LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.03.2014 - 4 Sa 12/14
Fundstelle
openJur 2014, 20076
  • Rkr:

1) Wird nach Anzeige einer Massenentlassung ein Arbeitnehmer gekündigt, so bedarf es vor Ausspruch einer weiteren Kündigung desselben Arbeitnehmers innerhalb von 30 Tagen keiner erneuten Massenentlassungsanzeige, wenn diese erneute Kündigung in keinem neuen Massenentlassungskontext steht.

2) Auch betriebsverfassungsrechtliche Normen eines Tarifvertrags können gem. § 4 Abs. 5 TVG nachwirken.

3) Bei einem Betriebsübergang rückt der Erwerber nicht über § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Stellung der Tarifvertragspartei eines vom Veräußerer abgeschlossenen Firmentarifvertrags ein . Vielmehr findet gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eine Transformation der Tarifnormen in die Arbeitsverträge statt, wobei der Erwerber aber im Hinblick auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse so gestellt wird, als sei er wie der Veräußerer an den normativen Teil des Tarifvertrages gebunden.

4) Unter Berücksichtigung der Regelung des Art. 6 Abs. 1 RL 2001/23/EG muss § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB jedoch europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass der Erwerber nicht nur an Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen gebunden ist, sondern auch an die betriebsverfassungsrechtlichen Normen eines Tarifvertrages gem. § 117 Abs. 2 BetrVG. Eine auf der Grundlage eines beim Veräußerer geltenden Firmentarifvertrages gem. § 117 Abs. 2 BetrVG gebildete Personalvertretung für das fliegende Personal besteht somit auch nach einem Betriebsübergang fort, selbst wenn mit dem Erwerber kein entsprechender Tarifvertrag geschlossen wurde.

5) Mit dieser fortbestehenden Personalvertretung ist vor einer Massenentlassung das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführen. Unterlässt der Arbeitgeber dies, so liegt mangels Beifügung einer Stellungnahme der Personalvertretung zur Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 3 KSchG eine unzureichende Massenentlassungsanzeige vor, die zur Unwirksamkeit der Kündigungen führt.

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.12.2013 (25 Ca 3150/13) abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 22.04.2013 aufgelöst wurde.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu tragen.

II. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

III. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der am … geborene, ledige und gegenüber einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger war seit 29.10.2007 beschäftigt als Verkehrsflugzeugführer bei der Fa. C. GmbH & Co. KG (nachfolgend: C.) auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 29.10.2007 (Bl. 9-11 d. ArbG-Akte). Der Kläger bezog zuletzt ein durchschnittliches monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 5.273,30 EUR .

Mit Wirkung zum 01.09.2012 ging das Arbeitsverhältnis in Folge eines Betriebsübergangs von der C. auf die O.E.G. GmbH (nachfolgend: O.) über. Die O. war eine der ältesten deutschen Regionalfluggesellschaften mit Sitz in B.. Mit Übernahme der C. wurde der administrative Verwaltungssitz der O. von B. nach F. verlegt und dort die Zentrale eingerichtet.

Bei der C. war bis zum Betriebsübergang für das Cockpitpersonal eine Personalvertretung gebildet. Diese Personalvertretung wurde gebildet auf der Grundlage eines Tarifvertrags über die Personalvertretung (TV-PV) im Sinne von § 117 Abs. 2 BetrVG, welcher als Firmentarifvertrag abgeschlossen wurde zwischen der C. und der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit. Die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit hatte diesen TV-PV jedoch bereits zum 31.12.2007 gekündigt gehabt. In einem gemeinsamen Unterrichtungsschreiben über den Betriebsübergang der C. zur O. vom 09.08.2012 (Bl. 39-47 d. LAG-Akte) führten die beiden Firmen gegenüber den Mitarbeitern unter Ziffer IV. 5. aus:

„5. Personalvertretungen

Bei C. sind durch Firmentarifvertrag mit der Vereinigung Cockpit eine Personalvertretung für das Cockpitpersonal und durch Firmentarifvertrag mit der Gewerkschaft UFO eine Personalvertretung für das Kabinenpersonal errichtet. Beide Personalvertretungen bestehen nur, weil der jeweilige Firmentarifvertrag ihre Errichtung für die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer, das heißt das Cockpitpersonal und das Kabinenpersonal, vorsieht (§ 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) und C. Partei der Firmentarifverträge ist. O. ist an die von C. geschlossene Firmentarifverträge nicht gebunden. Das bedeutet, dass bei O. keine Personalvertretung auf der Grundlage dieser Firmentarifverträge errichtet werden kann. Das bedeutet, dass das Amt der bestehenden Personalvertretungen für das Cockpitpersonal bzw. für das Kabinenpersonal mit dem Übergangsstichtag endet. Beide Personalvertretungen hören somit mit dem Übergangsstichtag auf zu bestehen und können ihre Befugnisse nicht mehr ausüben. Die Mitglieder der Personalvertretungen haben entsprechend § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG noch für ein Jahr ab dem Übergangsstichtag Sonderkündigungsschutz.“

Entsprechend dieser Unterrichtung entfaltete die Personalvertretung fortan keine betriebsverfassungsrechtliche Aktivitäten mehr.

Mit Beschluss des Amtsgerichts E. vom … (…) wurde über das Vermögen der O. das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Zugleich zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit an. Der bereits unmittelbar vor Insolvenzeröffnung ruhend gestellte Flugbetrieb wurde vom Beklagten endgültig eingestellt. Der Beklagte beschloss, den Betrieb der O. stillzulegen und setzte dieses auch um. Sämtliche Mitarbeiter des Bodenpersonals und des fliegenden Personals wurden gekündigt.

Vor Ausspruch der Kündigung zeigte der Beklagte bei der Agentur für Arbeit S./G. unter anderem die beabsichtigte (Massen-) Entlassung von 218 Mitarbeitern des fliegenden Personals an (Bl. 102-110 d. ArbG-Akte).

Ein Konsultationsverfahren wurde nicht durchgeführt.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 09.04.2013 (Bl. 14-15 d. ArbG-Akte), dem Kläger zugegangen am 11.04.2013, „aus betriebsbedingten Gründen gem. § 113 InsO zum 30.06.2013“. Vorsorglich kündigte er mit diesem Schreiben zum nächstmöglichen Termin.

Mit Schreiben vom 23.04.2013 (Bl. 16 d. ArbG-Akte) wandte sich der Beklagte erneut an den Kläger. Darin heißt es:

„Sehr geehrter Herr S.,ich habe Ihnen mit Schreiben vom 09.04.2013 eine Kündigung ausgesprochen. Leider wurde die dabei die Kündigungsfrist falsch berechnet.Bitte betrachten Sie dieses Kündigungsschreiben daher als gegenstandslos. Sie erhalten in der Anlage ein neues Kündigungsschreiben mit der richtigen Kündigungsfrist gem. § 113 InsO.“

Diesem Schreiben war ein weiteres, nunmehr auf den 22.04.2013 datiertes Kündigungsschreiben (Bl. 17-18 d. ArbG-Akte) angehängt, welches dem Wortlaut des Schreibens vom 09.04.2013 entspricht, mit Ausnahme des Beendigungsdatums, welches nunmehr auf den 31.07.2013 angegeben wurde.

Gegen diese Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhob der Kläger am 30.04.2013 eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht.

Der Kläger hielt die Kündigung für nicht sozial gerechtfertigt. Außerdem rügte er Mängel im Massenentlassungsanzeigeverfahren. Er vertrat die Auffassung, die zweite Kündigung vom 22.04.2013 sei nicht mehr von der Massenentlassungsanzeige gedeckt. Er meinte, der Beklagte hätte vor Ausspruch dieser erneuten Kündigung erneut eine Massenentlassung anzeigen müssen.

Der Kläger beantragte:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 22.04.2013 nicht aufgelöst worden ist.

2. Hilfsweise für den Fall des Obsiegens in der ersten Instanz bis zur Rechtskraft:Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Flugzeugführer weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hielt die Kündigung wegen vollständiger Betriebsstilllegung für sozial gerechtfertigt. Er meinte, einer erneuten Massenentlassungsanzeige hätte es nicht bedürft.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.12.2013 abgewiesen. Es hielt die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen wegen Betriebsstilllegung für sozial gerechtfertigt. Mit Mitarbeitern, die im Rahmen der Abwicklung noch Büro- oder Technikarbeitsplätze innegehabt hätten, sei der Kläger nicht vergleichbar. Auch eine erneute Massenentlassungsanzeige sei nicht erforderlich gewesen. Erkennbar habe der Beklagte keine neue Kündigungsabsicht gehabt, sondern nur ein falsches Beendigungsdatum korrigieren wollen. Eine erneute Durchführung des Massenentlassungsanzeigeverfahrens werde vom Normzweck des § 17 KSchG in einem solchen Fall nicht verlangt.

Dieses Urteil wurde der Klägerseite am 23.01.2014 zugestellt. Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung, die am 21.02.2014 beim Landesarbeitsgericht einging und die am Montag, dem 24.03.2014 begründet wurde.

Der Kläger rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Er meint, das Schreiben der Beklagten vom 23.04.2013 könne nur so verstanden werden, dass die erste Kündigung vom 09.04.2013 als gegenstandslos habe angesehen werden sollen und eine neue Kündigung habe ausgesprochen werden sollen. Dann aber hätte es auch einer erneuten Massenentlassungsanzeige bedurft.

Außerdem vertritt der Kläger nunmehr erstmalig auch noch die Auffassung, dass die Kündigung wegen eines nicht durchgeführten Konsultationsverfahrens gem. § 17 Abs. 2 KSchG unwirksam sei. Der Personalvertretung der C. hätte in zumindest entsprechender Anwendung von § 21 b BetrVG ein Restmandat eingeräumt werden müssen. Im Rahmen dieses Restmandats hätte diese beteiligt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.12.2013, Az: 25 Ca 3150/13, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 22.04.2013 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Er meint, das Arbeitsverhältnis sei ohnehin schon durch die erste Kündigung vom 09.04.2013, ggfs. mit umgedeuteter Kündigungsfrist, beendet worden. Das Schreiben vom 23.04.2013 habe kein Fortsetzungsangebot beinhaltet. Jedenfalls habe der Kläger ein solches nicht angenommen.

Er meint außerdem, eine Personalvertretung habe ab dem Betriebsübergang auf die O. nicht mehr bestanden. Die Durchführung eines Konsultationsverfahrens sei ihm deshalb gar nicht möglich gewesen. Mangels Bindung der O. an den ohnehin bereits mit Wirkung zum 31.12.2007 beendeten TV-PV habe gar keine rechtliche Grundlage für die Existenz einer Personalvertretung mehr bestanden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 64 Abs. 7 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

I.

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde nicht durch die allein noch streitige Kündigung vom 22.04.2013 beendet. Zwar war eine erneute Massenentlassungsanzeige nicht geboten. Jedoch ist die tatsächlich erstattete Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß erfolgt. In der Anzeige fehlte es an einer Stellungnahme gem. § 17 Abs. 3 KSchG der über den Betriebsübergang noch fortbestehenden Personalvertretung. Dies hat die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge.

1. Streitgegenständlich ist nur noch die dem Kläger mit Schreiben vom 23.04.2013 zugeleitete Kündigung vom 22.04.2013, nicht (mehr) dagegen die Kündigung vom 09.04.2013.

a) Eine Kündigung wird als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung mit ihrem Zugang beim Gekündigten wirksam. Sie kann daher vom Kündigenden nicht mehr einseitig zurückgenommen werden. Erklärt der Arbeitgeber eine „Kündigungsrücknahme“, so liegt darin vielmehr das Angebot des Arbeitgebers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen (BAG 19. August 1982 - 2 AZR 230/80 - BAGE 40, 56). Die Rechtsfolgen der Rücknahme der Kündigung hängen davon ab, wie sich der Arbeitnehmer auf das Angebot verhält. Er kann das Angebot nach §§ 145 ff, BGB annehmen oder ablehnen. Beides kann ausdrücklich oder auf andere Weise schlüssig erfolgen (Hako/Gallner 4. Aufl. § 4 KSchG Rn. 80, 82).

b) Vorliegend hat der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 23.04.2013 mitgeteilt, dieser solle das Kündigungsschreiben vom 09.04.2013 als „gegenstandslos“ betrachten. Der Kläger erhalte anliegend ein „neues Kündigungsschreiben“. Der Beklagte bot dem Kläger hiermit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an frei von der Kündigungslast aus der Kündigung vom 09.04.2013, wenngleich unter erneutem Ausspruch einer weiteren Kündigung. Dass der Beklagte den Kläger von der Kündigungslast aus der Kündigung vom 09.04.2013 befreien wollte und sich nur noch auf eine Kündigung, nämlich die vom 22.04.2013 berufen wollte, erkannte der Kläger. Er führte dies bereits mit ursprünglicher Klageschrift vom 29.04.2013 selbst in das Verfahren ein. Der Kläger akzeptierte die Verfahrensweise des Beklagten und stellte konsequenterweise auch nur einen punktuellen Kündigungsschutzantrag neben einem allgemeinen Feststellungsantrag, wenngleich ursprünglich die angegriffene Kündigung im punktuellen Antrag noch als eine solche vom 09.04.2013 bezeichnet wurde, was dann im Kammertermin am 17.12.2013 korrigiert wurde auf den 22.04.2013. Der Kläger nahm somit zumindest konkludent das Angebot des Beklagten an, ihn frei von der Kündigungslast der Kündigung vom 09.04.2013 jedenfalls über den 30.06.2013 hinaus bis zum 31.07.2013 weiterzubeschäftigen. Erst dieses neue Beendigungsdatum steht wieder im Streit. Dies aber aufgrund der neuen Kündigung vom 22.04.2013.

2. Die Kündigung vom 22.04.2013 ist aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG. Auch die Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG erfolgte frei von Rechtsfehlern. Insoweit wird auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils unter I. 1. a) bis c) Bezug genommen. Die Kammer macht sich diese Ausführungen ausdrücklich zu eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Diese Ausführungen wurden vom Kläger in der Berufung auch nicht mehr angegriffen.

3. Entgegen der Auffassung des Klägers musste der Beklagte vor Ausspruch der Kündigung vom 22.04.2013 nicht erneut eine Massenentlassung anzeigen gemäß § 17 Abs. 1 KSchG.

a) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist, bevor eine Massenentlassung durchgeführt wird, also eine gewisse Mindestanzahl an Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen wird, der Agentur für Arbeit hierüber Anzeige zu erstatten. Unter Entlassung ist in unionsrechtlicher Auslegung (EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - Slg. 2005, I. - 885, Junk) die Erklärung der Kündigung zu verstehen (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - BAGE 134, 176). Sinn und Zweck dieser Regelung ist, in Übereinstimmung mit der RL 98/59/EG, Massenentlassungen zu vermeiden oder jedenfalls ihre Zahl zu beschränken, beziehungsweise ihre Folgen zu mildern. Nach Art. 4 Abs. 2 RL 98/59/EG soll die zuständige Behörde, also die Agentur für Arbeit, in die Lage versetzt werden, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen (BAG 22. April 2010 aaO). Die durch eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG eröffnete Kündigungsmöglichkeit wird jedoch mit der Erklärung dieser Kündigung verbraucht. Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis im zeitlichen Zusammenhang von 30 Tagen mit einer weiteren Massenentlassung beenden, so bedarf es einer erneuten Anzeige, anderenfalls nämlich der von §§ 17ff. KSchG verfolgte Zweck leerliefe, Massenentlassungen zu vermeiden oder deren Folgen zu mildern (BAG 22. April 2010 aaO).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass stets bei einer erneuten Kündigung, die innerhalb von 30 Kalendertagen ausgesprochen wird, eine erneute Massenentlassungsanzeige zu erstatten wäre. Denn wie aus der zitierten Entscheidung des BAG (BAG 22. April 2010 aaO) ersichtlich ist, der ein Fall zugrunde lag, in dem der dortige Kläger zwei Massenentlassungswellen unterfiel und deshalb zweimal gekündigt wurde, ist abzustellen auf einen Massenentlassungskontext. Nur wenn die weitere Kündigung im Zusammenhang mit einer weiteren Massenentlassung erklärt wird, bedarf es auch einer erneuten Massenentlassungsanzeige. Denn verbleibt es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein- und desselben Arbeitnehmers, dessen Entlassung bereits angezeigt wurde, innerhalb desselben Massenentlassungskontextes, so ist über diese Entlassung die Agentur für Arbeit bereits ausreichend in Kenntnis gesetzt, um insbesondere Vermittlungsbemühung in Bezug auf diesen Arbeitnehmer entfalten zu können. Der mit der Massenentlassungsanzeige verfolgte Zweck ist dann bereits erfüllt.

b) Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass der Kläger quasi als Entlassung Nr. der Agentur für Arbeit mitgeteilt wurde. Die Entlassung stand in einem Massenentlassungskontext, nämlich der Entlassung aller 218 Mitarbeiter des fliegenden Personals. Die nochmalige Kündigung des Klägers (= Entlassung) begründete keinen neuen Massenentlassungskontext. Es blieb dabei, dass der Kläger als Mitarbeiter Nr. zur Entlassung anstand entsprechend der Massenentlassungsanzeige betreffend den Massenentlassungskontext „Kündigung aller Mitarbeiter des fliegenden Personals“.

c) Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass für den Kläger in der Massenentlassungsanzeige als Beendigungsdatum (Entlassungszeitraum) der 30.06.2013 angegeben wurde, dieses Datum sich dann aber aufgrund der neuen Kündigung auf den 31.07.2013 verschob.

Zwar gehört gem. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG der Zeitraum, in dem die Entlassungen durchgeführt werden sollen, zu den Mussangaben der Massenentlassungsanzeige. Richtig ist auch, dass inhaltliche Fehler in diesen Punkten in der Regel zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn bezogen auf den Zweck der Anzeige der Fehler ohne Auswirkungen auf die Entscheidung der Agentur für Arbeit bleibt (LAG Baden-Württemberg 16. September 2010 - 9 Sa 33/10 - LAGE KSchG § 17 Nr. 7). Ist aber der Hauptzweck die Ermöglichung einer vorausschauenden Arbeitsvermittlung und anderer Maßnahmen zur Abwendung der Folgen der Massenentlassung (BAG 22. April 2010 aaO; LAG Baden-Württemberg 16. September 2010 aaO), so bleibt es ohne Auswirkungen, wenn für die Arbeitsvermittlung bezogen auf einen Arbeitnehmer ein - insofern für den Arbeitnehmer und die Agentur für Arbeit günstigerer - längerer Entlasszeitraum eingeräumt wird.

4. Der Beklagte hätte aber die Personalvertretung für das Cockpitpersonal gem. § 17 Abs. 2 KSchG von der beabsichtigten Massenentlassung unterrichten müssen. Da nach § 17 Abs. 3 KSchG die Massenentlassungsanzeige nur wirksam ist, wenn ihr eine Stellungnahme des Betriebsrats, bzw. hier der Personalvertretung, beigefügt wird, liegt ohne eine solche Unterrichtung auch keine ordnungsgemäße Anzeige vor, was zur Unwirksamkeit der Kündigung führt (Hako/Pfeiffer 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 54).

Der Beklagte kann sich vorliegend nicht darauf berufen, es hätte bei der O. ab Betriebsübergang keine Personalvertretung mehr bestanden mangels tariflicher Grundlage für die Bildung einer solchen Personalvertretung. Es gab nämlich noch eine Grundlage für den Fortbestand der Personalvertretung auch über den Betriebsübergang hinaus.

a) Zwischen der C. und der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit bestand ein auf der Grundlage von § 117 Abs. 2 BetrVG geschlossener TV-PV. Dieser Tarifvertrag wurde zwar von der Vereinigung Cockpit mit Wirkung zum 31.12.2007 gekündigt. Dieser Tarifvertrag wirkte jedoch gem. § 4 Abs. 5 TVG über den 31.12.2007 hinaus nach und war auch Grundlage für die erst kurz vor dem Betriebsübergang bei der C. stattgefundenen Neuwahl der Personalvertretung.

Die gesetzliche Anordnung der Nachwirkung betrifft alle Rechtsnormen, also solche über Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen, als auch solche über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen und über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der allgemeinen Formulierung des § 4 Abs. 5 TVG selbst, sondern auch aus einem Vergleich von § 4 Abs. 5 TVG mit § 4 Abs. 1 und 2 TVG. In den Absätzen 1 und 2 sind die verschiedenen Arten tarifvertraglicher Normen einzeln behandelt. Hätte § 4 Abs. 5 TVG die Nachwirkung nur auf einen Teil der Rechtsnormen beschränken wollen, hätte dies durch ausdrückliche Kennzeichnung erfolgen müssen. Daraus folgt, dass insbesondere auch betriebsverfassungsrechtliche Normen wie der TV-PV der Nachwirkung fähig sind (Däubler/Bepler TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 863; GK-BetrVG/Franzen 10. Aufl. § 117 Rn. 14; ErfK/Franzen 14. Aufl. § 4 TVG Rn. 55; im Ergebnis auch: Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 4 Rn. 670).

Soweit zum Teil eine Befristung der Nachwirkung befürwortet wird, um der Gefahr einer ewigen Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Normen vorzubeugen (Löwisch/Rieble § 4 Rn. 672-675), werden diese Bedenken jedenfalls bei Tarifverträgen gem. § 117 Abs. 2 BetrVG nicht geteilt. Denn zu beachten ist, dass gem. § 117 Abs. 1 BetrVG die Regelungen des BetrVG auf das fliegende Personal nicht anzuwenden sind, der Gesetzgeber aber durchaus eine Betriebsverfassung für diesen Personenkreis wünscht, lediglich die Ausgestaltung den Tarifvertragsparteien überlassen will. Die Herausnahme des fliegenden Personals aus der gesetzlichen Betriebsverfassung hatte allein seinen Grund und seine (auch verfassungsrechtliche) Rechtfertigung in den Besonderheiten der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Flugbetriebs, dem es typischerweise an der Ortsgebundenheit fehlt (BAG 20. Februar 2001 - 1 ABR 27/00 - BAGE 97, 52; BAG 24. Juni 2008 - 9 AZR 313/07 - AP BetrVG 1972 § 117 Nr. 8). Eine Rechtfertigung, ohne Ablösung durch einen neuen Tarifvertrag eine bestehende Betriebsverfassung für das fliegende Personal zur Auflösung zu bringen, ist nicht ersichtlich (so im Ergebnis auch GK-BetrVG/Franzen 10. Aufl. § 117 Rn. 15).

b) Dieser nachwirkende Tarifvertrag galt aber nach dem Betriebsübergang von der C. auf die O. bei der O. nicht schon deshalb fort, weil die O. in die Stellung als Tarifvertragspartei nach § 3 Abs. 1 TVG eingerückt wäre. Bei einem Betriebsübergang gelten nämlich die Regelungen eines Tarifvertrags nicht unmittelbar und zwingend auf kollektivrechtlicher Basis beim Erwerber weiter.

aa) Ein solches Einrücken in die Stellung einer Tarifvertragspartei wurde noch vor dem am 21.08.1980 in Kraft getretenen Arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz (BGBl. I., S. 1308) überwiegend vertreten, findet aber seit der Novellierung und der damit verbundenen Einfügung der Sätze 2-4 in § 613 a Abs. 1 BGB keine Grundlage mehr. Vielmehr wurde durch die Einfügung der Sätze 2-4 in § 613 a Abs. 1 BGB eine Auffangregelung geschaffen für den Fall, dass der Betriebsübernehmer an die bisher geltenden Tarifverträge tarifrechtlich nicht gebunden ist. Damit liegt keine planwidrige und deshalb der Ausfüllung durch die Rechtsprechung zugängliche Regelungslücke mehr vor. Nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Betriebserwerber lediglich in die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen ein; nur insoweit wird er Rechtsnachfolger des Veräußerers. Dieser Übergang der Arbeitgeberstellung in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse kann die Tarifgebundenheit an einen Firmentarifvertrag des Veräußerers nicht begründen. Denn die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers (§ 3 Abs. 1 TVG) an den Firmentarifvertrag basiert auf seiner Stellung als Tarifvertragspartei, nicht aber auf der als Partei des Arbeitsvertrages. Gem. § 2 Abs. 1 TVG kann der einzelne Arbeitgeber Tarifvertragspartei sein. Tarifvertragspartei wird er aber erst durch den Abschluss eines Tarifvertrages. Es gibt keine Grundlage dafür, dass von dem Übergang der Arbeitgeberstellung hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auch die Stellung als Tarifvertragspartei eines Firmentarifvertrages erfasst wird. Vielmehr gilt die Auffangregelung in § 613 a Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4 für die Tarifverträge ohne Unterscheidung zwischen Verbands- und Firmentarifverträgen (BAG 18. Januar 2012 - 7 ABR 72/10 - AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 33; BAG 22. April 2009 - 4 AZR 100/08 - BAGE 130, 237; BAG 20. Juni 2001 - 4 AZR 295/00 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifverträge Nr. 18).

bb) Dieser Auffassung wird mit beachtlichen Argumenten entgegnet, bei § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB handele es sich nur um eine Auffangregelung, die jedoch erst zum Tragen komme, wenn eine kollektive Weitergeltung des Tarifvertrages nach § 3 Abs. 1 TVG scheitere. Verbleibe es bei der betrieblichen Identität auf Arbeitgeberseite, gehöre jedenfalls ein Firmentarifvertrag genauso zum Normenprogramm, wie die anderen kollektiven Regelungsinstrumente in Gestalt von Betriebs- und Gesamtbetriebsvereinbarungen und gelten daher kollektivrechtlich weiter (Däubler/Lorenz TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 176, 196; DKKW/Trümmer 14. Aufl. § 3 BetrVG Rn. 224; Trittin in Bachner/Köstler/Mathießen/Trittin Arbeitsrecht bei Unternehmensumwandlung und Betriebsübergang 4. Aufl. § 5 Rn. 79 ff).

cc) Der Gegenauffassung kann jedoch dennoch nicht gefolgt werden. Denn schon die dem § 613 a BGB zugrunde liegende RL 2001/23/EG ist zwingend in Einklang mit Art. 16 GR-Charta und der darin geregelten unternehmerischen Freiheit auszulegen. Dabei ist insbesondere das Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers zu beachten (EuGH 18. Juli 2013 - C - 426/11 AP RL 2001/23/EG Nr. 10, Alemo-Herron; EuGH 9. März 2006 - C - 499/04 - AP RL 77/187/EWG Nr. 2, Werhof). Eine unmittelbar und zwingende Bindung an Regelungen eines Firmentarifvertrags, in dessen Stellung als Tarifvertragspartei gem. § 3 Abs. 1 TVG der Betriebserwerber einrücken würde, erscheint insoweit zwar noch nicht problematisch. Wohl aber, wenn man über § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB den Erwerber unmittelbar und zwingend an Regelungen eines Verbandstarifvertrages binden wollte, auf deren Abänderung der Erwerber mangels Verbandsmitgliedschaft keinen Einfluss hat. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB aber unterschiedlich auszulegen, je nachdem, ob es sich bei der Tarifnorm, die fortgelten soll, um eine solche aus einem Firmentarifvertrag oder um eine solche aus einem Verbandstarifvertrag handelt, erscheint unpraktikabel und kann kaum gewollt sein.

c) Jedoch sind die Regelungen des TV-PV über § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB für die O. und somit letztlich auch für den Beklagten verbindlich geworden. Es bestand somit auch nach dem Betriebsübergang noch eine rechtliche Grundlage für den Fortbestand der Personalvertretung. Dies ergibt sich aus einer unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 RL 2001/23/EG richtlinienkonformen Auslegung des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB.

aa) Dem Beklagten ist einzuräumen, dass unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung zu § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB eine Fortgeltung der betriebsverfassungsrechtlichen Normen nicht angenommen werden könnte. Diese herrschende Meinung stellt sich nämlich wie folgt dar:

Von § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB werden auch Tarifverträge erfasst, die beim Veräußerer nur noch nach § 4 Abs. 5 TVG nachwirken (BAG 27. November 1991 - 4 AZR 211/91 - BAGE 69, 119; Däubler/Lorenz TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 197).

§ 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB bewirkt zwar nur eine vertragsrechtliche Transformation. Der Erwerber ist an die transformierten Regelungen eines Tarifvertrages aber in einer Weise gebunden, wie sie der Nachbindung des aus einem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetretenen Arbeitgebers gem. § 3 Abs. 3 TVG entspricht. Die bislang normativ geltenden Regelungen werden zwar Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Dennoch wird der Erwerber bis zum Ablauf eines Jahres im Hinblick auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse so gestellt, als sei er wie der Veräußerer an den normativen Teil des Tarifvertrages gebunden (BAG 22. April 2009 aaO). Es handelt sich um keine Transformation kollektiven Rechts, sondern um eine Rechtsnachfolge des Erwerbers in die kollektivrechtlichen Bindungen des Veräußerers in Form eines Sukzessionsmodells (ErfK/Preis 14. Aufl. § 613 a BGB Rn. 112).

Dieses Einrücken in die kollektivrechtlichen Bindungen kann aber lediglich in Inhaltsnormen, Abschluss- und Beendigungsnormen erfolgen, nicht aber in betriebsverfassungsrechtlichen Normen. Dies wird abgeleitet aus Art. 3 Abs. 3 der RL 2001/23/EG. Danach hat der Erwerber nämlich lediglich die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen in dem gleichen Maße aufrecht zu erhalten, wie sie im Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Auch § 613a Abs. 1 BGB spricht nur von einem Eintreten in die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis. Aus den Begriffen „Arbeitsbedingungen“ und „Arbeitsverhältnis“ wird entnommen, dass § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur einen Individualrechtsschutz bewirke. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen könnten nicht in ein Einzelarbeitsverhältnis transformiert werden (Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 376; Hohenstatt in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen 3. Aufl. Kap. E Rn. 124; KR/Pfeiffer 9. Aufl. § 613 a BGB Rn. 160; Staudinger/Annuß BGB (2011) § 613 a Rn. 210). Lediglich in Einzelfällen, wenn über betriebsverfassungsrechtliche Normen einzelnen Arbeitnehmern Rechte eingeräumt werden (zB Beschwerderechte, Einsicht in die Personalakte), die Normen sich somit unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirken, wird teilweise auch eine Transformation betriebsverfassungsrechtlicher Einzelnormen befürwortet (ErfK/Preiss 14. Aufl. § 613 a BGB Rn. 118; KR/Pfeiffer 9. Aufl. § 613 a BGB Rn. 160; Koch in Schaub Arbeitsrechtshandbuch 15. Aufl. § 119 Rn. 6).

bb) Die Rechtsfolge der herrschenden Meinung, nämlich der völlige Wegfall einer rechtlichen Grundlage einer tariflichen Betriebsverfassung für das fliegende Personal bei Nichtexistenz einer ersatzweisen gesetzlichen Betriebsverfassung steht aber im Widerspruch zur Regelung in Art. 6 Abs. 1 1. Unterabsatz RL 2001/23/EG. Danach soll nämlich bei Betriebsübergängen, bei denen die betriebliche Identität erhalten bleibt, auch die Rechtsstellung und die Funktion der Vertretung der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer unter den gleichen Bedingungen erhalten bleiben, wie sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs auf Grund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, aber auch aufgrund einer Vereinbarung (!), bestanden haben, sofern die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind. Das heißt, auch die aufgrund von Vereinbarung, wie hier durch Tarifvertrag, begründeten Vertretungsorgane sollen nach einem Betriebsübergang fortbestehen. Der europäische Gesetzgeber will gerade ausdrücklich und unmissverständlich den Fortbestand der aufgrund Vereinbarung begründeten Personalvertretungen (Däubler DB 2006, 666; DKKW/Trümmer 14. Aufl. § 3 TVG Rn. 226).

cc) Dieser durch die herrschende Meinung bedingte Wegfall der tariflich vereinbarten Betriebsverfassung beim Betriebserwerber kann jedoch nicht durch eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 3 TVG aufgelöst werden, wie dies insbesondere von Däubler und Trümmer vorgeschlagen wird (Däubler DB 2006, 666; DKKW/Trümmer 14. Aufl. § 3 TVG Rn. 226).

Zum Einen wurde eine solche Analogie vom BAG bereits ausdrücklich abgelehnt (BAG 18. Januar 2012 aaO), wenn auch wenig konsequent, da schließlich der Rechtsgedanke des § 3 Abs. 3 TVG vom BAG gerade dafür herangezogen wurde, um die fortdauernde kollektivrechtliche Wirkung der über § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Tarifnormen zu begründen (BAG 22. April 2009). Entscheidend erscheint aber, dass über eine Analogie zu § 3 Abs. 3 TVG überschießend ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit des Übernehmers stattfinden würde, der gerade vermieden werden soll (EuGH 18. Juli 2013 aaO; EuGH 9. März 2006 aaO).

dd) Geboten erscheint aber zur Auflösung des Widerspruchs eine europarechtskonforme Auslegung des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB dahingehend, dass unter den Begriff der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die durch Tarifvertrag geregelt sind, auch eine tariflich vereinbarte Einbettung des Arbeitsverhältnisses in eine funktionierende Personalvertretung gehört.

Dies lässt sich auch gut aus der Systematik der RL 2001/23/EG ableiten. Die Richtlinie geht schon in ihren Begründungserwägungen von der Selbstverständlichkeit des Fortbestands der Arbeitnehmervertretungen aus. In den Begründungserwägungen Nr. 5 und 6 sind die Arbeitnehmervertretungen ausdrücklich benannt.

Art. 6 RL 2001/23/EG steht ebenso wie Art. 3 dieser Richtlinie in Kapitel II der Richtlinie, welches überschrieben ist mit „Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer“. Das heißt, der Fortbestand der Arbeitnehmervertretung wird vom europäischen Gesetzgeber als eine Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer gesehen, somit durchaus auch individualrechtlich. Art. 3 und 6 RL 2001/23/EG sind somit zusammen zu lesen. Art. 6 Abs. 1 RL 2001/23/EG stellt somit lediglich einen Spezialfall des in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie geregelten Übergangs der in einem Kollektivvertrag geregelten Arbeitsbedingungen dar.

Eine solche Sichtweise wäre auch kompatibel mit der gegenteiligen Entscheidung des BAG (BAG 18. Januar 2012 aaO) betreffend die Ablehnung der Transformation der Normen eines Zuordnungstarifvertrages gem. § 3 BetrVG. Denn bei Zuordnungstarifverträgen gem. § 3 BetrVG sind im Falle eines Betriebsübergangs die Regelungen über das Übergangsmandat gem. § 21 a BetrVG entsprechend anzuwenden. Anschließend erfolgt ein „Rückfall“ auf die originäre gesetzliche Betriebsverfassung mit der möglichen Neuwahl eines Betriebsrats. Die Rückkehr zur gesetzlichen Betriebsverfassung ist jedoch jedem Arbeitnehmer zumutbar (Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 3 Rn. 377). Die Ablehnung der Transformation der Normen eines Zuordnungstarifvertrages lässt sich dann auch über Art. 6 Abs. 1 2. Unterabsatz RL72001/23/EG begründen. Denn es existieren anderweitige nationale gesetzliche Regelungen zur Neubestellung eines Betriebsrates.

Anders stellt sich die Situation aber im Falle wie dem vorliegenden dar, in denen wegen der Regelung des § 117 Abs. 1 BetrVG ein Rückfall auf eine gesetzliche Betriebsverfassung ausgeschlossen ist.

d) Da somit noch eine Grundlage für den Fortbestand der Personalvertretung bestand, war die Personalvertretung auch nach dem Betriebsübergang noch im Amt. Sie wurde vor Ausspruch der Kündigung nicht gem. § 17 Abs. 2 KSchG konsultiert. Deshalb ist das Massenentlassungsanzeigeverfahren nicht ordnungsgemäß erfolgt und die Kündigung unwirksam.

5. Das Prüfungsprogramm betreffend die Einhaltung des Massenentlassungsanzeigeverfahrens war - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht deshalb beschränkt, weil das Arbeitsgericht einen Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erteilt hatte und die Nichtdurchführung des Konsultationsverfahrens erstinstanzlich noch nicht gerügt wurde. Denn der Kläger hat erstinstanzlich bereits die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Mängel im Massenentlassungsanzeigeverfahren geltend gemacht. Genauso wie es zB bei geltend gemachter Unwirksamkeit einer Betriebsratsanhörung gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht darauf ankommen kann, aus welchen Gründen (zB Nichteinhaltung der Wochenfrist oder Falschinformation) letztlich die Betriebsratsanhörung unwirksam ist, kann es auch bei geltend gemachter Unwirksamkeit wegen Mängel im Massenentlassungsanzeigeverfahren nicht darauf ankommen, welcher konkrete einzelne Mangel letztlich der durchschlagende ist.

II. Nebenentscheidungen

1. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz hat der Beklagte gem. § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen. Der Beklagte ist vollständig unterlegen. Die Kosten der Berufung waren gem. § 97 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise dem Kläger aufzuerlegen. Der Kläger hat zweitinstanzlich erstmalig vorgebracht, dass zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch eine Personalvertretung bestanden habe. Er hat auch zweitinstanzlich erstmalig die Nichtdurchführung des Konsultationsverfahrens gerügt. Lediglich aufgrund dieses neuen Vorbringens hat der Kläger obsiegt.

2. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.

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