OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.02.2013 - 15 U 12/12
Fundstelle
openJur 2014, 1301
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 21. November 2011verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Marburg abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, die Verfüllung am Rande des untersten Teiches zu beseitigen, die Turbinenrohrleitung wieder mit dem Teich zu verbinden und zukünftig weitere Beeinträchtigungen der Grunddienstbarkeit zu unterlassen.Es hat ausgeführt: Das Recht der Kläger sei nicht verwirkt, weil es bereits am Zeitmoment fehle. Denn es sei auf die Kläger abzustellen, die das Grundstück erst im Jahr 2009 erworben hatten.Das Verhalten des Rechtsvorgängers sei ihnen nicht zuzurechnen.Außerdem fehle das Umstandsmoment, weil für ein Vertrauen auf die Nichtausübung des Rechts nichts vorgetragen sei. Die Kläger verhielten sich auch nicht rechtsmissbräuchlich, weil der Betrieb der Mühle anderweitig nicht möglich sei und die Kläger das Wasser für den Mühlenbetrieb nutzen wollten. Hierfür genüge nämlich Energiegewinnung für die Heizungsanlage.

Gegen das ihm am 16. Dezember 2011 zugestellte Urteil richtet sich der Beklagte mit seiner am 13. Januar 2012 eingelegten und am 26. Januar 2012 begründeten Berufung. Er macht geltend:Energiegewinnung für die Heizungsanlage sei kein Mühlenbetrieb im Sinne der Grunddienstbarkeit. Außerdem sei das Recht verwirkt, weil der Wechsel des Berechtigten für das Zeitmoment unerheblich sei.Der Betrieb sei schließlich auch mit Wasser aus dem Überlauf des Teiches oder dem Abschlagsgraben möglich.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 21. November 2011 verkündeten Urteils des Landgerichts Marburg die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragten,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil den Klägern die auf die §§ 1027, 1004, 1018 BGB gestützten Ansprüche gegen den Beklagten entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht zustehen.

1.

Das Landgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Ansprüche der Kläger nicht verwirkt sind. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die spätere Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. NJW 2012, 1796 mit weiteren Nachweisen).Der Beklagte übersieht, dass dingliche Rechte nicht verwirken,sondern allenfalls die Ansprüche daraus (BGH NJW-RR 2006, 235 mit weiteren Nachweisen). Deshalb könnte vorliegend allenfalls das Recht auf Beseitigung der Verfüllung verwirkt sein, nicht aber das Recht aus der Grunddienstbarkeit als solches. Insoweit fehlt es bereits an dem sogenannten Zeitmoment. Der Beklagte weist zwar zu Recht darauf hin, dass es entgegen der Meinung des Landgerichts nicht auf das Verhalten der Kläger ankommt, sondern auch auf das Verhalten ihres Rechtsvorgängers, weil der Wechsel des Berechtigten für das Zeitmoment unerheblich ist (BGH NJW 2006, 219). Denn ein Recht, das zu Zeiten des Eigentums eines Rechtsvorgängers bereits verwirkt war, kann in der Person des Rechtsnachfolgers nicht wieder unverwirkt entstehen. Es fehlt aber deshalb an dem sogenannten Zeitmoment, weil die das Recht der Kläger beeinträchtigende Verfüllung durch den Beklagten frühestens Ende 2007 vorgenommen worden ist, nachdem die Baugenehmigung am 15. Oktober 2007 erteilt worden war. Bis zum Erwerb des Grundstücks durch die Kläger im April 2009 waren nicht einmal eineinhalb Jahre vergangen, so dass in der Person des Rechtsvorgängers der Kläger das Zeitmoment nicht erfüllt ist. Dasselbe gilt für die Person der Kläger, weil diese bereits etwa ein Jahr nach dem Erwerb mit Schreiben vom 16. April 2010 den Beklagten darauf hinwiesen, dass sie das Wasserrecht weiterhin nutzen wollten.

Unabhängig davon hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass es jedenfalls an ausreichendem Vortrag des Beklagten zu dem sogenannten Umstandsmoment fehlt. Es ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass sich der Beklagte darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hatte, der Rechtsvorgänger der Kläger bzw. die Kläger würden das Recht nicht mehr geltend machen.

2.

Die Ansprüche der Kläger bestehen aber deshalb nicht, weil die vom Beklagten vorgenommene Verfüllung die Grunddienstbarkeit nicht im Sinne von § 1027 BGB beeinträchtigt, weil die Kläger von dem ihnen eingeräumten Recht gar nicht Gebrauch machen wollen, das belastete Grundstück des Beklagten mithin nicht zu Zwecken benutzen wollen, die der Beklagte infolge der Grunddienstbarkeit zu dulden hat. Denn die Kläger wollen keine Mühle betreiben, sondern mit einer Turbine Strom zum privaten Gebrauch erzeugen, was der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Landgericht angegeben hat. Unrichtig ist, dass die Kläger im Schriftsatz vom 12. März 2012 vorgetragen hätten, sie wollten die Mühle wieder traditionell zum Mehl mahlen benutzen, wenn sich eine „entsprechende Notwendigkeit“ergebe. Vielmehr ist dort lediglich ausgeführt, den Klägern bleibe es „unbenommen“, wieder Mehl zu mahlen oder einen Sägebetrieb aufzunehmen. Dass es sich dabei um konkrete Vorhaben handele, ist dem nicht zu entnehmen. Das in diese Richtung zielende ergänzende Vorbringen der Kläger im Schriftsatz vom 10. Januar 2013ist nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gehalten und deshalb unbeachtlich. Es gibt dem Senat keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO), weil weder eine Verletzung der Hinweispflicht (§ 139 ZPO) noch eine Verletzung rechtlichen Gehörs ersichtlich ist.

Nach der Eintragung im Grundbuch haben die Eigentümer des Grundstücks der Kläger das Recht, das Grundstück des Beklagten als Sammelteich zu benutzen und das Wasser „zu ihrem Mühlenbetriebe“ daraus zu entnehmen. Diese Eintragung geschah aufgrund der Bewilligung vom 20. September 1889. Zu diesem Zeitpunkt wurde offenbar eine Mühle auf dem Grundstück der Kläger betrieben. Die von den Klägern beabsichtigte Benutzung ist von dieser Eintragung nicht gedeckt.

Angesichts des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs und des damit angestrebten Verkehrsschutzes ist zur Ermittlung des Inhalts und Umfangs eines dinglichen Rechts vorrangig auf den Wortlaut und den Sinn der Grundbucheintragung abzustellen, wie er sich aus dem Grundbuch und der darin in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergibt. Umstände außerhalb dieser Urkunde dürfen zur Auslegung nur insoweit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGH NJW-RR 2003, 1235; NJW 2000, 3206; NJW 2002,1797; zum Teil mit weiteren Nachweisen). Nach dem Wortlaut der Grundbucheintragung darf die Grunddienstbarkeit zu einer Benutzung als Sammelteich und zur Entnahme von Wasser zu einem Mühlenbetriebe ausgeübt werden. Der Verwendungszweck der Grunddienstbarkeit ist damit konkret beschrieben, nämlich das Grundstück des Beklagten sollte dem Mühlenbetrieb dienen. Offensichtlich und nach dem Vortrag der Parteien nicht in Zweifel zu ziehen hat zum damaligen Zeitpunkt auf dem Grundstück der Kläger auch eine Mühle existiert,die gewerblich betrieben wurde, und zwar noch längere Zeit danach.Das Vorbringen der Parteien ist auch so zu verstehen, dass mit Stilllegung der Mühle von dem damaligen Eigentümer die Zuleitung an einer Stelle mit Beton verfüllt wurde. Die Grunddienstbarkeit verfolgte mithin den Zweck, dem jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks zur Sicherung seines Lebensunterhaltes den Betrieb einer Mühle zu gewährleisten. Diese Zweckbestimmung gehört zum Inhalt der Grunddienstbarkeit (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1235 für ein Wegerecht „zu landwirtschaftlichen Zwecken“; BGHNJW-RR 1995, 15 für ein Wegerecht zu „Wohn- und gewerblichen Zwecken“).

Die von den Klägern beabsichtigte Gewinnung elektrischer Energie zum eigenen Gebrauch wird von diesem Inhalt der Grunddienstbarkeit nicht gedeckt. Denn die Kläger beabsichtigen weder den Betrieb einer Mühle noch eines ähnlichen Betriebes zur Sicherung ihrer Existenz. Selbst wenn dem gewerblichen Charakter eines Mühlenbetriebes keine besondere Bedeutung zukäme, ist die bloße Energiegewinnung durch Wasserkraft einem Mühlenbetrieb nicht gleichzustellen. Inhalt und Umfang einer zeitlich unbegrenzten Dienstbarkeit liegen zwar nicht in jeder Beziehung von vornherein für alle Zeiten fest, sondern sind gewissen Veränderungen unterworfen, die sich aus der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ergeben. Maßgeblich ist nicht die augenblickliche, bei Bestellung der Grunddienstbarkeit gerade bestehende Nutzung; es kommt vielmehr auf den allgemeinen der Verkehrsauffassung entsprechenden und äußerlich für jedermann ersichtlichen Charakter des betroffenen Grundstücks an. Dementsprechend kann der Umfang einer Dienstbarkeit mit dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks wachsen, wenn sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung dieses Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare oder auf eine willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist (BGH NJW-RR 2003, 1235; NJW 2000, 3206). Um eine solche Bedarfssteigerung geht es vorliegend nicht. Denn das Vorhaben der Kläger, für den eigenen Gebrauch Strom zu gewinnen,ist etwas völlig anderes als ein Mühlenbetrieb. Es geht dabei nicht um eine zur Zeit der Eintragung vorhersehbare Weiterentwicklung des damaligen Nutzungszweckes oder eine Veränderung, die sich aufgrund wirtschaftlicher und technischer Entwicklung zwangsläufig ergab.Vielmehr entfernt sich die beabsichtigte Nutzung der Kläger in jeder Hinsicht von dem Inhalt der Eintragung und ist von ihr nicht gedeckt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708Nr. 10, 713.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung des Senats auf einer Würdigung von Tatsachen im Einzelfall beruht und der Sache auch sonst keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.