OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 07.10.2010 - 3 U 50/09
Fundstelle
openJur 2014, 18104
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 1.Zivilkammer des Landgerichts Limburg vom 21.01.2009 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages Höhe leistet.

Die Beschwer des Klägers beträgt 71.554,80 €.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Parteien sind Zahnärzte. Der Beklagte betrieb seit 1986 in Stadt1 eine zahnärztliche Einzelpraxis. Zum 01.04.2000 trat der Kläger in die Einzelpraxis des Beklagten ein und diese wurde nachfolgend als zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts fortgeführt. Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag wurde nicht abgeschlossen. Es war jedoch mündlich vereinbart, dass der Kläger von den von ihm selbst erwirtschafteten Honorareinnahmen 30%, ab dem 01.10.2001 35%, erhalten sollte; der Differenzbetrag sollte dem Beklagten zustehen. Weitere gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen wurden von den Parteien auch mündlich nicht getroffen.

Am 23.01.2004 kündigte der Kläger den Gemeinschaftspraxisvertrag zum 31.01.2004 (Bl. 7) und betreibt seitdem eine Einzelpraxis ca. 500 m entfernt von der früheren Gemeinschaftspraxis; dabei hatte der Kläger eine bereits bestehende Zahnarztpraxis nebst Kundenstamm käuflich erworben. Der Kläger hat den Beklagten zunächst auf Auskunft in Anspruch genommen, was zu dem inzwischen rechtskräftigen Teilurteil vom 30.03.2005 geführt hat (Bl. 28).

Nach erfolgter Auskunftserteilung verlangt der Kläger unter Bezugnahme auf § 738 BGB die Zahlung von 50% des ideellen Praxiswertes im Sinne eines „Good Will“. Der Kläger errechnet den Praxiswert mit 20-25% des durchschnittlichen Jahresbruttoumsatzes der letzten drei Jahre. Danach errechnet sich der Kläger einen Ausgleichsbetrag in Höhe von 71.454,80 € (Bl. 114).

Der Beklagte hat insbesondere eingewandt, dem Anspruch des Klägers stehe die mündliche Gewinnverteilungsvereinbarung entgegen, welche weitergehende Ansprüche ausschließe. Jedenfalls sei der Kläger danach am Goodwill allenfalls zu 35% zu beteiligen. Zudem habe der Kläger den Goodwill in Form der Mitnahme von Patienten bereits realisiert, sodass ihm ein diesbezüglicher Ausgleichsanspruch in Geld nicht zustehe. Der Goodwill beruhe zudem überwiegend auf der langjährigen Tätigkeit des Beklagten, während der Kläger dazu nur mit einer relativ kurzen Tätigkeit von ca. 3 ½ Jahren beigetragen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 133 f.).

Das Landgericht hat dem Zahlungsanspruch des Klägers durch Urteil vom 21.01.2009 in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die gesetzlichen Regeln über die Auseinandersetzung einer BGB-Gesellschaft kämen in vollem Umfang zur Anwendung, mithin auch die Vorschrift des § 738 BGB. Dem stehe die Gewinnverteilungsabrede der Parteien nicht entgegen und auch nicht die - im Verhältnis zum Beklagten - kürzere Tätigkeit des Klägers. Auch die etwaige Mitnahme von Patienten durch den Kläger nach dessen Ausscheiden stehe dem Ausgleichsanspruch nicht entgegen; denn vorliegend fehle es an einem Wettbewerbsverbot. Mangels anderweitiger vertraglicher Regelungen verbleibe es bei der gesetzlichen Regelung, wonach dem Kläger 50% des Praxiswertes als Goodwill zustünden. Gemäß § 287 ZPO werde der Praxiswert auf 142.909,60 € geschätzt, wovon dem Kläger 50% zustünden. Wegen der näheren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen (Bl. 135 f.).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, der weiterhin Klageabweisung begehrt. Er trägt vor, dem vom Landgericht zuerkannten Abfindungsanspruch stehe bereits entgegen, dass der Kläger durch die  M ö g l i c h k e i t  der Mitnahme von Patienten - wegen des fehlenden Wettbewerbsverbots - den Goodwill bereits realisiert habe, so dass bei Zuerkennung des vorliegenden Anspruchs im Ergebnis eine doppelte Abfindung des immateriellen Praxiswertes erfolgen würde. Nachdem der Kläger in unmittelbarer Nähe zur bisherigen Gemeinschaftspraxis eine neue Einzelpraxis errichtet habe und auch ein Wettbewerbsverbot nicht vorliege, bestehe für den Kläger die Möglichkeit der Mitnahme von Patienten aus der früheren Gemeinschaftspraxis; nach der Rechtsprechung reiche bereits diese Möglichkeit aus, um den Ausgleichsanspruch aus § 738 BGB auszuschließen. Der Hinweis des Landgerichts auf ein fehlendes Wettbewerbsverbot sei unzureichend. Denn die gesetzliche Regelung sehe nicht die Einräumung eines Abfindungsanspruchs und zugleich auch noch die Zulassung einer Wettbewerbstätigkeit vor. Vielmehr erlösche der Anspruch auf den anteiligen immateriellen Wert, wenn kein Wettbewerbsverbot bestehe und sich der ausscheidende Partner im Einzugsbereich der bisherigen Praxis niederlasse. Dies folge auch aus § 242 BGB. Darüber hinaus sei entgegen dem Landgericht zu berücksichtigen, dass die Gesellschaft nur ca. 3 ½ Jahre bestanden und dass der Beklagte die von ihm 14 Jahre lang mit Erfolg geführte Einzelpraxis in die Gemeinschaftspraxis eingebracht habe, während der Kläger bei Beginn der Gesellschaft keinerlei Einlage erbracht habe. Dementsprechend sei der Kläger auch nur mit 30% bzw. 35% am Gewinn beteiligt worden, was Auswirkungen auf den Abfindungsanspruch haben müsse. Entgegen dem Landgericht habe der Beklagte der Berechnungsmethode der Landesärztekammer …, der X-bank und des Instituts für … betreffend die Ermittlung des immateriellen Praxiswertes nicht zugestimmt. Zudem habe das Landgericht verkannt, dass sich ein etwa auszugleichender Goodwill allenfalls auf den Praxiswert seit dem Zeitpunkt des Eintritts des Klägers beziehen könne, also ohne Berücksichtigung des durch die 14-jährige Einzelpraxistätigkeit erreichten Goodwill. Danach stünde dem Kläger allenfalls ein 50%iger Praxisanteil in Höhe von 21.095,12 € zu (Bl. 191). Ohnehin aber müsse die Gewinnvereinbarung von 35% auch für einen etwaigen Abfindungsanspruch gelten; dies folge aus § 734 BGB. Zudem habe der Beklagte während der Zeit der Gemeinschaftspraxis jeweils höhere Honorarumsätze erzielt als der Kläger. Was die Zahl der vom Kläger nach dessen Ausscheiden „mitgenommenen“ Patienten betreffe, so könne er, der Beklagte, dazu nur relativ unbestimmte Angaben machen, da er in dem streitgegenständlichen Zeitraum mit einer veralteten Praxissoftware gearbeitet habe; er gehe von mindestens 111 vom Kläger mitgenommenen Patienten aus.

Der Beklagte beantragt,

das landgerichtliche Urteil vom 21.01.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Die in Literatur und Rechtsprechung zum Teil erörterte „Realteilung“ des ideellen Praxiswertes durch die Mitnahme früherer Patienten sei vorliegend weder vereinbart, noch tatsächlich vorgenommen worden. Vielmehr habe der Kläger eine bestehende Zahnarztpraxis gekauft und dabei für den dort übernommenen Patientenstamm 135.000,00 € bezahlt. Patienten aus der früheren Gemeinschaftspraxis habe er - entgegen seinem ursprünglichen Berufungsvortrag - nur in geringem Umfang übernommen (Einzelheiten siehe Schriftsatz vom 14.04.2010, Bl. 260 f.). Im Übrigen habe der Beklagte alles unternommen, um einen Patientenwechsel zum Kläger zu verhindern. Daraufhin habe der Kläger auf eigene Kosten eine zeitlang nach seinem Ausscheiden ein Hinweisschild am Gebäude der früheren Gemeinschaftspraxis anbringen lassen, das auf die neue Praxis des Klägers hingewiesen habe. Die Gewinnvereinbarung der Parteien habe keinen Einfluss auf den späteren Abfindungsanspruch. Bei der Ermittlung des Goodwill sei im Übrigen der vor dem Eintritt des Klägers erzielte Praxiswert nicht abzuziehen, weil dies nicht vereinbart gewesen sei und weil der Wertzuwachs allein auf der Tätigkeit des Klägers beruht habe.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig; insbesondere ist die Berufungsfrist des § 517 ZPO gewahrt, da der Beklagte durch Vorlage des Anwaltsschreibens vom 07.09.2009 (Bl. 233) in ausreichender Weise nachgewiesen hat, dass ihm das angefochtene Urteil erst am 11.02.2009 zugestellt worden ist.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Dabei geht der Senat mit dem Landgericht davon aus, dass vorliegend grundsätzlich ein Abfindungsanspruch des Klägers aus § 738 BGB auf anteilige Erstattung des „Goodwill“ besteht; denn ein solcher Anspruch ist von den Parteien - was in den Grenzen von § 138 BGB zulässig wäre - nicht vertraglich ausgeschlossen worden, auch nicht konkludent. Dieser Anspruch ist jedoch vorliegend bereits als erfüllt anzusehen, sodass eine weitergehende Ausgleichszahlung nicht gerechtfertigt ist.

16Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass der Kläger nach seinem Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis der Parteien nicht durch ein Wettbewerbsverbot beschränkt war. Vielmehr war es dem Kläger gestattet, Patienten aus der früheren Gemeinschaftspraxis in seine neue Einzelpraxis „mitzunehmen“. Für den Fall des Ausscheidens aus einer „Freiberuflerpraxis“ ohne ein Wettbewerbsverbot ist jedoch nach ständiger gefestigter höchstrichterlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, von den nachfolgenden Grundsätzen auszugehen, welche ausdrücklich auch auf ärztliche Gemeinschaftspraxen Anwendung finden. Danach ist es angemessen und sachgerecht, dass eine Freiberuflerpraxis vorrangig durch Realteilung in Form der Mitnahme von Patienten auseinandergesetzt wird, der nach § 738 BGB gebotene Ausgleich mithin durch den „Mitnahme-Vorteil“ des Ausscheidenden realisiert wird (siehe zuletzt BGH in DB 2010, 1583 unter Hinweis auf ZIP 94, 378 f. sowie ZIP 95, 833 f.). Diese Rechtsprechung fußt auf der Annahme, dass der Wert einer Arztpraxis im Wesentlichen durch die persönliche Beziehung zwischen den Patienten und den sie behandelnden Ärzten bestimmt wird. Sie wird damit begründet, dass andernfalls eine doppelte Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters im Sinne einer Kumulierung von Patientenmitnahme und Beteiligung am Geschäftswert erfolgen würde (siehe z.B. Goette in MedR 02, Heft 1,

S. 1/5).

Die genannte Regelung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung als „Normalfall“ oder „Regelfall“ anzusehen; es ist mithin nicht ausgeschlossen, dass die Gesellschafter eine anderweitige vertragliche Regelung für den Abfindungsanspruch treffen können. Da eine solche anderweitige vertragliche Regelung vorliegend jedoch nicht getroffen worden ist, verbleibt es bei den genannten Grundsätzen für den Normalfall.

Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur reicht bereits die rechtlich nicht beschränkte   M ö g l i c h k e i t   der Mitnahme von Patienten aus, um den Abfindungsanspruch als erfüllt anzusehen (so z.B. BGH in DStR 94, 401 mit Anmerkung von Goette; BGH in ZIP 94, 378; OLG Celle in MedR 03, 102; OLG Karlsruhe in NZG 01, 654).

Danach kommt es nicht darauf an, ob und in welchem Umfang sich diese Möglichkeit tatsächlich verwirklicht hat.

21Nach einer einschränkenden Auffassung stellt die Möglichkeit einer Mitnahme des jeweils eigenen Patientenstammes bei Ausscheiden eines von zwei Partnern einer Gemeinschaftspraxis nur dann einen angemessenen Ausgleich des hälftigen „Goodwill“ der Praxis dar, wenn die Möglichkeit der Weiterbehandlung für den Ausscheidenden realistisch ist und die medizinische, wirtschaftliche und soziale Kompetenz der Partner annähernd vergleichbar ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG in MedR 04, 215). Die vorgenannten Einschränkungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, so dass dahinstehen kann, welcher der beiden genannten Rechtsauffassungen der Vorzug zu geben ist. Denn die neue Praxis des Klägers befindet sich nur ca. 500 m entfernt von der früheren Gemeinschaftspraxis, ist also für Patienten der früheren Gemeinschaftspraxis auf nahezu die gleiche Weise zu erreichen wie die frühere Gemeinschaftspraxis. Darüber hinaus hat der Kläger eingeräumt, eine zeitlang durch ein am Haus der früheren Gemeinschaftspraxis angebrachtes Hinweisschild auf seine neue Praxis hingewiesen zu haben. Außerdem hat der Kläger zwischenzeitlich eingeräumt, jedenfalls 69 Patienten aus der früheren Gemeinschaftspraxis „mitgenommen“ zu haben. Und nach dem Vortrag der Parteien zu den Verhältnissen in der früheren Gemeinschaftspraxis und in der neuen Einzelpraxis des Klägers ist auch davon auszugehen, dass die medizinische, wirtschaftliche und soziale Kompetenz der Parteien nach dem Ausscheiden des Klägers annähernd vergleichbar ist.

Nach alldem ist der dem Kläger zustehende Ausgleichsanspruch aus § 738 BGB auch ohne Ausgleichszahlung bereits als erfüllt anzusehen. Auf die Ausführungen der Parteien, wie ein derartiger Zahlungsanspruch im Einzelnen zu berechnen wäre, kommt es mithin nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor; der Senat folgt vollumfänglich den gefestigten höchstrichterlichen Grundsätzen zum Ausscheiden des Gesellschafters aus einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis in Form einer BGB-Gesellschaft.