BGH, Beschluss vom 13.11.2013 - XII ZB 339/13
Fundstelle
openJur 2013, 45261
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 4. Juni 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 3.000 €

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Anordnung einer Kontrollbetreuung.

Mit am 12. April 2012 notariell beglaubigter Vollmachtsurkunde erteilte die im Jahr 1927 geborene Betroffene ihrem Sohn und dessen Ehefrau (Beteiligte zu 1 und zu 2; im Folgenden: Bevollmächtigte) die Vollmacht, sie in den Bereichen Wohnort- und Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge, Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen, laufende finanzielle Angelegenheiten, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden/Renten-/sonstigen Leistungsträgern und Entscheidung über eine ge-1 schlossene Unterbringung zu vertreten. Im Februar 2013 regte die Leitung des Seniorenwohnheims, in dem die Betroffene lebte, die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene an, weil es zu Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit den Heimkosten gekommen sei.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 19. April 2013 den Beteiligten zu 3, einen Rechtsanwalt, zum Kontrollbetreuer mit dem Aufgabenkreis "Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihren Bevollmächtigten" bestellt. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nach der Rechtsbeschwerdebegründung wendet sich (allein) die Betroffene gegen die Kontrollbetreuung. Mithin haben die Bevollmächtigten die Rechtsbeschwerde im Namen der Betroffenen eingelegt.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Das Landgericht hat die Erforderlichkeit einer Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB wie folgt begründet: Die Betroffene leide unter einer senilen Demenz. Sie sei aufgrund dieser Erkrankung weder in der Lage, sich mit der Regelung komplexer, insbesondere finanzieller Angelegenheiten auseinanderzusetzen, noch könne sie das Handeln ihrer Bevollmächtigten überwachen oder frei von Einflüssen und mit freiem Willen über die Notwendigkeit einer Betreuung entscheiden. Es bestünden auch hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass dem Betreuungsbedarf mit der den Bevollmächtigten erteilten Voll-3 macht nicht Genüge getan werde, weil es dringenden Grund zu der Annahme gebe, dass die Bevollmächtigten missbräuchlich und zum Nachteil der Betroffenen mit der Vollmacht umgingen. Insbesondere sei nicht erklärlich, warum sie trotz der nicht unerheblichen Einkünfte der Betroffenen die Heimkosten nicht ordnungsgemäß bezahlt hätten. Zudem sei zweifelhaft, ob die medizinische und pflegerische Versorgung der Betroffenen im Haushalt der Bevollmächtigten, wo sie jetzt lebe, gewährleistet sei. Schließlich hätten die Bevollmächtigten gegen zwei weitere Kinder der Betroffenen Klage auf Unterlassung der Kontaktaufnahme zur Betroffenen erhoben, obwohl nicht ersichtlich sei, warum dies im Interesse der Betroffenen liegen solle. Es stehe zu befürchten, dass auf dem Rücken der Betroffenen die langjährigen Streitigkeiten zwischen ihren Kindern ausgetragen werden sollten.

2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde schon deswegen nicht stand, weil - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - die Tatsacheninstanzen der anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen keinen Verfahrenspfleger bestellt haben.

a) Nach § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist.

Die Vorschrift des § 276 FamFG hat § 67 FGG ersetzt, dem sie inhaltlich weitgehend entspricht und der auf das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz) vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002) zurückgeht. Ein wesentliches Ziel der mit dem Betreuungsgesetz vorgenommenen Änderungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit war es, die Rechtsposition des Betroffenen im Verfahren zu stärken. Der Gesetzgeber sah § 67 FGG dabei als 7 wesentliche Neuregelung, die den Schutz des Betroffenen verbessern sollte, indem man ihm - soweit zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich - einen Verfahrenspfleger zur Unterstützung zur Seite stellt (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 89). Damit sollten die auf einem gesundheitlichen Mangel beruhenden Einschränkungen der Fähigkeit des Betroffenen, sich im Betreuungsverfahren selbst angemessen vertreten zu können, ausgeglichen werden. Die vorrangige Aufgabe des Verfahrenspflegers besteht daher darin, gegenüber dem Gericht den Willen des Betroffenen kundzutun und dessen aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu verwirklichen (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - XII ZB 19/11 - FamRZ 2011, 1577 Rn. 8; BT-Drucks. 15/2494 S. 18 und 41).

b) Ob es auch dann, wenn keiner der in § 276 Abs. 1 Satz 2 FamFG aufgeführten Regelfälle vorliegt, eines Verfahrenspflegers bedarf, hängt vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstandes ab (BT-Drucks. 11/4528 S. 171; allgemeine Meinung, vgl. etwa BayObLG FamRZ 2003, 1044; HK-BUR/Bauer [Stand: Dezember 2010] § 276 FamFG Rn. 71; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1. Oktober 2005] § 67 FGG Rn. 5; Brosey in Bahrenfuss FamFG § 276 Rn. 3; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 3. Aufl. § 276 Rn. 4; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 276 FamFG Rn. 5; Bienwald in Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 276 FamFG Rn. 29). Das Gericht hat hierzu eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, ohne dass ihm insoweit ein Ermessen eröffnet ist (vgl. Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 276 Rn. 3; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 3. Aufl. § 276 Rn. 4).

c) Diesen rechtlichen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. 10 aa) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist die Betroffene zu einer freien Willensbildung in Bezug auf die Betreuung nicht in der Lage. Sie leidet unter einer deutlichen Einschränkung ihrer kognitiven Fähigkeiten, insbesondere von Kritik- und Urteilsvermögen, und kann komplexe Zusammenhänge nicht mehr überblicken. Damit liegen gravierende Beeinträchtigungen der Betroffenen vor, die sie daran hindern, ihre Rechte im Betreuungsverfahren ausreichend wahrzunehmen. Denn eine Artikulation ihrer Einwendungen mit einer differenzierten Begründung ist ihr nicht möglich.

bb) In Anbetracht der Bedeutung des konkreten Verfahrensgegenstandes führt diese Einschränkung der Betroffenen dazu, dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers zwingend geboten war.

(1) Dass das Verfahren auf die Prüfung der Erforderlichkeit einer Kontrollbetreuung gemäß § 1896 Abs. 3 BGB gerichtet ist, macht die Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht grundsätzlich entbehrlich (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 3. Aufl. § 276 Rn. 4; zweifelnd HK-BUR/Bauer [Stand: September 2009] § 276 FamFG Rn. 76 f. unter Bezugnahme auf BT-Drucks. 11/4528 S. 164). Der Kontrollbetreuer überwacht den oder die Vorsorgebevollmächtigten und ist gegebenenfalls sogar zum Widerruf der Vorsorgevollmacht berechtigt und verpflichtet (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum RegE des BtG BT-Drucks. 11/4528 S. 226; vgl. auch KG FamRZ 2007, 1041; BayObLG FamRZ 2002, 1220, 1221; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 247 mwN; Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1896 Rn. 337; HK-BUR/Bauer/Deinert [Stand: Februar 2013] § 1896 BGB Rn. 262; Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1896 BGB Rn. 37; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1. August 2008] § 1896 BGB Rn. 205). Bei einem Widerruf kann eine Betreuung 12 für den Betroffenen notwendig werden, die dieser mit der Erteilung der Vorsorgevollmacht gerade zu verhindern suchte.

(2) Die Bestellung eines Kontrollbetreuers bedeutet einen gewichtigen Grundrechtseingriff. Der Betroffene wird durch eine rechtliche Betreuung in seiner Entscheidungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) eingeschränkt; im Ergebnis kann es im Zuge der Betreuung auch in höchstpersönlichen Angelegenheiten zu Entscheidungen gegen seinen ausdrücklichen Willen kommen. Die Möglichkeit, Vorsorgevollmachten zur Vermeidung einer rechtlichen Betreuung zu erteilen, ist demgegenüber Ausdruck des durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Selbstbestimmungsrechts (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 2260, 2261).

(3) Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist im vorliegenden Verfahren eine Kontrollbetreuung, die sich auf den gesamten von der Vorsorgevollmacht genannten Aufgabenkreis bezieht. Dieser deckt praktisch alle Bereiche ab, in denen rechtliche Entscheidungen für die Betroffene zu treffen sind, und ist damit umfassend angelegt. Die aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Grundrechtsposition der Betroffenen würde jedenfalls mit einer derart umfassenden Kontrollbetreuung in schwerwiegender Weise eingeschränkt.

(4) Daher war es vorliegend verfahrensfehlerhaft, dass das Beschwerdegericht der Betroffenen trotz deren krankheitsbedingt erheblich eingeschränkter Fähigkeit, ihre Interessen im Verfahren wahrzunehmen, keinen Verfahrenspfleger bestellt hat, obwohl es eine umfassende Kontrollbetreuung für die nahezu alle Angelegenheiten abdeckende Vorsorgevollmacht geprüft - und letztlich auch als erforderlich erachtet - hat.

Diesem Ergebnis steht eine im Verfahren erfolgte Vertretung der Betroffenen durch die (Vorsorge-)Bevollmächtigten nicht gemäß § 276 Abs. 4 15 FamFG entgegen, weil sich diese in einem Interessenkonflikt befinden (vgl. Bienwald Rpfleger 2009, 290).

d) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts beruht auf diesem Verfahrensfehler. Denn es lässt sich nicht ausschließen, dass das Landgericht nach Hinzuziehung eines Verfahrenspflegers aufgrund dessen Stellungnahme zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.

3. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird einen Verfahrenspfleger zu bestellen und nach dessen Stellungnahme erneut zu entscheiden haben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Im Rahmen der weiteren Ermittlungen besteht für das Beschwerdegericht auch Gelegenheit, sich mit den Einwendungen der Rechtsbeschwerde zur Erforderlichkeit einer Kontrollbetreuung auseinanderzusetzen. Insbesondere kann es sich hierbei zum einen mit den Erklärungen der Bevollmächtigten zum Entstehen des Zahlungsrückstands bei den Heimkosten befassen, wie sie sich aus dem erst am 4. Juni 2013 eingegangenen Schreiben vom selben Tag ergeben, das das Landgericht bei seiner Entscheidung nicht mehr berücksichtigen konnte. Zum anderen kann das Landgericht der Frage nachgehen, ob die Betroffene im Haushalt der Bevollmächtigten derzeit insbesondere medizinisch nicht hinreichend versorgt ist. 19 b) Darüber hinaus wird das Beschwerdegericht bei erneuter Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Kontrollbetreuung zu klären haben, ob diese tatsächlich für alle von der Vorsorgevollmacht erfassten oder aber nur für einzelne Bereiche erforderlich ist (vgl. z.B. OLG München FamRZ 2009, 1437, 1438; Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1896 Rn. 331; Prütting/Wegen/Weinreich/Bauer BGB 8. Aufl. § 1896 Rn. 32).

Dose Klinkhammer Günter Botur Guhling Vorinstanzen:

AG Monschau, Entscheidung vom 19.04.2013 - 3 XVII Sch 1099 -

LG Aachen, Entscheidung vom 04.06.2013 - 3 T 119/13 - 23