VG Ansbach, Beschluss vom 07.10.2014 - AN 9 S 14.50162
Fundstelle
openJur 2014, 23057
  • Rkr:
Tenor

1. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. August 2014 (Az. AN 9 S 14.50099) wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. AN 9 K 14.50100) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. Juli 2014 angeordnet.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

3. Dem Antragsteller wird für dieses Antragsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin ... bewilligt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, ein am ... geborener syrischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien.

Eigenen Angaben zufolge reiste der Antragsteller am ... in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte Asylantrag. Der Antragsteller hatte zuvor bereits in Bulgarien ein Asylverfahren durchgeführt und dort die Zuerkennung internationalen Schutzes erhalten. Diesbezüglich legte er einen bulgarischen Flüchtlingspass mit einer bis zum 31. Juli 2014 gültigen Aufenthaltsberechtigung vor.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 26. März 2014 erklärte der Antragsteller, er sei in Bulgarien eineinhalb Monate im Gefängnis gewesen und schlecht behandelt worden. Um aus dem Gefängnis entlassen zu werden, habe er Asylantrag stellen müssen. Nachdem er die Aufenthaltserlaubnis erhalten habe, habe er kein Geld mehr bekommen und sei gezwungen gewesen zu arbeiten. Acht Monate lang habe er als Träger im Basar gearbeitet. In Bulgarien werde man nicht wie ein Mensch behandelt, das sein kein Leben für ihn.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2014 stellte das Bundesamt fest, dass dem Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Nr. 2). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, der Antragsteller könne sich auf Grund seiner Einreise aus Bulgarien, einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Anlage 1 zum AsylVfG, gemäß § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen. Gemäß § 31 Abs. 4 AsylVfG sei lediglich festzustellen, dass dem Antragsteller kein Asylrecht zustehe. Die Anordnung der Abschiebung in den sicheren Drittstaat beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Hiergegen ließ der Antragsteller am 7. August 2014 Klage erheben (AN 9 K 14.50100) und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen (AN 9 S 14.50099).

Mit Beschluss vom 25. August 2014 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ab, da sich der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen werde und seine Rechtsgrundlage in den §§ 26a Abs. 1, 34a Abs. 1 AsylVfG finde.

Am ... 2014 ließ der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 7 VwGO beantragen,

den Beschluss vom 25. August 2014 abzuändern.

Zudem wurde der Antrag gestellt,

dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu bewilligen.

Zur Begründung der Anträge wurde ausgeführt, der Antragsteller habe sich vom 8. bis 19. September 2014 in der stationären Behandlung des Klinikums ... (Klinik für Psychiatrie, Sucht, Psychotherapie und Psychosomatik) befunden, da er wegen seiner bevorstehenden Abschiebung nach Bulgarien suizidgefährdet gewesen sei. Aus dem Entlassungsbericht gehe hervor, dass die Suizidgefährdung des Antragstellers seine bevorstehende Abschiebung nach Bulgarien als Ursache gehabt habe. Es sei von einer Wiederholung der Situation auszugehen, wenn erneut seitens der Ausländerbehörde die Abschiebung in die Wege geleitet werde. Wegen dieser Suizidgefährdung liege ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis hinsichtlich Bulgarien vor. Es sei ein aussagekräftiges aktuelles Attest über den Gesundheitszustand des Antragstellers vom behandelnden Arzt Herrn Dr. ... angefordert worden.

Im vorläufigen Entlassungsbericht vom 19. September 2014 ist ausgeführt, der Antragsteller sei im Verlauf des Aufnahmegesprächs auf der geschlossenen allgemeinpsychiatrischen Akutstation zunehmend aggressiv geworden und nicht mehr einschätzbar gewesen. Auf Grund der akuten Eigen- und Fremdgefährdung sei eine notfallmäßige Fixierung des Antragstellers erforderlich geworden und vorübergehend eine anxiolytische Medikation mit Lorazepam verabreicht worden. Nach Abklingen des Erregungszustandes sei zeitnah eine Entfixierung des Antragstellers erfolgt. Kurze Zeit später habe der Antragsteller erneut selbstverletzendes Verhalten gezeigt, indem er mit dem Kopf mehrfach gegen Wände geschlagen sei, so dass bei akuter Eigengefährdung erneut eine notfallmäßige Fixierung erforderlich geworden sei. Der Antragsteller habe seine sofortige Entlassung gefordert und betont, dass er sich nach der Entlassung sofort das Leben nehmen werde. Daher seien die Unterbringung sowie unterbringungsähnliche Maßnahmen auf Grund der akuten Suizidalität und der akuten Eigengefährdung beim Amtsgericht ... beantragt worden (Az. 3 XVII 1181/14), die auch bis längstens 21. Oktober 2014 genehmigt worden seien. Im weiteren Verlauf habe sich die Stimmung des Patienten zunehmend gebessert, die zeitnahe Entfixierung habe erfolgen können. Während des stationären Aufenthalts habe sich der Antragsteller zunehmend stabilisiert und sich von akuter Suizidalität glaubhaft distanzieren können. Die Eindosierung einer antidepressiven Medikation sei daher nicht als erforderlich erschienen. Nach ausreichender Stabilisierung habe der Antragsteller in gebessertem psychischen und physischen Zustand entlassen werden können. Hinweise auf eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung hätten nicht mehr vorgelegen. Eine fachpsychiatrische und hausärztliche Weiterbehandlung sei angeraten.

Die Antragsgegnerin beantragt

Antragsablehnung.

Es stelle sich die Frage, ob die im Rahmen von Dublin-Fällen angestellten Überlegungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen auf sogenannte Drittstaatenbescheide übertragbar seien. An der Vorbereitung und dem Vollzug solcher Bescheide sei das Bundesamt (anders als bei Dublin-Bescheiden) an sich nicht beteiligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des Beschlusses vom 25. August 2014 (AN 9 S 14.50099) hat Erfolg.

1.

Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache jederzeit, d.h. ohne Bindung an Fristen, von Amts wegen oder – wie hier – auf Antrag eines Beteiligten, einen Beschluss über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ändern oder aufheben.

Die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO kann ein Beteiligter nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO); aus neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben.

Eine in diesem Sinne beachtliche Änderung der Sachlage, die zu einer neuen Beurteilung der Rechtslage führt, liegt vor:

Nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung steht im Zeitpunkt der Entscheidung über den Abänderungsantrag einer Abschiebung das vom Bundesamt zu prüfende „inlandsbezogene Vollstreckungshindernis“ (hier: Reiseunfähigkeit wegen Suizidgefahr) - jedenfalls vorübergehend – entgegen. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist nach derzeitiger Aktenlage zumindest offen. Eine Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland das öffentliche Vollzugsinteresse an der sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung (§ 75 AsylVfG) überwiegt.

Es ist daher interessengerecht (vgl. § 80 Abs. 5 VwGO) im Hinblick auf die neu eingetretenen Tatsachen (Reiseunfähigkeit) die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsanordnung nunmehr anzuordnen.

2.

Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a AsylVfG. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“. Die Abschiebungsanordnung darf als Festsetzung eines Zwangsmittels erst dann ergehen, wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Abschiebung erfüllt sind. Das bedeutet, dass das Bundesamt vor Erlass der Abschiebungsordnung gegebenenfalls sowohl „zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse“ als auch der Abschiebung entgegenstehende „inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse“ zu berücksichtigen hat. Es ist in diesem Zusammenhang u.a. verpflichtet zu prüfen, ob die Abschiebung in den sicheren Drittstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden und damit vom System der normativen Vergewisserung nicht erfassten Gründen - wenn auch nur vorübergehend – rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Der Ausländerbehörde kommt in diesem Zusammenhang keine Entscheidungskompetenz zu (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris; B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Band 3, Stand Juni 2014, § 34a Rn. 21 f. m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der Duldungsgrund erst nach dem Erlass der Abschiebungsanordnung entstanden ist. Bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretender Abschiebungshindernisse hat das Bundesamt gegebenenfalls die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von der Vollziehung der Abschiebungsanordnung abzusehen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris, Rn. 4).

3.

Eine aus gesundheitlichen Gründen fehlende Reisefähigkeit und damit ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis liegt dann vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Antragstellers unmittelbar durch die Ausreise bzw. die Abschiebung als unmittelbare Folge davon voraussichtlich wesentlich oder lebensbedrohlich verschlechtern würde (BayVGH, B.v. 28.10.2013, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall liegt nach summarischer Prüfung beim Antragsteller – jedenfalls vorübergehend – ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (Reiseunfähigkeit) vor. Im vorläufigen Entlassungsbericht vom 19. September 2014 ist aus fachärztlicher Sicht dargestellt, dass zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme vom Antragsteller eine akute Selbst- und Fremdgefährdung ausging. So sei notfallmäßig eine Fixierung und Medikation erforderlich gewesen. Auslöser der Ankündigung eines Suizids und infolgedessen der Aufnahme in die Klinik sei die bevorstehende Abschiebung nach Bulgarien gewesen. Aus der im Entlassungsbericht attestierten fachärztlichen Einschätzung ergibt sich für das Gericht zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) die Reiseunfähigkeit des Antragstellers.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

5.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zulässig und begründet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO), da der Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz – siehe obige Ausführungen – erfolgreich ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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