OLG Bamberg, Beschluss vom 18.03.2014 - 3 Ss OWi 274/14
Fundstelle
openJur 2014, 8744
  • Rkr:

Die von den Gerichten im Interesse der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen zu beachtende Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV gilt auch für die Dauer des aufgrund einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 (1.Alternative) StVG verwirkten Regelfahrverbots (Festhaltung u.a. OLG Bamberg zfs 2006, 533 ff. = DAR 2006, 515 f. = VRR 2006, 230 ff. = VRS 111, 62 ff. und OLG Bamberg DAR 2009, 401 f. = VerkMitt 2009, Nr. 63 = VRR 2009, 309 f. = OLGSt StVG § 25 Nr. 46).

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird dasUrteil des Amtsgerichts vom 29. November 2013 mit denFeststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgerichtzurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den bislang verkehrsrechtlich unbelastetenBetroffenen wegen einer am 17.07.2013 als Führer eines Pkwinnerhalb geschlossener Ortschaften begangenen fahrlässigenÜberschreitung der dort gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVOzulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 55 km/h zu einerGeldbuße von 560 Euro verurteilt und gegen ihn ein mit derAnordnung nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG verbundenes Fahrverbot fürdie Dauer von einem Monaten verhängt. Mit ihrerRechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzungmateriellen Rechts. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht gegen denBetroffenen nicht entsprechend dem Bußgeldbescheid vom 08.08.2013gemäß §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 [1. Alternative], 26 a StVG i.V.m. §4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 der Tabelle 1c zumBKat neben der dort vorgesehenen Geldbuße von 280 Euro einRegelfahrverbot für die Dauer von zwei Monaten verhängthat. Die zur Rechtsmittelbegründung der Staatsanwaltschaftabgegebene Gegenerklärung der Verteidigung lag dem Senat vor.

II.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG) sowie auch imÜbrigen zulässige und wegen der in der Hauptverhandlung vom29.11.2013 wirksam erklärten Einspruchsbeschränkung auf denRechtsfolgenausspruch (§ 67 Abs. 2 OWiG) nur noch diesenbetreffende Rechtsbeschwerde erweist sich - zumindest vorläufig -als begründet.

1. Das Amtsgericht hat zutreffend erkannt, dass aufgrund derrechtskräftigen Feststellungen des Bußgeldbescheids gemäß §§ 24, 25Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 26 a StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 der Tabelle 1c zum BKat neben der Anordnungeiner Geldbuße in Höhe von 280 Euro an sich die Verhängung einesRegelfahrverbots für die Dauer von zwei Monaten wegen groberVerletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betrachtkam. Allerdings hält die Begründung, aufgrund derer sich dasAmtsgericht abweichend von dem an sich verwirkten Regelfahrverbotvon zwei Monaten zur Verhängung eines Fahrverbots für die Dauerlediglich eines Monats veranlasst gesehen hat, einer rechtlichenÜberprüfung nicht stand.

2. Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtendenVorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist dasVorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1Satz 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung einesFahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (BGHSt38, 125/130 und 231/235; BayObLG VRS 104, 437/438; ständige Rspr.des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient derGleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeitund Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstößeausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284/285). Zu diesenRechtsfolgen zählt jedoch nicht nur die Frage, ob gegen einenBetroffenen „in der Regel“ ein Fahrverbot zuverhängen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV), sondern auch, wie sich aus§ 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV ergibt, die „in derRegel“ festzusetzende Dauer des aufgrund einer grobenVerletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von §25 Abs. 1 Satz 1 StVG verwirkten Fahrverbots (OLG Bamberg,Beschlüsse vom 11.04.2006 – 3 Ss OWi 354/06 = zfs 2006, 533ff. = DAR 2006, 515 f. = VRR 2006, 230 ff. = VRS 111, 62 ff. undvom 18.03.2009 – 3 Ss OWi 196/09 = DAR 2009, 401 f. =VerkMitt 2009, Nr. 63 = VRR 2009, 309 f. = OLGSt StVG § 25 Nr. 46,jeweils m.w.N.).

3. Ebenso wie von der Verhängung eines Regelfahrverbots nur danngänzlich abgesehen werden kann, wenn wesentliche Besonderheiten inder Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen anzunehmen sindund deshalb der vom Bußgeldkatalog erfasste Normalfall nichtvorliegt, ist der Tatrichter vor einer Verkürzung der imBußgeldkatalog vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots gehalten zuprüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, dieausnahmsweise die Abkürzung rechtfertigen können und daneben eineangemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinenlassen. Hier wie dort können dabei sowohl außergewöhnliche Härtenals auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastenderUmstände genügen, um eine Ausnahme zu rechtfertigen (OLG Bamberga.a.O. m.w.N.).

4. Auch die Frage der Dauer eines zu verhängenden Fahrverbotsliegt hierbei grundsätzlich im Verantwortungsbereich desTatrichters, der innerhalb des ihm eingeräumtenBewertungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßenErmessen zu treffen hat. Seine Entscheidung kann vomRechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ober sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er dieanzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessensdurch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach denGrundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. InZweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung desTatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbsthinsichtlich der Frage der Fahrverbotsdauer zu einem abweichendenErgebnis gelangte.

5. Den vorstehenden Anforderungen wird das angegriffene Urteilhier nicht gerecht:

a) Zwar hat sich das Amtsgericht auch hinsichtlich der Frage derFahrverbotsdauer zu Recht mit den unmittelbaren und mittelbarenberuflichen und wirtschaftlichen Folgen eines zweimonatigenFahrverbots für den Betroffenen, der neben seiner Beschäftigung alsArbeitnehmer im Schichtdienst zusammen mit seiner Ehefrau und mitUnterstützung einer Aushilfskraft einen Döner-Imbiss betreibt,auseinandergesetzt, nachdem der Betroffene bestimmte, gerade voneinem die Mindestdauer von einen Monat überschreitenden Fahrverbotausgehende Konsequenzen für seine selbständige Existenz geltendgemacht hat. Die Befassung hiermit gebot das mit Verfassungsrangausgestattete rechtsstaatliche Übermaßverbot (OLG Bamberga.a.O.).

b) Allerdings verdeutlichen die Urteilsgründe schon nicht, warumder Betroffene zwar ein einmonatiges Fahrverbot„irgendwie überbrücken“ könnte, bei einemFahrverbot von zwei Monaten Dauer aber „hierfür keineMöglichkeit“ mehr bestehen sollte. Unklar bleibt ferner,warum der nach den Feststellungen gewissermaßen ‚rund um dieUhr‘ arbeitende Betroffene selbst unter Berücksichtigung desfür sich genommen nicht aussagekräftigen Restschuldenstandes ausder selbständigen Existenzgründung sowie den angegebenen Arbeits-und Öffnungszeiten seines Imbisses nicht aufgrund seinerregelmäßigen Einkünfte als Arbeitnehmer für einen wenigstensteilweisen Ausgleich für den überschaubaren Zeitraum von zweiMonaten sorgen könnte, so dass die durch die Fahrverbotsdauereintretenden Erschwernisse noch als hinnehmbar anzusehen wären.Auch sonst zeigen die Urteilsgründe keine hinreichend konkretenGründe auf, die für sich allein oder in ihrer Zusammenschau eineAbkürzung der Regelfahrverbotsdauer von zwei Monaten auf nur einenMonat unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes rechtfertigenkönnten.

c) Schließlich erweisen sich die Zumessungsgründe desAmtsgerichts deshalb als unzureichend, weil das Amtsgericht zwardie vom Betroffenen geltend gemachten beruflichen undwirtschaftlichen Folgen eines zweimonatigen Fahrverbots zu Rechtals möglichen „Härtefall“ bedacht, dieentsprechenden Angaben des Betroffenen, es drohe bei Verhängungeines zweimonatigen Fahrverbots der Verlust seiner selbständigenExistenz aber offenbar ungeprüft übernommen hat.

(aa) Es entspricht ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung,dass ein im Einzelfall mit durchaus guten Gründen als„glaubwürdig“ erscheinender Vortrag vomTatrichter gleichwohl kritisch zu hinterfragen ist, um dasmissbräuchliche Behaupten eines Ausnahmefalles auszuschließen.Zugleich wird das Rechtsbeschwerdegericht nur so in die Lageversetzt, die Rechtsanwendung nachzuprüfen. Dies ist hier zumindestnicht mit der gebotenen Sorgfalt geschehen. Denn anhand derUrteilsgründe vermag der Senat schon im Ansatz nicht zu übersehen,ob die Feststellungen und Wertungen des Amtsgerichts zur konkretenAusgestaltung der selbständigen Tätigkeit des Betroffenen auf einerhinreichend tragfähigen Grundlage beruhen. Insbesondere fehlenFeststellungen zur konkreten Einkommens- und Vermögenslage desBetroffenen, so dass beispielsweise vollständig offen bleibt, obund gegebenenfalls warum der Betroffene unter Berücksichtigungseiner finanziellen Gesamtsituation gerade aufgrund der einen Monatübersteigenden Fahrverbotsdauer tatsächlich seinen Imbissstandnicht mehr weiter betreiben könnte. Vielmehr erscheint eine konkretexistenzbedrohende Wirkung eines – wenn auch zweimonatigen– Fahrverbots - aufgrund der bisherigen Feststellungen wenigplausibel.

(bb) Wird wegen der drohenden Verhängung eines Fahrverbots oder– wie hier – seiner Dauer eine existenzielleBetroffenheit geltend gemacht, ist bei Selbständigen, Handwerkernoder Freiberuflern die Vorlage hinreichend aussagekräftigerUnterlagen wie Bilanzen, Kontounterlagen, Steuerbescheide oderGewinnermittlungen grundsätzlich unabdingbar. Offenbar hat dasAmtsgericht jedoch bislang insoweit, etwa auch durchzeugenschaftliche Einvernahme des betrieblichen Steuerberaters oderdurch Verlesung der vorgenannten oder vergleichbarer Unterlagen imWege des Urkundenbeweises, noch gar keinen Beweis erhoben.

(cc) Hinzu kommt schließlich, dass sich das Amtsgerichtunzureichend damit auseinander gesetzt hat, weshalb es demBetroffenen auch wegen des nach Sachlage (wiederum) zu gewährendenVollstreckungsaufschubs nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG tatsächlichnicht möglich und zumutbar sein sollte, den Beginn des Fahrverbotsinnerhalb des zeitlichen Rahmens von vier Monaten zumindestteilweise auf einen ihm günstigeren Zeitpunkt zu legen und dadurchsowie durch weitere und dann durchaus zumutbareAusgleichsmaßnahmen, etwa der vorübergehende Einstellung einesFahrers, die Folgen des zweimonatigen Fahrverbotes wenigstens soweit abzumildern, dass die Gefahr einer Existenzvernichtungabzuwenden wäre. Allein mit dem Hinweis, dass weder die Ehefrau desBetroffenen noch die Aushilfskraft eine Fahrerlaubnis besitzen,durften auch diese Fragen nicht unbeantwortet bleiben.

(dd) Dass der Betroffene angibt, zur Gewerbeausübung, namentlichzur regelmäßigen Bestückung seines Imbisses mit frischenLebensmitteln – im Ergebnis nicht anders wie jeder abhängigbeschäftigte Berufskraftfahrer – auf höchstmögliche Mobilitätund Flexibilität angewiesen zu sein, könnte ein Abweichen vomFahrverbot im Übrigen selbst dann nicht rechtfertigen, wenn demBetroffenen aufgrund eines uneingeschränkten und„Schuldeinsicht“ belegenden Tatgeständnissesoder seines konkreten Verteidigungsverhaltens in Gestalt derEinspruchsbeschränkung oder eines in der Hauptverhandlunghinterlassenen positiven persönlichen Eindrucks eine günstigePrognose hinsichtlich seines künftigen Verkehrsverhaltenszugebilligt werden könnte.

Nach alledem kann der Senat nicht ausschließen, dass dasAmtsgericht seinen Feststellungen einseitig die Angaben desBetroffenen und diese im Ergebnis ohne hinreichende Ausschöpfungsonstiger Beweismittel nur einer an der Oberfläche verbleibendenPlausibilitätsprüfung unterzogen hat. Dies genügt den aus § 267Abs. 3 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG resultierendensachlich-rechtlichen Anforderungen an die Abfassung derUrteilsgründe regelmäßig nicht.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist daher dasangefochtene Urteil aufzuheben; wegen der Wechselwirkung zwischenFahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung nicht nur dieFahrverbotsanordnung, sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruchmit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1OWiG, § 353 StPO).

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch überdie Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgerichtzurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Eine eigene Sachentscheidungist dem Senat verwehrt, da in einer neuen Verhandlungmöglicherweise doch noch ergänzende, wenn auch derzeit nichtkonkret erkennbare Feststellungen zu der Frage getroffen werdenkönnten, ob gerade ein zweimonatiges Fahrverbot für den Betroffenen– selbst unter Berücksichtigung der nach Aktenlageunverändert eröffneten Möglichkeiten eines Vollstreckungsaufschubsnach § 25 Abs. 2a StVG - eine unverhältnismäßige Härtedarstellt.

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1OWiG.

Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.