VG Köln, Urteil vom 23.03.2011 - 10 K 6076/09
Fundstelle
openJur 2014, 14222
  • Rkr:
Tenor

Soweit die Klägerin die Klage betreffend die Schülerfahrkosten für ihren Sohn K. zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Nachdem die Klägerin mit der vorliegenden Klage zunächst auch die Übernahme von Fahrkosten für den Schulbesuch durch ihren Sohn K. begehrt hatte, dann insoweit die Klage zurückgenommen hat, begehrt sie nunmehr noch die Übernahme der Fahrkosten für den Schulbesuch durch ihren Sohn Joshua.

Unter dem 11.08.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Ausstellung eines Schülerjahrestickets für ihren am 23.10.1998 geborenen Sohn K1. für den Besuch des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Q. .

Mit Bescheid vom 14.08.2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, der Schulweg für K1. überschreite nicht die nach der Schülerfahrkostenverordnung vorgegebene Mindestentfernung von mehr als 3,5 km für den kürzesten Fußweg.

Mit ihrer am 14.09.2009 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, die kürzeste Wegstrecke betrage ausweislich Google Maps zwar 3,3 km, der Schulweg sei aber unabhängig von seiner Länge besonders gefährlich. Er führe größtenteils, nämlich auf einer Strecke von 1,6 km, über einen verlassenen Feld- bzw. Wirtschaftsweg. Dieser Weg sei befestigt, weise aber keinen Bürgersteig auf und sei unbeleuchtet. Entlang des Wegs befänden sich zu beiden Seiten nur Ackerflächen, keinerlei Wohnbebauung. Der Weg werde zum Einen verbotenerweise teilweise als Ausweichstrecke benutzt, zum Anderen überwiegend von Bauern mit Traktoren befahren zur Bestellung ihrer Felder. Dies führe insbesondere bei schlechter Witterung zur Verschmutzung mit Schlamm und Erdreich, weshalb der Weg dann nur schlecht zu begehen sei. Ein tatsächliches Verkehrsaufkommen auf dem Weg existiere nicht. Im Frühling/ Sommer werde der Weg zwischen 7.00 Uhr und 7.30 Uhr vereinzelt von älteren Schülern mit Fahrrädern befahren, im Herbst/ Winter werde der Weg von Schülern überwiegend nicht genutzt. Auch sei der Weg bei Dunkelheit und durch den Bewuchs auf den angrenzenden Feldern allenfalls 400 m bis zur Wegbiegung einsehbar. Nach alldem befänden sich Schulkinder wie ihr Sohn in einer schutzlosen Situation auf diesem Schulweg. Im Falle eines kriminellen Übergriffs oder eines Unfalls hätten sie keinerlei Möglichkeit Hilfe durch Dritte zu erlangen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 14.08.2009 zu verpflichten, ihr die für den Besuch des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Q. durch ihren Sohn K1. in den Schuljahren 2009/2010 und 2010/2011 entstandenen Schülerfahrkosten zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, bei Vorliegen der Voraussetzungen würden Schülerfahrkosten für die Zeit des Besuchs der betreffenden Schule in der Sekundarstufe I bewilligt. Vorliegend habe aber die am 23.08.2006 erfolgte Messung des Schulwegs mit einem geeichten Messrad ergeben, dass der Schulweg weniger als 3,5 km betrage. Der Schulweg über den betreffenden Feldweg, genannt T.-------pfad , sei weder ungeeignet noch besonders gefährlich. Die Eignung des T1.-------pfades als Schulweg entfalle nicht bereits deshalb, weil der Weg zeitweise Verschmutzungen aufweise. Im Zuge des Winterdienstes werde der T.-------pfad bei Glätte gestreut. Auch ein unbeleuchteter Weg überschreite nicht die normalen und hinzunehmenden Gefahren des Straßenverkehrs. In ländlichen Gebieten sei kaum ein längerer Schulweg durchgängig beleuchtet. Der T.-------pfad sei ein geradliniger, übersichtlicher Weg, der weit einsehbar sei, auch überwiegend von der häufig frequentierten W. Straße aus. Der T.-------pfad sei im Vergleich zu den anderen Schulwegen im Stadtgebiet, die Ortsteile mit dem Schulzentrum verbinden würden, nicht gefährlicher. Seit Entstehung des Schulzentrums in Q. Anfang der siebziger Jahre werde der T.-------pfad als kürzester Schulweg von Schülern aus T2. und Stommelner Busch genutzt. Zurzeit besuchten 350 Schüler aus T2. und T3. Busch das Gymnasium und die Realschule in Q. . Die Behauptung, die Verkehrsfrequenz auf dem T.-------pfad sei sehr gering, sei durch die mehrfachen Verkehrszählungen, die sie im März 2006 und aktuell im Juni 2010 durchgeführt habe, widerlegt. Im Verhältnis zu der Zählung aus dem Jahr 2006 habe sich die Anzahl der den Weg nutzenden Schüler deutlich erhöht; in einem Zeitraum von einer guten halben Stunde hätten ca. 150 Schüler den Weg aus T2. kommend zum Schulzentrum Q. genommen. Im Übrigen sei der T.-------pfad bereits Gegenstand eines Verfahrens vor der Kammer gewesen (10 K 6073/05). Dort habe sie, die Beklagte, durch eine Fotodokumentation und mehrere Verkehrszählungen bereits belegt, dass der Feldweg kein ungeeigneter Schulweg sei. Die Kammer habe festgestellt, dass der Schulweg weder besonders gefährlich noch nach den örtlichen Verhältnissen ungeeignet sei.

Die Beklagte hat eine weitere Verkehrszählung im Januar 2011 vorgenommen. Diesbezüglich und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte bzw. der Akte 10 K 6073/05 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Soweit die Klägerin die Klage, mit der sie ursprünglich die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme von Schülerfahrkosten auch für ihren Sohn K. begehrt hatte, zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.

Soweit die Klage nunmehr nur noch die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme von Schülerfahrkosten auch für ihren Sohn K1. betrifft, ist sie zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14.08.2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten für den Besuch des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Q. durch ihren Sohn K1. in den Schuljahren 2009/2010 und 2010/2011. Es handelt sich hierbei nicht um von der Beklagten zu übernehmende Schülerfahrkosten im Sinne von § 97 Abs. 1 Satz 1 Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) in Verbindung mit der Verordnung zur Ausführung des § 97 Abs. 4 SchulG (Schülerfahrkostenverordnung -SchfkVO-). Hiernach hat die Beklagte die Übernahme der Kosten zu bewilligen, die für die Beförderung von Schülern von der Wohnung zur Schule und zurück notwendig entstehen.

Gemäß § 5 Abs. 2 SchfKVO entstehen Fahrkosten dann notwendig, wenn der Schulweg, d.h. der kürzeste Fußweg zwischen der Wohnung des Schülers und der nächstgelegenen Schule (§ 7 Abs. 1 SchfkVO), in der einfachen Entfernung für Schüler der Sekundarstufe I, die der Sohn K1. der Klägerin im laufenden und im vorangegangenen Schuljahr besucht bzw. besucht hat, mehr als 3,5 km beträgt. Dies ist hier unstreitig bei Benutzung des T4.-------pfads und nicht allein der W. Straße nicht der Fall. Von der Entfernung von 3,5 km für Schüler der Sekundarstufe I ist trotz Hinweises der Klägerin auf die zierliche Statur ihres Sohnes auszugehen, weil diese Entfernung auch für Schüler der unteren Klassen der Sekundarstufe I nicht als so groß erscheint, dass eine willkürliche Festlegung zu unterstellen ist, zumal der Festsetzung intensive Gespräche mit Kinderärzten vorausgingen und - zulässigerweise - dabei auch fiskalische Überlegungen eine Rolle spielen durften,

vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom 26.09.1996 - 19 A 5093/95 -, vom 03.11.1993 -16 A 2648/93- mit weiteren Nachweisen (m.w.N.), und vom 24.09.1986 -16 A 1700/85 -; VG Köln, Urteil vom 30.01.2008 - 10 K 2757/07 -.

Fahrkosten entstehen hier auch nicht notwendig gemäß § 6 Abs. 2 SchfkVO. Nach Satz 1 dieser Bestimmung entstehen unabhängig von der Länge des Schulweges Fahrkosten dann notwendig, wenn der Schulweg nach den objektiven Gegebenheiten besonders gefährlich oder nach den örtlichen Verhältnissen für Schüler ungeeignet ist. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 SchfkVO ist ein Schulweg insbesondere dann besonders gefährlich, wenn er überwiegend entlang einer verkehrsreichen Straße ohne Gehweg oder begehbaren Randstreifen führt, oder wenn eine verkehrsreiche Straße ohne besondere Sicherung für Fußgänger überquert werden muss. Dies trifft hier nicht zu. Die W. Straße und die T5. Straße werden jeweils mit Hilfe einer Verkehrsampel überquert.

Auch ansonsten ist der Schulweg nicht als besonders gefährlich im Sinne von § 6 Abs. 2 SchfkVO einzustufen. Zwar kann, wenn die Kriterien des § 6 Abs. 2 Satz 2 SchfkVO nicht erfüllt sind, ein Schulweg dennoch besonders gefährlich sein, wenn andere Gefahrenmomente auftreten. Der Begriff "gefährlich" ist allgemein als Wahrscheinlichkeit der Schädigung von Rechtsgütern wie Leben, Leib und körperliche und persönliche Unversehrtheit zu verstehen. Das zusätzliche Merkmal "besonders" umschreibt und verlangt eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Damit bringt der Verordnungsgeber zum Ausdruck, dass die üblichen Risiken, denen Schüler auf dem Weg zur Schule - insbesondere im modernen Straßenverkehr - ausgesetzt sind, schülerfahrkostenrechtlich unbeachtlich sein sollen. Nur wenn konkrete Umstände hinzutreten, die das Schadensrisiko als überdurchschnittlich hoch erscheinen lassen, soll unabhängig von der Länge des Schulwegs der Anspruch auf Fahrkostenerstatttung bestehen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8.3.2007 - 19 E 206/06 - und 16.11.1999 - 19 A 4395/96 -, juris, Rn 14, und Gemeindehaushalt, S. 40 ff; Urteil vom 18.04.1989 -16 A 2246/86-, Städte- und Gemeinderat 1990, S. 195f.

Eine in diesem Sinne besondere Gefährlichkeit des Schulwegs ergibt sich nicht daraus, dass der T.-------pfad auch durch landwirtschaftliche Fahrzeuge genutzt wird, wenn auch hierdurch gewisse Beeinträchtigungen bei der Nutzung des Wegs einhergehen. Auch die hier fehlende Straßenbeleuchtung führt nicht zu einer solchen besonderen Gefährlichkeit des Schulwegs. Es fehlen ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Sohn der Klägerin den Weg bei Dunkelheit nicht hinreichend sehen und etwaige Hindernisse nicht rechtzeitig erkennen kann. Das Risiko nicht gesehen zu werden, kann er zumutbar mit hellen bzw. reflektierenden Kleidungsstücken oder Reflektoren an Kleidung und Schultasche vermindern.

Der Schulweg ist hier auch nicht als besonders gefährlich im Sinne des § 6 Abs. 2 SchfkVO wegen einer Gefährdung durch kriminelle Übergriffe einzustufen. Eine die besondere Gefährlichkeit eines Schulweges begründende gesteigerte Wahrscheinlichkeit, dass ein Schulkind auf dem Schulweg Opfer von Gewalttaten werden könnte, ist dabei grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der betroffene Schüler zum Beispiel aufgrund seines Alters und/ oder seines Geschlechts zu einem risikobelasteten Personenkreis gehört und wenn er sich darüber hinaus auf seinem Schulweg in einer schutzlosen Situation befindet, insbesondere weil nach den örtlichen Verhältnissen eine rechtzeitige Hilfeleistung durch Dritte nicht zu erwarten ist,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.12.2010 - 19 A 762/08 -, Beschlüsse vom 8.3.2007 - 19 E 206/06 - und 21.11.2006 -19 A 4674/04-, juris, jeweils m.w.N..

Zwar gehört der Sohn der Klägerin zu dem in diesem Sinne risikobelasteten Personenkreis. Von einer schutzlosen Situation auf dem Schulweg kann aber nicht ausgegangen werden. Denn der Schulweg wird in dem maßgeblichen über den T.-------pfad führenden Abschnitt zu den üblichen Schulwegzeiten regelmäßig von Fahrradfahrern und auch von Fußgängern genutzt, die eine rechtzeitige Hilfeleistung durch diese hinreichend verlässlich erwarten lässt oder von vorneherein potentielle Straftäter abschreckt,

vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 28.12.2010 - 19 A 762/08 -, Beschluss vom 8.3.2007 - 19 E 206/06 -.

Nach den von der Beklagten durchgeführten Verkehrszählungen an vier Tagen im Juni 2010 und an drei Tagen im Januar 2011 ist ersichtlich, dass der T.-------pfad weiterhin während der Schulwegzeiten am Morgen, am Mittag und am Nachmittag von zahlreichen Fahrradfahrern befahren wie auch von Fußgängern genutzt wird und zwar auch in der dunkleren Jahreszeit und bei unangenehmen Witterungsverhältnissen in einem Umfang, der eine rechtzeitige Hilfeleistung und eine Abschreckung potentieller Täter erwarten lässt. Ein Rückgang in der Frequentierung des T1.-------pfades gegenüber den im Verfahren 10 K 6073/05 im März 2006 von der Beklagten vorgenommenen Verkehrszählungen ist nicht zu verzeichnen. Daher ergibt sich kein Anhalt für Zweifel am Vortrag der Beklagten, der T.-------pfad werde seit Jahren regelmäßig von Schülern aus T2. und T3. Busch als Schulweg genutzt. Der Umstand, dass die besonderen Witterungsverhältnisse mit Eis und Schnee während einiger Tage im Dezember 2010 wahrscheinlich dazu geführt haben, dass der Weg - wie viele andere Wege und Straßen seinerzeit auch - von Radfahrern und Fußgängern nicht genutzt wurde oder nicht genutzt werden konnte, führt nicht zur Annahme, dass der Schulweg besonders gefährlich wäre. Die Frage nach der besonderen Gefährlichkeit des Schulwegs ist typisierend zu beurteilen,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.12.2010 - 19 A 762/08

Es kommt daher auf die typischerweise - und nicht nur ausnahmsweise - vorliegenden Umstände an, die hier dazu führen, den Schulweg nicht als besonders gefährlich im Sinne des § 6 Abs. 2 SchfkVO einzustufen. Nichts anderes ergibt sich aus der Nachfrage der Beklagten bei der Polizei, der, wie in dem den Beteiligten bekannten und heute ebenfalls vor der Kammer verhandelten Verfahren 10 K 3781/10 vorgetragen, keine Vorfälle von kriminellen Übergriffen gegen Kinder auf diesem Weg bekannt sind. Im Hinblick darauf, dass die Erstattung von Schülerfahrkosten unter dem Gesichtspunkt der besonderen Gefährlichkeit im Sinne von § 6 Abs. 2 SchfkVO nach dem Willen des Verordnungsgebers erkennbar nur ausnahmsweise erfolgen soll, führt die leider letztlich nicht auszuschließende Möglichkeit, dass Dritte Übergriffe auf Schulkinder durchführen könnten, nicht bereits zur Annahme der - besonderen - Gefährlichkeit des Schulweges im Sinne der genannten Vorschrift.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.