VG Cottbus, Beschluss vom 24.07.2014 - 1 L 174/14.A
Fundstelle
openJur 2014, 14992
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. März 2014 erhobenen Klage VG 1 K 235/14.A wird in Abänderung des Beschlusses vom 16. April 2014 - VG 1 L 74/14.A - angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

1. Der am 23. Juni 2014 anhängig gemachte sinngemäße Antrag,

in Abänderung des Beschlusses vom 16. April 2014 - VG 1 L 74/14.A - die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. März 2014 erhobenen Klage VG 1 K 235/14.A anzuordnen,

ist nach § 80 Abs. 7 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO kann ein Beteiligter nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO); aus neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergeben. Solche veränderten Umstände hat der Antragsteller mit dem Hinweis auf das zwischenzeitliche Verstreichen einer Frist von sechs Monaten seit der von der Republik Bulgarien am 27. November 2013 erklärten Annahme des Antrags der Antragsgegnerin auf seine Wiederaufnahme vorgetragen.

Der Antragsteller konnte im Eilrechtsschutzverfahren VG 1 L 74/14.A, das bereits mit Beschluss vom 16. April 2014 rechtskräftig entschieden worden war, den Ablauf der sechsmonatigen Frist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. EU L 50 S. 1), nicht mehr anbringen, da die Frist erst mit Ablauf des 27. Mai 2014 geendet hat.

Dem Antragsteller steht für seinen neuen Antrag das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Die Antragsgegnerin hat mit dem Schriftsatz vom 7. Juli 2014 zu erkennen gegeben, dass aus ihrer Sicht die 6-Monatsfrist des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO 343/2003 mit dem Abschluss des vorangegangenen Eilrechtsschutzverfahrens am 16. April 2014 erneut zu laufen begonnen habe.

2. Der Antrag ist auch begründet.

Nach der auch im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO gebotenen summarischen Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die Zuständigkeit der Republik Bulgarien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers mit Ablauf des 27. Mai 2014 nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO 343/2003 auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist und die gemäß § 75 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) gesetzlich sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung der Ziffer 2 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 3. März 2014 damit nach Erlass der ersten gerichtlichen Entscheidung vom 16. April 2014 rechtswidrig geworden ist. Dies führt dazu, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG), das private Interesse des Antragstellers, von einer Abschiebung vorläufig verschont zu werden, das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin am Sofortvollzug überwiegt.

a. Maßgeblich für die Frage eines solchen Zuständigkeitsübergangs ist hier noch allein die Verordnung (EG) Nr. 343/2003. Die Zuständigkeitskriterien dieser Verordnung finden nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 VO der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. EU L 180 S. 31), auf Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, weiterhin Anwendung. Die unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung ab dem 1. Januar 2014 vorgesehene Anwendbarkeit der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 für Aufnahme- und Wiederaufnahmegesuche bezieht sich nicht die auf vor diesem Datum gestellten Gesuche. Zwar ließe sich angesichts des Wortlauts des Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VO 604/2013, der die Neuregelung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ab dem 1. Januar 2014 unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, auf alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern für anwendbar erklärt, und mit systematischen Überlegungen - die Bezugnahme des Art. 49 Abs. 2 Satz 2 VO 604/2013 bezieht sich allein auf die Regelungen des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (vgl. Art. 5 Abs. 1 VO 343/2003 "Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates"); ob der ersuchende Mitgliedstaat die Frist von sechs Monaten für die Überstellung des Asylantragstellers nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO 343/2003 bzw. Art. 27 Abs. 1 VO 604/2013 gewahrt hat oder die Zuständigkeit auf ihn wegen Ablaufs dieser Frist nach Art. 20 Abs. 2 VO 343/2003 bzw. Art. 27 Abs. 2 Satz 1 VO 604/2013 übergegangen ist, betrifft hingegen Fragen des Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahrens (Kapitel V der VO 343/2003 bzw. Kapitel VI der VO 604/2013) - Gegenteiliges vertreten. Dies ließe jedenfalls für die - hier einschlägige - Fallgruppe der bereits vor dem Stichtag 1. Januar 2014 gestellten und beantworteten Gesuche jedoch außer Betracht, dass damit auch eine Anwendung der nunmehr auch für Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuche vorgeschriebenen Fristen nach der Antragstellung oder einer Eurodac-Treffermeldung (Art. 21 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 VO 604/2013) verbunden wäre, was gegebenenfalls zu einem "rückwirkenden" Zuständigkeitsübergang nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 oder Art. 23 Abs. 3 VO 604/2013 führen könnte - ein Ergebnis, dass - ungeachtet des Inkrafttretens der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 am 19. Juli 2013 (Art. 49 Abs. 1 VO 604/2013) - dem europäischen Verordnungsgeber nicht als gewollt unterstellt werden kann.

b. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags des Antragstellers auf internationalen Schutz ist im vorliegenden Fall nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO 343/2003 auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, nachdem die Frist für die Überstellung des Antragstellers am 28. Mai 2014 abgelaufen ist.

Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 VO 343/2003 erfolgt die Überstellung eines Asylbewerbers aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.

Diese Frist begann mit der am 27. November 2013 erklärten Annahme des Wiederaufnahmegesuchs des Bundesamtes durch die Republik Bulgarien. Eine Verlagerung des Fristbeginns ist vorliegend nicht eingetreten. Die Regelung des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 a.E. VO 343/2003, die den Start der Überstellungsfrist an die Entscheidung über den mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten Rechtsbehelf bindet, ist hier nicht einschlägig, da es einem solchen Rechtsbehelf fehlt.

aa. "Entscheidung über den Rechtsbehelf" in diesem Sinne ist nach Wortlaut und Systematik des Art. 20 Abs. 1 lit. d) und e) VO 343/2003 die Entscheidung über den zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Überstellungsentscheidung selbst eingelegten Rechtsbehelf, hier also die Entscheidung über die in der Hauptsache gegen die auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung des Bundesamtes vom 3. März 2014 erhobene Anfechtungsklage VG 1 K 235/14.A. Denn Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 4 VO 343/2003 regelt, dass gegen die Entscheidung - dies ist die Mitteilung des ersuchenden Mitgliedstaates über die Wideraufnahme durch den ersuchten Mitgliedstaat - ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Diese Klage hat indes nach der Regelung des § 75 Abs. 1 AsylVfG (bislang) keine aufschiebende Wirkung, da der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vom 7. März 2014 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung VG 1 L 74/14.A durch die Kammer mit dem Beschluss vom 16. April 2014 abgelehnt worden ist.

Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 5 VO 343/2003 selbst sieht vor, dass ein Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. Mithin knüpft die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 für den Ablauf der 6-Monatsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 im Falle der positiven Wiederaufnahmeentscheidung eines anderen Mitgliedstaats nur an eine Entscheidung über den Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung, nicht aber schon an die Rechtsbehelfseinlegung selbst an. Der Fristablauf zur Durchführung der Überstellung läuft unabhängig von den Unwägbarkeiten, denen der Rechtsbehelf unterliegt, welchen der Asylbewerber gegen die seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden Mitgliedstaats erheben kann. Erst diejenige Entscheidung, mit welcher über die Rechtmäßigkeit der Überstellung selbst entschieden wird - mithin das Urteil über die Klage gegen die Abschiebungsanordnung -, führt zu einem erneuten Fristlauf (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 [Petrosian] -, Slg. 2009, S. I-495, curia.europa.eu, Rn. 48/53).

bb. Der Eilrechtsschutzantrag VG 1 L 74/14.A kann nicht als Rechtsbehelf im Sinne des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 VO 343/2003 angesehen werden. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat selbst keine aufschiebende Wirkung. Vielmehr dient er allein dazu zu klären, ob der gegen die Überstellungsentscheidung gerichteten Klage entgegen der Regel des § 75 Abs. 1 AsylVfG ausnahmsweise doch aufschiebende Wirkung beizumessen ist. Zwar ordnet § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG für das deutsche Recht an, dass eine Abschiebung des Asylsuchenden in Streitigkeiten um die Zuständigkeit bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist. Diese Vorschrift, die sich nicht an das Bundesamt, sondern an die die Überstellungsentscheidung vollziehende Ausländerbehörde richtet, bewirkt keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 VO 343/2003, da eine solche nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 5 VO 343/2003 nicht kraft Gesetzes, sondern ausschließlich durch eine Entscheidung des Gerichts oder einer sonstigen zuständigen Stelle angeordnet werden kann. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass die bloße Antragstellung eine Aussetzung im Sinne des Dublin-Verfahrens gerade nicht bewirkt. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG hemmt lediglich im Sinne eines vorübergehenden Vollstreckungsverbotes die Durchführung der weiterhin sofort vollziehbaren Überstellungsentscheidung und realisiert damit allein den - nunmehr nach Art. 27 Abs. 1 und Abs. 3 VO 604/2013 ausdrücklich vorgeschriebenen - effektiven Rechtsschutz gegen Überstellungsentscheidungen für das deutsche Recht in der Weise, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist (vgl. Art. 27 Abs. 3 lit. c) Satz 2 VO 604/2013) (vgl. VG Potsdam, Beschluss vom 16. April 2014 - VG 6 L 211/14.A -, juris Rn. 8 ff.; VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 7136/13 -, juris, Rn.13, 15; VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 - 3 A 416/14 -, juris Rn. 26 ff.; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 86/14 -, juris Rn. 6 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 - 13 L 644/14.A -, juris Rn. 12 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2014 - 2 K 719/14.A -, juris Rn. 20 f.; VG Magdeburg, Beschluss vom 2. Juni 2014 - 9 B 207/14 -, juris Rn. 8 ff.; VG Hannover, Beschluss vom 13. Mai 2014 - 6 B 9277/14 -, juris Rn. 18 ff.; VG Hannover, Beschluss vom 31. März 2014 - 1 B 6483/14 -, juris Rn. 20 ff.; a.A.: VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 3. Juli 2014 - VG 6 L 373/14.A -, juris Rn. 9 f.; VG Cottbus, Beschluss vom 28. Februar 2014 - 3 L 37/14.A -, juris Rn. 8 f.; VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 -, juris, Rn. 7; VG Regensburg, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - RO 9 S 13.30618 -, juris Rn. 19; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 - W 6 S 14.50065 -, juris Rn. 20 ff.; VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 - 10 AE 2414/14 -, S. 6 ff. BA; VG München, Urteil vom 12. Mai 2014 - M 21 K 14.30347 -, juris Rn. 49).

Aus den Erwägungen des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 29. Januar 2009 - Rs. C-19/08 [Petrosian] -, Slg. 2009, S. I-495, curia.europa.eu, Rn. 43 f.), dass der Beginn der Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO 343/2003 so zu bestimmen ist, dass die Mitgliedstaaten über eine Frist von sechs Monaten verfügen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung nutzen sollen, lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten. Denn das Vollstreckungshindernis des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG hindert die für die Durchführung der Überstellung bzw. Abschiebung zuständige Ausländerbehörde ebenso wenig wie das Bundesamt daran, die für eine praktische Durchführung einer Überstellung erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. Da der Gerichtshof außerdem ausdrücklich darauf hinweist (Rn. 45), dass erst die (nach einer gerichtlich angeordneten Aussetzung erfolgende) Entscheidung in der Sache, d.h. im Hauptsacherechtsbehelf, zu einer für die Anknüpfung des Fristbeginns tauglichen grundsätzlichen Klärung führt, dass eine Überstellung in Zukunft erfolgen wird, nicht aber bereits eine gerichtliche "Stellungnahme" zu einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung, ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen für einen negativen Entscheid über einen Aussetzungsantrag Anderes gelten soll als im Fall einer Stattgabe. Nach dem System des Asylverfahrensgesetzes stellt ein Eilrechtsschutzantrag nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG bis zu einer positiven Entscheidung des Gerichts die Vollziehbarkeit der Überstellungsentscheidung in Form der Abschiebungsanordnung nicht grundsätzlich in Frage.

Soweit in der Rechtsprechung zur Begründung eines gegenteiligen Ergebnisses des Beginns der Überstellungsfrist mit der negativen gerichtlichen Entscheidung über einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf den Wortlaut des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 VO 343/2003 ("materiell möglich") abgestellt wird (vgl. VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 3. Juli 2014 - VG 6 L 373/14.A -, juris Rn. 10), kann dem ebenso nicht gefolgt werden. Denn die Überstellungsfrist wird in Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 VO 343/2003 gerade nicht an das Kriterium geknüpft, dass die Überstellung materiell möglich ist. Zudem ist dieses Merkmal nicht im Sinne rechtlicher Hindernisse wie die Unzulässigkeit einer Abschiebung nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG auszulegen. Vielmehr bezieht es sich - wie der Vergleich mit anderen, gleichermaßen verbindlichen (vgl. EuGH, Urteil vom 20. November 2003 - Rs. C-152/01 [Kyocera] -, Slg. 2003, S. I-13821, curia.europa.eu, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 9. Januar 2003 - Rs. C-257/00 [Givane] -, Slg. 2003, S. I-345, curia.europa.eu, Rn. 36) Sprachfassungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergibt (engl.: "as soon as practically possible"; niederl.: "zodra dat praktisch mogelijk is"; schwed. "så snart det är praktiskt möjligt"; dän.: "så snart det er fysisk muligt"; die etwa in der französischen oder spanischen Fassung verwendeten Begriffe "matériellement" und "materialmente" zwingen zu keinem abweichenden Ergebnis, wie deren Synonyme belegen: physiquement, réellement, effectivement, positivement, pratiquement bzw. positivamente, prácticamente, utilitariamente, ciertamente, realmente) - auf die praktische Durchführbarkeit einer Überstellung (so nunmehr auch ausdrücklich Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013), wie beispielsweise die Verfügbarkeit des Asylbewerbers und die tatsächlichen und technischen Rückführmöglichkeiten hinsichtlich der Transportwege und -mittel (vgl. VG Magdeburg, Beschluss vom 2. Juni 2014 - 9 B 207/14 -, juris Rn. 13).

Das Argument, der Begriff der aufschiebenden Wirkung im Sinne des Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 VO 343/2003 sei nicht nach Maßgabe des deutschen Verwaltungsprozessrechts, sondern als eigenständiger europarechtlicher Begriff zu verstehen und somit weiter gefasst (so beispielsweise VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 3. Juli 2014 - VG 6 L 373/14.A -, juris Rn. 10; VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 - 10 AE 2414/14 -, S. 7 BA; VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 -, juris Rn. 7; VG Regensburg, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - RO 9 S 13.30618 -, juris Rn. 19), vermag die Einbeziehung des Eilrechtsschutzantrags nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in den "Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat" nicht zu rechtfertigen. Denn gegen eine Gleichsetzung des Vollstreckungshindernisses des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG mit der aufschiebenden Wirkung nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) Satz 2 VO 343/2003 spricht entscheidend, dass eine europarechtliche aufschiebende Wirkung (so man sie abweichend definieren wollte) jedenfalls nach der ausdrücklichen Vorgabe des Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 5 VO 343/2003 nicht kraft Gesetzes, sondern nur auf gerichtliche oder behördliche Anordnung eintreten kann.

c. Auf die aus dem Ablauf der Überstellungsfrist und dem Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO 343/2003 i.V.m. § 34a Abs. 1 Satz 1, § 27a AsylVfG resultierende objektive Rechtswidrigkeit kann sich der Antragsteller auch berufen, denn mit der Aufrechterhaltung der rechtswidrig gewordenen Abschiebungsanordnung nach Bulgarien geht eine Verletzung in seinen subjektiven Rechten einher.

Die Kammer folgt der Rechtsprechung nicht, die eine subjektiv-rechtliche Dimension der Regelungen zu den Überstellungsfristen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ganz verneint oder eine Rechtsverletzung des Betroffenen insoweit mit Blick auf das Recht der Asylbewerber auf Prüfung des Asylantrags durch einen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO 343/2003) davon abhängig macht, dass der ersuchte Mitgliedstaat nunmehr die Wiederaufnahme unter Verweis auf den Ablauf der Überstellungsfrist explizit ablehnt (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 19. März 2014 - 33 L 90.14 A -, juris Rn. 8; VG Osnabrück, Beschluss vom 19. Februar 2014 - 5 B 12/14 -, juris Rn. 8; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 - W 6 S 14.50065 -, juris Rn. 18 f.; VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 - 17 AE 1762/14 -, juris Rn. 19; VG Freiburg, Beschluss vom 4. Oktober 2010 - A 4 K 1705/10 -, juris Rn. 12). Soweit diese Rechtsprechung darauf verweist, dass es keinen Anspruch des Asylbewerbers auf Wahl eines für ihn zuständigen Mitgliedstaates oder auf Durchführung eines Asylverfahrens durch den (nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003) zuständigen Mitgliedstaat gebe und die Zuständigkeitsregeln der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (einschließlich der Normen, die den Ablauf bestimmter Fristen sanktionierten) allein an die Mitgliedstaaten adressiert seien, Rechte und Pflichten nur im Verhältnis dieser zueinander vorsähen und einzig dem Zweck einer gerechten Verteilung von Lasten und Verantwortung innerhalb des einheitlichen "Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" dienten, subjektive Rechte in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 hingegen nur ausnahmsweise vorgesehen seien, etwa in Bezug auf den Schutz unbegleiteter Minderjähriger oder die Wahrung der Familieneinheit, ist dagegen einzuwenden, dass es beim Ablauf von Überstellungsfristen von vornherein nicht um eine Wahl des zuständigen Mitgliedstaates durch den Asylbewerber geht. Vielmehr steht ein von der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (gesetzlich) vorgesehener Mitgliedstaat in Rede, der sich von dem vorher zuständig gewesenen unterscheidet. Außerdem spricht viel dafür, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO 343/2003 für die Überstellungsfrist in Wiederaufnahmefällen - ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 VO 343/2003 für die Überstellungsfrist in Aufnahmefällen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. August 2013 - 12 S 675/13 -, juris Rn. 13) - im Sinne einer subjektive Rechte einräumenden Vorschrift auszulegen. Denn diese Normen zielen darauf ab, dem schutzwürdigen Interesse des Asylbewerbers zu dienen, dass sein Schutzgesuch - nach Ablauf eines gewissen Zeitraums, welcher der Klärung von Zuständigkeitsfragen vorbehalten ist - in angemessener Zeit in der Sache geprüft wird. Steht ihm insoweit ein Anspruch auf sachliche Prüfung seines Asylantrags zu, so begründete eine wegen Zuständigkeitsübergangs infolge Fristablaufs rechtswidrig gewordene Überstellung eine Verletzung in subjektiven Rechten (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 - 3 A 416/14 -, juris Rn. 39 ff.; VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 86/14 -, juris Rn. 16 ff.).

Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 [Abdullahi] -, curia.europa.eu, Rn. 49 ff.) nicht entgegen. Mit dieser Entscheidung hat der Gerichtshof ausschließlich und ausdrücklich festgestellt, dass sich der Asylbewerber dann, wenn ein zweiter Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers wegen dessen illegalen Grenzübertritts (Art. 10 Abs. 1 VO 343/2003) zugestimmt habe, der Asylbewerber einer Überstellung in diesen Staat nur noch damit entgegentreten könne, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat geltend mache, d.h. dass er sich unter dieser Voraussetzung nicht mehr mit Erfolg darauf berufen könne, die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 1 VO 343/2003 seien im Hinblick auf den aufnahmebereiten Mitgliedstaat gar nicht erfüllt. Eine generelle Aussage zur subjektiv-rechtlichen Dimension von (Überstellungs-)Fristen der Art. 19 Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO 343/2003, die anders als die den Gegenstand der der EuGH-Entscheidung zugrundeliegenden Vorlagefrage bildenden Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 Teil des Kapitels V der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 über das Verfahren der Aufnahme und Wiederaufnahme sind, hat der EuGH hingegen nicht getroffen. Soweit der Gerichtshof (Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 [Abdullahi] -, curia.europa.eu, Rn. 57) den Selbsteintrittsnormen in Art. 3 Abs. 2 VO 343/2003 (Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 VO 343/2003 (humanitäre Klausel) wegen des weiten mitgliedstaatlichen Ermessens keine subjektiv-rechtliche Dimension zugestehen will, kann dem für die hier vorliegende Konstellation des Ablaufs der Überstellungsfrist keine Bedeutung beigemessen werden. Denn der Zuständigkeitsübergang wird insoweit unmittelbar kraft Gesetzes durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO 343/2003 bewirkt; einer willentlichen Entschließung und Handlung des Mitgliedstaates wie beim Selbsteintritt bedarf es hierzu nicht. Aus dem vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall kann daher für das vorliegende Verfahren nichts Eindeutiges gewonnen werden.

Die seitens des Gerichtshofs (Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 [Abdullahi] -, curia.europa.eu, Rn. 59) angeführten Hauptzwecke der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates, effektiver Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft sowie Gewährleistung einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge - mögen in Aufnahmefällen, in denen mangels erfolgter anderweitiger Asylantragstellung und angesichts unklarer Reisewege erhebliche Unsicherheiten über den (ursprünglich) zuständigen Mitgliedstaat bestehen können, dazu führen können, dass eine im Einzelfall gegebene Aufnahmezusage eines Mitgliedstaates als klärende Maßnahme anzusehen und für maßgeblich zu erachten ist. Klarheit, Praktikabilität, Effektivität und Beschleunigung sprechen aber im vorliegenden Fall des Ablaufs einer Überstellungsfrist in einem Wiederaufnahmefall, in dem die ursprüngliche Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates Bulgarien feststand und in dem sich ebenso klar und praktikabel aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO 343/2003 ein zwischenzeitlich erfolgter Zuständigkeitswechsel hin zum ersuchenden Mitgliedstaat Deutschland ablesen lässt, eher dafür, dem Asylbewerber einen im Rechtsschutzwege durchsetzbaren Anspruch auf Beachtung des Zuständigkeitswechsels und auf Prüfung seines Asylantrags im nationalen Verfahren zuzugestehen. Denn die genannten Zwecke wären nur bedingt erreichbar, wenn die an sich verbindlichen Fristen jederzeit gleichsam sanktionslos von den beteiligten Staaten überschritten werden könnten.

Auf den Umstand, dass die Republik Bulgarien hier ursprünglich am 27. November 2013 ihre Wiederaufnahmebereitschaft erklärt hat, lässt sich angesichts des Ablaufs der Überstellungsfrist und des damit einhergehenden Zuständigkeitsübergangs nichts (mehr) stützen. Dass die Wiederaufnahmebereitschaft auch ungeachtet dessen weiterhin besteht, ist weder seitens der Antragsgegnerin dargelegt worden noch ist dies sonst erkennbar.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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