleich hatte sie die Fortsetzung der Vollstreckung für den Fall der Rückkehr des Verurteilten in die Bundesrepublik Deutschland angeordnet und hierzu am 28. Januar 2003 einen Vollstreckungshaftbefehl erlassen.Noch bevor der Verurteilte zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte (Zeitpunkt: 10. Oktober 2002) erfolgte am 26. August 2002 die Abschiebung. Die Ausweisungsverfügung des Landkreises Osnabrück vom 7. Juli 1999 hat dieser unter dem 8. August 2011 befristet; seit dem 9. August 2011 darf der Verurteilte mit einem Visum wieder in das Bundesgebiet einreisen.

Mit Schreiben vom 16. Dezember 2013 beantragte der Verteidiger des Verurteilten, die noch zu vollstreckende Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Für den Fall, dass die Strafvollstreckungskammer die Einholung eines Gutachtens nach § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO anordne, wurde beantragt, den Vollstreckungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen bzw. die Nachholung der Vollstreckung auszusetzen und Haftaufschub zu gewähren, damit der Verurteilte zur Exploration einreisen könne. Nachdem die Staatsanwaltschaft Osnabrück den Antrag der Strafvollstreckungskammer zugeleitet hatte, hat diese den Sachverständigen Dr. E……..mit der Erstattung eines entsprechenden Gutachtens beauftragt.

3. Am 20. März 2014 entschied die Staatsanwaltschaft Osnabrück, den Vollstreckungshaftbefehl vom 28. Januar 2003 aufrecht zu erhalten. Den hiergegen erhobenen Einwendungen hat die Staatsanwaltschaft nicht abgeholfen und die Sache der Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung vorgelegt. Diese hat die Einwendungen mit Beschluss vom 7. Juli 2014 - auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird - als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 28. Juli 2014, auf deren Begründung Bezug genommen wird.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 458 Abs. 2, 462 StPO zulässig. Denn der Verurteilte begehrt in der Sache nicht allein die (zeitweise) Aufhebung des Vollstreckungshaftbefehls, sondern damit verbunden die (vorübergehende) Aussetzung der Nachholung der Strafvollstreckung gemäß § 456a Abs. 2 StPO. Damit handelt es sich um die Geltendmachung von Einwendungen im Sinne der genannten Vorschrift (vgl. Senatsbeschluss vom 28. April 2009 - 1 Ws 260/09 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. November 2010 - 4 Ws 213/10 -; jeweils bei juris).

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Die gerichtliche Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung gemäß § 458 Abs. 2 StPO beschränkt sich auf die Beurteilung, ob die Staatsanwaltschaft den ihr durch § 456a Abs. 2 StPO eingeräumten Ermessensspielraum eingehalten hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die Staatsanwaltschaft und nachfolgend die Strafvollstreckungskammer haben nicht alle für die Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Umstände in den Blick genommen.

Zwar lebt bei der Wiedereinreise des verurteilten Straftäters im Falle des § 456a Abs. 1 StPO das der Vollstreckungsbehörde zugewiesene Recht auf Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs wieder auf und verdichtet sich im Regelfall zu einer Vollstreckungspflicht. Ferner sind nur besonders gewichtige Gründe des Verurteilten geeignet, der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des staatlichen Strafvollstreckungsanspruchs entgegen zu stehen (allg. Ansicht, vgl. Senatsentscheidung vom 28. April 2009, aaO.). Grund hierfür ist neben dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit in der Bundesrepublik verbleibenden Verurteilten auch, dass die Freiheitsstrafe mit der Rückkehr des Verurteilten ihre Funktion der Sicherung und Resozialisierung wiedererlangt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. November 2000 - 3 VAs 45/00, juris), die bei einem zunächst erfolgten Absehen von der weiteren Vollstreckung gemäß § 456a Abs. 1 StPO gegenüber dem Gesichtspunkt der Entlastung des Strafvollzuges zurückgestellt worden waren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 09. Oktober 2003 - 2 BvR 1497/03 -, juris Rn. 4).

Etwas anders gilt jedoch dann, wenn der Verurteilte allein deshalb nach Deutschland zurückkehrt, weil er sich der durch die Strafvollstreckungskammer gemäß § 454 Abs. 2 StPO angeordneten Begutachtung durch einen Sachverständigen unterziehen will (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2011 - 1 Ws 673/11 - ). Denn selbst für den Fall, dass der Verurteilte zuvor abgeschoben und von der weiteren Vollstreckung zunächst gemäß § 456a Abs. 1 StPO abgesehen worden war, ist - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 454 Abs. 2 StPO bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Strafrestaussetzung gemäß § 57 StGB vorliegen, nicht entbehrlich (vgl. etwa OLG Bremen, Beschluss vom 11. März 2010 - Ws 201/09 -, juris).

Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass dieser Grundsatz nicht für einen Verurteilten gelten sollte, der - wie hier - zunächst das Verfahren nach § 57 StGB erfolgreich bestreiten will und als Folgeziel die Zusammenführung mit seiner im Bundesgebiet lebenden Familie vor Augen hat.

Dabei dürfte insbesondere der Gesichtspunkt der Resozialisierung angesichts des absehbar kurzen Zeitraums, in dem der Verurteilte sich ohne Fortsetzung der Vollstreckung im Bundesgebiet aufhält, eine umgehende weitere Strafverbüßung nicht erfordern (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2011 - 1 Ws 673/11 -).

Somit verbleibt allein der Gesichtspunkt des Sicherungszwecks des Strafvollzugs, dessen Betroffenheit vor allem von der - allerdings regelmäßig erst nach Gutachtenerstattung einschätzbaren - Gefährlichkeit des Verurteilten abhängt. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in aller Regel eine erhöhte Gefährlichkeit bereits einer positiven Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 456a Abs. 1 StPO entgegengestanden haben dürfte (vgl. hierzu zur Rechtslage in Niedersachsen ab 1. Juli 2005: AV d. MJ v. 30.06.2005, Ziff. I. 1., NdsRpfl. 2005, 274) und daher ein Abstellen auf die der Vollstreckung zu Grunde liegende Tat allein eine Verweigerung der Aussetzungsentscheidung zum Zwecke der Begutachtung nicht zu rechtfertigen vermag. Hinzu kommt vorliegend der zeitliche Aspekt: Die hier gegenständliche Strafe ist im Juli 1998 gegen den seinerzeit noch nicht vorbestraften Verurteilten wegen in den Jahren 1996 und 1997 begangenen Taten verhängt worden. Nach den von ihm vorgelegten Unterlagen ist der Verurteilte nach erfolgter Abschiebung nicht erneut in der Türkei strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Vor diesem Hintergrund kann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft keinen Bestand haben und ist von der Strafvollstreckungskammer zu Unrecht bestätigt worden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.