LG Aachen, Urteil vom 13.12.2012 - 71 Ns - 406 Js 2140/11 - 91/12
Fundstelle
openJur 2014, 6742
  • Rkr:

1.

Lebt der Angeklagte in einer Region des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, in welcher die deutsche Sprache Amtssprache ist (Deutschsprachige Gemeinschaft Belgien), bedarf es keiner Übersetzung von an ihn gerichteten deutschsprachigen Schriftstücken.

2.

Hat der Angeklagte einen deutschsprachigen Wahlverteidiger beauftragt, bedarf es ebenfalls keiner Übersetzung der an ihn gerichteten deutschsprachigen Schriftstücke (Beschluss OLG Nürnberg NStZ-RR2010, 286)

Tenor

Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 08.03.2012 - 422 Cs 190/11 - wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Aachen erließ am 25.11.2011 - 422 Cs 190/11 - gegen den Angeklagten einen Strafbefehl. Mit diesem wurde gegen ihn wegen Unfallflucht eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,-- Euro festgesetzt. Weitere Anordnungen ergingen nicht. Der Angeklagte legte über seinen Verteidiger gegen diesen Strafbefehl fristgerecht Einspruch ein. Zur Hauptverhandlung am 08.03.2012 erschien er nicht. Daraufhin verwarf der Strafrichter bei dem Amtsgericht Aachen mit Urteil vom selben Tag den Einspruch des Angeklagten gegen den vorgenannten Strafbefehl. Der Angeklagte beantragte insoweit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Strafrichters bei dem Amtsgericht Aachen vom 16.04.2012 verworfen. Ein Rechtsmittel wurde gegen diesen Verwerfungsbeschluss nicht eingelegt. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag legte der Angeklagte gegen das Verwerfungsurteil vom 08.03.2012 zugleich fristgerecht Berufung ein. Diese blieb erfolglos.

II.

Der Angeklagte ist belgischer Staatsangehöriger. Sein Wohnsitz ist im belgischen L. Dieser Ort gehört zur Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG). Die Amtssprache in L ist deshalb gleichermaßen deutsch wie französisch.

Am 10.09.2011 ereignete sich in A auf der L-Straße ein Verkehrsunfall, an welchem der Angeklagte als Führer des belgischen Kraftfahrzeuges XXX beteiligt war. Die Staatsanwaltschaft Aachen leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen Unfallflucht ein.

Am Abend des Tattages erschien der Angeklagte auf der Wache im M-tal des PP Aachen in Begleitung seines Bruders. Dieser fungierte als Dolmetscher. Der Angeklagte gab an, dass er kein deutsch spreche und nur sehr schlecht Deutsch verstehe. Der Angeklagte gab über seinen Bruder Erklärungen zum Tatvorwurf ab.

Am 13.09.2011 versandte das PP Aachen an den Angeklagten einen Anhörbogen, in welchem ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung der Unfallflucht zu äußern. Dieses Schreiben ist in deutscher Sprache verfasst worden. Am 21.10.2011 ging bei dem PP Aachen der ebenfalls in deutscher Sprache ausgefüllte Äußerungsbogen wieder ein, wobei der Bogen von dem Angeklagten unter dem Datum 18.10.2011 unterzeichnet ist. Dabei fügte er eine Kopie seines belgischen Führerscheins bei.

Am 25.11.2011 erließ das Amtsgericht Aachen auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten den oben unter I. näher bezeichneten Strafbefehl. Diesem war eine Rechtsmittelbelehrung in französischer Sprache beigefügt.

Der Strafbefehl wurde dem Angeklagten am 05.12.2011 durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt. Am 15.12.2011 bestellte sich Rechtsanwalt K aus A als Verteidiger des Angeklagten und legte gegen diesen Strafbefehl Einspruch ein. In der Einspruchsschrift führte der Verteidiger Rechtsanwalt K unter anderem aus, dass eine ordnungsgemäße Zustellung des Strafbefehls niemals erfolgt sei, da dieser nicht in die französische Sprache übersetzt worden sei.

Mit Verfügung vom 19.12.2011 bestimmte die zuständige Strafrichterin bei dem Amtsgericht Aachen Hauptverhandlungstermin auf den 09.02.2012 und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten an.

Diese Terminsladung wurde dem Angeklagten am 23.12.2011 durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt. Mit Schriftsatz vom 12.01.2012, bei dem Amtsgericht Aachen eingegangen am 13.01.2012, beantragte der Verteidiger des Angeklagten, für die Hauptverhandlung am 09.02.2012 einen Dolmetscher für die türkische Sprache zu laden. Zur Begründung führte er aus:

"Der Beschuldigte spricht nur gebrochen Deutsch und ist nicht in der Lage, ohne die Hilfe eines Dolmetschers der Hauptverhandlung zu folgen."

Mit Verfügung vom 17.01.2012 verlegte der mittlerweile zuständige Strafrichter bei dem Amtsgericht Aachen den Hauptverhandlungstermin vom 09.02.2012 auf den 08.03.2012. Die Terminsladung wurde dem Angeklagten erneut gegen Einschreiben mit Rückschein zugestellt. Der entsprechende Rückschein ging am 26.01.2012 wieder bei dem Amtsgericht Aachen ein. Er weist weder ein Zustellungsdatum noch eine Unterschrift des Angeklagten aus.

Am 08.03.2012 fand dann der Hauptverhandlungstermin statt, zu welchem der Angeklagte, wie ausgeführt, nicht erschienen ist und das hier angegriffene Verwerfungsurteil erging.

Mit Schriftsatz vom 29.03.2012, eingegangen am 30.03.2012, stellte der Verteidiger des Angeklagten den bereits oben erwähnten Wiedereinsetzungsantrag. Zur Begründung führte er aus:

"Herr Ü hat an der Hauptverhandlung des Amtsgerichts Aachen vom 08.03.2012 nicht teilgenommen, weil er aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht ordnungsgemäß Kenntnis vom Termin genommen hat. Die Ladung für den 08.03.2012 ist zwar bei Herrn Ü eingegangen, so hat er diese jedoch nicht verstanden. Die erste Ladung war auf den 09.02.2012 erfolgt. Vor diesem Termin ist Herr Ü in den hiesigen Kanzleiräumen erschienen. Ich habe Herrn Ü dann die Ladung erklärt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er zum Termin erscheinen muss.

Herr Ü ist dann wegen seiner absoluten mangelnden Kenntnisse der deutschen Sprache davon ausgegangen, dass der neue Hauptverhandlungstermin ebenfalls an einem 09., das heißt am 09.03.2012 stattfinden würde.

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wegen der mangelnden Sprachkenntnisse ja auch schon beantragt wurde, zur Hauptverhandlung am 08.03.2012 einen Dolmetscher für die türkische Sprache zu laden."

III.

Zur Rechtslage:

1.)

Entgegen der Ansicht des Verteidigers bestehen keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Zustellung des Strafbefehls vom 25.11.2011. Sofern der Verteidiger bemängelt, dieser Strafbefehl sei nicht in die französische bzw. türkische Sprache übersetzt worden, bestand hierzu keine Veranlassung.

Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Artikel 52 des Schengener Durchführungsübereinkommens vor.

a) Nach dessen Artikel 52 Abs. 2 S. 1 war der Strafbefehl in einer der Sprachen der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet der Empfänger sich aufhält, zu übersetzen. Da der Angeklagte als belgischer Staatsbürger seinen Wohnsitz im Bereich der belgischen Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) hat, war eine solche Übersetzung nicht von Nöten. Denn in L als Teil der DG ist Deutsch eine der Amtssprachen.

b) Nach Artikel 52 Abs. 2 S. 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens sind dann, wenn der zustellenden Behörde bekannt ist, dass der Empfänger nur einer anderen Sprache kundig ist, die Urkunde oder zumindest die wesentlichen Passagen in diese andere Sprache zu übersetzen. Insoweit bestand hier kein Bedarf, den Strafbefehl in eine andere Sprache zu übersetzen. Zwar hatte der Angeklagte bei seinem Erscheinen in der Wache M-tal des PP Aachen am Unfalltag erklärt, er sei des Sprechens der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig. Andererseits hatte er aber den ihm übersandten Anhörungsbogen des PP Aachen, welcher ausschließlich in deutscher Sprache formuliert ist, in deutscher Sprache ausgefüllt und unterschrieben zurückgesandt. Da der Angeklagte also als Belgier im deutschsprachigen Gebiet Belgiens lebte und einen ihm in deutscher Sprache übersandten Anhörungsbogen in deutscher Sprache ausgefüllt und unterschrieben zurück sandte, bestand kein Anlass zu der Vermutung, dass der Angeklagte des Lesens und Verstehens der deutschen Sprache nicht mächtig wäre. Deshalb erfolgte die Zustellung des Strafbefehls vom 15.11.2011 rechtlich unbedenklich ausschließlich in deutscher Sprache, versehen mit einer - hier unergiebigen - französischen Rechtsmittelbelehrung. Diese war deshalb unergiebig, weil der Angeklagte auch nach seinen eigenen Angaben der französischen Sprache nicht mächtig ist.

Auf den von dem Verteidiger vorgelegten Beschluss des Landgerichts Essen vom 03.11.2004 - 23 Qs 148/04 - wird Bezug genommen.

2.)

Die Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 08.03.2012 ist zwar in formunwirksamer Art und Weise erfolgt. Denn der dem Angeklagten übersandte Rückschein ist von ihm nicht unterzeichnet worden und weist auch kein entsprechendes Zustellungsdatum aus. Allerdings ist dieser Mangel gem. §§ 37 StPO, 189 ZPO durch Zugang geheilt worden. Denn der Angeklagte hat selbst in seiner Wiedereinsetzungs- bzw. Berufungsschrift vom 29.03.2012 eingeräumt, dass ihm diese Ladung zugegangen ist, und zwar vor dem 09.02.2012 (Blatt 96 d. A.). Damit ist der dargestellte Zustellungsmangel fristgerecht (§ 217 StPO) nach den vorstehenden Bestimmungen geheilt worden (vgl. Meyer-Goßner StPO, 55. Aufl., § 37 Rnd. 28).

3.)

Die Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 08.03.2012 musste nicht in türkischer Sprache erfolgen. Insoweit kann es dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte der deutschen Sprache tatsächlich nicht mächtig ist. Hieran bestehen begründete Zweifel, da er, wie er auch nicht abgestritten hat, sich mit seinem Verteidiger im Verlauf der Berufungshauptverhandlung und auf dem Gerichtsflur jeweils in deutscher Sprache unterhalten hat. Hierauf kommt es aber nicht an. Denn sprachunkundige Ausländer, die ein amtliches Schriftstück in deutscher Sprache erhalten und dessen Inhalt nicht verstehen, sind in der Regel gehalten, sich selbst um eine Übersetzung oder Erläuterung zu bemühen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Angeklagte - wie hier - bereits einen deutschsprachigen Wahlverteidiger beauftragt hat. Er hätte deshalb sich von seinem deutschsprachigen Wahlverteidiger Rechtsanwalt K die ihm zugestellte Ladung zum 08.03.2012 übersetzen und erläutern lassen müssen (vgl. OLG Nürnberg NStZ-RR 2010, 286). Dies ist offensichtlich auch geschehen. So wird es jedenfalls in der Berufungsbegründung vom 29.03.2012 vorgetragen. Damit war der Angeklagte hinreichend über den bevorstehenden Hauptverhandlungstermin am 08.03.2012 unterrichtet. Wenn es sich wirklich so verhalten haben soll, dass der Angeklagte wegen seiner "absolut mangelnden Kenntnisse der deutsche Sprache davon ausgegangen" sei, dass "der neue Hauptverhandlungstermin an einem 09., das heißt am 09.03.2012 stattfinden würde", führt dieser Vortrag, wenn er zutreffend sein sollte, zu keinem abweichenden Ergebnis. Denn wenn der Angeklagte tatsächlich die ihm gegenüber erklärten Belehrungen seines Verteidigers nicht verstanden haben soll, dann war es seine Aufgabe, nachzufragen und sich bei ihm gegebenenfalls unter Einschaltung eines Dolmetschers gründlicher zu erkundigen. Im Übrigen fällt es schwer zu glauben, dass tatsächlich ein diesbezügliches sprachbedingtes Missverständnis eingetreten ist. Hierauf hat der Strafrichter bei dem Amtsgericht Aachen bereits in seiner ablehnenden Wiedereinsetzungsentscheidung vom 16.04.2012 zutreffend hingewiesen. Die falsche Lektüre eines Datums - 08.03. statt 09.03. - kann schwerlich mit sprachlichen Defiziten erklärt werden, sofern der Angeklagte nicht aus einem Kulturraum stammen würde, in welchem keine arabischen Zahlen verwandt werden. Es ist aber gerichtsbekannt, dass sowohl in Belgien als auch in der Türkei Daten mit arabischen Zahlen bezeichnet werden. Wenn der Angeklagte, wie er selbst durch die Ausführungen der Berufungsschrift eingeräumt hat, seinem Verteidiger die Ladung zum 08.03.2012 zeigt, sein Verteidiger ihm diese erläutert, er diese aber dahin versteht, dass er am 09.03.2012 erscheinen soll, kann dies schlechterdings nicht mehr mit sprachlichen Missverständnissen, sondern ausschließlich mit einer Nachlässigkeit auf Seiten des Angeklagten erklärt werden. Hinzuzufügen ist desweiteren, dass, wie im Verwerfungsurteil festgehalten und von dem Verteidiger des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ausdrücklich bestätigt, dieser am Terminstag den Angeklagten angerufen hat und dort von diesem die Bestätigung bekam, er habe sich in der Zeit vertan und könne erst in einer Stunde erscheinen. Auch aus diesem von dem Verteidiger damals dem Strafrichter übermittelten und, wie ausgeführt, von dem Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung bestätigten Inhalt seines Telefonates mit dem Angeklagten vom Hauptverhandlungstag ergibt sich, dass auf Seiten des Angeklagten keine sprachlichen Missverständnisse, sondern ausschließlich Nachlässigkeiten vorgelegen haben. Diese führen aber nicht zu einem entschuldigten Fehlbleiben von der Hauptverhandlung im Sinne von §§ 412, 329 StPO. Deshalb ist das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts zu Recht ergangen und war zu bestätigen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Dr. R

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte