OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.03.2014 - 3 (6) Ss 642/13 – AK 242/13
Fundstelle
openJur 2014, 14935
  • Rkr:
Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 25. Juli 2013 werden auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, die den Verteidigern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, einstimmig als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO); jedoch ist § 304 StGB aus der Liste der angewendeten Strafvorschriften zu streichen.

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

I.

Das Amtsgericht Wolfach verurteilte die Angeklagten am 17.1.2013 wegen gemeinschaftlichen Verstoßes gegen § 17 Nr. 2b TierSchG jeweils zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Offenburg das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und die Angeklagten unter gleichzeitiger Verwerfung ihrer Berufungen wegen gemeinschaftlich begangener Tiertötung in Tateinheit mit Tiermisshandlung und mit Sachbeschädigung jeweils zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen verurteilt. Die Höhe des Tagessatzes hat das Landgericht hinsichtlich des Angeklagten B. auf 50 EUR, hinsichtlich des Angeklagten H. auf 20 EUR festgesetzt. Gegenstand der Verurteilung ist das Erschießen und nachfolgende Verendenlassen zweier zuvor aus dem Rotwildgehege des Reviernachbarn entlaufener Hirschkühe. Wegen der Einzelheiten des festgestellten Sachverhalts wird auf Abschnitt III der Gründe des Berufungsurteils Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten, die jeweils mit der Verletzung formellen und sachlichen Rechts begründet werden. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revisionen als unbegründet zu verwerfen. Die Verteidiger beider Angeklagten haben Gegenerklärungen abgegeben.

II.

Die Beschwerdeführer rügen jeweils mit der Verfahrensrüge, dass ihre in der Berufungshauptverhandlung getätigten Angaben von der Berufungskammer verwertet wurden, obwohl sie lediglich einfach über ihr Aussageverweigerungsrecht, nicht jedoch qualifiziert über die Unverwertbarkeit ihrer erstinstanzlich abgegebenen Geständnisse belehrt worden seien. Sie machen geltend, sie hätten bei einer entsprechenden Belehrung im Berufungsverfahren von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Die Verfahrensrüge des Angeklagten B. ist bereits unzulässig (nachfolgend 1.). Die Verfahrensrüge des Angeklagten H. ist unbegründet (2.).

1. Die Rüge des Angeklagten B. genügt schon nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Die Rüge, es habe einer qualifizierten Belehrung über die Unverwertbarkeit des erstinstanzlich abgegebenen Geständnisses bedurft, setzt zunächst den Vortrag voraus, dass das erstinstanzliche Geständnis nicht verwertbar sei. Hierzu wäre substantiiert darzulegen gewesen, dass entweder die Verständigung vor dem Amtsgericht nicht ordnungsgemäß erfolgt ist oder dass sich das Landgericht von der erstinstanzlich zugesagten Strafobergrenze gelöst hat. Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer trägt insoweit - ohne die entsprechende Passage aus dem erstinstanzlichen Hauptverhandlungsprotokoll mitzuteilen - lediglich vor, die Strafkammer habe festgestellt, dass in Erwartung einer Geldstrafe von nicht mehr als 60 Tagessätzen vor dem Strafrichter ein Geständnis abgelegt wurde. Tatsächlich ergibt sich aus den Gründen des angegriffenen Urteils lediglich, dass dem Urteil des Amtsgerichts eine Verständigung vorausgegangen ist und dass die Angeklagten auf deren Grundlage durch ihre Verteidiger erklären ließen, der Vorwurf treffe zu, dass sie gegen § 17 Nr. 2b des TierSchG verstoßen hätten. Die ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erstinstanzlich vereinbarte Strafe von 50 Tagessätzen - und damit der Ausgangspunkt für eine Loslösung des Landgerichts - ist gerade nicht Bestandteil der Feststellungen des Berufungsgerichts. Sie ist auch sonst nicht vorgetragen. Auch legt der Beschwerdeführer nicht dar, dass und aus welchen Gründen die Verständigung vor dem Amtsgericht rechtswidrig gewesen sein soll. Da es somit an einem substantiierten Vortrag von Tatsachen fehlt, die im Falle ihres Erwiesenseins zur Unverwertbarkeit des erstinstanzlichen Geständnisses führen könnten, stellt sich die daran anschließende Frage nicht, ob eine qualifizierte Belehrung dahingehend erforderlich war, dass das Geständnis unverwertbar sei oder als unverwertbar angesehen werde.

2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge des Angeklagten H. bleibt im Ergebnis in der Sache ohne Erfolg. Zwar hätte das Berufungsgericht den Angeklagten entsprechend § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO über die fehlende Bindungswirkung der erstinstanzlich erzielten Verständigung und damit über die Unverwertbarkeit seines erstinstanzlich abgegebenen Geständnisses belehren müssen. Doch führt dieses Versäumnis vorliegend nicht zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der im Berufungshauptverfahren getätigten Einlassung des Angeklagten.

a. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Vor dem Amtsgericht wurde ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls eine Verständigung mit dem folgenden Inhalt getroffen:

"Es wurden Verständigungsgespräche im Sinne des § 257c StGB geführt. Im Verlauf der Erörterung äußerte sich der Sachverständige informatorisch zur Sach- und Rechtslage. Das Gericht schlägt die Verhängung einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen vor für den Fall einer geständigen Einlassung. Die Staatsanwaltschaft stimmt der Verständigung zu, von Seiten der Verteidigung wird der Verständigung ebenfalls zugestimmt.
Die Verteidiger der Angeklagten B. u. H. geben folgende Erklärung ab.
Die Vorwürfe aus dem Strafbefehl vom 29.06.2012, bezüglich § 17, 2b Tierschutzgesetz sind zutreffend."

Sodann gelangten die Auszüge aus dem Bundeszentralregister zur Verlesung, im Anschluss wurden die Angeklagten ohne weitere Beweisaufnahme wegen Verstoßes gegen § 17 Nr. 2b TierschutzG zu einer Geldstrafe von jeweils 50 Tagessätzen verurteilt.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts legten die Staatsanwaltschaft sowie die Angeklagten Berufung ein. In der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht wurden die beiden Angeklagten darauf hingewiesen, dass es ihnen freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Eine weitergehende Belehrung ist nicht erfolgt. Die Angeklagten machten in der Berufungshauptverhandlung Angaben zur Sache, die im Urteil verwertet wurden.

b. Das Berufungsgericht ist an eine erstinstanzlich erzielte Verständigung grundsätzlich nicht gebunden (BT-Drs. 16/12310, S. 15; OLG Düsseldorf, StV 2011, 80; Niemöller/Schlothauer/Weider-Weider, Gesetz zur Verständigung in Strafsachen, 2010, Teil C Rdn. 98; Wenske, DRiZ 2012, 123 [126]; BeckOK-Eschelbach, StPO, Ed. 17, Rdn. 46 zu § 257c; a.A. Kuhn, StV 2012, 10 [11]). Dies folgt systematisch schon aus der Vorschrift des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO, die einen Rechtsmittelverzicht nach Verständigung generell - und damit auch hinsichtlich einer möglichen Berufung - ausschließt und gerade die Möglichkeit einer substanziellen Überprüfung sicherstellen will (vgl. BGH, NStZ 2010, 289). Damit ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich das Berufungsgericht freiwillig - mittelbar - an eine in erster Instanz erzielte Verständigung bindet, indem es das erstinstanzlich im Rahmen einer zulässigen Verständigung abgegebene Geständnis durch Sekundärbeweismittel in die Berufungshauptverhandlung einführt (hierzu OLG Nürnberg, NStZ-RR 2012, 255; BeckOK-Eschelbach, a.a.O.; KK-Moldenhauer/Wenske, StPO, 7. Aufl., Rdn. 37, 42 zu § 257c; a.A. wohl Niemöller/Schlothauer/Weider-Weider, a.a.O., Rdn. 99: Geständnis grundsätzlich unverwertbar). In diesem Fall entsteht eine Wechselwirkung zwischen der Verwertung des - erstinstanzlichen und auf einer Verständigung beruhenden - Geständnisses und der Bindung des Berufungsgerichts an die weiteren Bedingungen der Verfahrensabsprache, insbesondere den vereinbarten Strafrahmen: Hält das Berufungsgericht den Angeklagten nämlich an seinem im Rahmen der erstinstanzlichen Verständigung abgegebenen Geständnis fest, bindet es sich nach dem Rechtsgedanken des fairen Verfahrens und des Vertrauensschutzes (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG), der innerhalb der Instanz in § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO einfachgesetzlichen Ausdruck findet, im Gegenzug auch selbst an die Bedingungen der Verständigung. Macht umgekehrt das Berufungsgericht von seiner fehlenden Bindung an die erstinstanzlich erzielte Verständigung Gebrauch, unterliegt im Gegenzug das auf der Verständigung beruhende Geständnis in erster Instanz einem Verwertungsverbot (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Nürnberg, a.a.O.; El-Ghazi, JR 2012, 406 [412 ff.]; Mosbacher, JuS 2011, 708 [709]; KK-Moldenhauer/Wenske, a.a.O., Rdn. 42; SK-Velten, StPO, 4. Aufl., Rdn. 29, 48 zu § 257c; Satzger/Schluckebier/Widmaier-Ignor, StPO, Rdn. 121 ff. zu § 257c; vgl. zur Wechselwirkung bei Loslösung von einer Verständigung innerhalb der Instanz Niemöller/Schlothauer/Weider-Niemöller, a.a.O., Rdn. 145 ff. zu § 257c; allgemein zur Geltung des Vertrauensschutzes bei § 257c StPO auch in der Rechtsmittelinstanz s. LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., Rdn. 68 zu § 257c; KMR-v. Heintschel-Heinegg, StPO, Stand Nov. 2009, Rdn. 53 zu § 257c).

c. Im Ergebnis besteht für den Angeklagten zu Beginn der Berufungsverhandlung keine Klarheit darüber, ob das Berufungsgericht sein erstinstanzlich abgegebenes Geständnis verwerten will oder nicht. Die Antwort hierauf wird jedoch oftmals maßgeblich sein für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung, insbesondere für die Entscheidung des Angeklagten, ob und ggf. wie er sich in der Berufungshauptverhandlung zur Sache einlassen sollte. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte auf sein Aussageverweigerungsrecht in der Berufungshauptverhandlung nur deshalb verzichtet, weil er möglicherweise glaubt, die erstinstanzlich im Rahmen der Verständigung abgegebene Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können. Um diese Unsicherheit des Angeklagten zu beseitigen, ist der Angeklagte im Berufungsverfahren neben der Belehrung nach §§ 243 Abs. 5 Satz 1, 332 StPO entsprechend § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO qualifiziert über die Unverwertbarkeit seines erstinstanzlich abgegebenen Geständnisses zu belehren, wenn das Berufungsgericht von seiner fehlenden Bindung an die erstinstanzlich erzielte Verständigung Gebrauch machen möchte (OLG Düsseldorf, a.a.O., El-Ghazi, a.a.O., Mosbacher, a.a.O.; BeckOK-Eschelbach, a.a.O.; zur Notwendigkeit einer qualifizierten Belehrung bei missglückter Verständigung innerhalb der Instanz s. BGH, NStZ 2013, 728).

d. Vorliegend ist eine solche qualifizierte Belehrung nicht erfolgt. Sie wäre zu protokollieren gewesen (§ 273 Abs. 1a Satz 2 StPO analog; vgl. auch BGHSt 57, 254); ihr Unterbleiben ist durch die fehlende Beurkundung im Protokoll der Berufungshauptverhandlung vom 15.7.2013 bewiesen (§ 274 StPO).

Die Belehrung war vorliegend auch nicht deshalb (ausnahmsweise) entbehrlich, weil die fehlende (Selbst-)Bindung des Berufungsgerichts an die Verständigung erster Instanz von vornherein auf der Hand gelegen hätte. Zwar war das erstinstanzlich abgegebene Geständnis vorliegend für das Berufungsgericht von vornherein unverwertbar, weil die Verständigung wegen Vereinbarung einer Punktstrafe, mangels ordnungsgemäßer Dokumentierung des wesentlichen Ablaufs (§ 273 Abs. 1a Satz 1 StPO), mangels Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO und wegen Entgegennahme eines bloßen Formalgeständnisses durch Verteidigererklärung fehlerhaft war (OLG Rostock, NStZ-RR 2013, 351; Brocke, StV 2014, 441 [449]) - weshalb im Übrigen die Berufung der Staatsanwaltschaft angesichts deren Kontrollfunktion geboten war (BVerfG, NJW 2013, 1058 [1066]; KK-Moldenhauer/Wenske, a.a.O., Rdn. 41 zu § 257c). Auch haben beide Seiten Berufung eingelegt und hat die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung von vornherein eine Verurteilung jenseits des Verständigungsrahmens angestrebt (vgl. hierzu Moldenhauer/Wenske, NStZ 2012, 184 [187 f.]). Gleichwohl rechtfertigt dies nicht die Annahme, der Angeklagte habe von vornherein, spätestens mit Beginn der Berufungshauptverhandlung, kein Vertrauen in die Bedingungen einer erstinstanzlich erzielten Verständigung setzen können, die die Zustimmung von Staatsanwaltschaft und erkennendem Gericht gefunden hatte. Dies gilt erst Recht angesichts der vom Gesetzgeber ersichtlich nicht bedachten, jedenfalls einfachgesetzlich nicht ausdrücklich geregelten und von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärten Folgen einer erstinstanzlich geschlossenen Verständigung für die Berufungsinstanz. Auch gibt das erklärte Berufungsziel der Staatsanwaltschaft keine Auskunft über den Verwertungs- und Selbstbindungswillen des Berufungsgerichts.

e. Doch folgt aus dem Fehlen der analog § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO gebotenen qualifizierten Belehrung nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot. Die Verwertbarkeit der im Berufungsverfahren erfolgten Einlassung des Angeklagten ist vielmehr durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln. Die Abwägung führt vorliegend zur Annahme der Verwertbarkeit.

In der Rechtsprechung ist - verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, NJW 2014, 532 [534]) - anerkannt, dass ein Verstoß gegen eine Pflicht zur qualifizierten Belehrung nicht in jedem Fall zu einem Beweisverwertungsverbot führen muss, sondern die Folgen des Belehrungsfehlers jeweils im konkreten Einzelfall zu ermitteln sind. Bei einer solchen Abwägung kommt es entscheidend auf das Gewicht des Verfahrensverstoßes, das Interesse an der Sachaufklärung sowie das Aussageverhalten des betroffenen Beschuldigten im gesamten Verfahren an (vgl. BGHSt 53, 112; OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 283). Ergänzend ist zu berücksichtigen, ob der Angeklagte verteidigt war und ist, ob die Verständigung in erster Instanz formal rechtsfehlerfrei zustande gekommen und wer Berufungsführer ist (KK-Moldenhauer/Wenske, a.a.O., Rdn. 48; dies., NStZ 2012, 184 [187 f.]; Wenske, a.a.O, S. 128).

Vorliegend war die vor dem Amtsgericht erzielte Verständigung zwar einerseits in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Doch konnte sie andererseits schon deshalb keine Bindungswirkung entfalten (BeckOK/Eschelbach, a.a.O.; El-Ghazi, a.a.O., 407). Auch war dem Angeklagten das Berufungsziel der Staatsanwaltschaft von vornherein bekannt, zudem hat er selbst Berufung eingelegt mit dem Ziel des Freispruchs. Der Angeklagte war während des gesamten gerichtlichen Verfahrens verteidigt. Die Belehrung nach §§ 243 Abs. 5 Satz 1, 332 StPO ist ordnungsgemäß erfolgt; Anhaltspunkte für ein bewusstes Umgehen der Pflicht zur qualifizierten Belehrung sind in keiner Weise ersichtlich. Schließlich ist von entscheidender Bedeutung, dass der Angeklagte erstinstanzlich gar keine geständige Einlassung abgegeben hatte, die das Landgericht hätte verwerten können. Das Amtsgericht hatte sich vielmehr mit einer weitgehend inhaltsleeren Verteidigererklärung begnügt, die sich der Angeklagte selbst nicht einmal zu eigen gemacht hatte. In der Berufungshauptverhandlung hat der Angeklagte daher auch nicht etwa seine erstinstanzlichen Angaben nur bestätigt, sondern sich überhaupt erstmals zur Sache eingelassen. Die Gesamtabwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele führt daher im vorliegenden Fall zur Verwertbarkeit der im Berufungsverfahren getätigten Einlassung des Angeklagten H.. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.3.2013 zur Bedeutung des § 257c Abs. 5 StPO (NJW 2013, 1058 [1067 Rdn. 99]). Denn im Unterschied zu dessen Zielrichtung befindet sich der Angeklagte in der vorliegenden Fallkonstellation einer bereits gescheiterten Verständigung nicht mehr in einer besonderen Anreiz- und Verführungssituation, in der er besonders zu schützen ist.

f. Im Übrigen würde das Urteil nicht auf dem Belehrungsfehler beruhen im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO. Die Feststellungen von der Täterschaft des Angeklagten H. beruhen auf der Einlassung des Angeklagten B., nach welcher der Angeklagte H. die zwei Stück Rotwild "angesprochen und erlegt" habe. Der Angeklagte H. hat diese Angaben lediglich ergänzend bestätigt, wobei er zusätzliche Angaben allein zum Tatbeitrag des Angeklagten B. getätigt hat. Hätte er, wie mit der Revision geltend gemacht, im Falle einer qualifizierten Belehrung geschwiegen, wären die Feststellungen hinsichtlich seiner eigenen Tatbeteiligung nicht anders ausgefallen.

III.

Auch die weiteren Rügen der Angeklagten lassen keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil erkennen. Der Senat merkt insoweit lediglich Folgendes an:

1. Soweit der Angeklagte B. im Wege der Aufklärungsrüge beanstandet, dass zur Frage des erheblichen Leidens im Sinne des § 17 Nr. 2b TierSchG ein Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen, ist die Rüge bereits unzulässig. Insoweit wurde nämlich das Kurz-Gutachten des Tierarztes Dr. S. gem. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO verlesen, was die Revision nicht mitteilt. Zudem wird nicht vorgetragen, warum es sich dem Landgericht hätte aufdrängen sollen, Dr. S. persönlich zu vernehmen, nachdem sämtliche Verfahrensbeteiligte mit der Verlesung seines Schreibens einverstanden waren.

2. Der auf die zulässig erhobenen Sachrügen der Angeklagten zu überprüfende Schuldspruch des Landgerichts ist frei von Rechtsfehlern.

a. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nach § 17 Nr. 1 TierSchG. Die Vollendung der Tat ist den Angeklagten zuzurechnen, auch wenn der Fangschuss letztlich jeweils durch den hinzugezogenen Polizeibeamten PHK F. gesetzt wurde. Ein Fall überholender Kausalität liegt nicht vor, es handelt sich vielmehr um ein Fortwirken der Kausalität (BGH, Urt. v. 6.7.1956 - 5 StR 434/55, bei Dallinger, MDR 1956, 525 [526]). Die Tötung durch die Angeklagten geschah auch ohne vernünftigen Grund. Insbesondere ergibt sich ein vernünftiger Grund vorliegend entgegen der Revision nicht aus der jagdrechtlichen Befugnis bzw. Verpflichtung zum Abschuss von Rotwild (§ 3 RotWGebBV BW). Nach den Feststellungen handelt es sich nicht um (dem Jagdrecht unterliegendes) freilebendes Rotwild, sondern um in Eigentum des Geschädigten Y. stehende gefangene wilde Tiere i.S.d. § 960 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die beiden Hirschkühe waren auch nicht nach § 960 Abs. 2 BGB herrenlos geworden, da der Geschädigte die Verfolgung der Tiere unverzüglich aufgenommen und nicht aufgegeben hatte. Dass die Verfolgung (zum Begriff: Staudinger/Grunsky, BGB, Neubearb. 2011, Rdn. 10 zu § 960) während der Dunkelheit eingestellt wurde, ist insoweit unschädlich (MK-Oechsler, BGB, 6. Aufl., Rdn. 4 zu § 960). Nach den Feststellungen war den Angeklagten klar, dass es sich um Gehegewild des Nachbarn Y. handelte. Sie sind auch nicht irrtümlich davon ausgegangen, dass dieser die Verfolgung bereits aufgegeben hätte.

b. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Nr. 2b TierSchG sind festgestellt. Vorausgesetzt ist danach, dass einem Wirbeltier länger anhaltende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, die über den Todesschmerz hinausgehen. Die Fähigkeit der Schmerzempfindung steigt mit der Organisationsstufe/Entwicklungsstufe des Tieres, bei Säugetieren (wie hier) ist sie besonders ausgeprägt. Die Feststellung der Schmerzen erfolgt in der Regel anhand äußerer Merkmale über einen Analogieschluss (Verletzung, gestörte Bewegungsabläufe). Erforderlich ist in aller Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Beurteilung der Erheblichkeit der Schmerzen unterliegt in vollem Umfang der revisionsrichterlichen Überprüfung, die hierfür erforderlichen Umstände sind im Urteil darzulegen (MK-StGB/Pfohl, 2. Aufl., Rdn. 65 ff. zu § 17 TierSchG; Erbs/Kohlhaas/Metzger, Stand 2009, Rdn. 19 zu § 17 TierSchG). Vorliegend wurde (durch Verlesung) eine sachverständige Stellungnahme eingeführt, nämlich die Mitteilung von Dr. S., aus der sich die Art der Verletzungen sowie deren Folgen ergeben. Dass diese der Sache nach herangezogen wurde, ergibt sich aus der Feststellung der konkreten Verletzungen.

Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich zudem die Feststellung länger anhaltender erheblicher Schmerzen. Tatbeginn des den Angeklagten vorgeworfenen Unterlassens ist der Zeitpunkt der Unterrichtung durch die Geschädigten Y. gegen 21.45h. Da der Fangschuss durch PHK F. gegen 22.45h fiel, umfasst der Vorwurf einen Zeitraum von ca. einer Stunde.

Die Feststellungen tragen auch hinsichtlich § 17 Nr. 2b TierSchG die Annahme der Mittäterschaft. Soweit mit der Revision vorgetragen wird, der Angeklagte H. sei als Jagdgast gegen den Willen seines Gastgebers B. selbst nicht berechtigt gewesen, den Fangschuss zu setzen, ist festzuhalten, dass es sich bereits nicht um dem Jagdrecht unterfallendes Wild gehandelt hat (s. III.2.a). Im Übrigen ist ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte B. "in Anwesenheit und mit Billigung" des Angeklagten H. jegliche Verantwortung abgestritten und damit den Unterlassensvorwurf begründet hat. Angesichts der Garantenstellung des Angeklagten H. aus Ingerenz hätte es ihm oblegen, auf den Angeklagten B. einzuwirken und nicht dessen Entscheidung (stillschweigend) mitzutragen.

c. Hinsichtlich des Schuldspruchs nach § 303 StGB ist festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft jedenfalls in ihrer Revisionsgegenerklärung vom 11.10.2013 (konkludent) das notwendige öffentliche Interesse an der Strafverfolgung (§ 303c StGB) bejaht hat (S. 2 der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft vom 11.10.2013: "Mithin blieb das öffentliche Interesse ersichtlich erhalten."). Dies war ihr auch im Revisionsverfahren noch möglich (BGHR StGB § 303c öffentliches Interesse Nr. 1).

3. Die Erwähnung von § 304 StGB in der Liste der angewendeten Vorschriften beruht auf einem offensichtlichen Fassungsversehen. Da die Liste nicht Bestandteil der Urteilsformel ist, kann das Urteil auch nicht auf dem Versehen beruhen (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Rdn. 51, 62 zu § 260).

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