OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2014 - IV-2 RBs 2/14
Fundstelle
openJur 2014, 9297
  • Rkr:

Leitsatz

BNatSchG §§ 26, 59 Abs. 1, 60

LandschaftsG NRW §§ 16, 21, 49 Abs. 1, 70 Abs. 1 Nr. 2

OWiG § 11 Abs. 2

Zur Überprüfung eines freisprechenden Urteils im Rechtsbeschwerdeverfahren, wenn der Betroffene auf seinem in einem Landschaftsschutzgebiet gelegenen Grundstück eine Kopfweidenreihe, die nach dem Landschaftsplan in ihrem Bestand nachhaltig zu sichern war, ohne behördliche Genehmigung beseitigt hat und sich zur Rechtfertigung der Handlung auf seine Verkehrssicherungspflicht beruft.

OLG Düsseldorf, 2. Senat für Bußgeldsachen

Beschluss vom 25. April 2014, IV-2 RBs 2/14

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Mönchengladbach zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Kreis V. hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 11. April 2012 eine Geldbuße von 8.000 Euro festgesetzt. In dem Bußgeldbescheid wird dem Betroffenen zur Last gelegt, auf seinem landwirtschaftlichen Grundstück Gemarkung B. ... entgegen dem im Landschaftsplan Nr. 2 ... angeordneten Verbot 22 Kopfweiden, die in ihrem Bestand nachhaltig zu sichern waren, vollständig beseitigt zu haben.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (§ 79 Abs. 6 OWiG).

1.

Das Amtsgericht hat das nicht mit Gründen versehene Protokollurteil aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben und der Staatsanwaltschaft, die an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatte, zum Zwecke der Zustellung "gemäß § 46 Absatz 1 OWiG, § 41 StPO" übersandt. Auch wenn die Staatsanwaltschaft - was das Amtsgericht übersehen hat - vor der Hauptverhandlung ausdrücklich beantragt hatte, das Urteil bei Freispruch schriftlich zu begründen (§ 77b Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 OWiG), und deshalb eine Zustellung des Protokollurteils verfehlt war, konnte und musste das Amtsgericht die schriftlichen Urteilsgründe auf die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsbeschwerde gemäß § 77b Abs. 2 OWiG innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO nachholen (vgl. BGHSt 43, 22 = NJW 1997, 1862; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 77b Rdn. 4).

2.

Der Freispruch des Betroffenen unterliegt indes der Aufhebung, weil auch die - in zulässiger Weise nachgeholten - Urteilsgründe nicht den Anforderungen gerecht werden, die nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.

Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen müssen die Urteilsgründe so abgefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Daher hat der Tatrichter nach dem Tatvorwurf in einer geschlossenen Darstellung grundsätzlich zunächst diejenigen Tatsachen zu bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (vgl. BGH NStZ 1990, 448, 449; wistra 1996, 70; NStZ-RR 2008, 206; NStZ-RR 2010, 182). Diese Grundsätze gelten auch für ein freisprechendes Urteil im Bußgeldverfahren (vgl. OLG Bamberg VRS 114, 456; DAR 2013, 282). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt worden ist.

Da in dem schriftlichen Urteil tatsächliche Feststellungen zum Tatgeschehen nicht ausgewiesen sind und sich dazu in den bewertenden Ausführungen lediglich Fragmente finden, ist der Freispruch aus den Urteilsgründen selbst heraus nicht nachvollziehbar und nicht überprüfbar. Bereits dieser Darstellungsmangel zwingt zur Aufhebung des Urteils.

Die Begründung des Freispruchs beschränkt sich im Wesentlichen auf die Aussage, dass nicht mehr feststellbar gewesen sei, welche der 22 beseitigten Kopfweiden "konkret nicht mehr standsicher" gewesen seien, und der Betroffene im Rahmen der ihn als Grundstückseigentümer treffenden Verkehrssicherungspflicht berechtigt gewesen sei, die nicht mehr standsicheren Bäume zu entfernen. Daher fehle es auch am subjektiven Tatbestand.

a) Es wäre im Rahmen einer geschlossenen Darstellung des Sachverhaltes angezeigt gewesen, grundlegend zunächst die maßgeblichen Festsetzungen des Landschaftsplans Nr. 2 ... mitzuteilen. Daran fehlt es hier. Da der Landschaftsplan, der im Amtsblatt des Kreises V. bekanntgemacht worden ist, die Rechtsnatur einer kommunalen Satzung hat (§ 16 Abs. 2 Satz 1 LandschaftsG NRW), handelt es sich bei den Festsetzungen indes um Rechtsnormen, von deren Inhalt sich der Senat selbst Kenntnis verschaffen kann und muss.

Nach dem Landschaftsplan ist das betroffene Grundstück Bestandteil des Landschaftsschutzgebietes 1.2.1 ... Die beseitigten Bäume sind unter der Gebotsfestsetzung ... als in ihrem Bestand nachhaltig zu sichernde Kopfweidenreihe ausgewiesen. Gemäß Nr. 1.2.a.5 der textlichen Festsetzungen ist es in dem Landschaftsschutzgebiet verboten, Einzelbäume, Baumgruppen und -reihen, Feldhecken sowie Feld- und Ufergehölze zu beseitigen, zu beschädigen oder in ihrem Bestand zu gefährden. In Nr. 1.2.d der textlichen Festsetzungen ist bestimmt, dass ordnungswidrig im Sinne des § 70 LandschaftsG NRW handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die festgesetzten Verbote verstößt (genauer wäre ein Verweis auf § 70 Abs. 1 Nr. 2 LandschaftsG NRW). Unberührt von den Verboten bleiben gemäß Nr. 1.2.c.3 der textlichen Festsetzungen Maßnahmen, soweit sie bei Gefahr im Verzuge unabweisbar notwendig sind.

Kann das Rechtsbeschwerdegericht mithin die rechtlichen Grundlagen anhand des Landschaftsplans auch ohne tatrichterliche Feststellungen nachvollziehen, gilt dies nicht für die Gegebenheiten der konkreten Örtlichkeit, zu der das angefochtene Urteil die erforderliche Beschreibung vermissen lässt. Mangels Verweises nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO kann der Senat auch nicht auf bei den Akten befindliche Lichtbilder und Lagepläne zurückgreifen.

b) Den Inhalt des Bußgeldbescheides hat das Rechtsbeschwerdegericht bei der Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen zur Kenntnis zu nehmen (vgl. OLG Hamburg wistra 1998, 278; OLG Bamberg DAR 2013, 282). Die fehlenden tatrichterlichen Feststellungen können bei der Überprüfung des Freispruchs jedoch nicht durch den von der Verwaltungsbehörde zugrunde gelegten Sachverhalt ersetzt werden. Allerdings sind dem Bußgeldbescheid entscheidungserhebliche Umstände zu entnehmen, die das Amtsgericht weder festgestellt noch bei dem Freispruch erörtert hat.

So geht aus dem Bußgeldbescheid hervor, dass die Kopfweidenreihe rechtwinklig angeordnet war, wobei 16 Kopfweiden in einer Reihe zwischen zwei Ackerparzellen des Betroffenen ("inmitten der Ackerfläche") und sechs Kopfweiden entlang des Weges W. standen. Aus diesen Standorten können sich für die beiden Teilreihen unterschiedliche Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht ergeben (dazu II.3.b).

Dem Bußgeldbescheid ist ferner zu entnehmen, dass der Betroffene mit Schreiben vom 24. Februar 2011 eine Fällgenehmigung (allein) für die 16 Kopfweiden auf der Ackerfläche beantragt hatte. Bei dem Ortstermin vom 17. März 2011 habe er den Antrag damit begründet, dass diese Kopfweidenreihe die gemeinsameBewirtschaftung der benachbarten Ackerparzellen behindern würde. Der Kreis V. hat die beantragte Fällgenehmigung mit Bescheid vom 31. Mai 2011 versagt. Die Beseitigung sämtlicher 22 Kopfweiden erfolgte erst Ende Januar 2012. Zu der Vorgeschichte und dem zeitlichen Ablauf findet sich in dem angefochtenen Urteil nichts, obwohl diese Umstände für die Beurteilung des subjektiven Tatbestandes vor dem Hintergrund der von dem Betroffenen als Rechtfertigungsgrund geltend gemachten Verkehrssicherungspflicht relevant sind. Auch bleibt offen, ob der Versagungsbescheid bestandskräftig geworden ist oder ob der Betroffene dagegen verwaltungsgerichtliche Klage erhoben hat. Die vorgenannten Darlegungslücken verdeutlichen, dass das angefochtene Urteil mangels tatrichterlicher Feststellungen keine Grundlage für die Überprüfung des Freispruchs bietet.

3.

Sachlichrechtlich fehlerhaft sind zudem die Ausführungen des Amtsgerichts zur Frage der Verkehrssicherungspflicht, auf die sich der Betroffene in dem Bußgeldverfahren zur Rechtfertigung der Beseitigung der 22 Kopfweiden berufen hat.Dazu heißt es in dem angefochtenen Urteil:

"Es ließ sich ... nicht mehr feststellen, welche der Bäume konkret nicht mehr standsicher waren. Der Betroffene war berechtigt und im Rahmen der ihn als Grundstückseigentümer treffenden Verkehrssicherungspflicht verpflichtet, die nicht mehr standsicheren Bäume zu entfernen. Die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich von Gefahrenquellen trifft jeden Grundstückseigentümer. Dieses giltauch hinsichtlich der Standfestigkeit von Bäumen. Lediglich in Wäldern ist diese Verkehrssicherungspflicht bezüglich typischer Gefahren des Waldes für den Waldeigentümer eingeschränkt (vgl. z.B. Saarländisches Oberlandesgericht AUR 2012, 215-220). Die hier in Rede stehenden Bäume standen jedoch auf einem freien Feld und nicht in einem Wald. Die Verkehrssicherungspflicht gilt daher für den Betroffenen uneingeschränkt."

a) Diese rechtliche Bewertung ist unzutreffend und lässt jegliche Befassung mit den einschlägigen gesetzlichen Normen vermissen. Für das Betreten der freien Landschaft und die Haftung des Grundstückseigentümers wegen Verletzung derVerkehrssicherungspflicht gelten gesetzliche Regelungen, die inhaltlich mit § 14 Abs. 1 BWaldG vergleichbar sind (vgl. BGHZ 195, 30, 40 = NJW 2013, 48, 51).

Nach § 60 BNatSchG ("Haftung") erfolgt das - gemäß § 59 Abs. 1 BNatSchG zum Zwecke der Erholung gestattete - Betreten der freien Landschaft auf eigeneGefahr (Satz 1). Durch die Betretungsbefugnis werden keine zusätzlichen Sorgfalts- oder Verkehrssicherungspflichten begründet (Satz 2). Es besteht insbesondere keine Haftung für typische, sich aus der Natur ergebende Gefahren (Satz 3). Die Klausel "auf eigene Gefahr" in § 60 Satz 1 BNatSchG weist das Risiko eines beim Betreten der freien Landschaft entstandenen Gesundheits- oder Vermögensschadens grundsätzlich dem Betretenden zu und entlastet damit den Grundstückseigentümer, der zur Duldung des Betretens durch die Allgemeinheit verpflichtet ist (vgl. Fischer-Hüftle in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl., § 60 Rdn. 4; Kraft in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 1. Aufl., § 60 Rdn. 3).

Ebenso bestimmt § 49 Abs. 1 LandschaftsG NRW, dass in der freien Landschaft das Betreten der privaten Wege und Pfade, der Wirtschaftswege sowie der Feldraine, Öd- und Brachflächen und anderer landwirtschaftlich nicht genutzterFlächen zum Zwecke der Erholung auf eigene Gefahr gestattet ist. Daraus folgt auch landesrechtlich, dass dem Grundstückseigentümer aus der Betretungsbefugnis keine zusätzlichen Haftungsverpflichtungen erwachsen (vgl. Stollmann/Kämper, Landschaftsgesetz NRW, Stand: Dezember 2010, § 49 Anm. 1.6).

Zu den naturtypischen Gefahren im Sinne des § 60 Satz 3 BNatSchG gehören in der freien Landschaft alle gefährlichen Zustände, die sich aus der Natur oder der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung unter Beachtung der jeweiligen Zweckbestimmung mehr oder minder zwangsläufig ergeben. Aus der Natur ergibt sich ein solcher Zustand, wenn er auf einen natürlichen, vom Menschen jedenfalls im Wesentlichen unbeeinflussten Prozess zurückzuführen ist. Demnach zählen zu den naturtypischen Gefahren in der freien Landschaft auch solche, die von umstürzenden Bäumen und Astabbruch ausgehen (vgl. Gellermann in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Band II, Stand: August 2013, § 60 BNatSchG Rdn. 10; Kraft in: Lütkes/Ewer a.a.O. § 60 Rdn. 12). Nicht anders als im Wald sind in den geschützten Teilen von Natur und Landschaft (hier: Landschaftsschutzgebiet) auch Bäume mit instabilen oder beschädigten Stämmen, morschen oder gebrochenen Ästen, Totholz, Pilzbefall und dergleichen typische Bestandteile des natürlichen Ökosystems (vgl. Agena NuR 2005, 223, 226).

Im Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass die von dem Betroffenen zur Rechtfertigung seines Handelns angeführte Verkehrssicherungspflicht im Verhältnis zu Personen, die seinen privaten Grundbesitz betreten, nach Maßgabe des § 60 Satz 3 BNatSchG zu beurteilen ist, wonach grundsätzlich keine Haftung für typische, sich aus der Natur ergebende Gefahren besteht.

b) Die Nutzung von öffentlichen Straßen und Wegen, die in der freien Landschaft liegen, richtet sich nicht nach § 59 Abs. 1 BNatSchG, sondern allein nach dem durch die Widmung bestimmten straßenrechtlichen Gemeingebrauch (vgl. Kraft in: Lütkes/Ewer a.a.O. § 59 Rdn. 13). Der Eigentümer des an eine öffentliche Verkehrsfläche angrenzenden Wald- oder Baumgrundstücks ist verpflichtet, schädliche Einwirkungen auf die Verkehrsteilnehmer durch umstürzende Bäume zu vermeiden (vgl. BGH VersR 1974, 88; OLG Frankfurt NVwZ 1983, 699; OLGKoblenz NZV 1990, 391). Damit gelten in den geschützten Teilen von Natur und Landschaft für Eigentümer von Bäumen, die im Fallbereich einer öffentlichen Straße stehen, die gleichen Verkehrssicherungspflichten wie für den Straßenbaulastträger (vgl. Söhnlein in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 1. Aufl., § 60 Rdn. 7; Agena NuR 2003, 654, 655).

Sollte es sich bei dem Weg W. um eine öffentliche Straße im Sinne des § 2 Abs. 1 StrWG NRW handeln, unterfielen die sechs Kopfweiden, die im Fallbereich dieses Weges standen, mit Rücksicht auf die Verkehrsteilnehmer nicht der Haftungsbeschränkung des § 60 Satz 3 BNatSchG, sondern es war im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht auch naturtypischen Gefahren Rechnung zu tragen. Das Amtsgericht wird in diesem Zusammenhang den Rechtscharakter des Weges W. festzustellen haben, was bisher unterblieben ist.

c) Dem angefochtenen Urteil ist die Einlassung des Betroffenen zu entnehmen, dass er "häufiger auf dem Grundstück spielende Kinder beobachtet" habe. Ohne tatrichterliche Feststellungen zu diesem Vorbringen, das inhaltlich ohnehin unbestimmt ist, hat das Amtsgericht daran anknüpfend die Aussage getroffen, dass die nicht mehr standsicheren Bäume "zum Schutz spielender Kinder" entfernt werden mussten.

Diese pauschale Bewertung lässt außer Acht, dass die - von dem Amtsgericht nicht erörterten - Regelungen des § 60 Satz 2 u. 3 BNatSchG, wonach durch die Betretensbefugnis keine zusätzlichen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten begründet werden und keine Haftung für naturtypische Gefahren besteht, grundsätzlich auch für Kinder gelten, die sich in der freien Landschaft aufhalten. Erst recht gilt dies bei einem Verhalten, das die Betretungsbefugnis überschreitet und den Zielen des Natur- und Landschaftsschutzes zuwiderläuft. So ist das Klettern auf Bäume nicht mehr von der Betretungsbefugnis gedeckt, da hierdurch Schäden an den Bäumen entstehen können und die dort lebende Fauna gestört wird.

Hiervon abweichend können Schutzmaßnahmen gegen naturtypische Gefahren allenfalls dann verlangt werden, wenn gefahrenträchtige Teile von Natur und Landschaft einen besonderen Anreiz für den kindlichen Spieltrieb bieten. Auf die Anreizfunktion stellt wesentlich auch sonst die Rechtsprechung zur allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gegenüber Kindern ab, die - auch bei unbefugtem Verhalten - vor den Folgen ihrer Unbesonnenheit und Unerfahrenheit zu schützen sind (vgl. BGH NJW 1975, 108, 109; NJW-RR 1989, 219, 220; NJW 1995, 2631).

In dem Landschaftsschutzgebiet befinden sich zahlreiche Bäume und Baumgruppen. Es kann tatsächlich nie ausgeschlossen werden, dass Kinder in deren Nähe spielen oder gar auf Bäume klettern und sich dadurch naturtypischen Gefahren aussetzen. Im Normalfall ergeben sich daraus für den Grundstückseigentümer keine zusätzlichen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten. Dass demgegenüber die Kopfweidenreihe auf dem Grundstück des Betroffenen einen besonderen Anreiz für den kindlichen Spieltrieb bot und faktisch wie ein als solcher angelegter Naturspielplatz oder gar als Klettergarten benutzt wurde, ist tatrichterlich nicht festgestellt und wäre ohne nähere Darlegung der Beweisumstände auch nicht nachvollziehbar.

d) Auch wenn unter den genannten - ggf. tatrichterlich festzustellenden - Voraussetzungen trotz der Haftungsbeschränkung des § 60 Satz 3 BNatSchG zum einen mit Rücksicht auf spielende Kinder und zum anderen mit Rücksicht auf die Benutzer des angrenzenden Weges W. wegen naturtypischer Gefahren Handlungsbedarf im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht bestanden haben kann, ist zu beachten, dass der Betroffene gemäß Nr. 1.2.c.3 der textlichen Festsetzungen des Landschaftsplanes nur solche Maßnahmen, die wegen Gefahr im Verzuge unabweisbar notwendig waren, ohne Befreiung von den Verboten ergreifen durfte. Gegen die materielle Rechtmäßigkeit dieser satzungsmäßigen Bestimmung bestehen keine Bedenken. Denn ohne gesteigerte Gefahrenlage ist es dem Grundstückseigentümer im Interesse des Landschaftsschutzes zumutbar, eine Fällgenehmigung zu beantragen und die objektive Notwendigkeit des Eingriffs in einem Verwaltungsverfahren prüfen zu lassen.

Zwar führt die behördliche Versagung der Fällgenehmigung für in einem Landschaftsschutzgebiet stehende Bäume nicht dazu, dass die Verkehrssicherungspflicht von dem Grundstückseigentümer auf die Landschaftsschutzbehörde übergeht. Jedoch haftet die Landschaftsschutzbehörde - auch für Schäden Dritter - wegen Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB), wenn sie eine Fällgenehmigung, die aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht hätte erteilt werden müssen, pflichtwidrig verweigert hat (vgl. OLG Hamm NZV 1994, 27; Günther NuR 1994, 373, 375; Hötzel VersR 2004, 1234, 1238 f.).

Der neue Tatrichter wird in objektiver Hinsicht zu prüfen haben, ob die Beseitigung der 22 Kopfweiden wegen Gefahr im Verzuge unabweisbar notwendig war. Dagegen könnte sprechen, dass der Betroffene nach dem - allein die 16 Kopfweiden auf der Ackerfläche betreffenden - Fällantrag vom 24. Februar 2011 und dessen Ablehnung mit Bescheid vom 31. Mai 2011 noch längere Zeit verstreichen ließ, bevor auf seine Veranlassung schließlich sämtliche 22 Kopfweiden Ende Januar 2012 ohne Genehmigung beseitigt wurden. Auch drängt sich nicht auf, dass gerade mitten im Winter eine gesteigerte Gefahrenlage aufgrund im Bereich der Kopfweiden spielender oder gar auf die Bäume kletternder Kinder bestanden hat.

e) Sollte sich ergeben, dass der Betroffene objektiv nicht berechtigt war, die geschützten Bäume ohne behördliche Genehmigung zu beseitigen, wird sich die Frage stellen, wie ein etwaiger Irrtum über die Erforderlichkeit der Genehmigung rechtlich zu bewerten ist.

Bei einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt liegt im Irrtum über die Genehmigungsbedürftigkeit bereits ein Tatbestandsirrtum. Denn in diesem Fall ist das Fehlen der erforderlichen Erlaubnis Tatbestandsmerkmal. Einen Rechtfertigungsgrund stellt die behördliche Erlaubnis dagegen dar, wenn ein grundsätzlich wertwidriges Verhalten, das an sich verboten ist, im Einzelfall aufgrund einer Interessenabwägung zugelassen werden kann (repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt). Im zweiten Fall stellt der Irrtum, keiner Erlaubnis zu bedürfen, einen Verbotsirrtum dar (vgl. OLG Celle NJW 2004, 3790; OLG Hamm BeckRS 2008, 07693; KK-Rengier, OWiG, 3. Aufl., § 11 Rdn. 117).

Da die Beseitigung von Bäumen, die aufgrund eines Landschaftsplans in ihrem Bestand nachhaltig zu sichern waren, dem besonderen Schutzweck schlechthinzuwiderläuft, kommt vorliegend allein ein Verbotsirrtum in Betracht, der den Vorsatz unberührt lässt (§ 11 Abs. 2 OWiG). Holt der Betroffene vor der ungenehmigten Baumfällung keine zuverlässigen Auskünfte ein, ist ein solcher Verbotsirrtum regelmäßig vermeidbar (vgl. OLG Düsseldorf [1. Senat für Bußgeldsachen] NStZ 1981, 444). Die Hinzuziehung eines Forstunternehmers genügte für die rechtliche Beurteilung nicht.

III.

Über den Wortlaut des § 79 Abs. 6 OWiG hinaus kann das Rechtsbeschwerdegericht die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverweisen (vgl. Göhler-Seitz a.a.O. § 79 Rdn. 48 m.w.N.). Von dieser Möglichkeit hat derSenat Gebrauch gemacht, da die Überprüfung des Tatvorwurfs durch einen neuen Tatrichter sachgerecht erscheint.

Zitate31
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte