LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.05.2014 - L 3 AS 2383/13
Fundstelle
openJur 2014, 15807
  • Rkr:

Zum Erlass einer Forderung ist ausschließlich derjenige Leistungsträger befugt, der Inhaber des Anspruchs ist, nicht hingegen - z.B. bei Umzug - neu zuständig gewordene Leistungsträger.Die bloße Unterdeckung des Regelbedarfs führt allein nicht zu einer Unbilligkeit i.S.d. § 44 SGB II.Die Unbilligkeit der Einziehung einer (Darlehensrückzahlungs-) Forderung ist zu verneinen, wenn die Darlehensgewährung zur Begleichung von Mietschulden deswegen erforderlich wurde, weil die in tatsächlich anfallender Höhe gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung (teilweise) zweckwidrig verbraucht wurden.Die Einziehung einer Forderung ist, auch soweit existenzsichernde Leistungen betroffen sind, in zeitlicher Hinsicht nicht begrenzt.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Erlass einer Forderung streitig.

Der am … 1959 geborene Kläger und die am … 1964 geborene Klägerin standen, nachdem sie zuvor bis zum 31.08.2008 bei der ARGE A. im Leistungsbezug standen, seit dem 01.09.2008 beim Beklagten in Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); sie meldeten sich dort erstmals am 27.08.2008.

Die Kläger bewohnen, zeitweise gemeinsam mit dem am … 1991 geborenen Sohn der Klägerin, eine Zwei- Zimmer- Wohnung mit einer Wohnfläche von 52,80 m² unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift, für die eine Grundmiete von 264,- EUR zzgl. einer Vorauszahlung auf die Nebenkosten i.H.v. 97,- EUR monatlich, d.h. insg. ein Betrag von 361,- EUR monatlich zu entrichten ist. Der Beklagte legte seiner Leistungsgewährung jeweils diese tatsächlichen Aufwendungen kopfteilig zu Grunde.

Mit Schreiben vom 05.05.2010 wurde dem Beklagten durch das Amtsgericht Mannheim mitgeteilt, dass dort eine Klage auf Räumung und Herausgabe der von den Klägern bewohnten Wohnung anhängig sei. Es bestünden Mietrückstände der Kläger gegenüber dem Vermieter i.H.v. 1.376,90 EUR. Klägerseits wurde hierzu - sinngemäß - angeführt, die Mietzinszahlungen seien im Hinblick auf geltend gemachte Mängel der Mietsache gemindert worden.

Anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 02.06.2010 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Darlehens i.H.v. 1.376,90 EUR zwecks Begleichung der Mietrückstände. Da sich der Kläger in Privatinsolvenz befinde, müsse sie allein als Darlehensnehmerin auftreten. Mit (bestandskräftigem) Bescheid vom gleichen Tag bewilligte der Beklagte der Klägerin das beantragte Darlehen nach § 22 Abs. 5 SGB II. Der Betrag werde, so der Beklagte, direkt an den Vermieter ausgezahlt. Das zinslos gewährte Darlehen werde ab dem 01.07.2010 in monatlichen Raten i.H.v. 30,- EUR gegen die Leistungen der Klägerin aufgerechnet. Die Klägerin trat hierzu unter dem 02.06.2010 zur Tilgung des Darlehens ihre Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. monatlich 30,- EUR ab dem 01.07.2010 an den Beklagten ab, der dies berücksichtigte und Leistungen teilweise in dieser Höhe nicht ausbezahlte.

Am 09.05.2012 beantragten die anwaltlich vertretenen Kläger die Restzahlung i.H.v. 1.059,20 EUR, die derzeit mit „wohl 50,- EUR monatlich abgetilgt" werde, auf Grundlage des § 44 SGB II zu erlassen. Es sei unangemessen, eine Bedarfsgemeinschaft länger als ein Jahr mit der Abzahlung von Ansprüchen des Jobcenters Mannheim zu belasten. Die Bedarfsgemeinschaft müsse verfassungswidrigerweise unterhalb des Existenzminimums leben. Gleichzeitig wurde beantragt, die Verrechnungen auf 10 % der Regelleistung, konkret auf 37,- EUR monatlich, zu reduzieren. Derzeit würden 55,- EUR monatlich verrechnet. Ergänzend wurde durch die Kläger mitgeteilt, dass sich der Erlassantrag selbstverständlich auch auf die gegen die Klägerin „gehegte Forderung in Höhe von 2.098,72 EUR, resultierend aus dem Bescheid vom 27.05.2008" beziehe.

Mit Bescheid vom 30.05.2012 lehnte der Beklagte den Erlass der Forderung ab. Die Restforderung betrage derzeit 833,33 EUR und resultiere aus dem Darlehen vom 02.06.2010 i.H.v. 1.376,90 EUR. Es läge, so der Beklagte, keine Unbilligkeit im Sinne des § 44 SGB II vor, weswegen die offene Forderung nicht erlassen werde. Der monatliche Zahlbetrag sei, wie gewünscht, auf 33,70 EUR reduziert worden.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2012 zurück. Die Rückzahlung von Darlehen richte sich, so der Beklagte, nach § 42a SGB II. Demnach würden, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezögen, Darlehensrückzahlungen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch eine monatliche Aufrechnung i.H.v. 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Die monatliche Rückführung des Darlehens sei auf den Antrag der Kläger hin, von 55,- EUR auf 33,70 EUR monatlich reduziert worden. Dies entspräche der gesetzlichen Vorgabe. Darüber hinaus stünde ihm, dem Beklagten, grundsätzlich kein Ermessen bezüglich der Höhe der Aufrechnung zu, auch eine zeitliche Begrenzung sei für die Aufrechnung nicht vorgesehen, der Gesetzgeber habe hierauf bewusst verzichtet. Zwar könne der begehrte Erlass auch einen Darlehensrückzahlungsanspruch nach § 42a SGB II erfassen, jedoch komme ein solcher nicht in Betracht, da im Falle der Kläger keine Unbilligkeit vorliege. Der Erlass stelle einen Ausnahmefall dar, weswegen Umstände, die sich aus der Rückführung einer Forderung generell ergäben, nicht berücksichtigt werden könnten. Berücksichtigungsfähige Aspekt seien bspw. die wirtschaftlichen Lage, die Art und der Umfang des Anspruchs. Hierzu seien jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Im Übrigen müsse die Bedarfsgemeinschaft nicht unterhalb des Existenzminimums leben, da durch die Reduzierung der zu zahlenden monatlichen Rate die gesetzgeberische Grenze gewahrt sei.

Hiergegen haben die Kläger am 02.10.2012 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zu deren Begründung haben sie ihren bisherigen Vortrag wiederholt und ergänzend vorgebracht, dass sich der Erlassantrag auch auf eine Forderung gegen die Klägerin i.H.v. 2.098,72 EUR richte, die in einem Bescheid vom 27.05.2008 gründe. Es sei davon auszugehen, dass eine Forderung, soweit existenzsichernde Leistungen betroffen seien, maximal sechs Monate eingezogen werden dürfe und sodann die Forderung erlassen werden müsse. Eine überlange Einziehung verstoße gegen Art. 1, 2 und 12 des Grundgesetzes.

Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat hierzu auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 07.09.2012 verwiesen. Die Rückzahlung des Darlehens entspreche, so der Beklagte ergänzend, der geltenden Rechtslage des § 42a Abs. 2 SGB II. Der Bescheid vom 27.05.2008 stamme nicht von ihm, da die Kläger erstmals am 27.08.2008 bei ihm vorgesprochen und erst seit dem 01.09.2008 bei ihm im Leistungsbezug gestanden hätten. Zuvor seien sie von der ARGE A. betreut worden. Folglich könne ein Erlass dieser Forderung durch ihn nicht erfolgen. Die Aufrechnung zwecks Darlehensrückzahlung sei von März 2011 - März 2012 i.H.v. monatlich 55,- EUR, seit April 2012 i.H.v. monatlich 33,70 EUR erfolgt. Die noch offene Restforderung belaufe sich, Stand Februar 2013, auf 530,03 EUR. Im Übrigen bestehe keine gesetzliche Regelung des Inhalts, dass Ansprüche zu erlassen seien, wenn die Rückzahlung länger als ein Jahr dauere. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht sei nicht erkennbar.

Mit Gerichtsbescheid vom 13.05.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Forderungen gegen die Kläger seien nicht zu erlassen. Der Erlass einer Forderung setze deren Bestehen voraus. Soweit klägerseits der Erlass der Forderung aus dem Bescheid vom 27.05.2008 begehrt werde, handle es sich nicht um eine Forderung des Beklagten, sondern der ARGE A., so dass insoweit der Erlass ausscheide. Die angefochtene Entscheidung sei auch im Übrigen, soweit sie die Forderung aus dem Darlehen vom 02.06.2010 betreffe, zutreffend. Ein Erlass komme insoweit allenfalls gegenüber der Klägerin, nicht aber gegenüber dem Kläger in Betracht, da die Rückzahlung des Darlehens diesem gegenüber nicht geltend gemacht werde. Auch gegenüber der Klägerin sei die Forderung nicht zu erlassen, da in der weiteren Verrechnung der Forderung keine Unbilligkeit zu erkennen sei. Hierbei seien die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles, insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners sowie Art und Höhe des Anspruchs, zu berücksichtigen. Diese seien mit dem öffentlichen Interesse an der Einziehung von Forderungen der Leistungsträger abzuwägen. Da das Darlehen darauf beruhe, dass die Klägerin die ihr bewilligten Leistungen für die Kosten der Unterkunft nicht vollständig an den Vermieter weitergeleitet habe, die wegen zivilrechtlich geltend gemachter Mängel der Mietsache einbehaltenen Beträge jedoch nicht angespart, sondern zweckwidrig verbraucht habe, seien die darlehensbegründenden Mietrückstände aufgelaufen. Ein Mitverschulden des Beklagten in diesem Zusammenhang sei nicht denkbar, da dieser, vorbehaltlich einer Einkommensanrechnung; jeweils die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in voller Höhe getragen habe. Im Übrigen sei in Ansehung des § 42a Abs. 2 SGB II nicht ersichtlich, dass ein Darlehen nur für einen Zeitraum von sechs Monaten zurückzuführen sei. Die Rückzahlung des Darlehens führe auch nicht zu einer Existenzgefährdung, was bereits daraus folge, dass die Bedarfsgemeinschaft regelmäßig Nebeneinkommen erziele, das ihnen jedenfalls in Höhe des Freibetrages verbleibe. Auch sei es nicht ausgeschlossen, dass die Kläger zukünftig wieder über regelmäßige Erwerbseinkünfte verfügen werden, so dass nicht von einer dauerhaften Existenzgefährdung ausgegangen werden könne. Ein Verstoß gegen Grundrechte sei gleichfalls nicht ersichtlich.

Gegen den am 23.05.2013 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 24.05.2013 Berufung eingelegt. Diese wurde, trotz mehrfacher Erinnerung hieran, zuletzt unter Präklusionsandrohung mit Fristsetzung zum 15.11.2013, nicht begründet.

Die Kläger beantragen (zweckdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Mai 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2012 zu verurteilen, die Forderungen gegen die Kläger auf Rückzahlung des Darlehens vom 02. Juni 2010 sowie aus dem Bescheid der Arge A. vom 27. Mai 2008 zu erlassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages verweist der Beklagte auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge, sowie die beim Beklagten geführten Verwaltungsakten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2014 wurden, sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 21.05.2014 verwiesen.

Gründe

Der Senat konnte über die Berufung der Kläger, deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, entscheiden, obschon weder die Kläger persönlich noch ihr Bevollmächtigter zur mündlichen Verhandlung am 21.05.2014 erschienen sind. In der Ladung vom 23.04.2014, die dem Bevollmächtigten am 25.04.2014 zugestellt wurde, wurde darauf hingewiesen, dass auch in Abwesenheit der Kläger Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung ist nach § 143 SGG zulassungsunabhängig statthaft. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- EUR nicht übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bestimmt sich nach dem Betrag, den das SG den Klägern versagt hat und der von diesen als Rechtsmittelführer weiter verfolgt wird (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 Rn. 14 m.w.N.; Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 06.02.1997 -14/10 BKg 14/96 - veröffentlicht in juris). Angefochten wurde von der Klägerin der Bescheid des Beklagten vom 30.05.2012 (Widerspruchsbescheid vom 07.09.2012), mit dem der Antrag auf Erlass abgelehnt wurde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Wertes des Beschwerdegegenstandes ist nach § 202 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung der der Einlegung der Berufung. Zwar war die offene Rückzahlungsverpflichtung zu diesem Zeitpunkt infolge der erfolgten monatlichen Verrechnung mit Leistungsansprüchen der Klägerin unter 750,- EUR gesunken, nach Mitteilung des Beklagten belief sich die Restforderung im Februar 2013 noch auf 530,03 EUR, indes wird klägerseits angeführt, dass vom Erlassantrag auch die im Bescheid vom 27.05.2008 gründende Erstattungsforderung umfasst gewesen sei. Da sich der dortige Erstattungsbetrag auf 2.098,72 EUR beläuft, die Geltendmachung des Anspruchs auf Erlass auch dieser Forderung, ungeachtet der Erfolgsaussichten, jedenfalls nicht willkürlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.1990 - 10 RKg 29/88 - veröffentlicht in juris), ist das Begehren, auch diese Forderung erlassen zu bekommen, bei der Berücksichtigung der Bestimmung des Beschwerdegegenstandes zu berücksichtigen, so dass der erforderliche Wert von 750,- EUR überschritten ist.

Die Klage führt jedoch für die Kläger nicht zum Erfolg. Der Bescheid vom 30.05.2012 (Widerspruchsbescheid vom 07.09.2012) sind nicht zu beanstanden und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

Im angefochtenen Bescheid vom 30.05.2012 hat der Beklagte entschieden, dass die Restforderung von derzeit 833,33 EUR, die aus dem Darlehen vom 02.06.2010 resultiere, nicht erlassen werde. Auch im Widerspruchsbescheid vom 07.09.2012 hat sich der Beklagte ausschließlich betreffend des Erlasses der Darlehensrückforderung eingelassen. Da mithin über den Erlass der Forderung aus dem Bescheid vom 27.05.2008 keine anfechtbare Verwaltungsentscheidung vorliegt, war die Klage insoweit bereits unzulässig. Eine Auslegung des Begehrens i.S. einer Untätigkeitsklage überschreitet bei rechtskundig vertretenen Klägern die Grenze des § 123 SGG. Im Übrigen stammt der Bescheid vom 27.05.2008 jedenfalls nicht vom Beklagten; die Kläger haben jedoch erstmals am 27.08.2008 beim Beklagten vorgesprochen und stehen erst seit dem 01.09.2008 bei ihm im Leistungsbezug. Da die zu erlassende Forderung daher nicht dem Beklagten zusteht, ist dieser nicht befugt, die Forderung zu erlassen. Ausschließlich derjenige Leistungsträger ist erlassbefugt, der Inhaber des Anspruchs ist, nicht hingegen - z.B. bei Umzug - neu zuständig gewordene Leistungsträger (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 44, Rn. 21; Groth in Gemeinschaftskommentar zum SGB II, Bd. 3, Stand Okt. 2009, § 44, Rn. 20).

Die Forderung des Beklagten auf Rückzahlung des der Klägerin gewährten Darlehens ist nicht zu erlassen. Gemäß § 44 SGB II in der ab dem 01.04.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I 453) dürfen Träger von Leistungen nach diesem Buch Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Durch die Regelung wird eine einheitliche Handhabung eines Erlasses mit dem Erlass von Versicherungsleistungen nach § 76 Abs.1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) gewährleistet, um somit der grundsätzlichen Verpflichtung der Leistungsträger, Einnahmen vollständig zu erheben, gerecht zu werden. Der Erlass bewirkt, dass der Anspruch des Gläubigers, vorliegend des Beklagten, gegen seinen Schuldner, vorliegend einzig die Klägerin, da nur diese, entsprechend des von ihr bei Beantragung geäußerten Willens, Darlehensnehmerin und als solche zur Rückzahlung verpflichtet ist, erlischt. Im Unterschied zur Stundung und Niederschlagung geht die Forderung in Höhe des Erlasses endgültig und unwiderruflich unter. Daher ist diese Maßnahme auch an besonders strenge Voraussetzungen geknüpft. Der Erlass von Ansprüchen setzt – ebenso wie bei § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV – voraus, dass deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unbillig ist die Einziehung einer Forderung erst dann, wenn sie dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widerspricht (vgl. Löns in Löns/Herold-Tews, SGB II, 2.Aufl., 2009, § 44, Rn.2). Hierbei sind die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles, insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners sowie Art und Höhe des Anspruchs, zu berücksichtigen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Belange des Schuldners sind abzuwägen mit dem grundsätzlich gegebenen öffentlichen Interesse an der Einziehung von Forderungen der Leistungsträger. Von einer Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ist auszugehen, wenn sich der Schuldner in einer Notlage befindet und zu befürchten steht, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs existenzgefährdend oder existenzvernichtend wirken würde (so auch zum nachstehenden Greiser in Eicher, SGB II, 3.Aufl., 2013, § 44, Rn. 10) Dies kann bspw. angenommen werden, wenn der Schuldner ohne den Erlass seinen notwendigen Lebensunterhalt (Ernährung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Behandlung, Ausbildung, sonstige erforderliche Gegenstände des täglichen Lebens) vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestreiten könnte. Indes kann auch ohne Existenzgefährdung eine unbillige Härte gegeben sein, wenn sich der Schuldner in einer nicht nur kurzfristigen Notlage befindet. Andererseits kann die bloße Unterdeckung des Regelbedarfs allein nicht zu einer Unbilligkeit führen, da bspw. § 43 Abs. 2 SGB II und die dortige Aufrechnungsmöglichkeit bis zu 10% des maßgeblichen Regelbedarfs diese gesetzlich vorsehen. Die Rückführung des Darlehens mit aktuell 33,70 EUR monatlich führt, da der Klägerin jedenfalls 90 % des Regelbedarfs verbleiben, nicht zu einer existenzgefährdenden Einschränkung ihrer Lebensverhältnisse. Im Hinblick auf die auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Spielräume innerhalb der pauschalierten Regelleistung, und die diesbezüglichen individuellen Ein- und Ansparmöglichkeiten gefährdet eine Tilgung im Umfang von 15 des Regelbedarfs die Existenz nicht. Überdies üben die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger, wenn auch jeweils kurzzeitig, regelmäßig Nebentätigkeiten aus; Einkünfte hieraus verbleiben den Klägern jedenfalls in Höhe der Freibeträge, so dass auch insofern eine Existenzgefährdung zu keinem Zeitpunkt zu befürchten stand und auch zukünftig nicht zu erwarten steht.

In sachlicher Hinsicht kann eine Unbilligkeit angenommen werden, wenn die Forderungseinziehung gesetzlichen Wertungen zuwider liefe. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kommt i.d.S. insb. in Betracht, wenn die Forderung des Leistungsträgers gegen den Schuldner auf einem Mitverschulden des Leistungsträgers bei der Entstehung des Anspruchs beruht (Greiser, a.a.O., Rn. 13). Hingegen sind Rechtsfolgen, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen bewusst als typisch akzeptiert hat, nicht geeignet, eine Unbilligkeit zu rechtfertigen. Vorliegend wurde die Darlehensgewährung dadurch erforderlich, dass die Klägerin nicht den ihr für den Bedarf für Unterkunft und Heizung gewährten Betrag zweckentsprechend zur vollständigen Tragung ihrer Mietzinsverpflichtung gegenüber dem Vermieter aufgewandt hat. Den wegen angeblicher Mängel der Mietsache einbehaltenen Betrag hat sie offensichtlich nicht angespart, sondern anderweitig verbraucht. Mithin gründet die Verpflichtung der Klägerin, das Darlehen, das zum Ausgleich von Mietschulden gewährt wurde, zurückzuzahlen, ausschließlich in der Sphäre der Klägerin; ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten in Zusammenhang mit der Entstehung der Rückzahlungsverpflichtung liegt hingegen nicht vor.

Die Einziehung der (restlichen) Forderung ist daher zur Überzeugung des Senats nicht unbillig. Soweit klägerseits erstinstanzlich vorgetragen wurde, es sei davon auszugehen, dass eine Forderung, soweit existenzsichernde Leistungen betroffen seien, maximal sechs Monate eingezogen werden dürfe und sodann die Forderung erlassen werden müsse, bedingt dies keine abweichende Beurteilung. Ungeachtet davon, das die Tilgung eines Darlehens im Hinblick auf die oben erwähnten Einspar- und Ansparmöglichkeiten auch nicht per se die Existenz gefährdet (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 11/10 R - veröffentlicht in juris), hat der Gesetzgeber dadurch, dass er die Einziehung von Forderungen auch im Bereich der Grundsicherung der Höhe nach nicht beschränkt hat, jedoch eine Aufrechnung im Umfang von 10% des Regelbedarfs ausdrücklich zugelassen hat, eine Einziehung von Forderungen über einen längeren Rahmen als sechs Monate bewusst als typisch akzeptiert. Der Senat vermag hierin, wie das SG, einen Verstoß gegen Grundrechte nicht zu erkennen.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst bei Annahme einer unbilligen Härte ein Anspruch der Kläger auf Erlass der Forderung nicht besteht. § 44 SGB II stellt den Erlass einer Forderung in das Ermessen des Grundsicherungsträgers (Burkiczak in jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 44, Rn. 16). Ein Anspruch auf Erlass kann daher nur dann bestehen, wenn das eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist. Anhaltspunkte hierfür bestehen für den Senat nicht. Im Übrigen besteht nur ein Anspruch auf eine ermessenfehlerfreie Ausübung des Ermessens. Da indes der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 07.09.2012 das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt, insb. von dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und sämtliche relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigt hat, ist die Entscheidung des Beklagten auch ermessensfehlerfrei ergangen.

Mithin ist die Entscheidung des Beklagten, seine Forderung auf Rückzahlung des der Klägerin gewährten Darlehens nicht zu erlassen, nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 30.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2012 ist rechtmäßig. Die Berufung gegen den klagabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 13.05.2013 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.