BGH, Urteil vom 02.04.2014 - VIII ZR 19/13
Fundstelle
openJur 2014, 11647
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2012 aufgehoben.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 16. März 2012 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

Die Kläger haben die Kosten der Rechtsmittelverfahren einschließlich der Kosten der Streithilfe zu tragen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Kläger wohnten mit ihren Eltern von 1998 bis 2008 in einer von der Beklagten gemieteten Wohnung in Berlin. Der Fußboden der Wohnung bestand bei Mietbeginn aus asbesthaltigen Vinylplatten (sog. Flexplatten).

Nachdem sich der nach Nutzungsbeginn von den Eltern der Kläger über den Flexplatten verlegte Teppich Mitte des Jahres 2005 im vorderen Teil des Flurs gelockert hatte, entfernte der Vater der Kläger in diesem Bereich den Teppich und bemerkte, dass die unter dem Teppich befindlichen Flexplatten teilweise gebrochen waren und offene Bruchkanten aufw?esen. Der Vater der Kläger informierte die Beklagte Ende Juli 2005 über diesen Umstand, worauf die Beklagte der Streithelferin zu 1 am 5. August 2005 den Auftrag erteilte, die beschädigten Flexplatten auszutauschen. Dies geschah am Vormittag des 15. August 2005 durch den Streithelfer zu 2, einen Mitarbeiter der Streithelferin zu 1. Zu dieser Zeit waren die Kläger in der Schule. Als sie am Nachmittag in die Wohnung zurückkehrten, hatte der Streithelfer zu 2 die Wohnung bereits verlassen. Mitte September 2005 verlegte der Vater der Kläger über den ausgetauschten Flexplatten einen neuen Teppich. Die Eltern der Kläger wurden erst im Juni 2006 durch einen an alle Mieter gerichteten Serienbrief darüber informiert, dass die Flexplatten asbesthaltiges Material enthielten.

Die Kläger behaupten, der Streithelfer zu 2 habe die Arbeiten am 15. August 2005 unter Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften unsachgemäß durchgeführt. Insbesondere sei die Baustelle ungereinigt verlassen worden. Der vorhandene Staub sei erst von der Mutter der Kläger am Nachmittag des 15. August 2005 zusammengekehrt worden, als die Kläger bereits wieder in der Wohnung anwesend gewesen seien. Es müsse damit gerechnet werden, dass die Kläger im Zeitraum Juli 2005 bis September 2005, insbesondere durch die Vorgänge im Juli/August 2005, Asbestfasern aufgenommen hätten, die in der Folge schwere Gesundheitsschäden (Tumore) verursachen könnten.

Die Kläger nehmen die Beklagte auf Feststellung in Anspruch, dass diese verpflichtet ist, den Klägern alle materiellen und immateriellen Schäden, die ihnen aus der Gesundheitsgefährdung, die durch den Asbestkontakt in den Mieträumen in der Wohnung bereits entstanden sind und/oder als Spätfolgen noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

Das Amtsgericht hat die Feststellungsklage als zulässig angesehen, jedoch mangels Begründetheit abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und der Feststellungsklage stattgegeben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung (LG Berlin, ZMR 2013, 715) im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Feststellungsklage sei zulässig. Insbesondere sei das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, da mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, dass ein künftiger Schaden entstehen werde; Gewissheit über den Schadenseintritt müsse nicht bestehen. Ein Feststellungsinteresse bestehe nur dann nicht, wenn nach der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine gewisse, hinreichende Wahrscheinlichkeit für den künftigen Eintritt eines Schadens ausgeschlossen werden könne. Ein Schadenseintritt dürfe also weder ausgeschlossen noch unwahrscheinlich sein. Das Feststellungsinteresse bestehe darüber hinaus zum Zwecke der Hemmung der Verjährung von Ansprüchen.

Die Feststellungsklage sei auch begründet. Sollte ein Schaden entstehen, stünde den Klägern ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 535 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 278 BGB zu. Der Streithelfer zu 2 habe vorgeschriebene Sicherheitsvorschriften beim Austausch der Flexplatten missachtet. Durch die vom Streithelfer zu 2 unterlassene Staubbindung beim Entfernen der Flexplatten sei die konkrete Gefahr begründet worden, dass ungebundene Asbestfasern in die Luft gelangten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich Asbestfasern während der sechswöchigen Postsanierungsphase in der Lunge oder im Rippenfell der Kläger hätten festsetzen können, zumal die Kläger mit einem neu angeschafften Hund auf dem Boden getollt hätten. Auch müsse berücksichtigt werden, dass die gebrochenen Flexplatten zwischen dem Entfernen des Teppichs durch den Vater der Kläger Ende Juli 2005 bis zu deren Austausch am 15. August 2005 zehn Tage offen gelegen hätten.

Zwar habe der Sachverständige im Einzelnen erläutert, dass das Risiko des Auftretens einer tödlichen Tumorerkrankung für die Kläger "sehr gering" sei. Folglich sei die Verwirklichung des Risikos, also eine asbestverursachte Erkrankung aufgrund der Exposition der Kläger, eher unwahrscheinlich. Allerdings sei das Risiko durch den Sachverständigen auch nicht ausgeschlossen worden; die sachverständigen Ergänzungen zu dem schriftlichen Gutachten hätten ergeben, dass aufgrund der Exposition der Kläger die Möglichkeit einer Erkrankung das allgemeine Lebensrisiko übersteige.

Nicht maßgeblich könne sein, ob die Kläger bei einer viele Jahre später auftretenden Tumorerkrankung eine Kausalität zwischen der Asbestexposition im Jahr 2005 und der Erkrankung würden nachweisen können.

Soweit die Beklagte geltend mache, es sei nicht nachweisbar, ob eine zu einer späteren Erkrankung führende Asbestfaser aus dem ab Juli 2005 beginnenden Zeitraum, als der Vater der Kläger den alten Teppich im Flur entfernt habe, oder aus dem Zeitraum der Arbeiten am 15. August 2005 oder danach stamme, sei dies unerheblich. Bereits ab Juli 2005 habe die Beklagte für eine Gefahrverwirklichung einzustehen, weil sie die Eltern der Kläger nicht auf die Verwendung asbesthaltiger Flexplatten und die damit in Zusammenhang stehenden Gefahren hingewiesen habe.

II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Feststellungsklage bereits unzulässig. Die Kläger haben unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen nicht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung.

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der Beklagten im Zusammenhang mit dem von ihr in Auftrag gegebenen Austausch der asbesthaltigen Vinylplatten eine über § 278 BGB zurechenbare Pflichtverletzung ihrer Streithelfer zu 1 und 2 zur Last fällt, da der Streithelfer zu 2 während der Arbeiten in der Wohnung vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahmen unbeachtet gelassen hat. Auch ist die rechtliche Würdigung der Vorinstanzen, die Beklagte habe eine vertragliche Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dadurch verletzt, dass sie die Eltern der Kläger nach der im Juli 2005 erfolgten Anzeige, es lägen Flexplatten mit offenen Bruchkanten frei, nicht umgehend über die von den Platten möglicherweise ausgehenden Gefahren informierte, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dies stellt auch die Revision nicht in Frage.

2. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist hingegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Kläger hätten ein schützenswertes rechtliches Interesse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO an der begehrten Feststellung.

Es kann dabei offen bleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, die Zulässigkeit der Feststellungsklage setze eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür voraus, dass die Pflichtverletzung der Beklagten in Zukunft zu einem Gesundheitsschaden bei den Klägern führen werde.

Selbst wenn man für die Zulässigkeit der Feststellungsklage die bloße Möglichkeit eines durch die Pflichtverletzungen verursachten Schadenseintritts genügen lassen wollte (vgl. BGH, Urteile vom 16. Januar 2001- VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431 unter II 2; vom 20. Januar 2001 - VI ZR 325/99, NJW 2001, 3414 unter II 3; Beschluss vom 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06, NJW-RR 2007, 601 Rn. 5), ist die Zulässigkeit der Klage im Streitfall zu verneinen. Denn bei verständiger Würdigung besteht aus der Sicht der Kläger auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Sachverständigengutachtens kein Grund, mit einem Schaden "wenigstens zu rechnen" (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06, aaO mwN).

a) Das Berufungsgericht hat, gestützt auf die gutachterlichen Äußerungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, ausgeführt, dass die Verwirklichung des Risikos, an einem durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Tumor zu erkranken, "eher unwahrscheinlich" sei. Dennoch sei die Feststellungsklage (zulässig und) begründet, weil der Sachverständige ein aufgrund der Asbest-Exposition bestehendes Risiko, das geringfügig über dem allgemeinen Lebensrisiko liege, nicht ausgeschlossen habe.

b) Dem kann, wie die Revision zu Recht rügt, nicht gefolgt werden. Der Sachverständige, Professor für Arbeits- und Sozialmedizin, hat ausgeführt, dass das Risiko der Kläger, in Zukunft an einem Tumor zu erkranken, der auf die der Beklagten zurechenbaren Pflichtverletzungen zurückzuführen ist, zwar minimal über dem allgemeinen Lebensrisiko liege, jedoch aufgrund der anzunehmenden Exposition der Kläger mit Asbestfasern, die im Niedrigdosisbereich liege, als "sehr, sehr gering" anzusehen sei; mit einer Tumorerkrankung sei "nicht zu rechnen".

Bei dieser Sachlage müssen die Kläger bei verständiger Würdigung nicht mit der Möglichkeit des zukünftigen Eintritts eines durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Schadens rechnen.

c) Soweit sich das Berufungsgericht zur Stützung seiner Auffassung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 2011 (8 AZR 769/09, NZA-RR 2012, 290) beruft, ist der dort entschiedene Sachverhalt mit dem hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht vergleichbar. In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall war zwischen den Parteien unstreitig, dass der dort auf Feststellung der Schadensersatzpflicht klagende Geschädigte über ca. 100 Stunden während der Arbeitsverrichtung asbesthaltige Raumluft eingeatmet hat und dies zu Ablagerungen von Asbestfasern im Lungengewebe geführt hat; das Gebäude, in dem der Geschädigte Sanierungsarbeiten durchgeführt hatte, wurde geschlossen und die Arbeiten vom Gewerbeaufsichtsamt wegen Asbestbelastung eingestellt.

III.

Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Zurückweisung der Berufung der Kläger mit der Maßgabe, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

Dr. Frellesen Dr. Hessel Dr. Achilles Dr. Schneider Dr. Bünger Vorinstanzen:

AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 16.03.2012 - 219 C 271/09 -

LG Berlin, Entscheidung vom 21.12.2012 - 65 S 200/12 -