OLG Hamm, Beschluss vom 28.10.2014 - 5 Ws 375/14
Fundstelle
openJur 2014, 25807
  • Rkr:

1. Zu den Voraussetzungen der Beugehaft gegen einen Zeugen, § 70 Abs. 2 StPO.

2. Auch ein bereits rechtskräftig verurteilter Zeuge kann wegen desselben Sachverhalts, der seiner Verurteilung zugrunde gelegen hat, die Auskunft nach § 55 StPO verweigern, wenn er sich durch seine Zeugenaussage in der Hauptverhandlung der Gefahr anderweitiger strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen würde. Eine solche Verfolgungsgefahr ist gegeben, wenn der Zeuge bei wahrheitsgemäßer Aussage von seinen früheren Angaben abweichen und sich damit dem Vorwurf aussetzen müsste, den Angeklagten seinerzeit falsch verdächtigt zu haben. Jedoch begründen bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder die rein denktheoretische Möglichkeit, die ursprüngliche Aussage könne falsch gewesen sein, weder einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht für das Vorliegen einer strafbaren Handlung in vorbezeichnetem Sinne noch ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO. Denn anderenfalls hätte es jeder Zeuge, der einen anderen zunächst be- oder entlastet hat, in der Hand, allein mit dem bloßen Einwand, die ursprüngliche Aussage könnte falsch gewesen sein, jede weitere Auskunft zu verweigern.

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Marbach am Neckar vom 12. November 2013 (2 Ls 61 Js 14600/13) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Sowohl in der gegen ihn geführten Hauptverhandlung als auch bereits im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom 27. Mai 2013 hatte der Beschwerdeführer angegeben, in einer Vielzahl von Fällen ein Amphetamingemisch im Kilogrammbereich mit einem Wirkstoffanteil von wenigstens 10 Prozent zum Zwecke des Weiterverkaufs von dem Angeklagten des vorliegenden Verfahrens, einem Cousin des Beschwerdeführers, bezogen zu haben. Nachdem dem Beschwerdeführer mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Heilbronn vom 02. September 2013 ursprünglich zehn Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (begangen in der Zeit zwischen 2005 und dem 27. Mai 2013) vorgeworfen worden waren, ist das Verfahren später in drei Fällen (Tatzeitraum von 2005 bis einschließlich 2008) gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Die Verurteilung des Beschwerdeführers ist wegen der für den Zeitraum September 2009 bis zum 27. Mai 2013 festgestellten sieben Taten erfolgt.

Diese sieben Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sind nunmehr auch Gegenstand des gegen den Angeklagten gerichteten Strafverfahrens. In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor dem Landgericht Arnsberg hat der Beschwerdeführer erklärt, keine Angaben darüber zu machen, wo, von wem und wie viel Amphetamin er in den Jahren 2009 bis Anfang 2013 bezogen habe. Lediglich zu der Tat vom 27. Mai 2013 hat der Beschwerdeführer einzelne Angaben gemacht. An seiner Weigerung hat der Beschwerdeführer auch festgehalten, nachdem ihn das Gericht über die Möglichkeit der Verhängung von Maßregeln nach § 70 StPO, insbesondere auch die Möglichkeit der Beugehaft, belehrt hat. Als Begründung für sein Verhalten hat der Beschwerdeführer zum einen angegeben, er befürchte für den Fall einer wahrheitsgemäßen Zeugenaussage im vorliegenden Verfahren von seiner früheren Aussage abzuweichen und deshalb die Einleitung eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens nach §§ 153 ff. StGB oder § 164 Abs. 1 StGB. Zum anderen sei zu besorgen, dass die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahren wieder aufgenommen würden.

Mit Beschluss vom 26. September 2014 hat die Kammer dem Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld i.H.v. 200 € auferlegt und für den Fall, dass dieses nicht insgesamt beigetrieben werden kann, für jede nicht beigetriebenen 50 € einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Zugleich hat das Landgericht gegen den Beschwerdeführer Haft zur Erzwingung des Zeugnisses bis zu sechs Monaten angeordnet. Schließlich sind dem Beschwerdeführer die durch seine Auskunftsverweigerung entstandenen Kosten auferlegt worden.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Zeugen vom 13. Oktober 2014, mit der er unter Hinweis auf ein nach § 55 StPO in Anspruch genommenes Auskunftsverweigerungsrecht die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung begehrt. Der Beschwerdeführer wiederholt und intensiviert sein bisheriges Vorbringen. Mit der Beschwerdeschrift lässt er vortragen, es seien mehrere konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben, dass seine früheren Angaben in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren falsch gewesen seien. So habe er bereits falsche Angaben zu seinem eigenen Betäubungsmittelkonsum gemacht. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass er zum Zeitpunkt der polizeilichen Vernehmung als langjähriger Drogenkonsument nicht aussagetüchtig gewesen sei. Außerdem sei er zwar seinerzeit mit Blick auf die Kronzeugenregelung des § 31 BtMG, nicht aber über die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung belehrt worden. Gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten des vorliegenden Verfahrens habe er bereits erklärt, damals eine falsche Aussage gemacht zu haben. Tatsächlich sei der Angeklagte des vorliegenden Verfahrens nicht "sein Lieferant" gewesen. Daneben macht der Beschwerdeführer geltend, Drohungen und andere Gefahren für sein Leben und das seiner Angehörigen seien nicht auszuschließen. Er könne sich daher auf rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB berufen. Schließlich macht der Beschwerdeführer mit näheren Darlegungen einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geltend. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 13. Oktober 2014 Bezug genommen.

Die Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Zu der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 21. Oktober 2014 haben sowohl der anwaltliche Beistand des Beschwerdeführers (mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2014) als auch der Verteidiger des Angeklagten (mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2014) Stellung genommen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist unbegründet.

Dem Beschwerdeführer steht ein Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO nach Aktenlage nicht zu.

1.

Soweit die an ihn gerichteten Fragen ein eigenes strafbares Verhalten nach dem Betäubungsmittelgesetz berühren, ist im Hinblick auf die bereits erfolgte rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers die Gefahr weiterer Strafverfolgung zweifellos ausgeschlossen (vgl. hierzu BGH, NStZ 2010, 463; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 55 Rdnr. 8). Bei einer wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen zu dem Tatzeitraum von 2009 bis Anfang 2013 muss der Beschwerdeführer auch nicht befürchten, die nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahren (Tatzeitraum 2005 bis 2008) könnten wieder aufgenommen werden. Die im vorliegenden Verfahren angeklagten Taten betreffen die eingestellten Tatvorwürfe nicht.

2.

Auch ein bereits rechtskräftig verurteilter Zeuge kann allerdings wegen desselben Sachverhalts die Auskunft nach § 55 StPO verweigern, wenn er sich durch seine Zeugenaussage in der Hauptverhandlung der Gefahr anderweitiger strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen würde.

Eine solche Verfolgungsgefahr ist gegeben, wenn der Zeuge bei wahrheitsgemäßer Aussage von seinen früheren Angaben abweichen und sich damit dem Vorwurf aussetzen müsste, den Angeklagten seinerzeit falsch verdächtigt zu haben. Jedoch begründen bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder die rein denktheoretische Möglichkeit, die ursprüngliche Aussage könne falsch gewesen sein, weder einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht für das Vorliegen einer strafbaren Handlung in vorbezeichnetem Sinne noch ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO (vgl. BGH, NJW 1994, 2839, 2840; NStZ 1999, 415, 416; KG, NStZ-RR 2010, 14; OLG Koblenz, StV 1986, 474, 475). Denn anderenfalls hätte es jeder Zeuge, der einen anderen zunächst be- oder entlastet hat, in der Hand, allein mit dem bloßen Einwand, die ursprüngliche Aussage könnte falsch gewesen sein, jede weitere Auskunft zu verweigern (vgl. BGH, a.a.O.; KG, a.a.O., OLG Koblenz, a.a.O.).

Folglich bedarf es konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte für die von dem Zeugen geltend gemachte Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung. Ob es diese tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, hat nicht etwa der Zeuge selbst zu entscheiden, sondern dies unterliegt der tatsächlichen Beurteilung und rechtlichen Würdigung des Tatrichters, dem insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. OLG Celle, NStZ-RR 2011, 377; KG, NStZ-RR 2010, 16, 17). In diesem Zusammenhang kann das Beschwerdegericht lediglich überprüfen, ob sich der Tatrichter innerhalb des ihm eröffneten Beurteilungsspielraums gehalten, den richtigen Entscheidungsmaßstab zu Grunde gelegt oder seine Entscheidung auf fehlerhaften Erwägungen gestützt hat (vgl. BVerfG (Kammer), wistra 2010, 299; OLG Celle, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Wertung des Landgerichts, dem Beschwerdeführer stehe kein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO hinsichtlich der angeklagten Taten aus dem Zeitraum von 2009 bis Anfang 2013 zu und er habe seine Aussage ohne gesetzlichen Grund verweigert, nicht zu beanstanden. Die Kammer hat ermessensfehlerfrei und mit durchweg nachvollziehbarer Begründung dargelegt, dass sich bei Auswertung des Akteninhalts und unter Berücksichtigung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme keine konkreten Tatsachen ergeben hätten, die die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung des Zeugen im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage (zu den Anklagevorwürfen aus der Zeit 2009 bis 2013) begründen könnten.

Der Beschwerdeführer selbst hat in der Hauptverhandlung keine konkreten Angaben dazu gemacht, weshalb seine frühere Aussage (in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren) falsch gewesen sein soll. Hierzu hatte er ausweislich der Sitzungsprotokolle hinreichend Gelegenheit. Deshalb musste keine eidesstattliche Versicherung des Beschwerdeführers abgewartet bzw. eingeholt werden. Auch mit Blick auf die behauptete Äußerung des Beschwerdeführers gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten werden keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer früheren Falschaussage vorgebracht.

Das Beschwerdevorbringen geht ebenfalls nicht über bloße Vermutungen und vage Andeutungen hinaus. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, der eine Strafmilderung nach § 31 BtMG zu erreichen versucht, im allgemeinen besonders sorgfältiger und kritischer Nachprüfung bedarf. Das ändert jedoch nichts daran, dass es auch für die Annahme des Verdachts einer möglicherweise durch die vorgenannte Vorschrift motivierten Falschaussage konkreter Anhaltspunkte bedarf, wenn daraus ein Auskunftsverweigerungsrecht abgeleitet werden soll. Dies ist nicht der Fall, weil - entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Ansicht - insbesondere die Bekundungen des Beschwerdeführers zu den Tatbeiträgen des Angeklagten ("X") anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung am 27. Mai 2013 ausgesprochen detailliert, überaus anschaulich und insoweit auch glaubhaft erscheinen. Die Bekundungen des Zeugen waren seinerzeit ersichtlich von dem anfänglichen (und aus Sicht des Zeugen auch durchweg nachvollziehbaren) Bemühen getragen, den Angeklagten des vorliegenden Verfahrens nicht zu belasten. Aufgrund einer intensiven Befragung ist es gleichwohl gelungen, den Beschwerdeführer "Stück für Stück" zur Benennung der an den Rauschmittelgeschäften beteiligten Personen und ihrer Tatbeiträge zu bewegen. Nachdem der Beschwerdeführer in diesem Sinne "reinen Tisch" gemacht hatte, war er auch nicht mehr darum bemüht, die eigenen Tatbeiträge zu relativieren. Genauso wenig hat er versucht, die Tatbeiträge der ihm bekannten Dritten - auch die des Angeklagten - in einem besonders günstigen oder ungünstigen Licht erscheinen zu lassen. Das Herunterspielen eigenen Drogenkonsums vermag die Glaubhaftigkeit der Bekundungen zum Gesamtsystem und zu den Tatbeiträgen des Angeklagten jedenfalls nicht zu erschüttern. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführer womöglich hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten (Barzahlung und/oder Überweisungen) teils unterschiedliche Angaben gemacht hat. Dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner polizeilichen Vernehmung nicht aussagetüchtig gewesen sei, wird lediglich ins Blaue hinein behauptet.

Aus Sicht des Senats drängt sich im vorliegenden Fall auf, dass der Beschwerdeführer für sich und seine Familie im Fall einer (weiterhin) wahrheitsgemäßen Aussage die Gefahr von Repressalien durch den Angeklagten oder dessen Hintermänner sieht. Ob diese Gefahr tatsächlich besteht, kann mangels konkreter bzw. greifbarer Anhaltspunkte nicht beurteilt werden. Ebenso ist denkbar, dass der Beschwerdeführer schlicht aus familiärer Rücksichtnahme eine erneute den Angeklagten belastende Aussage vermeiden möchte. Der in der Beschwerdeschrift angeführte rechtfertigende Notstand ist jedenfalls nicht dargetan und die bloße diesbezügliche Besorgnis des Beschwerdeführers vermag kein Auskunftsverweigerungsrecht zu begründen.

3.

Die Anordnung der Beugehaft steht auch in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung der Strafsache und der Wichtigkeit der Aussage des Zeugen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation. Gesundheitliche Gründe, die der Beugehaft tatsächlich entgegenstehen könnten, werden nicht vorgetragen. Ausweislich der mit der Beschwerdeschrift vorgelegten Bescheinigung der Fachklinik "G T" in T sollte die dortige Therapie bereits am 28. September 2014 enden.

Nach dem Gesetz war die Kammer auch nicht daran gehindert, Ordnungsgeld (ersatzweise Ordnungshaft) und Beugehaft gleichzeitig anzuordnen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.