LG Aachen, Urteil vom 19.04.2013 - 9 O 510/12
Fundstelle
openJur 2014, 6794
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Ersatzkrankenhaustagesgeld für ihren Sohn U als versicherte Person für den Zeitraum vom 19.04.2007 bis zum 11.04.2012.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer XXXXXXXXXXX für ihren Sohn eine Krankenhauszusatzversicherung mit dem Tarif GS 100. Der Versicherungsschutz umfasst eine Krankheitskosten- und eine Krankheitstagegeldversicherung. Das Krankenhaustagegeld ist für Personen, die das 19. Lebensjahr vollendet haben, auf 50 Euro festgelegt. Dem Vertrag liegen die MB/BK 1994 sowie die Tarifbedingungen der Beklagten zu Grunde. In den Versicherungsbedingungen heißt es u.a.:

" § 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes

1. Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Er gewährt im Versicherungsfall

a) in der Krankenkostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen und sonst vereinbarte Leistungen,

b) in der Krankenhaustagegeldversicherung bei stationärer Heilbehandlung ein Krankenhaustagegeld.

2. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit und Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischen Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Muss die Heilbehandlung auf eine Krankheit oder Unfallfolge ausgedehnt werden, die mit der bisher behandelten nicht ursächlich zusammenhängt, so entsteht insoweit ein neuer Versicherungsfall.

§ 5 Einschränkungen der Leistungspflicht

1. Keine Leistungspflicht besteht

g) für eine durch Pflegebedürftigkeit oder Verwahrung bedingte Unterbringung."

Der Sohn U befand sich seit dem 19.04.2007 zunächst einstweilig und seit dem 04.12.2007 dauerhaft nach § 63 StGB aufgrund des Strafurteils des LG Aachen (AZ. 401 Js 272/07) in Maßregelvollzug in der LVR-Klinik in E.

In dem Urteil stellte das Landgericht Aachen fest, dass er tatbestandlich eine gefährliche Körperverletzung an seiner damaligen Freundin verwirklicht habe, indem er sie so heftig gewürgt habe, dass diese sichtbare Würgemale davon getragen habe und ihre Augen mehrere Tage blutunterlaufen gewesen seien. Dabei habe er nicht schuldhaft gehandelt, da er im Tatzeitpunkt unter einer hochfloriden paranoidhalluzinatorischen Psychose mit dem Vollbild einer akuten psychotischen Symptomatik gelitten habe. In dem Urteil heißt es weiter:

"Nach den getroffenen Feststellungen, insbesondere den Feststellungen zur Erkrankung des Beschuldigten, war seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen, da die Gesamtwürdigung des Beschuldigten und der von ihm begangenen Taten ergibt, dass von ihm infolge seinen krankheitsbedingten Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist."

Das Gericht hat sich in dem Urteil weiterhin mit der Frage über die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung befasst und diese mit folgender Begründung verneint. Für den Sohn U sei zwingend erforderlich, dass er sein Medikament in ausreichender Dosierung einnehme und die Behandlung professionell und engmaschig überwacht und kontrolliert werde. Aufgrund der Nebenwirkungen des Medikaments sei zu befürchten, dass ohne eine solche Betreuung, der Drang entwickelt werde, die Medikation zu reduzieren und er dabei die Gefahr eines Wiederauftretens seiner Erkrankung unterschätze und bagatellisiere.

Am 12.04.2012 wurde der Sohn der Klägerin entlassen und befindet sich seither im Rahmen einer Langzeitbeurlaubung in einem Wohnheim für psychisch Behinderte.

Mit Schreiben vom 25.11.2011 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung des Ersatzkrankenhaustagegeldes auf. Den Antrag lehnte die Beklagte am 06.02.2012 mit der Begründung, dass der Maßregelvollzug kein versichertes Ereignis darstelle, ab. Die erneute Aufforderung zur Zahlung durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 11.06.2012 unter Fristsetzung bis zum 29.06.2012 wies die Beklagte zurück.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich aus der medikamentösen und therapeutischen Behandlung während des gesamten Klinikaufenthaltes ergebe, dass der Aufenthalt unter den Geltungsbereich der Versicherung falle.

Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 91.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.06.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich für die Ansprüche aus den Jahren von 2007 bis 2009 auf Verjährung.

Sie ist der Ansicht, dass der Maßregelvollzug kein versichertes Ereignis darstelle und dass der Maßregelvollzug unter den Begriff der "Verwahrung" falle, so dass der Anspruch nach § 5 Abs. 1 g) der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ausgeschlossen sei.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die beiderseitigen Schriftsätze sowie auf die dazugehörenden Anlagen Bezug genommen.

Die Akte des Landgerichts Aachen 401 Js 272/07 ist zu Informationszwecken beigezogen worden.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von Krankenhaustagegeld aus der zwischen den Parteien bestehenden Krankenhauszusatzversicherung aus Anlass des Aufenthaltes ihres Sohnes in der LVR-Klinik E zu.

Die bedingungsgemäßen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zahlung von Krankenhaustagegeld liegen nicht vor.

a) Der Aufenthalt des Sohnes der Klägerin als versicherte Person in der LVR-Klinik E stellt keinen Versicherungsfall im Sinne des § 1 der Versicherungsbedingungen der Krankenhauszusatzversicherung dar. Die Krankenhaustagegeldversicherung gewährt im Versicherungsfall bei stationärer Heilbehandlung ein Krankenhaustagegeld. Der Versicherungsfall ist durch § 1 Ziff. 2 der Versicherungsbedingungen definiert. Der Aufenthalt in der LVR-Klinik fällt nicht unter den dort definierten Versicherungsfall. Er war nicht medizinisch indiziert, sondern beruhte vielmehr auf dem Urteil des Landgerichts Aachen vom 04.12.2007, in dem die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Der Aufenthalt im Rahmen des Maßregelvollzugs stellt keine medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlung dar. Der Maßregelvollzug dient überwiegend der Sicherung der Allgemeinheit vor der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten. Die Anordnung des Maßregelvollzugs nach § 63 StGB hat weder zur Voraussetzung, dass die untergebrachte Person im medizinischnotwendigen Sinne behandlungsbedürftig ist, noch dass Heilungsaussichten bestehen (Stree-Kinzig, Schönke/Schröder, StGB, § 63, Rn.1). Der Maßregelvollzug endet auch nicht wie bei medizinisch notwendigen stationären Aufenthalten mit fehlender Behandlungsbedürftigkeit, sondern alleine aufgrund gerichtlicher Anordnung unter der Voraussetzung, dass zu erwarten ist, dass außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtwidrigen Taten begangen werden.

Aus dem Urteil des LG Aachen ergibt sich, dass der Maßregelvollzug des Sohnes der Klägerin angeordnet wurde, da von ihm infolge seines krankheitsbedingten Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten waren und es zum Schutz der Allgemeinheit notwendig war. Der Aufenthalt diente weniger medizinischen als vielmehr forensischen Zwecken. Der stationäre Aufenthalt war, wie in dem Urteil auf Grundlage der Feststellungen der Sachverständigen Dr. N erläutert, nicht zur Einstellung auf die Medikamente notwendig, sondern, da nur bei professioneller Überwachung der Medikamenteneinnahme sichergestellt werden konnte, dass es nicht zu tätlichen Angriffen durch die versicherte Person kam.

Insgesamt ist es ohne Bedeutung, ob die versicherte Person während des Aufenthalts tatsächlich therapiert wird, da der Aufenthalt nicht, wie in den Versicherungsbedingungen vorausgesetzt, medizinisch notwendig war, sondern zur Vermeidung weiterer rechtswidriger Taten angeordnet wurde.

b) Selbst wenn man das Vorliegen eines Versicherungsfalls bejahen würde, wäre die Leistungspflicht der Beklagten zumindest nach § 5 Nr. 1 g) der Versicherungsbedingungen ausgeschlossen. Danach ist die Leistungspflicht bei einer durch Verwahrung bedingten Unterbringung ausgeschlossen.

Der Begriff der Verwahrung umfasst nicht nur den vom Wortlaut ausdrücklich erfassten Fall der Sicherungsverwahrung, sondern jede Unterbringung, die nach der vorsätzlichen Begehung einer Straftat staatlich angeordnet wurde und der Sicherung der Allgemeinheit dient. Auch der Maßregelvollzug nach § 63 StGB fällt unter diesen Begriff, da er dazu dient, die Allgemeinheit vor der Begehung weiterer rechtswidriger Taten zu schützen (Bach/Moser, Private Krankenversicherung, MB/KK, § 5, Rdn.33).

Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist auch erkennbar, dass der Begriff der Verwahrung nicht nur die Sicherungsverwahrung umfassen soll, sondern der Versicherungsschutz bei jeder Form der staatlich angeordneten Unterbringung zur Sicherung der Allgemeinheit ausgeschlossen ist.

2. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf die Zinszahlung aus §§ 280, 286 BGB.

II.

Die prozessuale Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 91.000,00 EUR festgesetzt.

Richterin am Landgericht T ist nach der Beratung verreist und deshalb gehindert zu unterschreiben.