BGH, Beschluss vom 05.11.2014 - III ZR 559/13
Fundstelle
openJur 2014, 23993
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 27 U 79/12

Mit der Einreichung einer unbedingt zu erhebenden Klage zusammen mit einem (vollständigen) Prozesskostenhilfeantrag hat der Kläger alles ihm Zumutbare getan, um eine alsbaldige Zustellung der Klageschrift zu ermöglichen. Eine Nachfrage wegen einer ausbleibenden Gerichtskostenanforderung ist bei dieser Fallgestaltung entbehrlich, weil der Kläger darauf vertrauen darf, dass vor einer etwaigen Gerichtskostenanforderung über sein Prozesskostenhilfegesuch befunden wird (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 1. April 2004 - IX ZR 117/03, NJW-RR 2004, 1575).

Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des 27. Zivilsenats des Kammergerichts vom 12. Februar 2013 - 27 U 79/12 - gewährt.

Auf die Beschwerde des Klägers wird dieser Beschluss gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen fehlerhafter Angaben im Zusammenhang mit einer Anlagevermittlung beziehungsweise -beratung geltend. Er erwarb 1992 auf Empfehlung des für die seinerzeit noch anderweitig firmierende Beklagte tätigen Vertriebsmitarbeiters F. eine Eigentumswohnung für 97.020 DM, die er entsprechend dem ihm erteilten Rat vollständig fremdfinanzierte. Nachdem die Mieteinnahmen nicht die prognostizierte Höhe erreichten, geriet der Kläger mit der Rückzahlung des Darlehens in Rückstand. 2004 kündigte die finanzierende Bank den Kredit. Die daraufhin eingeleitete Zwangsversteigerung der Wohnung erbrachte lediglich einen Erlös von 7.000 €. Den nach der Verwertung der Sicherheiten verbliebenen Schaden, den der Kläger mit 67.117,43 € beziffert, verlangt er von der Beklagten ersetzt.

Der Kläger hat behauptet, der für die Beklagte tätige Vertriebsmitarbeiter habe mehrere unzutreffende Angaben über das Anlageobjekt gemacht. Unter anderem macht er geltend, der Mitarbeiter habe ihm gegenüber erklärt, die finanzierende Bank habe selbst den Substanzwert und die Ertragskraft der zum Verkauf stehenden Wohnungen durch einen Sachverständigen ermitteln lassen. Dieser habe bestätigt, dass die geforderten Kaufpreise dem tatsächlichen Wert der Wohnungen entsprächen. Die Aussage des Vertriebsmitarbeiters sei jedoch falsch gewesen. Das angeblich eingeholte Gutachten habe es nicht gegeben. Tatsächlich habe die Bank den Kaufpreis allein im Hinblick auf seine, des Klägers, Bonität finanziert. Hätte er gewusst, dass das Kreditinstitut eine den Kaufpreis bestätigende Bewertung der Immobilie nicht vorgenommen habe, hätte er die Wohnung nicht erworben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen worden. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Dem Kläger war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, da er infolge seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten des Beschwerdeverfahrens nur in Raten aufbringen kann. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Senat hat der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der Fristen des § 234 Abs. 1 ZPO eingelegt und begründet.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

a) Das Berufungsgericht hat die Behauptung des Klägers, F. habe erklärt, die finanzierende Bank habe ein die Angemessenheit des Kaufpreises bestätigendes Gutachten eingeholt, als wahr unterstellt, jedoch ausgeführt, der Kläger wolle damit offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass er darauf vertraut habe, die Wohnung sei nicht überteuert. Allein ein Vertrauen auf irgendein Gutachten, dessen Inhalt er nicht gekannt habe, hätte keinen Sinn gemacht. Es sei deshalb auch nicht nachvollziehbar, dass der Kläger glauben machen wolle, er hätte von einem Kauf Abstand genommen, wenn er gewusst hätte, dass das Gutachten von der Bank tatsächlich nicht erstellt worden sei. Er habe über dessen Inhalt überhaupt nichts gewusst, und dieser sei ihm offensichtlich egal gewesen. Im Übrigen fehlten jegliche konkrete Angaben dazu, dass es 1992 tatsächlich kein Gutachten gegeben habe.

b) Dies beruht, wie die Beschwerde mit Recht geltend macht, auf einer Verletzung des Grundrechts des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

aa) Das Berufungsgericht hat dadurch, dass es davon ausgegangen ist, dem Kläger sei der Inhalt des Gutachtens gänzlich unbekannt und auch egal gewesen, offenbart, dass es den Klägervortrag nicht vollständig zur Kenntnis genommen hat. Der Kläger hat dementgegen behauptet, ihm sei das Ergebnis des nach Angaben des Vertriebsmitarbeiters F. von der finanzierenden Bank eingeholten Gutachtens mitgeteilt worden. Der Kläger hat ausgeführt, ihm sei erklärt worden, der von der Bank eingeschaltete Sachverständige habe den Substanzwert und die Ertragskraft der Wohnungen bewertet und bestätigt, dass die geforderten Kaufpreise ihrem tatsächlichen Wert entsprächen (Klageschrift S. 14, Schriftsatz vom 25. Juni 2012 S. 8, Schriftsatz vom 12. September 2012 S. 8). Damit war dem Kläger seinem Vortrag zufolge das Gutachten, das nach den Angaben F. s existieren sollte, zwar nicht im Einzelnen bekannt geworden. Jedoch hatte er Kenntnis von dessen Ergebnis und damit von dem für den Kaufentschluss entscheidenden Teil seines (angeblichen) Inhalts. Die Würdigung des Berufungsgerichts ist damit unvereinbar.

bb) Entgegen der Ansicht der Vorinstanz können dem Kläger auch nicht nähere Angaben dazu abverlangt werden, dass es 1992 tatsächlich kein solches Gutachten gegeben habe. Es ist nicht ersichtlich und wird auch von der Vorinstanz nicht aufgezeigt, welche weiteren Umstände der Kläger zur Darlegung dieser negativen Tatsache hätte vortragen können. Das Berufungsgericht hat damit die Anforderungen an die Substantiierung des Sachvortrags offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag des Klägers in der gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen, was ebenfalls einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darstellt (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - VII ZR 160/12, NJW-RR 2014, 456 Rn. 12).

c) Das übergangene beziehungsweise nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommene Vorbringen des Klägers ist entscheidungserheblich. Bei ordnungsgemäßer Berücksichtigung der Behauptungen ist es nicht auszuschließen, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Klägers nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung erfüllt sind, die gemäß Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB auf den Streitfall noch anwendbar sind.

aa) Das Berufungsgericht hat die Richtigkeit der Behauptung des Klägers unterstellt, der Vertriebsmitarbeiter habe erklärt, es liege ein die Angemessenheit der Kaufpreise bestätigendes, für die finanzierende Bank erstelltes Gutachten vor. Hiervon ist deshalb auch im dritten Rechtszug auszugehen. Für das neue Berufungsverfahren ist vorsorglich anzumerken, dass der Kläger für seinen Vortrag zu den von F. gemachten Angaben durch dessen Benennung als Zeugen tauglichen Beweis angetreten hat (Klageschrift S. 14).

Hinsichtlich der von der Beklagten mit Nichtwissen bestrittenen Behauptung des Klägers, die Erklärung des Vertriebsmitarbeiters sei falsch gewesen, da es das angeblich von der Bank eingeholte Gutachten nicht gegeben habe, fehlt es zwar an einem Beweisantritt. Jedoch wird zu prüfen sein, ob die Voraussetzungen für ein Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) erfüllt sind. Es mag sein, dass die Organe der Beklagten keine Kenntnis von der Existenz oder Nichtexistenz des Gutachtens haben. Die Rechtsprechung stellt jedoch Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich einer Partei den

"eigenen" Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPO gleich. Die Partei hat eine Erkundigungspflicht, sofern die maßgebenden Tatsachen Personen bekannt sind, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind. Dies hat zur Folge, dass eine Erklärung mit Nichtwissen unzulässig ist, wenn und soweit diese Informationspflicht besteht (z.B. Senatsurteil vom 2. Juli 2009 - III ZR 333/08, NJW-RR 2009, 1666 Rn. 16 mwN). Es liegt nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nahe, dass sich die Beklagte das Wissen des seinerzeit für sie tätigen Mitarbeiters über das Vorliegen des (angeblich) von der finanzierenden Bank eingeholten Gutachtens zurechnen lassen muss.

Sofern der Vortrag des Klägers, dass der für die Beklagte tätige Vertriebsmitarbeiter ihm gegenüber wahrheitswidrige Angaben über ein von der Bank eingeholtes Wertgutachten gemacht hat, zutrifft, liegt eine Verletzung der vertraglichen Aufklärungs- und Beratungspflicht vor. Das Verschulden wird vermutet (entsprechend § 282 BGB aF).

bb) Vor dem Hintergrund des Ergebnisses der angeblich eingeholten Stellungnahme eines Sachverständigen ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass sich der Kläger hierdurch zum Kauf der Wohnung hat motivieren lassen und dass dies nicht der Fall gewesen wäre, wenn ihm gegenüber das Gutachten nicht erwähnt worden wäre. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 23. Januar 2013 zu dem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts möglicherweise etwas missverständlich ausgeführt hat, es komme nicht entscheidend darauf an, ob der damalige Verkehrswert dem Kaufpreis entsprochen habe, sondern darauf, dass der Kläger in seiner freien Meinungsbildung manipuliert worden sei, indem ihm das Vorliegen des Gutachtens vorgespiegelt worden sei, ist darin keine Änderung seines tatsächlichen Vorbringens zu sehen. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Nuance der rechtlichen Bewertung. Sollte sich erweisen, dass dem Kläger wahrheitswidrig das Vorliegen der Sachverständigenstellungnahme vorgegaukelt wurde, streitet ohnedies zu seinen Gunsten eine durch die Lebenserfahrung begründete (tatsächliche) Vermutung dafür, dass er als Anlageinteressent bei richtiger Aufklärung von der Investition abgesehen hätte (vgl. st. Senatsrechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 14. April 2011 - III ZR 27/10, NJW-RR 2011, 1139 Rn. 13 mwN).

cc) Die auf die übergangenen beziehungsweise nicht in der gebotenen Weise berücksichtigten Behauptungen gestützte Schadensersatzforderung ist nach dem im vorliegenden Verfahrensstadium zugrunde zu legenden Vortrag des Klägers nicht verjährt. Er hat danach erst im Jahr vor der Klageerhebung davon erfahren, dass das Gutachten, dessen Vorliegen der Vertriebsmitarbeiters wahrheitswidrig angegeben hat, tatsächlich nicht existierte (§ 195, § 199 Abs. 1 BGB).

Die absolute Verjährung gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB ist nicht eingetreten. Die Klage nebst Prozesskostenhilfeantrag ist am 30. Dezember 2011 bei Gericht eingegangen und hat den Ablauf der Verjährungsfrist rechtzeitig gehemmt. Ob dies der Fall gewesen wäre, wenn die Klage unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingereicht worden wäre, ist im Hinblick darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers erst mit Schriftsatz vom 18. Januar 2012 - und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist - mitgeteilt hat, das Prozesskostenhilfegesuch möge unverzüglich zugestellt werden, fraglich (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 - IX ZR 195/06, NJW 2008, 1939 Rn. 17; siehe hierzu auch BVerfG NJW 2010, 3083 Rn. 15 ff), kann jedoch auf sich beruhen. Aus der Klageschrift geht hinreichend deutlich hervor, dass die Klage unbedingt erhoben werden sollte. Es werden dort nach der Einleitung "Namens und in Vollmacht des Klägers erhebe ich Klage und werde beantragen:" die Klageanträge formuliert. Im Anschluss hieran folgt nach der Einleitung "Weiterhin beantrage ich," der Prozesskostenhilfeantrag. Dem ist zu entnehmen, dass dieser kumulativ zu den Klageanträgen hinzutreten sollte und jene demgemäß nicht von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig sein sollten. Die Zustellung der Klageeschrift an die Beklagte am 12. April 2012 war noch "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO. Der Kläger hatte mit Einreichung der unbedingt erhobenen Klage und des Prozesskostenhilfeantrags am 30. Dezember 2011 alles ihm Zumutbare getan, um eine alsbaldige Zustellung der Klageschrift zu ermöglichen. Der anschließende Zeitablauf lag in der Sphäre des Gerichts und ist ihm nicht zuzurechnen. Zwar obliegt es einem Kläger, sofern er - wie hier - den Gerichtskostenvorschuss nicht sogleich entrichtet, grundsätzlich, spätestens nach sechs Wochen nachzufragen, wenn die Gerichtskostenrechnung ausbleibt (vgl. BGH, Urteil vom 1. April 2004 - IX ZR 117/03, NJW-RR 2004, 1575, 1576 mwN). Dies war in der vorliegenden Fallgestaltung jedoch entbehrlich, weil der Kläger darauf vertrauen durfte, dass vor einer etwaigen Gerichtskostenanforderung über sein Prozesskostenhilfegesuch befunden werden würde.

3. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich mit dem weiteren Vorbringen der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen, auf das einzugehen der Senat im vorliegenden Verfahrensstadium keine Veranlassung hat.

Schlick Herrmann Hucke Tombrink Remmert Vorinstanzen:

LG Berlin, Entscheidung vom 30.05.2012 - 22 O 35/12 -

KG Berlin, Entscheidung vom 12.02.2013 - 27 U 79/12 -