LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.09.2013 - L 1 KR 491/13
Fundstelle
openJur 2014, 1520
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.06.2013 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine mobile RolIstuhl-Treppensteighilfe.

Der 1933 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Kläger lebt mit seiner Ehefrau in einem Mehrfamilienhaus in einer gemieteten 2,5-Zimmer-Wohnung im 1. Obergeschoss. Ein Aufzug oder Treppenlift ist nicht vorhanden. In Folge seiner langjährigen Diabetes ist er nahezu erblindet sowie links Unterschenkelamputiert und rechts oberhalb des Knies amputiert. Er wurde nach der zweiten Amputation von der Beklagten mit einem Rollstuhl versorgt. Wegen seiner Nierenerkrankung wird der Kläger von einem Krankentransportunternehmen dreimal wöchentlich aus seiner Wohnung zur Dialyse und zurück gebracht. Neben inkompletter Harn- und Stuhlinkontinenz bestehen kognitive Einschränkungen. Seit September 2012 ist Pflegestufe III anerkannt.

Im August 2012 beantragte der Kläger unter Vorlage einer entsprechenden Verordnung der Gemeinschaftspraxis Dres. N und B vom 01.08.2012 bei der Beklagten die Versorgung mit einem Scala Mobil, einer mobilen, elektrisch betriebenen Treppensteighilfe, die an den Rollstuhl angekoppelt wird. Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), der aus Rechtsgründen die Kostenübernahme nicht befürwortete, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ohne weitergehende Begründung mit Bescheid vom 05.07.2012 ab.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei durchgehend 24 Stunden auf fremde Hilfe angewiesen. Sein Lebensraum sei auf seine Wohnung beschränkt, die er nicht verlassen könne. Er sei daher dringend auf die Bewilligung der Treppensteighilfe angewiesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Versorgung mit einem Treppensteiggerät unterliege nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2010 (B 3 KR 13/09) habe ein dauerhaft gehunfähiger Versicherter keinen Anspruch auf eine Versorgung mit einer elektrisch betriebenen mobilen Treppensteighilfe allein aufgrund seiner individuellen Wohnverhältnisse.

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 19.11.2012 eingelegten Klage gewandt und vorgetragen, er benötige die Treppensteighilfe, um (mit einer vorhandenen Hilfsperson) seine Wohnung verlassen und sich in der Nachbarschaft frei bewegen zu können. Er leide sehr darunter, seine Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen zu können. Insbesondere sehne er sich danach, etwas Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Die von der Beklagten zitierte BSG-Rechtsprechung stehe seinem Anspruch nicht entgegen. Grundlage des dort entschiedenen Falles sei ein anderer Sachverhalt gewesen. Dort habe die Klägerin mit der Treppensteighilfe versorgt werden wollen, um den Garten und Keller ihres Wohnhauses sowie Wohnungen von Bekannten, bestimmte Arztpraxen etc. aufsuchen zu können. Der Nahbereich der Wohnung habe der Klägerin bereits zur Verfügung gestanden. In diesem Zusammenhang habe das BSG in seinem von der Beklagten angeführten Urteil entschieden, dass ein Anspruch, der allein den konkreten Wohnverhältnissen geschuldet sei, nicht bestehe. Er - der Kläger - mache indes einen Basisausgleich hinsichtlich seiner Bewegungsfreiheit geltend. Sofern die Beklagte aber der Ansicht sei, dass nicht sie, sondern ein anderer Leistungsträger die Treppensteighilfe bewilligen müsse, wäre sie verpflichtet gewesen, den Antrag weiterzuleiten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 05.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm im Wege der Sachleistung (auch leihweise) eine Rollstuhltreppensteighilfe zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten und ergänzend vorgetragen: Der vom BSG entschiedene Fall unterscheide sich zwar von dem vorliegenden Fall. Gleichwohl habe das BSG in seiner Entscheidung generelle Ausführungen zur Leistungspflicht der Beklagten gemacht und ausgeführt, dass es bei der Hilfsmittelversorgung nicht auf die konkreten Wohnverhältnisse des einzelnen Versicherten ankomme, sondern auf einen generellen, an durchschnittlichen Wohn- und Lebensverhältnissen orientierten Maßstab. Soweit der Zugang zur Wohnung nur über eine Treppe im Hausflur (Treppenhaus) möglich sei, handele es sich zwar durchaus um den allgemein üblichen durchschnittlichen Wohnstandard, gerade bei Mietshäusern. Die Leistungszuständigkeit für Hilfen bei der Bewältigung solcher Hürden falle indes grundsätzlich nicht in den Verantwortungsbereich der GKV. Mit der Begründung eines Anspruchs auf Leistungen für Wohnumfeld bezogene Maßnahmen im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung habe der Gesetzgeber eine grundlegende Systementscheidung getroffen. Sie - die Beklagte - sei indes auch nicht verpflichtet gewesen, den Antrag des Klägers an einen anderen Leistungsträger weiterzuleiten. Denn die Pflegekasse, die für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen zuständig sei, sei kein Rehabilitationsträger. Eine Weiterleitung an den Sozialhilfeträger sei nicht hilfreich, weil der Leistungsanspruch des § 31 SGB IX nicht weiterreiche als der des § 33 SGB V. Sofern noch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geprüft werden könne, scheide auch dieser Anspruch aus, weil die begehrte Treppensteighilfe von einem Dritten bedient werden müsse und ein Anspruch der Eingliederungshilfe nur bestehe, wenn der Behinderte das Hilfsmittel selbst bedienen könne.

Mit Bescheid vom 14.05.2013 hat die gesetzliche Pflegeversicherung (GPV) des Klägers - die BKK Essanelle Pflegekasse - einen Zuschuss von 2.557,00 EUR für den Einbau eines Treppenliftes ("Pauschale Treppensteiger") bewilligt. Der Kläger hat dazu ergänzend erklärt: Die vorgeschlagene Maßnahme sei baulich nicht umsetzbar. Außerdem habe die Besprechung beim Ortstermin ergeben, dass der Einbau zwischen 10.000,00 EUR und 15.000,00 EUR koste. Dieses Geld habe er nicht.

Das Sozialgericht Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 13.06.2013 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rollstuhltreppensteighilfe zum mittelbaren Behinderungsausgleich zur Verfügung zu stellen. Der Kläger benötige das Hilfsmittel, um selbstständig zu wohnen und sich gleichzeitig einen gewissen Freiraum zu schaffen, indem er die Möglichkeit erhalte, seine Wohnung zu verlassen, "um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft" zu kommen und die - üblicherweise - im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Der Kläger könne nicht darauf verwiesen werden, in eine Wohnung zu ziehen, die beispielsweise im Erdgeschoss liege oder mit einem Fahrstuhl zu erreichen sei.

Die Beklagte, die gegen das ihr am 08.07.2013 zugestellte Urteil am 15.07.2013 unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags - weiterhin gestützt auf das Urteil des BSG vom 07.10.2010 (B 3 KR 13/09) - Berufung eingelegt hat, beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.06.2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe das BSG gerade nicht den Grundsatz aufgestellt, dass eine Treppensteighilfe nie infrage komme. Auch die Literatur enthalte keine entsprechenden Meinungsäußerungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Inhalt der Akte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgesetzbuch - SGG -) ist auch im Óbrigen zulässig.

Die Berufung ist in der Sache jedoch ohne Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit einer Rollstuhl-Treppensteighilfe.

Versicherte haben im Rahmen der Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Die beantragte elektrisch betriebeneTreppensteighilfe für einen Rollstuhl ist ein Hilfsmittel in diesem Sinne. Solche Treppensteighilfen sind keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Geräte bzw. Gegenstände, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt werden und von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (z.B. Brillen, Hörgeräte); denn Bewertungsmaßstab ist insoweit der Gebrauch eines Geräts durch Menschen, die nicht an der betreffenden Krankheit oder Behinderung leiden. Die Frage, ob ein Mittel als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen ist, stellt sich für einen Gegenstand, der von der Konzeption her vorwiegend für Kranke oder Behinderte gedacht ist, erst dann, wenn er in nennenswertem Umfang auch von insoweit nicht betroffenen Menschen benutzt wird (BSG, Urteil vom 16.04.1998 - B 3 KR 9/97 R -). Dies ist bei elektrisch betriebenen Treppensteighilfen für einen Rollstuhl, die im Óbrigen auch nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V als Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis ausgeschlossen sind, offenkundig nicht der Fall.

Die Treppensteighilfe kann der Kläger zum mittelbaren Ausgleich seiner Behinderung beanspruchen. Grundsätzlich bemisst sich die Leistungspflicht gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG danach, ob ein Hilfsmittel zum unmittelbaren oder zum mittelbaren Behinderungsausgleich beansprucht wird (u.v.a. Urteile vom 24.01.2013 - B 3 KR 5/12 R - und 21.03.2013 - B 3 KR 3/12 R -).

Ersterer bezweckt den Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst, wie es z.B. bei Prothesen, Hörgeräten und Sehhilfen der Fall ist. Bei diesem sog. unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daher kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist (BSG, Urteile vom 03.11.2011 - B 3 KR 4/11 R - und vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -).

Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (sog. mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die GKV nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht dabei nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl. § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen [SGB IX]), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolgs, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Dabei ist es ohne Belang, ob eine technische Hilfe nur unter Einschaltung Dritter genutzt werden kann (vgl. etwa BSG, Urteil vom 06.08.1998 - B 3 KR 14/97 R - zum Treppenlift, Urteil vom 08.06.1994 - 3/1 RK 13/93 - zum Rollstuhlboy, Beschluss vom 26.06.1990 - 3 RK 39/89 B - zur Notrufanlage und Urteil vom 01.04.1981 - 5a/5 RKn 12/79 - zum Krankenlifter).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze unterfällt die Versorgung mit einer Treppensteighilfe, die funktionserweiternd mit dem Rollstuhl benutzt wird, dem mittelbaren Behinderungsausgleich. Denn durch den Rollstuhl wird nicht das Gehen bzw. unter Zuhilfenahme der Treppensteighilfe nicht das Treppensteigen selbst ermöglicht, sondern es sollen lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine ausgeglichen werden.

Als Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist die Treppensteighilfe von der Beklagten zu gewähren, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (zu diesen Voraussetzungen vgl. in ständiger Rspr. u.v.a. BSG Urteile vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R -, vom 07.10.2010 - B 3 KR 13/09 R - und vom 03.11.2011 - B 3 KR 4/11 R -). Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation wäre hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl. z.B. § 5 Nr. 2 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder § 5 Nr. 4 SGB IX: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft).

Zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen gehören die körperlichen Grundfunktionen (z.B. Gehen, Stehen, Sitzen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) sowie die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Das hier (allein) betroffene Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich. Maßgebend für den von der GKV insoweit zu gewährleistenden Basisausgleich ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise noch zu Fuß erreicht. Dazu haben die Krankenkassen die Versicherten so auszustatten, dass sie sich nach Möglichkeit in der eigenen Wohnung bewegen und - dies ist hier entscheidend - die Wohnung verlassen können, um bei einem kurzen "Spaziergang an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (u.v.a. BSG Urteile vom 18.05.2011 - B 3 KR 10/10 R - und vom 03.11.2011 - B 3 KR 4/11 R -, jeweils m.w.N.).

Für die Bestimmung des Nahbereichs gilt ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab (BSG, Urteile vom 19.04.2007 - B 3 KR 9/06 R -, vom 18.05.2011 - B 3 KR 7/10 R - und vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -). Dem steht weder entgegen, dass nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V Hilfsmittel zu gewähren sind, wenn sie "im Einzelfall erforderlich sind" noch, dass nach § 33 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) bei der Ausgestaltung von Rechten nach dem SGB "die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten" berücksichtigt werden müssen. Die Frage, ob ein Hilfsmittel der Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse dient, betrifft dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der in § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V genannten Versorgungsziele. Diese Eignung und Erforderlichkeit zählt ebenso wie die Hilfsmitteleigenschaft und das Nichtvorliegen der in § 33 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB V formulierten Ausschlusstatbestände zu den objektiven, d.h. unabhängig vom konkreten Einzelfall zu beurteilenden Anspruchsvoraussetzungen. Hierfür ist allein die Zielsetzung des § 33 SGB V und somit die Abgrenzung der Leistungspflicht der GKV von der anderer Träger nach einem abstraktaufgabenbezogenen Maßstab ausschlaggebend. Die Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung "im Einzelfall" ist dagegen - ebenso wie deren Wirtschaftlichkeit - eine subjektbezogene Anspruchsvoraussetzung, die nach einem konkretindividuellen Maßstab beurteilt wird. Der in § 33 SGB I normierte Individualisierungsgrundsatz ist für den die Anspruchsvoraussetzungen des § 33 SGB V betreffenden Nahbereich bereits deshalb ohne Bedeutung, weil er ausschließlich für die Ausgestaltung sozialer Rechte gilt, seine Anwendung mithin auf die Rechtsfolgenseite einer im SGB geregelten Anspruchsgrundlage beschränkt ist (zusammenfassend BSG, Urteile vom 18.05.2011 - B 3 KR 7/10 R - und vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -).

An diesen Maßstäben hat das BSG in seiner Grundsatzentscheidung zur Versorgung einer Rollstuhlfahrerin mit einer Treppensteighilfe vom 07.10.2010 - B 3 KR 13/09 - festgehalten. Der erkennende Senat kommt in Anwendung dieser Maßstäbe, denen er zustimmt, für den vorliegenden Fall zu einem von der genannten Entscheidung abweichenden Ergebnis, weil sich der hier zu beurteilende Sachverhalt in einem wesentlichen entscheidungserheblichen Punkt unterscheidet. In dem vom BSG entschiedenen Fall hatte die dortige gehunfähige, mit einem Rollstuhl versorgte Klägerin zur Begründung ihres Antrages geltend gemacht, in ihrer Wohnung Treppenstufen überwinden zu müssen, wenn sie in den Garten ihres Hauses oder in den Keller wolle, in dem neben eigenen Räumen auch eine Kellerwohnung liege, die sie vermietet habe und ab und zu aufsuchen müsse. Ihre Wohnung konnte sie jedoch ohne Treppensteighilfe verlassen. Insoweit sah das BSG a.a.O. keine Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin die Óberwindung der Kellertreppe im Hause sowie der zum Garten führenden Treppe durch Ausstattung mit einer Treppensteighilfe zu ermöglichen, weil die Krankenkassen nicht für solche Hilfsmittel eintrittspflichtig seien, die ein dauerhaft behinderter Versicherter allein wegen seiner individuellen Wohnsituation benötige (Ziff. 6 der Entscheidungsgründe). Demgegenüber kann der (hiesige) Kläger auch mit Unterstützung durch eine (vorhandene) Hilfsperson seine im 1. Obergeschoss des Hauses gelegene Wohnung überhaupt nicht verlassen und ist vollständig gehindert, sich den Nahbereich zu erschließen und sei es nur, um vor dem Haus an der frischen Luft zu sein. Insoweit ist anders als in dem vom BSG a.a.O entschiedenen Fall (nur) hier die Treppensteighilfe vonnöten, um das Grundbedürfnis "Erschließung eines körperlichen Freiraums" zu decken.

In diesem Zusammenhang hat das BSG a.a.O. (Ziff. 6a der Entscheidungsgründe) ausgeführt: Bei der Hilfsmittelversorgung durch die GKV kommt es nicht auf die konkreten Wohnverhältnisse des einzelnen Versicherten an, sondern auf einen generellen, an durchschnittlichen Wohn- und Lebensverhältnissen orientierten Maßstab. Besonderheiten der Wohnung und des Umfeldes, die anderswo - etwa nach einem Umzug - regelmäßig so nicht vorhanden sind und einem allgemeinen Wohnstandard nicht entsprechen, sind bei der Hilfsmittelversorgung durch die GKV nicht zu berücksichtigen. Der Versicherte muss das Hilfsmittel also nicht nur gerade wegen der Besonderheiten seiner konkreten Wohnverhältnisse, sondern in gleicher Weise auch in einer anderen Wohnung und deren Umfeld benötigen. Mit anderen Worten: Ein anderer Versicherter mit den gleichen körperlichen Behinderungen müsste auf das Hilfsmittel in dessen Wohn- und Lebenssituation ebenfalls angewiesen sein.

Unter Zugrundelegung dieser Auffassung, die sich der Senat zu eigen macht, ist bezogen auf den Kläger festzustellen, dass die eingeschossige Wohnung des Klägers de facto dem allgemeinen Wohnstandard entspricht; hier müssen keine Treppen innerhalb der Wohnung überwunden oder besondere Flächen (wie etwa ein Garten oder ein Dachboden) erreicht werden. Mietwohnungen befinden sich - entgegen aller Idealvorstellungen über die Notwendigkeit sozialer Inklusion behinderter Menschen - regelmäßig in mehrgeschossigen Häusern und sind ganz überwiegend nicht (räumlich barrierefrei) ebenerdig oder stufenlos über einen Fahrstuhl erreichbar. Es entspricht bei Mietwohnungen somit dem allgemeinen Wohnstandard, dass diese nur über für alle Mitbewohner sowie Besucher zugängliche Treppen bzw. Treppenhäuser zu erreichen sind. Demnach ist hier - anders als im Sachverhalt, über den das BSG a.a.O. zu entscheiden hatte - das Hilfsmittel nicht wegen der besonderen Beschaffenheit der konkreten Wohnung des Klägers erforderlich und daher als Leistung der GKV ausgeschlossen, sondern notwendig, um die allgemein zugänglicher Treppen in Treppenhäusern zu überwinden, also um die eigene Wohnung überhaupt erreichen bzw. zu verlassen zu können.

Etwas anderes ergibt sich zur Óberzeugung des Senats auch nicht aus dem Hinweis Ziff. 6f der Entscheidungsgründe des BSG, a.a.O.: "Soweit der Zugang zur Wohnung nur über eine Treppe im Hausflur (Treppenhaus) möglich ist, handelt es sich zwar durchaus um den allgemein üblichen durchschnittlichen Wohnstandard, gerade bei Mietshäusern. Nach dem vorstehend aufgezeigten Maßstab fällt indes die Leistungszuständigkeit für Hilfen bei der Bewältigung solcher Hürden nach dem geltenden Recht grundsätzlich nicht in den Verantwortungsbereich der GKV."

Denn mit der Bezugnahme auf den "vorstehend aufgezeigten Maßstab" sowie aus der Gliederung der Entscheidungsgründe (Ziff. 6f als Unterpunkt der Ziff. 6) knüpft das BSG an die in Ziff. 6 dargelegte Systementscheidung des Gesetzgebers zur Abgrenzung der jeweiligen Einstandspflichten der GKV und der GPV an und führt zusammenfassend aus (Ziff. 6d): "Demgemäß ist - wie bereits unter Geltung der RVO - nach der gegenwärtigen Rechtslage weiter maßgebend, dass Hilfen bei der Beschaffung und Unterhaltung einer den Bedürfnissen behinderter Menschen entsprechenden Wohnung über die Zuständigkeit der GKV hinausreichen, und zwar vor allem - aber nicht nur - dann, wenn sie mit der Veränderung der Wohnung selbst verbunden sind (BSG SozR 2200 § 182b Nrn. 10, 23 und 29). Daran hat das BSG nach dem Inkrafttreten von § 40 SGB XI und § 31 SGB IX weiter festgehalten. Eine Hilfe zählt danach zu den Mitteln der behinderungsgerechten Zurichtung der Wohnung und nicht zu den Hilfsmitteln nach § 33 SGB V und § 31 SGB IX, wenn sie nur in der konkreten Wohnung (Wohngrundstück) wegen deren besonderer Beschaffenheit erforderlich ist, nicht aber, wenn es dieser Hilfe typischerweise und erfahrungsgemäß auch in anderen Wohnungen bzw. Wohngebäuden bedarf (BSG, Urteil vom 12.06.2008, B 3 P 6/07 R. - Deckenlifter). Eine Treppensteighilfe ist hinsichtlich des häuslichen Einsatzes insoweit kein von der konkreten Wohnsituation unabhängiges Hilfsmittel, weil das Gerät in einer treppenlosen Wohnumgebung nicht erforderlich ist."

In seiner "Deckenlifter"-Entscheidung (Urteil vom 12.06.2008, B 3 P 6/07 R), an der der 3. Senat des BSG mithin ausdrücklich festhält, orientiert er sich für die Auslegung des Begriffs "Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes" maßgeblich an dem Maßnahmezweck einerseits und der Dauerhaftigkeit des Wohnungseinbaus andererseits. "Unabhängig vom Grad der Befestigung in der Wohnung stellen zunächst dem Zweck nach diejenigen Hilfen eine Maßnahme der Wohnumfeldverbesserung i.S. von § 40 Abs. 4 Satz 1 SGB XI dar, die eine Anpassung der konkreten Wohnumgebung an die Bedürfnisse des behinderten Menschen bezwecken und deshalb in einer anderen Wohnumgebung nicht notwendig ebenso benötigt werden. Darunter fallen insbesondere Treppenlifter oder Aufzüge, mit denen die konkreten Verhältnisse der jeweiligen Wohnsituation an die Anforderungen des behinderten Menschen angepasst werden und die nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht Teil der Hilfsmittelversorgung der GKV oder der sozialen Pflegeversicherung sind."

Anders verhält es sich mit der vom Kläger begehrten Treppensteighilfe, die vom Kläger weder in seiner Wohnung selbst benötigt wird noch einer Anpassung an die konkreten Wohnverhältnisse im Haus bedarf. Soweit es um die Bewältigung der vom BSG unter Ziff. 6f seiner Entscheidungsgründe zitierten "Hürden" geht, bleibt es dabei, dass Hilfsmittel, die nicht der Anpassung an konkrete Wohnverhältnisse dienen, sondern - wie hier - vom Schwerbehinderten in gleicher Weise auch in einem anderen Mehrfamilienhaus typischerweise benötigt werden, § 33 SGB V unterfallen, wenn nur so dem menschlichen Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums Geltung verschafft werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

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