SG Marburg, Urteil vom 04.06.2014 - S 12 KA 12/14
Fundstelle
openJur 2014, 18742
  • Rkr:

1. Nach partieller Öffnung eines Planungsbereichs können die Zulassungsgremien die räumliche Verteilung der Arztgruppe (hier: Frauenärzte) im Planungsbereich berücksichtigen. Dies wird von den in § 26 BedarfsplRL genannten Kriterien nunmehr ausdrücklich vorgegeben.

2. Für die Berücksichtigung der Versorgungssituation kommt es nicht auf die Situation einer einzelnen Praxis, sondern auf die Situation der Versicherten im Planungsbereich an.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten und des Beigeladenen zu 8) zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer aktiven Konkurrentenklage um die Vergabe eines Vertragsarztsitzes für einen Gynäkologen/eine Gynäkologin im Planungsbereich A-Stadt nach partieller Öffnung.

Die Klägerin ist eine seit 1996 bestehende Berufsausübungsgemeinschaft mit Praxissitz in E-Stadt. Ihr gehörten zunächst Frau Dr. med. E. und Frau Dr. H., beide als Fachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen, an. Frau Dr. H. hat zum 31.12.2013 auf ihre Zulassung verzichtet und für sie ist Frau G. als Nachfolgerin in die Praxis eingetreten.

Der Beigeladene zu 8) und der Beigeladene zu 10) sind als Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen, der Beigeladene zu 10) lediglich mit einem hälftigen Versorgungsauftrag. Sie führen eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft. Der Beigeladene zu 8) beschäftigt als angestellte Gynäkologin Frau I. mit 20 Wochenstunden. Die Beigeladene zu 9) ist als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in C-Stadt zugelassen.

Nach partieller Öffnung des Planungsbereich A-Stadt für einen Vertragsarztsitz für einen Gynäkologen/eine Gynäkologin bewarben sich u.a. die Klägerin und die Beigeladenen zu 8), 9) und 10). Die Klägerin beantragte am 04.02.2013 die Anstellung der Frauenärztin Frau Dr. J. mit einem Tätigkeitsumfang von 32 Wochenstunden. Der Beigeladene zu 8) beantragte am 12.02.2013 die Erweiterung der Anstellung von Frau I. von 20 auf 40 Wochenstunden. Der Beigeladene zu 10) beantragte am 12.02.2013 die Erweiterung seines Versorgungsauftrags von einem hälftigen auf einen ganzen. Die Beigeladene zu 9) beantragte am 07.02.2013 die Anstellung der Frauenärztin Frau M. mit einem Tätigkeitsumfang von 30 Wochenstunden.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gab mit Beschluss vom 17.05.2013 dem Antrag der Klägerin statt und lehnte die übrigen Anträge ab.

Hiergegen legte die Beigeladenen zu 8) und 10) am 02.08.2013 Widerspruch ein.

Der Beklagte beteiligte die Klägerin und die übrigen Antragsteller, soweit sie ihren Antrag nicht zurückgezogen hatten, am Widerspruchsverfahren.

Der Beklagte hob mit Beschluss vom 06.11.2013, ausgefertigt am 05.12.2013, den Beschluss des Zulassungsausschusses auf und gab den Widersprüchen des Beigeladenen zu 8) statt. Er genehmigte die Erhöhung des Arbeitszeitrahmens der angestellten Frauenärztin I. von Teilzeit (20 Stunden/Woche, Faktor 0,5) auf Vollzeit (40 Stunden/Woche, Faktor 1,0). Den Widerspruch des Beigeladenen zu 10) wies er zurück. Ferner gab er dem Antrag der Beigeladenen zu 9) auf Anstellung der Frauenärztin M. in Teilzeit (20 Stunden/Woche, Faktor 0,5) statt unter der Bedingung der Einreichung eines modifizierten Arbeitsvertrages. Ferner ordnete er den Sofortvollzug der gesamten Entscheidung an. Der Beklagte führte zur Begründung aus, auf Grund der eingelegten Widersprüche sei die Entscheidung des Zulassungsausschusses nicht in Bestandskraft erwachsen, auch nicht gegenüber demjenigen, die keinen Widerspruch eingelegt hätten, soweit sie nicht ihren Antrag zurückgezogen hätten. Frau Dr. K. habe eine Zulassung in einem anderen Planungsbereich erhalten, sodass er davon ausgehe, dass sie ihren Antrag nicht weiter verfolge. Die Entscheidung habe daher nur noch die Anträge der Frau Dr. H. und der Beigeladenen zu 8) bis 10) zu berücksichtigen. Der Antrag der Klägerin sei nur von Frau Dr. H. unterzeichnet worden. Mit weiteren Schreiben der Klägerin vom 16.04.2013, welches beide Gesellschafterinnen unterzeichnet hätten, werde um Zuordnung des Arbeitsverhältnisses der Frau Dr. J. zu Frau Dr. E. gebeten. Für das weitere Verfahren sei daher davon auszugehen, dass Frau Dr. H. die Klägerin vertrete, innerhalb derer Frau Dr. E. eine Anstellungsgenehmigung für Frau Dr. J. erhalten habe. Alle anzustellenden Ärztinnen besäßen die notwendige Eignung für eine vertragsärztliche Anstellung. Frau Dr. I. verfüge über eine wesentlich längere Dauer der Facharzttätigkeit als Frau Dr. J. Dies gelte auch für Frau Dr. M. Beide hätten mehrere Jahre als Frauenärztinnen gearbeitet, Frau Dr. J. nach ihrer Facharztanerkennung lediglich ca. ein halbes Jahr und hierbei lediglich mit 12 Wochenstunden. Kindererziehungszeiten seien hinsichtlich der Berufstätigkeit nicht zu berücksichtigen. Hinsichtlich der beruflichen Erfahrung sei der Beigeladene zu 10) mit den anzustellenden Ärztinnen I. und Dr. M. gleichzustellen. Da sich aus diesen Kriterien keine abschließende Bewertung ergebe, sei auf die weiteren Aspekte der Versorgungssituation und Konzeption der Praxis abzustellen. Die gynäkologische Versorgung der Stadt E-Stadt sei deutlich vorteilhafter als diejenige in C-Stadt und in A-Stadt. Die Lage der Praxis der Beigeladenen zu 9) in C-Stadt mit ca. 14.000 Einwohnern sei isoliert, die Auslastung der Praxis aus diesem Grunde auch äußerst erheblich. Dies gelte zwar auch für die Praxis der Klägerin, allerdings sei hier zu beachten, dass für die Versicherten auf Grund der Tatsache, dass in E-Stadt eine ganze Reihe von Frauenärzten niedergelassen sei, Alternativen bestünden, was für die Praxis der Beigeladenen zu 9) nicht gelte. Für den Standort A-Stadt sei zu bemerken, dass gegenüber E-Stadt ein geringerer gynäkologischer Versorgungsgrad festzustellen sei, insbesondere, wenn man die Mitversorgungseffekte für die Bereiche D- und G-Stadt einbeziehe, in welchen überhaupt keine gynäkologische Praxen existierten. Unter Versorgungsgesichtspunkten sei damit den Standorten C-Stadt und A-Stadt eindeutig der Vorrang zu geben vor dem Bereich E-Stadt. Im Ergebnis seien daher die Standorte C-Stadt und A-Stadt zu bevorzugen. Im Hinblick auf die längere Berufserfahrung der Frau I. sei der Antrag des Beigeladenen zu 8) gegenüber dem des Beigeladenen zu 10) zu bevorzugen. Beide Beigeladenen hätten auch selbst eine Präferenz für den Antrag des Beigeladenen zu 8) festgelegt.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.01.2014 die Klage erhoben. Sie trägt vor, so lange der Beklagte räumliche Versorgungsgesichtspunkte an Stelle der von ihr dargelegten Auslastungskapazitäten gestellt habe, liege ein Ermessensfehlgebrauch vor. Der Beklagte habe dem abwegigen Gesichtspunkt der „räumlichen Wahl des Vertragsarztsitzes“ einen uneingeschränkten Vorzug eingeräumt, obwohl sich dieser vorrangig nicht aus der Bedarfsplanungsrichtlinie ergebe. Der Beklagte hätte die räumliche Lage der jeweiligen Praxen in der Abwägung gewichten können, nicht aber vom Abwägungsvorgang an sich abweichen dürfen. Der Planungsbereich umfasse den gesamten Landkreis. Ein Vertragsarzt könne seine Praxis im gesamten Landkreis verlegen. Die Lage der Gemeinde C-Stadt müsse das umliegende Siedlungsgebiet berücksichtigen. Sie liege in einem der dichtest besiedelten Regionen Deutschlands. Verschiedene F-Stadtteile könnten von hieraus besser erreicht werden als die südlichen Gemeinden des Landkreises A-Stadt. Dies gelte auch für die Städte H-Stadt und I-Stadt sowie die Gemeinde J-Stadt, die auf der anderen Mainseite lägen. Da in und um E-Stadt herum fast 2/3 der Einwohner des Landkreises wohnten, sei es nicht ungewöhnlich, dass sich die meisten Frauenärzte im nördlichen Teil des Landkreises niedergelassen hätten. Auch liege A-Stadt nicht im südlichen Teil, sondern in der Mitte des Landkreises. Jedenfalls habe der Beklagte seine Entscheidung nicht auf einer statistischen und demographischen Grundlage sachgerecht getroffen. Es müsse die örtliche Struktur berücksichtigt werden. Die E-Stadt sei in der Regionalplanung als Mittelzentrum mit oberzentralen Teilfunktionen eingestuft. Auf Grund der Anbindung komme ihr eine herausgehobene Stellung zu. Für den Bereich der Frauenärzte werde eine wohnortnahe fachärztliche Versorgung nicht privilegiert. Auch bevorzuge rund die Hälfte der berufstätigen Personen einen Arzt in der Nähe ihrer Arbeitsstätte und nicht am Wohnort.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses vom 06.11.2013 den Beklagten zu verurteilen, die Beigeladenen zu 8) und 10) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, er gehe ebenfalls davon aus, dass eine Aktivlegitimation der Klägerin unabhängig von ihrem aktuellen Partnerbestand bestehe. Wenn von der Prämisse ausgegangen werde, dass maßgeblicher Bezugspunkt der Planungsbereich sei, könne die Qualität der Versorgung eines Teils dieses Planungsbereichs nicht daran bemessen werden, ob von diesem Teil aus Versorgungsmöglichkeiten in anderen angrenzenden Planungsbereichen gut erreichbar seien. Er habe keineswegs dem Abwägungsgerichtspunkt der räumlichen Wahl des Vertragsarztsitzes einen uneingeschränkten Vorzug eingeräumt. Er habe die gesetzlich nominierten Kriterien geprüft und bewertet. Die Heranziehung der räumlichen Versorgungsgesichtspunkte sei zusätzlich erfolgt. Mit der geringeren Berufserfahrung der Frau Dr. J. setze sich die Klägerin nicht auseinander. Die Stadt E-Stadt verfüge mit neun gynäkologischen Vertragsarztsitzen über eine hervorragende Versorgung. Im gesamten übrigen Planungsbereich habe es vor der partiellen Öffnung 16 Sitze gegeben. Von den insgesamt vorhandenen 25 Sitzen seien damit 36 % auf die Stadt E-Stadt entfallen, bei einem weiteren Sitz hätte sich der Anteil auf 38,5 % erhöht. Die Zulassungsgremien hätten darauf zu achten, dass eine gleichmäßige Versorgung innerhalb des gesamten Planungsbereichs zumindest angestrebt werde. Es gebe auch nichtberufstätige Menschen, denen eine wohnortnahe Versorgung ermöglicht werden müsse. Aus dem Süden des Landkreises hätten Anträge nicht vorgelegen, auch liege die A-Stadt ziemlich in der Mitte, sodass sie gut geeignet sei, die Mitversorgung des südlichen, östlichen und westlichen Bereichs des Planungsbereichs mit zu gewährleisten. Allein die hohe Auslastung einer Praxis in einem besonders gut versorgten regionalen Teilbereich eines Planungsbereichs sei kein durchgreifendes Argument für eine weitere Verstärkung dieser Praxis. Vorrangiger Aspekt sei die Verstärkung der gleichmäßigen Gesamtversorgung des Planungsbereichs in der Fläche. Ihm komme auch ein Beurteilungsspielraum zu.

Die Beigeladene zu 1) schließt sich den Ausführungen des Beklagten an.

Die Beigeladene zu 8) ist der Auffassung, die Vollmacht vom 27.12.2013 weise die Unterschriften von Frau Dr. H. und Frau Dr. E. aus. Ein Stempel der Gemeinschaftspraxis sei nicht ersichtlich. Wegen des Ausscheidens der Frau Dr. H. habe mithin bei Klageerhebung am 06.01.2014 keine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vorgelegen. Die Klageerhebung sei damit verfristet. Es sei auch nicht erwiesen, dass sämtliche Rechte auf die „neue“ Gemeinschaftspraxis übergegangen sei. Im Übrigen ergäben sich aus dem Vortrag der Klägerin keine neuen Aspekte. Sie schließe sich auch den Ausführungen des Beklagten an.

Die Beigeladene zu 9) weist darauf hin, ihre Praxis stelle eine Grundversorgung der Frauen dar, die zum Teil keinen eigenen Hausarzt mehr hätten. Die Einwohnerzahl von C-Stadt sei von 1987 bis 2012 um 12 % auf knapp 14.000 gestiegen. In den nächsten Jahren werde Wohnraum für mehr als 2.000 neue Bürger entstehen. Im Umkreis von mehr als 10 km von ihrer Praxis gebe es keine weitere gynäkologische Praxis. Die nächstgelegenen Praxen befänden sich in H-Stadt, F-Stadt und K-Stadt (MVZ). Die Stadt habe doppelt so viele Einpendler wie Auspendler. In unmittelbarer Nachbarschaft befinde sich der Frankfurter Flughafen. Dieser sei mit 71.000 Arbeitnehmern größter regionaler Arbeitgeber. Die Verkehrsanbindung nach Norden werde durch Main erschwert. Seit 2008 habe L-Stadt keinen Gynäkologen mehr. Patientinnen von dort pendelten in ihre Praxis. Ihre Praxis sei barrierefrei mit arbeitnehmerfreundlichen Öffnungszeiten. Bei 1.500 Scheinen pro Quartal betrage die Wartezeit für einen Vorsorgetermin derzeit 8 – 10 Wochen. Eine zeitliche Steigerung sei nicht mehr möglich. Auch ihre angestellte Ärztin sei zwischenzeitlich bis auf 8 Wochen im Voraus ausgebucht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Gründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie konnte dies trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 2) bis 7), 9) und 10) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

An der Bevollmächtigung der Prozessbevollmächtigten bestehen keine Zweifel. Soweit die Vollmacht vom 27.12.2013 die Unterschriften von Frau Dr. H. und Frau Dr. E. ausweisen, so entspricht dies der damaligen Zusammensetzung der Berufsausübungsgemeinschaft. Nach Ausscheiden der Frau Dr. H. und Eintreten der Frau G. galt die Vollmacht weiter. Anhaltspunkte dafür, dass sie widerrufen sein sollte, sind nicht ersichtlich. Ist ein Rechtsanwalt Prozessbevollmächtigter, so ist im Übrigen der Mangel einer Vollmacht nicht von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 73 Abs. 6 Satz 5 SGG). Auch kann eine Vollmacht jederzeit nachgereicht werden (§ 73 Abs. 6 Satz 2 SGG). Von daher war die Klage auch nicht verfristet.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Beschluss vom 06.11.2013 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung der Beigeladenen zu 8) und 10) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Rechtsgrundlage für Entscheidungen der Zulassungsgremien über Anträge auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung in einem bislang überversorgten Planungsbereich sind § 95 Abs. 2 i.V.m. § 103 Abs. 3 SGB V sowie die konkretisierenden Bestimmungen des § 16b Ärzte-ZV und des § 26 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung in der Neufassung vom 20. Dezember 2012, veröffentlicht im Bundesanzeiger AT vom 31.12.2012 B7, zuletzt geändert am 19. Dezember 2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger AT vom 25.02.2014 B3, hier anzuwenden in der Fassung mit der letzten Änderung vom 20. Juni 2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger AT vom 29.07.2013 B3, in Kraft getreten am 30. Juli 2013 (BedarfsplRL).

Um die Zulassung als Vertragsarzt kann sich jeder Arzt bewerben, der seine Eintragung in ein Arztregister nachweist (§ 95 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen stellen fest, ob eine Überversorgung vorliegt. Wenn dies der Fall ist, hat der Landesausschuss nach den Vorschriften der Zulassungsverordnungen und unter Berücksichtigung der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses Zulassungsbeschränkungen anzuordnen (§ 103 Abs. 1 SGB V). Die Zulassungsbeschränkungen sind aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für eine Überversorgung entfallen sind (§ 103 Abs. 3 SGB V).

Der Landesausschuss hat von Amts wegen zu prüfen, ob in einem Planungsbereich eine ärztliche Überversorgung vorliegt. Überversorgung ist anzunehmen, wenn der allgemeine bedarfsgerechte Versorgungsgrad um 10 vom Hundert überschritten ist. Hierbei sind die in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vorgesehenen Maßstäbe, Grundlagen und Verfahren zu berücksichtigen (§ 16b Abs. 1 Ärzte-ZV). Stellt der Landesausschuss fest, dass eine Überversorgung vorliegt, so hat er mit verbindlicher Wirkung für einen oder mehrere Zulassungsausschüsse nach Maßgabe des § 103 Abs. 2 SGB V Zulassungsbeschränkungen anzuordnen (§ 16b Abs. 2 Ärzte-ZV). Entfallen die Voraussetzungen, so hat der Landesausschuss mit verbindlicher Wirkung für die Zulassungsausschüsse die Zulassungsbeschränkungen unverzüglich aufzuheben (§ 16b Abs. 3 Satz 2 Ärzte-ZV). Die Anordnung und Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen ist in den für amtliche Bekanntmachungen der Kassenärztlichen Vereinigungen vorgesehenen Blättern zu veröffentlichen (§ 16b Abs. 4 Ärzte-ZV). Kommt der Landesausschuss nach einer erstmaligen Feststellung von Überversorgung aufgrund der weiteren Entwicklung und seiner Prüfung zu der Folgerung, dass Überversorgung nicht mehr besteht, so ist der Aufhebungsbeschluss hinsichtlich der Zulassungsbeschränkungen mit der Auflage zu versehen, dass Zulassungen nur in einem solchen Umfang erfolgen dürfen, bis für die Arztgruppe Überversorgung eingetreten ist (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BedarfsplRL).

Über den Antrag befindet der Zulassungsausschuss durch Beschluss. Wegen Zulassungsbeschränkungen kann ein Antrag nur dann abgelehnt werden, wenn diese bereits bei Antragstellung angeordnet waren (§ 19 Abs. 1 Ärzte-ZV). Nur dann, wenn bei Antragstellung die Anordnung der Zulassungsbeschränkung angeordnet war, kann, von besonderen Konstellationen abgesehen, die hier nicht vorliegen, die Zulassung verweigert werden (vgl. BSG, Urt. v. 17.10.2007 - B 6 KA 45/06 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 4 = GesR 2008, 308 = USK 2007-91, juris Rdnr. 10 u. 19).

Die Veröffentlichung der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen ist nicht Voraussetzung für ihre Wirksamkeit. Der für die Wirksamkeit von Zulassungsbeschränkungen maßgebliche Zeitpunkt ist derjenige der Anordnung seitens des Landesausschusses und nicht der Tag ihrer Veröffentlichung in den Publikationsorganen der Kassenärztlichen Vereinigung (vgl. BSG, Urt. v. 02.10.1996 - 6 RKa 52/95 - BSGE 79, 152 = SozR 3-2500 § 103 Nr.1; LSG Bayern, Urt. v. 16.02.2005 - L 12 KA 436/04 - www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Ausgehend hiervon sieht sich der Beklagte an die zum Zeitpunkt der Antragstellung bestehende Teilentsperrung zu Recht gebunden. Allerdings ist der entsprechende Beschluss des Landesausschusses von den Gerichten im Klageverfahren zu überprüfen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorgaben des Landesausschusses sind nicht ersichtlich und werden von den Beteiligten nicht vorgebracht.

Nach § 26 Abs. 4 Nr. 3 BedarfsplRL entscheidet der Zulassungsausschuss nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen unter mehreren Bewerbern nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung folgender Kriterien:

? berufliche Eignung,? Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit,? Approbationsalter,? Dauer der Eintragung in die Warteliste gemäß § 103 Absatz 5 Satz 1 SGB V,? bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes,? Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten (siehe z.B. Fachgebietsschwerpunkt, Barrierefreiheit, Feststellungen nach § 35).

Nach der Begründung des GBA ergeben sich Änderungen zur vorherigen Bedarfsplanungs-Richtlinie (§ 23 BedarfsplRL a.F. war seinerzeit auf Grundlage von BSG, Urt. v. 23.02.2005 - B 6 KA 81/03 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 2 = BSGE 94, 181 = MedR 2005, 666 = GesR 2005, 450 = USK 2005-113, juris Rdnr. 29 ff. geändert worden) im Absatz 4, Nr. 3, vorletzter und letzter Spiegelstrich. Bei der Auswahl bei mehreren Bewerbern kann der Zulassungsausschuss nach pflichtgemäßem Ermessen neben den bislang definierten Kriterien seine Entscheidung auch von Versorgungsgesichtspunkten abhängig machen. Hierzu gehören beispielsweise der geeignete Fachgebietsschwerpunkt bzw. auch Ausstattungsmerkmale der Praxis im Hinblick auf die Barrierefreiheit der Einrichtung. Bei der Bewertung der für die Versorgung erforderlichen Fachgebietsschwerpunkte können auch solche ermächtigten Ärzte einbezogen werden, die in der Bedarfsplanung berücksichtigt sind. Im Hinblick auf die Prospektivität der Bedarfsplanung eines Planungsbereiches sollen Möglichkeiten der Befristung von Zulassungen nach § 19 Abs. 4 Ärzte-ZV geprüft werden (vgl. Tragende Gründe, S. 17 f., www.gb-a.de).

Die Kriterien Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit hat das BSG auf fünf Jahre beschränkt (vgl. BSG, Urt. v. 08.12.2010 - B 6 KA 36/09 R - BSGE 107, 147 = SozR 4-2500 § 101 Nr. 9, juris Rdnr. 39), wobei es für die Dauer der ärztlichen Tätigkeit auf die Zeit nach Abschluss der Weiterbildung ankommt (vgl. BSG, Urt. v. 20.03.2013 - B 6 KA 19/12 R - SozR 4-2500 § 103 Nr. 12 = GesR 2013, 594 = MedR 2013, 814 = Breith 2014, 106 = ArztR 2014, 95).

Die Klägerin hat nicht der Feststellung des Beklagten widersprochen, Frau J. habe lediglich ca. ein halbes Jahr als Frauenärztin im Umfang von lediglich 12 Wochenstunden gearbeitet. Diese Feststellung stimmt mit den Angaben im Arztregister überein. Lediglich im von der Klägerin eingereichten Lebenslauf wird eine Dauer von 1 ½ Jahren angegeben (11/2010 - 05/2012). Letztlich trifft aber die weitere Feststellung des Beklagten zu, dass Frau Dr. I. und Frau Dr. M. über eine wesentlich längere Facharzttätigkeit verfügen. Nach den unbestrittenen Angaben im angefochtenen Beschluss war Frau Dr. I. nach der Facharztanerkennung im September 2009 durchgehend im Krankenhaus oder - halbtags - bei der Klägerin beschäftigt. Frau Dr. M. war nach der Facharztanerkennung im Juni 2009 mit Ausnahme des Zeitraums Juli 2010 bis Juni 2011 in verschiedenen Anstellungen oder seit September 2011 als Praxisvertreterin der Beigeladenen zu 9) tätig.

34Für die Berücksichtigung der Versorgungssituation kommt es nicht auf die Situation einer einzelnen Praxis, sondern auf die Situation der Versicherten im Planungsbereich an. Selbst für den Begriff der „Versorgungsverbesserung“ im Sinne einer Zweigpraxisgenehmigung (§ 24 Abs. 3 Ärzte-ZV) hat das Bundessozialgericht klargestellt, dass ein Versorgungsbedarf nicht mit der Situation der eigenen Praxis begründet werden kann. Die Frage der Versorgungsverbesserung ist nicht für die spezielle Patientenschaft einer Praxis zu beurteilen, sondern abstrakt bezogen auf die im Einzugsbereich lebenden Versicherten als solche (vgl. BSG, Urt. v. 05.06.2013 - B 6 KA 29/12 R - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-5520 § 24 Nr. 9 = NZS 2013, 875 = KrV 2013, 209 = Breith 2014, 200 = USK 2013-29, juris Rdnr. 30). Von daher ist der Hinweis des Beklagten auf die Versorgungsalternativen aufgrund der Vielzahl der niedergelassenen Ärzte in E-Stadt nicht zu beanstanden.

35Es ist auch grundsätzlich die räumliche Verteilung der Frauenärzte im Planungsbereich zu berücksichtigen. Dies wird von den in § 26 BedarfsplRL genannten Kriterien nunmehr ausdrücklich vorgegeben. Das Kriterium „bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes“ nimmt gerade das Konzept der wohnortnahmen Versorgung auch hinsichtlich der fachärztlichen Versorgung, insbesondere der frauenärztlichen Versorgung auf. Gleiches gilt für den Hinweis auf die Kriterien einer Sonderbedarfszulassung (§ 35 BedarfsplRL). Eine ungleiche Verteilung würde wiederum einen weiteren Bedarf für eine Sonderbedarfszulassung hervorrufen. Von daher kann die Auffassung der Klägerin nicht geteilt werden, eine Praxisverlegung sei innerhalb des gesamten Planungsbereichs zulässig. Insofern hat der Gesetzgeber jüngst klarstellend § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV geändert. Die Kammer hat hierzu bereits entschieden, dass die Zulassungsgremien eine Praxisverlegung auch in einem wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich ablehnen können, wenn der Sitz aus einem Teil mit geringerer Versorgungsdichte in einen Teil mit wesentlich höherer Versorgungsdichte verlegt wird, auch wenn der Teil mit geringerer Versorgungsdichte nach den Anhaltszahlen der BedarfsplRL nach Sitzverlegung noch ausreichend versorgt wäre (vgl. SG Marburg, Beschl. v. 05.02.2014 - S 12 KA 36/14 ER - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Beschwerde beim LSG Hessen anhängig: L 4 KA 25/14 B ER).

Die Verhältniszahlen (ein Arzt je Anzahl Einwohner) der Arztgruppen der allgemeinen fachärztlichen Versorgung bestimmen sich für Frauenärzte nach 12 Abs. 3 und 4 und Anlage 3.2 Bedarfsplanungs-Richtlinie, wobei für Frauenärzte Bezugsgröße die weibliche Bevölkerung (§ 12 Abs. 4 Satz 3 BedarfsplRL u. § 8 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 Anl. 5 BedarfsplRL) ist, wie folgt:

Typ 1 Typ 2 Typ 3 Typ 4 Typ 5 3.733 5.619 6.606 6.371 6.042 Der Planungsbereich A-Stadt wird dem Kreistyp 2 zugeordnet. Nach der hessischen Gemeindestatistik 2013, Ausgewählte Strukturdaten aus Bevölkerung und Wirtschaft 2012 (Vorabbericht), hrsg. vom Hessischen Statistischen Landesamt, Wiesbaden 20xx (http://www.statistik-hessen.de/publikationen/download/496/index.html) waren zum Stichtag 31.12.20xx von 254.883 Einwohnern des Landkreises 129.101 (50,7 %) weiblich. In E-Stadt waren von 60.229 Einwohnern 30.563 (50,7 %) weiblich, in C-Stadt waren von 13.810 Einwohnern 6.849 (49,6 %) weiblich und in A-Stadt waren von 23.941 Einwohnern 12.106 (50,6 %) weiblich. Ausgehend von den Anhaltszahlen für den Kreistyp 2 ergibt sich ein rechnerischer Bedarf, bezogen auf die weibliche Einwohnerzahl der jeweiligen Stadt, für E-Stadt von 5,4, für C-Stadt von 1,2 und für A-Stadt von 2,2 gynäkologischen Vertragsärzten. Selbst wenn man E-Stadt dem großstädtischen Versorgungstyp 1 zuordnen wollte, ergibt sich ein rechnerischer Bedarf von 8,2, der immer noch durch die tatsächliche Versorgung mit neun Vertragsarztsitzen gedeckt wäre. Von daher war von der Kammer die Feststellung des Beklagten, die gynäkologische Versorgung der Stadt E-Stadt sei deutlich vorteilhafter als diejenige in C-Stadt und in A-Stadt, nicht zu beanstanden und bewegt sie sich jedenfalls im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Beklagten. Dies gilt auch für die weitere Annahme des Beklagten, in den Standort A-Stadt seien die Mitversorgungseffekte für die Bereiche der benachbarten, ca. 4 km entfernten D-Stadt (13.892 Einwohner, davon 7.076 <50,9 %> weiblich) und der ca. 9 km entfernten G-Stadt (13.068 Einwohner, davon 6.602 <50,5 %> weiblich), auch wenn diese nur 8 km von E-Stadt entfernt ist. einzubeziehen, in welchen überhaupt keine gynäkologische Praxen existierten. Insgesamt zeigen sich aufgrund der Verdichtung und Vernetzung des Planungsbereichs in der nördlichen Planungshälfte keine gravierenden Versorgungsunterschiede, ist aber die Versorgung dennoch unterschiedlich, was vom Beklagten berücksichtigt werden konnte. Insofern sind die Ausführungen des Beklagten zur Versorgungssituation in C-Stadt, A-Stadt und E-Stadt sachgerecht. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt (§ 197a SGG i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO). Von dieser Möglichkeit ist Gebrauch zu machen, wenn der Beigeladene erfolgreich Anträge gestellt hat, wenn er allein oder mit anderen Beteiligten gesiegt hat oder das Verfahren wesentlich gefördert hat (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2004, § 197a, Rdnr. 29). Zu berücksichtigen ist, ob der Beigeladene sich während des Verfahrens geäußert und auch Anträge gestellt hat (vgl. BSG, Urt. v. 14.11.2002 – B 13 RJ 19/01 R - SozR 3-5795 § 10d Nr. 1, juris Rdnr. 44).

Der Beigeladene zu 8) hat in der mündlichen Verhandlung einen Klageabweisungsantrag gestellt und sich zur Sache entsprechend geäußert. Von daher besteht für ihn ein Kostenerstattungsanspruch.