OLG Schleswig, Beschluss vom 20.12.2013 - 15 WF 257/13
Fundstelle
openJur 2014, 22717
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss vom 19.06.2013 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis zu 2.500,00 €.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

I.

Die Ergänzungspflegerin beantragt die Zahlung von Aufwendungsersatz für das Jahr 2012 gemäß §§ 1909, 1835 BGB.

Für das am 17.07.2000 geborene Kind A wurde am 07.08.2000 das Jugendamt der Hansestadt Lübeck gemäß § 1791 c BGB und durch Beschluss des Amtsgerichts Lübeck vom 17.12.2001 wegen der Entziehung der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB zum Vormund bestellt. Seit 13.12.2001 lebt das Kind auf Dauer in Vollzeitpflege bei der Antragstellerin und ihrem Ehemann als Pflegeeltern. Die Vormundschaft wurde deshalb am 25.03.2004 zuständigkeitshalber auf das Jugendamt des Kreises Stormarn übertragen.

Ende des Jahres 2008 erkrankte A schwer. Im März 2009 musste eine Lungentransplantation durchgeführt werden. Nach A‘s Rückkehr in die Familie Ende Juni 2009 war sein „Alltag durch termingerechte Medikamentengaben, darauf abgestimmte Mahlzeiten, regelmäßige Arztbesuche (wöchentliche Blutabnahme, 2 x Krankengymnastik) und regelmäßige Vorstellung in der Fachklinik Hannover, zunächst noch wöchentlich“ gekennzeichnet (Hilfeplanprotokoll vom 13.10.2009). Daran hat sich grundsätzlich bis heute nichts geändert.

Im Januar 2010 beantragte der Vormund, die Antragstellerin für den Bereich Gesundheitssorge zur Pflegerin zu bestellen, da die Pflegeeltern den Wunsch geäußert hatten, die gesundheitlichen Belange für A eigenständig regeln zu dürfen; dies würde für sie eine erhebliche Erleichterung und Vereinfachung im Umgang mit Ärzten, Krankenhäusern usw. bedeuten. Durch Beschluss vom 02.02.2010 ist die Antragstellerin zur Ergänzungspflegerin bestellt worden, weil „aufgrund einer schweren Erkrankung des Kindes ... fortwährend Entscheidungen und rechtliche Vertretungen gegenüber Ärzten, Krankenhäusern und sonstigen Einrichtungen zu treffen“ sind.

Auf ihren Antrag vom 19.03.2011 sind der Antragstellerin als Ergänzungspflegerin für die Zeit von Januar bis Dezember 2010 Aufwendungen in Höhe von 1.021,50 € (Fahrtkosten für 3115 gefahrene Kilometer laut Fahrtenbuch) antragsgemäß erstattet worden. Auf ihren Antrag vom 08.01.2012 sind der Antragstellerin für das Jahr 2011 antragsgemäß Aufwendungen in Höhe von 1.459,50 € erstattet worden (Fahrtkosten für 4865 gefahren Kilometer aufgrund Fahrtenbuchs).

Den Antrag auf Erstattung von Aufwendungen für das Jahr 2012 vom 12.01.2013, der Fahrtkosten für 7781 gefahrene Kilometer laut Fahrtenbuch enthält, hat der Rechtspfleger der Bezirksrevisorin mit der Bemerkung zur Stellungnahme übersandt, er habe Bedenken, die gesamten Fahrtkosten zu entschädigen, da nur die Fahrten erstattungsfähig seien, die im Rahmen der Ausübung der Gesundheitssorge notwendig seien. Die Bezirksrevisorin hat daraufhin nach Prüfung der Akten am 20.02.2013 die gerichtliche Festsetzung des Aufwendungsersatzes auf 693,60 € für das Jahr 2011 und auf 888,90 € für das Jahr 2012 mit der Begründung beantragt, dass zahlreiche Fahrten dem sozialbetreuenden Teil des Pflegschaftsverhältnisses und nicht dem der Antragstellerin übertragenen Aufgabenkreis der Gesundheitssorge zuzuordnen seien.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat gleichwohl durch Beschluss vom 19.06.2013 die Aufwendungen wie beantragt festgesetzt und dazu ausgeführt, dass der Gesundheitszustand des Pflegekindes erheblichen Gefährdungen ausgesetzt sei und einer ständigen und engmaschigen ärztlichen Kontrolle und Überwachung bedürfe. Dem Vorbringen der Ergänzungspflegerin sei zu folgen, dass sämtliche geltend gemachte Fahrten im Rahmen der ausgeübten Gesundheitssorge tatsächlich notwendig gewesen seien.

Gegen den ihr am 26.06.2013 zugestellten Beschluss hat die Staatskasse, vertreten durch die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Lübeck, am 27.06. 2013 Beschwerde eingelegt.

II.

1. Die Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Danach findet die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte statt. Die gerichtliche Vergütungsfestsetzung nach § 168 FamFG stellt eine Endentscheidung im Sinne des § 38 FamFG in einem selbstständigen Verfahren dar (vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2012 - XII ZB 459/10 -, FamRZ 2012, 1051, die Betreuung betreffend; Beschluss vom 25.05.2011 - XII ZB 625/10 -, FamRZ 2011, 1394, die Vormundschaft betreffend; ferner Senatsbeschlüsse vom 31.05.2012 - 15 WF 79/12 -, vom 20.11.2012 - 15 WF 332/12 - sowie vom 12.12.2013 - 15 WF 301/13 -).

Es handelt sich nicht um eine Beschwerde gemäß § 4 Abs. 4 JVEG, denn das Festsetzungsverfahren ist nicht durch einen Antrag der Staatskasse gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG, sondern schon mit der Übersendung des Erstattungsantrags an die Bezirksrevisorin zur Stellungnahme von Amts wegen gemäß § 168 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FamFG eingeleitet worden (vgl. Keidel/Engelhardt, 17. Aufl., Rn 8 zu § 168 FamFG).

Die vom Amtsgericht - Familiengericht - ausgesprochene Nichtabhilfeprüfung - die im Übrigen nur in Form eines den Beteiligten nicht zugegangenen Vermerks erfolgt ist -, ist damit unzulässig.

2. Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

Allerdings ist die Auffassung der Staatskasse, dass bei Aufwendungen für das Pflegekind zwischen dem Pflegefamilienverhältnis und dem gesetzlichen Aufgabenkreis der Pflegschaft unterschieden werden muss, richtig. Nur Aufwendungen, die letzteren betreffen, können aus der Staatskasse nach den §§ 1909 Abs. 1, 1835 BGB erstattet werden. Die Ergänzungspflegschaft führt nicht dazu, dass sämtliche mit der Gesundheit des Kindes im Zusammenhang stehenden Fahrten unter dem Gesichtspunkt des Pflegschaftsrechts zu entschädigen sind und so indirekt der Umfang der Sozialleistungen der öffentlichen Hand für das Pflegekind erweitert wird (vgl. BayObLG, Beschluss vom 09.10.2002 - 3Z BR 146/02 –, zitiert nach Juris; LG Lübeck, Beschluss vom 03.03.2011 - 7 T 201/10 -, Rpfleger 2011, 503, beide den Aufwendungsersatz eines Betreuers betreffend).

Die Pflegschaft ist rechtliche Tätigkeit, eine bürgerlich-rechtlich geregelte gesetzliche Vertretung des Kindes, die erforderlich ist, um die Angelegenheiten des Pflegekindes im übertragenen Bereich rechtlich zu besorgen. Persönliche Pflegeleistung und Hilfe sind dagegen Teil der pflegeelterlichen Fürsorge, die nicht über das Pflegschaftsrecht kommerzialisiert werden dürfen. Zu dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge gehört die Sicherstellung und Kontrolle der ärztlichen Behandlung sowie die Befolgung der ärztlichen Anweisungen und Ratschläge. Dies kann bei der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung des Kindes die Teilnahme an für die weitere Behandlung wichtigen Arztbesuchen rechtfertigen, nicht aber - wie angegeben - jegliche Fahrten, um etwa Medikamente abzuholen, das Kind zur Kunsttherapie oder zu Ferienmaßnahmen zu fahren oder Elternabende zu besuchen. Maßstab für die im Rahmen der Pflegschaft erbrachten Tätigkeiten ist, dass diese Termine betreffen, bei denen Entscheidungen im Rahmen des übertragenen Sorgerechtsbereichs zu erwarten sind. Werden dagegen Termine wahrgenommen, die für die Gesundheit des Pflegekindes notwendig oder ihr förderlich sind, aber bei denen nur die Gelegenheit gegeben ist, Gespräche betreffend den gesundheitlichen Zustand des Pflegekindes zu führen, sind Aufwendungen dafür nicht aus § 1835 BGB zu ersetzen (a.a.O.).

Wenn auf dieser Grundlage auch wesentliche Teile der Aufwendungen nichts mit der rechtlichen Entscheidungsbefugnis der Ergänzungspflegerin zu tun haben, muss die Festsetzung für die Jahre 2011 und 2012 gleichwohl aus dem Gesichtspunkt des öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes Bestand haben (vgl. zum Vertrauensschutz bei Entschädigungen Hartmann, Kostengesetze, 43. Auflage, Rn. 8 am Ende zu § 4 JVEG m.w.N.; OLG Köln, JurBüro 1999, 320, zur Herabsetzung einer Sachverständigenentschädigung nach Auszahlung).

Die Ergänzungspflegerin hat sämtliche von ihr geltend gemachten Aufwendungen ohne jede Einschränkung und ohne jeden Vorbehalt für die Jahre 2010 und 2011 erstattet erhalten. Erst die gegenüber 2011 fast doppelt so hohe Kilometerzahl der Fahrten im Jahr 2012 ist wohl der Anlass gewesen, die rechtliche Relevanz der Fahrten im Hinblick auf die Pflegschaftstätigkeit zu analysieren, obwohl auch in den vorangegangenen Jahren Anlass dazu bestanden hätte. Im Gegensatz etwa zu Berufsbetreuern, die bestimmte Tätigkeiten im Zeitpunkt ihrer Vornahme nicht für betreuungsrechtlich erforderlich halten und dann abrechnen dürfen (vgl. etwa BayObLG, a.a.O.), hält der Senat das Vertrauen der Pflegemutter, die erst seit 2010 Ergänzungspflegerin für den Bereich der Gesundheitssorge ist, in die Erstattungsfähigkeit auch der von ihr bezüglich des Pflegekindes übernommenen, nur mittelbar oder im weitesten Sinne seine Gesundheit betreffenden Aufwendungen für schutzbedürftig. Es kann ihr weder zugemutet werden, einen Teil des bereits gezahlten Aufwendungsersatzes für 2011 zurückzuzahlen noch die getätigten Aufwendungen für 2012 möglicherweise ganz oder teilweise gar nicht mehr bei einer Ablehnung der Erstattung gemäß § 1835 BGB aus anderen staatlichen Kassen ersetzt zu erhalten; entsprechende Leistungen müssten, wenn sie denn überhaupt gesetzlich begründet wären, rückwirkend beantragt und genehmigt werden.

Die Ergänzungspflegerin wird sich allerdings jetzt darauf einstellen müssen, zukünftig nur solche Aufwendungen über die §§ 1909, 1835 BGB aus der Staatskasse erstattet zu erhalten, die ihrem o. a. Aufgabenkreis zuzuordnen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, da die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 1 FamFG nicht vorliegen. Die Entscheidung beruht auf einer Würdigung von Tatsachen dieses Einzelfalles.