Bayerischer VGH, Beschluss vom 12.02.2014 - 11 CS 13.2281
Fundstelle
openJur 2014, 4385
  • Rkr:
Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 18. Oktober 2013 wird aufgehoben.

II. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 6. September 2013 wird hinsichtlich der Nr. 1 dieses Bescheids wiederhergestellt, hinsichtlich der Nr. 2 angeordnet.

III. Der Antragstellerin wird die Auflage erteilt,

1. sich während der gesamten Dauer der aufschiebenden Wirkung des Konsums von Alkohol zu enthalten;

2. a) innerhalb von drei Wochen ab der Zustellung dieses Beschlusses an ihren Bevollmächtigten mit einem Facharzt für Rechtsmedizin, einem Arzt des bayerischen öffentlichen Gesundheitsdienstes oder einem Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (bzw. dem Rechtsträger dieser Begutachtungsstelle) einen Vertrag mit dem in den Gründen dieses Beschlusses vorgegebenen Inhalt zu schließen und dem Landratsamt K... hiervon eine Ablichtung zukommen zu lassen;

b) diesen Vertrag während der gesamten Dauer der aufschiebenden Wirkung zu erfüllen.

IV. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

V. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen fallen zu einem Drittel der Antragstellerin, zu zwei Dritteln dem Antragsgegner zur Last.

VI. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin verfolgt im Beschwerdeverfahren ihr Begehren weiter, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über deren Entziehung vorerst weiter von ihrer Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu dürfen.

Nach einer vorangegangenen Fahrerlaubnisentziehung wegen einer Alkoholfahrt im Jahr 2009 mit 2,43 Promille Alkohol im Blut wurde der Antragstellerin im Dezember 2011 eine Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S neu erteilt. Ein von ihr vorgelegtes medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten vom 4. November 2011 war zu dem Ergebnis gelangt, dass eine alkoholabstinente Lebensweise im Fall der Antragstellerin für eine günstige Verkehrsprognose unverzichtbar sei. Die Antragstellerin hatte bei der Begutachtung angegeben, keinen Alkohol mehr zu sich zu nehmen und dies auch künftig zu unterlassen.

Im April 2013 meldete der Ehemann der Antragstellerin bei der Polizei, dass sie seit Tagen alkoholisiert sei. Der Hausarzt habe bereits eine Überweisung zur Entgiftung geschrieben. Nachdem sie sich nicht freiwillig dorthin begeben wolle, werde um Einweisung der Antragstellerin durch die Polizei gebeten. Nach Einschätzung der Polizeibeamten vor Ort, war die Antragstellerin tatsächlich alkoholisiert, eine Einweisung unterblieb aber, weil nach Einschätzung der Polizisten keine Eigen- oder Fremdgefährdung erkennbar war.

Der Aufforderung des hiervon in Kenntnis gesetzten Landratsamts, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, kam die Antragstellerin nicht nach. Mit Bescheid vom 6. September 2013 wurde ihr deshalb in sofort vollziehbarer Weise die Fahrerlaubnis entzogen. Hiergegen erhob sie Klage und beantragte, deren aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch Beschluss vom 18. Oktober 2013 ab. Das Landratsamt sei zutreffend von Tatsachen ausgegangen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten. Alkoholmissbrauch im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn liege bei Alkoholauffälligkeiten, die nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stünden, nur dann vor, wenn weitere Umstände Zweifel am Trennungsvermögen des Betroffenen zwischen Alkoholkonsum und Straßenverkehrsteilnahme rechtfertigten. Dies sei in der Zusammenschau der Alkoholfahrt aus dem Jahr 2009, der Begutachtung aus dem Jahr 2011 und des Vorfalls im April 2013 der Fall. Die Voraussetzungen von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Alt. 2 FeV seien gegeben. Aus der Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens habe die Behörde zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf fehlende Fahreignung der Antragstellerin geschlossen. Im Rahmen der Interessenabwägung falle zusätzlich zu ihren Lasten ins Gewicht, dass die Fachklinik, in der sie sich nach dem Vorfall 2013 stationär habe behandeln lassen, nicht nur von Alkoholmissbrauch, sondern sogar von einer Suchterkrankung, also von Alkoholabhängigkeit ausgehe.

Mit Ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, das Verwaltungsgericht sei rechtsfehlerhaft vom Vorliegen weiterer Umstände ausgegangen, die eine Gutachtensanforderung rechtfertigten, obwohl ihre Alkoholisierung im April 2013 nicht mit einer Straßenverkehrsteilnahme in Zusammenhang gestanden habe. Weder sei sie bei ihrem Abstinenzrückfall erheblich alkoholisiert noch aggressiv gewesen. Es habe keine Ausfallerscheinungen oder Hinweise auf Kontrollverlust gegeben. Dass sie sich kurz nach dem Vorfall freiwillig in Behandlung begeben habe, belege ihre Steuerungsfähigkeit und ihre Bereitschaft, die Dinge nach dem Abstinenzrückfall in den Griff zu bekommen. Auch habe das Verwaltungsgericht sich nicht mit der Thematik befasst, dass etwaige Zweifel an der Fahreignung der Antragstellerin durch geeignete Auflagen ausgeräumt werden könnten.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und beantragt, sie zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat in der Sache überwiegend Erfolg.

1. Die Klage gegen die Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 3 und § 11 Abs. 8 FeV hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung überwiegende Aussicht auf Erfolg, weil die Anordnung ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, durch § 13 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) Alt. 2 FeV wohl nicht gedeckt ist.

Hiernach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Alkoholmissbrauch ist dabei im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn der Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zu verstehen und meint den Fall, dass das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 2.12.2011 – 11 B 11.246SVR 2012, 236; OVG NW, B.v. 14.11.2013 – 16 B 1146/13 – Blutalkohol Vol. 51, S. 36 m.w.N.). Es müssten also im Fall der Antragstellerin Tatsachen die Annahme begründen, dass sie das Trinken und das Fahren nicht hinreichend sicher trennen kann. Das Landratsamt und ihm folgend das Verwaltungsgericht Bayreuth haben solche Tatsachen darin erblickt, dass die Antragstellerin im Jahr 2006 eine Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,43 Promille unternommen hat, ihr in dem 2011 vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten attestiert wurde, dass eine alkoholabstinente Lebensweise für eine günstige Verkehrsprognose unverzichtbar sei und sie diese Abstinenz nicht eingehalten hat.

Auch in der Zusammenschau genügen diese Umstände indes wohl nicht, um die Annahme von Alkoholmissbrauch, also einem fehlenden Trennungsvermögen zwischen Trinken und Fahren zu begründen. Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen, können nach der Rechtsprechung z.B. bei Berufskraftfahrern vorliegen, bei denen naturgemäß die Wahrscheinlichkeit der alkoholisierten Straßenverkehrsteilnahme höher ist (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 2.12.2011 – 11 B 11.246– SVR, 2012, 236). Ferner kann auch sonstiger Kontrollverlust in Zusammenhang mit Alkoholkonsum eine Tatsache darstellen, die auf fehlendes Trennungsvermögen schließen lässt, etwa bei unkontrolliert aggressivem Verhalten Dritten gegenüber (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2012 – 11 CS 12.2173), bei offensichtlicher Fahrbereitschaft unter signifikanter Alkoholkonzentration (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2008 – 11 C 08.2341) oder bei nahezu täglichen Autofahrten (BayVGH, B.v. 30.11.2006 – 11 CS 06.1092, 11 C 06.1093). Im Fall der Antragstellerin sind solche Umstände, nicht ersichtlich. Ihr Rückfall und die bloße Weigerung, sich in eine Entgiftungsbehandlung zu begeben, die sie später i. Ü. doch angetreten hat, genügen wohl nicht, um eine Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) Alt. 2 FeV zu rechtfertigen. Ein wenigstens mittelbarer Zusammenhang mit der Straßenverkehrsteilnahme ist dadurch nicht belegt.

Allerdings stellt die ärztliche Bescheinigung der Fachklinik ... vom 13. September 2013 eine Tatsache dar, die den Verdacht einer Alkoholabhängigkeit der Antragstellerin begründet. Hiernach befand sie sich für mehr als drei Monate in stationärer Langzeitbehandlung der Fachklinik für suchtkranke Frauen. Es ist in der Bescheinigung ausdrücklich von der Suchterkrankung der Antragstellerin die Rede. Die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV dürfte hiernach gerechtfertigt sein, auch wenn das medizinisch-psychologische Gutachten vom 4. November 2011 noch zu dem Ergebnis kam, dass bei der Antragstellerin keine Alkoholabhängigkeit bestehe.

2. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen führt deshalb zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unter Anordnung von Auflagen.

In eng begrenzten Ausnahmefällen kann es gerechtfertigt sein, die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Fahrerlaubnisentziehung unter Anordnung von Auflagen wiederherzustellen. Unter Abwägung des Interesses des Antragstellerin, weiter von ihrer aufgrund einer wohl fehlerhaften Gutachtensanordnung entzogenen Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu dürfen und dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs sowie am Schutz unbeteiligter Dritter erscheint es auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt, die Antragstellerin durch die verfügten Auflagen zu engmaschigen Abstinenznachweisen zu verpflichten, zumal im medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachten aus dem Jahr 2011 absolute Alkoholabstinenz der Antragstellerin gefordert wird und ihre Fahreignung bei konsequentem Gesetzesvollzug in absehbarer Zeit erneut auf dem Prüfstand stehen wird. In Ausübung des Ermessens, das dem Gericht bei der Ausgestaltung von Auflagen nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO zusteht, wird der Inhalt des Vertrages, den die Antragstellerin nach der Nummer III. 2 des Tenors dieses Beschlusses abzuschließen und zu erfüllen hat, wie folgt festgelegt:

a) Der Arzt hat die Antragstellerin innerhalb von jeweils zwölf Kalendermonaten zwölf Mal an unregelmäßig anzuberaumenden Terminen zu einer unter ärztlicher Sichtkontrolle stattfindenden Abgabe von Urin und - falls nach ärztlichem Ermessen erforderlich - zur zusätzlichen Abnahme von Blut einzubestellen, wobei zwischen der Unterrichtung der Antragstellerin über den jeweiligen Termin und der Urinabgabe bzw. der Blutentnahme höchstens 48 Stunden liegen dürfen.

b) Der Arzt hat sich, sofern ihm die Antragstellerin nicht von Angesicht bekannt ist, bei allen Terminen zur Haar- bzw. Blutentnahme oder Urinabgabe anhand amtlicher Lichtbildausweise über die Identität der Erschienenen zu vergewissern.

c) Die Antragstellerin hat sich im Vertrag zu verpflichten, den beauftragten Arzt von jedem Umstand, der sie hindert, einer Einbestellung im Sinne des vorstehenden Buchstabens a) Folge zu leisten, unverzüglich nach dem Bekanntwerden des Umstands, jedenfalls aber vor dem Zugang einer Einbestellung, zu unterrichten. Der Arzt hat sich zu verpflichten, bis zum Ablauf des nächsten Werktags nach einem von der Antragstellerin - entschuldigt oder unentschuldigt - nicht wahrgenommenen Termin im Sinne des Buchstabens a) das Landratsamt K... hierüber zu informieren.

d) Die Analyse des Urins bzw. des Blutes hat sich auf die Ermittlung des EtG-Wertes zu beziehen. Ferner sind der Kreatiningehalt des Urins, sein spezifisches Gewicht und sein pH-Wert zu bestimmen. Der beauftragte Arzt ist zu ermächtigen, den Kreis der in die Untersuchungen einzubeziehenden Stoffe zu erweitern und zusätzliche, der Antragstellerin zu entnehmende Proben (ggfs. auch Haare) analysieren zu lassen, soweit ihm das geboten erscheint, um einen Gebrauch von Alkohol durch die Antragstellerin sicher auszuschließen.

e) Die Befunde der Urin- sowie etwaiger Blut- und/oder Haaruntersuchungen sind innerhalb einer Woche, nachdem sie dem zu beauftragenden Arzt vorliegen, an das Landratsamt weiterzuleiten. Die Weitergabe ist mit der Erklärung zu verbinden, dass die sich aus den vorstehenden Punkten ergebenden Anforderungen eingehalten wurden. Potenziell rechtserhebliche Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der Blut- oder Haarentnahme oder Urinabgabe (z.B. klinische Auffälligkeiten der Antragstellerin) sind der Behörde mitzuteilen.

f) Die Antragstellerin hat den beauftragten Arzt in dem abzuschließenden Vertrag umfassend von der Schweigepflicht gegenüber Behörden und Gerichten zu entbinden.

Sollte die Antragstellerin den vorstehenden Verpflichtungen nicht fristgerecht nachkommen, kann der Antragsgegner beim Verwaltungsgericht die Abänderung dieses Beschlusses nach § 80 Abs. 7 VwGO beantragen.

3. Soweit die auflagenfreie Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Bescheidstenors beantragt war, war die Beschwerde zurückzuweisen. Erfolg hat sie dagegen auch, was die Verpflichtung angeht, den Führerschein abzuliefern (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV), die nach der Rechtsprechung des Senats dann kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, wenn - wie hier - die Entziehungsverfügung für sofort vollziehbar erklärt wurde (§ 47 Abs. 1 S. 2 FeV). Insoweit war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, weil die Hauptsacheklage gegen die Fahrerlaubnisentziehung mit Bescheid vom 6. September 2013 überwiegende Erfolgsaussichten hat. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins hat sich nicht dadurch erledigt, dass er von der Antragstellerin abgegeben wurde, denn sie stellt den Rechtsgrund für das vorläufige Behalten dürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (http://www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php).