LG Köln, Urteil vom 17.09.2013 - 21 O 475/12
Fundstelle
openJur 2013, 37012
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 97.394,-- € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.12.2012 zu bezahlen Zug um Zug gegen Übertragung und Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag bei der V AG, Police-Nr. ...#.

Es wird festgestellt, dass der Beklagten aus den mit dem Kläger geschlossenen Darlehensverträgen vom 14./17.03.2004, Darlehensnummern ...#1 und ...#2, in Höhe des Nominalbetrages von 735.797,-- CHF bzw. ihres jeweiligen Nennwerts in Euro keine Ansprüche mehr zustehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 10 % und die Beklagte zu 90 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in eben dieser Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Rückabwicklung von zwei mit der Beklagten geschlossenen Darlehensverträgen, die im Zusammenhang mit dem Abschluss von Lebensversicherungsverträgen im Rahmen der "Sicherheits-Kompakt-Rente" standen, die von der sog. Schnee-Gruppe vertrieben wurde.

Der Kläger erhielt insofern ein auf den 11.02.2004 datiertes Angebot (Anlage K 1) und beantragte am gleichen Tag die Gewährung eines Darlehens in Schweizer Franken im Gegenwert von 464.920,-- €. Der Darlehensantrag wurde zusammen mit einer Selbstauskunft und einem Anschreiben der Schnee-Gruppe bei der Beklagten eingereicht (Anlage BLD 1). Aus den Darlehensmitteln sowie einer Eigenleistung des Klägers in Höhe von 33.232,-- € sollten die Beiträge einer bei der V Versicherung abzuschließenden Rentenversicherung, einer Lebensversicherung "Wealthmaster Noble" der englischen H Investment Group Ltd. sowie einer Risikolebensversicherung bei der M AG finanziert werden. Der Vertrag mit H sollte der Tilgung des bei der Beklagten beantragten Darlehens dienen. Als Sicherheit trat der Kläger der Beklagten unter anderem die Versicherungsansprüche ab.

Die Beklagte übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 09.03.2004 die vorbereiteten Kreditverträge zur Unterzeichnung. Diesen waren Widerrufsbelehrungen beigefügt, wegen deren Inhalts auf die Anlagen K 7 und K 8 zur Klageschrift (Bl. 21 und 25 d. AH) verwiesen wird.

Nachdem die Beklagte das Darlehen bewilligt hatte, beantragte der Kläger die entsprechenden Versicherungen und zahlte den Eigenanteil auf ein eigens eingerichtetes Konto bei der Beklagten ein. Nach Policierung überwies die Beklagte die Beiträge unmittelbar an die Versicherungsunternehmen.

Die Beklagte gewährte auch anderen Kunden Darlehen zur Finanzierung einer "Sicherheits-Kompakt-Rente".

Da die Zinsbindung nach fünf Jahren auslief, wandte sich der Kläger im Jahr 2009 an die Beklagte. Diese übersandte ihm am 09.04.2009 zwei Änderungsvereinbarungen, die der Kläger noch am gleichen Tag gegenzeichnete. Die Vereinbarungen enthielten ebenfalls Widerrufsbelehrungen, wegen deren Inhalts auf die Anlagen BLD 10a und 10b (Bl. 61 und 66 d. AH) Bezug genommen wird.

Nach Abschluss der Verträge leistete der Kläger an die Beklagte aus eigenen Mitteln weitere 64.162,-- €.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.03.2011 teilte der Kläger zunächst mit, dass er Schadensersatzansprüche gegen die H erhebe und dies dem Anspruch der Beklagten aus dem Darlehensvertrag entgegenhalten wolle. Im Einvernehmen mit der Beklagten wurde der Versicherungsvertrag mit H zum 25.07.2011 gekündigt und der Rückkaufswert in Höhe von 389.510,64 € auf das Konto des Klägers bei der Beklagten eingezahlt.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 18.12.2012 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen und forderte die Beklagte zur Zahlung von 97.394,-- € bis zum 28.12.2012 auf.

Der Kläger ist der Ansicht, die von der Beklagten in dem Darlehensvertrag vom 09./14.03.2004 verwendete Widerrufsbelehrung sei wegen mehrerer inhaltlicher Fehler unwirksam. Die Versicherungsverträge einerseits und die Darlehensverträge andererseits stellten sich auch als verbundene Geschäfte dar. Hierzu behauptet der Kläger:

Die "Sicherheits-Kompakt-Rente" nebst Finanzierung der Verträge über die Beklagte sei ihm von dem Zeugen I vermittelt worden. Der Abschluss der Verträge sei bereits im Dezember 2003 beantragt worden, allerdings habe so kurz vor Jahresende die Finanzierung nicht mehr bewilligt werden können. Die Beklagte habe dies abgelehnt, da ihr Kontingent für 2003 erschöpft gewesen sei. Im Februar 2004 habe der Zeuge I beim Kläger nachgefragt, ob er noch an einem Abschluss interessiert sei, die Beklagte würde jetzt wieder entsprechende Anträge finanzieren. Nachdem der Kläger sein Interesse bekundet habe, seien ihm von der Schnee-Gruppe das schriftliche Berechnungsbeispiel sowie ein Kreditantrag übersandt worden.

Der Zeuge I habe den Kläger darauf hingewiesen, dass die gewählten Versicherer besonders hohe Renditen erwirtschafteten. Sowohl die Schnee-Gruppe als auch die Banken hätten die Angaben des Versicherers H überprüft. Die Beklagte böte gute Konditionen und verzichte auf die Stellung von Zusatzsicherheiten, weshalb die Finanzierung über sie angeboten würde.

Der Beklagten seien die Funktion der "Sicherheits-Kompakt-Rente" und das damit verbundene Verlust- bzw. Zins- und Renditerisiko bekannt gewesen. Gemäß dem Konzept und den Angaben im Versicherungsvertrag habe sie gewusst, dass die von der Initiatorin vermittelten Kunden die Tilgungsversicherung nicht aus vorhandenem Vermögen bezahlen, sondern ein fremdfinanziertes Anlagemodell eingehen wollten. In Absprache mit der Schnee-Gruppe habe die Beklagte Personaldarlehen in Fremdwährung an ihr unbekannte Kreditnehmer ohne grundpfandrechtliche Sicherheiten gewährt. Voraussetzung für die Finanzierung sei eine positive Bonitätsauskunft gewesen, die gemeinsam mit dem von der Schnee-Gruppe ausgefertigten Kreditantrag bei der Beklagten eingereicht wurde.

Ihre Finanzierungsbereitschaft habe die Beklagte bereits im Vorfeld im Rahmen einer besonderen Absprache mit der Schnee-Gruppe zugesagt. In diesem Zusammenhang habe sie das Geschäftsmodell intensiv überprüft und habe dies, lange bevor sie dem Kläger die streitgegenständlichen Darlehen gewährt habe, gekannt.

Eine Anrechnung von Steuervorteilen finde nicht statt, da der Kläger die im Rahmen der Rückabwicklung zu beanspruchende Leistung zu versteuern habe.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 97.394,-- € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.12.2011 zu bezahlen Zug um Zug gegen Übertragung und Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag bei der V AG, Police-Nr. ...#;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von sämtlichen weiteren Zahlungen aus den Darlehensverträgen vom 16.12./17.12.2004, Darlehenskontonummer ...#1 & ...#2 in Höhe des Nominalbetrages von 735.797,-- CHF bzw. ihres jeweiligen Nennwerts in Euro mit Wirkung zum 06.12.2011 freizustellen;

3. die Beklagte weiter zu verurteilen, den Kläger von allen künftigen Schäden, insbesondere aus der Neufestsetzung der Einkommenssteuer für die Jahre 2003 bis 2011, freizustellen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.907,56 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.12.2011 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Kläger habe mehr als 33.232,-- € aus eigenen Mitteln aufgewendet, nämlich vierteljährliche Zuzahlungen geleistet, weil die Leistungen aus der Rentenversicherung nicht ausreichten. Außerdem habe er die jährliche Prämie der Risikolebensversicherung selbst getragen, und die Schwankungen zwischen der Zahlung aus der Rentenversicherung in Euro und der Verpflichtung gegenüber der Beklagten in Schweizer Franken seien auszugleichen gewesen.

Eine Finanzierungsanfrage im Jahr 2003 könne nicht bestätigt werden. Ohnehin habe die Schnee-Gruppe nur in geringem Umfang Finanzierungsanfragen für ihre Kunden bei der Beklagten gestellt, die jeweils einzeln bewertet worden seien. Es habe auch keine vorherigen Absprachen über Konditionen oder sonst maßgebliche Rahmenbedingungen gegeben.

Die unmittelbare Zahlung an die Versicherungsunternehmen erkläre sich aus dem Sicherungsbedürfnis der Beklagten, denn nur so habe sichergestellt werden können, dass die Lebensversicherungsverträge zustande kamen und als Sicherheit für die gewährten Kredite zur Verfügung standen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Versicherungs- und die Darlehensverträge stellten keine verbundenen Geschäfte dar. Dagegen spreche bereits der vom Kläger behauptete zeitliche Abstand zwischen der erstmaligen Beantragung im Dezember 2003 und der Finanzierungsanfrage im Februar 2004 sowie die Darlehensaufnahme in Fremdwährung, während die Versicherungsbeiträge in Euro zu leisten waren.

Des Weiteren seien die ursprünglich verwendeten Widerrufsbelehrungen nicht zu beanstanden und auch die im Jahr 2009 erteilten Belehrungen fehlerfrei. Jedenfalls habe der Kläger das durch diese Spekulation übernommene zusätzliche Risiko selbst zu tragen. Angesichts dessen, dass der Kläger einer neuen Zinsbindung zugestimmt habe, sowie des langen Zeitraums stelle sich sein jetziges Begehren ohnehin als treuwidrig dar.

Selbst wenn der Kläger wirksam widerrufen hätte, seien die Versicherungsverträge hiervon nicht erfasst; ein Widerrufsdurchgriff finde nicht statt. Der Kläger bliebe damit zur Rückzahlung der Darlehensvaluta verpflichtet.

Ferner müsse der Kläger die gezogenen Nutzungen herausgeben, insbesondere erzielte Steuervorteile und ersparte Schuldzinsen sowie die Zahlungen aus der Rentenversicherung und die Finanzierungsvermittlungsprovision.

Schließlich seien die vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht erstattungsfähig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

I.

Der Klageantrag zu 2. war zunächst dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Feststellung begehrt, dass der Beklagten aus den streitgegenständlichen Darlehensverträgen keine Ansprüche mehr zustehen. Freistellung könnte allenfalls von Verpflichtungen gegenüber Dritten verlangt werden; von eigenen Ansprüchen kann die Beklagte den Kläger nicht freistellen.

Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Beklagte den erklärten Widerruf für unberechtigt hält und sich weiterhin der Ansprüche aus den streitgegenständlichen Darlehensverträgen berühmt.

Des Weiteren war der Klageantrag zu 2. hinsichtlich der Darlehensnummern und des Datums des Vertragsschlusses zu korrigieren. Insofern handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler des Klägervertreters. Die Summe der gewährten Darlehen (610.530,-- CHF + 125.267,-- CHF) ist dagegen richtig wiedergegeben.

II.

Die Klage ist im erkannten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

1.

Der Beklagten stehen gegen den Kläger keine Ansprüche aus den beiden streitgegenständlichen Darlehensverträgen mehr zu. Der Kläger hat seine auf den Abschluss dieser Verträge gerichteten Willenserklärungen gemäß §§ 495 Abs. 1, 355 BGB zu wirksam widerrufen.

Dass es sich bei den streitgegenständlichen Darlehensverträgen um Verbraucherdarlehensverträge handelt, steht zwischen den Parteien außer Streit. Unzweifelhaft hat der Kläger die Darlehen auch als Verbraucher (§ 13 BGB) beantragt, während die Beklagte genauso zweifelsfrei Unternehmerin ist (§ 14 Abs. 1 BGB).

Der Kläger konnte das Widerrufsrecht am 28.12.2010 noch ausüben, obwohl die gesetzliche Zwei-Wochen-Frist (§ 355 Abs. 1 Satz 2 BGB) seit Beantragung der Darlehen abgelaufen war. Das Widerrufsrecht war auch nicht gemäß § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB erloschen. Der Kläger war nämlich nicht ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerrufsrecht belehrt worden (§ 355 Abs. 3 Satz 2 BGB).

Nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoV genügt eine Widerrufsbelehrung den Anforderungen des § 355 Abs. 2 und den diesen ergänzenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wenn das Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in Textform verwandt wird. Wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgeführt hat, kann ein Unternehmer sich auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV von vornherein nur dann berufen, wenn er gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet hat, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht (BGH, Urteil vom 28.06.2011, XI ZR 349/10, m.w.N.).

Die von der Beklagten im Zusammenhang mit den Darlehensverträgen vom 04.02./16.03.2004 verwendete Widerrufsbelehrung wich in mehreren Punkten von der Musterbelehrung der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV ab.

So wurde bereits der gesamte Text verwendet, ohne diesen an die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles anzupassen. Verfehlt war unter anderem die Aufnahme einer Belehrung zum Widerrufsrecht beim finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechtes. Entsprechendes gilt für die Belehrung über das Widerrufsrecht für den Fall, dass mit dem Darlehensvertrag die Überlassung einer Sache finanziert wurde.

Ebenfalls zu beanstanden ist, dass die Beklagte in ihr Formular die Belehrungen über den Beginn der Widerrufsfristen alternativ für die Fälle der gleichzeitigen und der späteren Aushändigung aufgenommen hat.

Des Weiteren entsprach die verwendete Formulierung bezüglich der Folgen des Widerrufs bei verbundenen Geschäften nicht der damaligen Gesetzesfassung. Während es in § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB hieß: "...wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss...", hat die Beklagte an dieser Stelle das Wort "und" eingesetzt.

Zudem fehlte in der verwendeten Widerrufsbelehrung der gemäß § 358 Abs. 5 BGB erforderliche Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 358 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 BGB.

Schließlich ist auch der Satz "Können Sie auch den anderen Vertrag widerrufen, so müssen Sie den Widerruf gegenüber ihrem diesbezüglichen Vertragspartner erklären." nicht richtig, denn nach § 358 Abs. 2 Satz 3 BGB galt der Widerruf des Verbraucherdarlehensvertrages zugleich als Widerruf des verbundenen Vertrages gegenüber dem Unternehmer.

2.

Eine wirksame Belehrung des Klägers über das ihm im Zusammenhang mit der Beantragung der Darlehen zustehende Widerrufsrecht ist auch nicht nachträglich erfolgt, indem die Beklagte ihren Prolongationsangeboten entsprechende Formulare beifügte, die von dem Kläger gegengezeichnet wurden.

Ungeachtet dessen, dass auch diese Belehrung zumindest teilweise den oben dargestellten inhaltlichen Bedenken unterliegt, bezog sie sich ersichtlich auf die neu zu treffende Zinsvereinbarung und nicht das zugrunde liegende Darlehen. Folglich war für den Kläger nicht erkennbar, dass die Beklagte ihn hiermit nachträglich über das bei der ursprünglichen Beantragung der Darlehen bestehende Widerrufsrecht belehren wollte.

Der Kläger verhält sich auch nicht treuwidrig bzw. rechtsmissbräuchlich, wenn er seine auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen erst nach über sechs Jahren widerruft, obwohl er zwischenzeitlich die besagte Prolongationsvereinbarung geschlossen hat.

Das Vertrauen der Beklagten in den Fortbestand der Darlehensverträge war im Zeitpunkt des Widerrufs nicht schutzwürdig. Solange dem Verbraucher keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt worden ist, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen und muss der Unternehmer - auch Jahre später - mit der Ausübung dieses Rechts rechnen. Will er dies verhindern, muss er den Verbraucher - auch nachträglich - über das ihm zustehende Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehren. Dass der Unternehmer womöglich die Fehlerhaftigkeit der von ihm verwendeten Belehrung nicht erkannt hat, vermag ihn nicht zu entlasten, denn es geht nicht um die Haftung für etwaiges schuldhaftes Verhalten.

Die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalles geben keinen Anlass, von diesen Grundsätzen abzuweichen.

3.

Folge des wirksam erklärten Widerrufs ist grundsätzlich, dass gemäß §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 Abs. 1 BGB die empfangenen Leistungen zurückzugewähren sind. Der Widerruf verpflichtet daher den Darlehensnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur sofortigen Rückzahlung und marktüblichen Verzinsung des Darlehens (Palandt-Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 357, Rdnr. 4, m.w.N.).

Eine andere Beurteilung ist aber dann geboten, wenn der Darlehensnehmer den Kredit nicht empfangen hat oder der Darlehensvertrag und das finanzierte Geschäft ein verbundenes Geschäft bilden mit der Folge, dass der Widerruf des Darlehensvertrages zugleich auch der Wirksamkeit des finanzierten Geschäfts entgegensteht. In diesem Fall erfordert der Zweck der gesetzlichen Widerrufsregelung, dem Kunden innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist frei und ohne Furcht vor finanziellen Nachteilen die Entscheidung zu ermöglichen, ob er an seinen Verpflichtungserklärungen festhalten will oder nicht, eine Auslegung dahin, dass dem Darlehensgeber nach dem Widerruf kein Zahlungsanspruch gegen den Darlehensnehmer in Höhe des Darlehenskapitals zusteht. Die Rückabwicklung hat in diesem Falle vielmehr unmittelbar zwischen dem Kreditgeber und dem Partner des finanzierten Geschäfts zu erfolgen (BGH, Urteil vom 25.04.2006, XI ZR 193/04, m.w.N., zu § 3 HWiG a.F.).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt; die Darlehens- und die Versicherungsverträge stellen sich als verbundene Geschäfte dar.

Nach § 358 Abs. 3 Satz 1 BGB sind ein Vertrag über die Erbringung einer Leistung und ein Verbraucherdarlehensvertrag verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrages dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Eine wirtschaftliche Einheit ist gemäß § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB insbesondere anzunehmen, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrages der Mitwirkung des Unternehmers, d.h. des Partners des Vertrages über die Erbringung einer Leistung, bedient (BGH, Urteil vom 15.12.2009, XI ZR 45/09).

Ob die unwiderlegliche Vermutung des § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB vorliegend eingreift, kann offen bleiben. Das Gericht ist jedenfalls anhand der unstreitigen Indizien davon überzeugt, dass die Darlehens- und die Versicherungsverträge verbunden im Sinne des § 358 Abs. 3 Satz 1 BGB sind.

Eine wirtschaftliche Einheit ist danach dann anzunehmen, wenn über ein Zweck-Mittel-Verhältnis hinaus beide Verträge derart miteinander verbunden sind, dass ein Vertrag nicht ohne den anderen abgeschlossen worden wäre. Die Verträge müssen sich wechselseitig bedingen bzw. der eine seinen Sinn erst durch den anderen erhalten. Dazu bedarf es der Verknüpfung beider Verträge durch konkrete Umstände (Verbindungselemente), die sich nicht wie notwendige Tatbestandselemente abschließend umschreiben lassen, sondern im Einzelfall verschieden sein oder gar fehlen können, wenn sich die wirtschaftliche Einheit aus anderen Umständen ergibt (BGH, Urteil vom 18.12.2007, XI ZR 324/06, m.w.N., zu § 9 Abs. 1 Satz 1 VerbrKrG a.F.).

Zu diesen Indizien gehören die Zweckbindung des Darlehens zur Finanzierung eines bestimmten Geschäfts, durch die dem Darlehensnehmer die freie Verfügbarkeit über die Darlehensvaluta genommen wird, der zeitgleiche Abschluss beider Verträge, das Verwenden einheitlicher Formulare mit konkreten wechselseitigen Hinweisen auf den jeweils anderen Vertrag, die Einschaltung derselben Vertriebsorganisation durch Kreditgeber und Verkäufer und das Abhängigmachen des Wirksamwerdens des Erwerbsvertrages vom Zustandekommen des Finanzierungsvertrages mit einer vom Unternehmer vorgegebenen Bank (BGH aaO, m.w.N.).

Das Konzept der Sicherheits-Kompakt-Rente sah eine Fremdfinanzierung der für die Kapitallebens- und die Rentenversicherung zu zahlenden Einmalbeiträge, nicht zuletzt aus steuerlichen Gründen, zwingend vor. Überdies waren die Verträge dergestalt mit den Darlehen verquickt, als die Ablaufleistung der Kapitallebensversicherung zur Tilgung und die laufenden Auszahlungen der Rentenversicherung zur Begleichung der Zinsen benutzt werden sollten.

Diese Verwendung der Darlehensmittel war in den Darlehensverträgen festgeschrieben. Dass die an die Versicherungen zu zahlenden Beiträge unmittelbar aus den gewährten Darlehen beglichen wurden, hat die Beklagte zunächst selbst vorgetragen. Sofern sie später behauptet hat, diese Gelder seien auf das Girokonto des Klägers ausgezahlt worden, wird der darin liegende Widerspruch nicht aufgeklärt. In jedem Fall sind die Gelder aber zeitnah an die Versicherungsunternehmen weitergeleitet worden, so dass eine freie Verfügbarkeit für den Kläger nicht bestanden hat.

Wäre er so verfahren, hätten die zur Sicherung der Darlehen verpfändeten Versicherungen nicht bestanden, wodurch die Darlehensforderungen letztlich unbesichert gewesen wären, was zwangsläufig zur Kündigung und Rückforderung geführt hätte. Außerdem sollte das Girokonto allein der Abwicklung der im Zusammenhang mit der Sicherheits-Kompakt-Rente anfallenden Zahlungsströme dienen. Unstreitig hatte der Kläger vor der Darlehensaufnahme keine Geschäftsverbindung zur Beklagten, und dass andere Zahlungen über das Konto geflossen sind, behauptet diese selbst nicht.

Zusätzlich zu der vertraglichen Zweckbindung hatte der Kläger die Versicherungen zur Sicherheit für die gewährten Darlehen an die Beklagte verpfändet.

Darüber hinaus hat sich die Beklagte die Tätigkeit des Zeugen I jedenfalls insofern zu Nutze gemacht, als sie mit dem von diesem vermittelten Kläger als Neukunden zwei Darlehensverträge in nicht unerheblicher Höhe abgeschlossen hat. Sämtliche der Vertragsanbahnung dienenden Tätigkeiten hat der Zeuge ausgeführt. Dass er sich hierbei nicht eines Antragsvordrucks der Beklagten bediente, steht dem ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass der Kläger - was überdies streitig ist - eine Finanzierungsvermittlungsprovision gezahlt hat. Ob auch die Beklagte an den Zeugen I bzw. die Schnee-Gruppe eine Provision gezahlt hat, kann dahinstehen.

Dass es sich bei den dem Kläger zwecks Beteiligung an der Sicherheits-Kompakt-Rente gewährten Darlehen um keinen Einzelfall handelte, steht aufgrund des unstreitigen Sachverhalts ebenfalls fest. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, weiteren Kunden vergleichbare Darlehen gewährt zu haben, was sich mit der Kenntnis der Kammer aus anderen Verfahren deckt. Auch wäre nicht plausibel, wie die Beklagte ein Darlehen in deutlich sechsstelliger Höhe ausreichen würde, das nicht durch Grundpfandrechte gesichert werden soll, wenn ihr das zugrunde liegende Konzept nicht bereits bekannt war. Dass sie von dem Kläger weitere Unterlagen zur Prüfung der Bonität, insbesondere der Versicherungen, in die investiert werden sollte, angefordert hat, behauptet die Beklagte selbst nicht. Wenn sie allein aufgrund der zur Gerichtsakte gereichten Selbstauskunft ein derart hohes und langfristiges Darlehen vergab, das zudem erst bei Endfälligkeit voll getilgt werden sollte, lässt sich dies nur damit erklären, dass der Beklagten das zugrunde liegende Anlagekonzept bereits bekannt war.

Die wirtschaftliche Einheit wird auch nicht dadurch aufgelöst, dass der Kläger die Darlehen in Schweizer Franken aufgenommen hat, während die Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Versicherungen in Euro zu erfüllen waren. Es handelte sich um eine von den Initiatoren von vorne herein angebotene Möglichkeit, für die auch die entsprechenden Konditionen von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden waren, wie sich der Berechnung (Anlage K 1) entnehmen lässt. Von einer gänzlich eigenständigen Entscheidung des Klägers, bezüglich derer er das Wechselkursrisiko tragen müsste, kann nicht die Rede sein. Ob die Voraussetzungen des § 359a Abs. 3 BGB erfüllt sind, kann vorliegend dahinstehen, da diese Norm erst seit dem 11.06.2010 in Kraft ist und daher auf den hier in Rede stehenden Widerruf einer Erklärung aus dem Jahr 2004 nicht anzuwenden ist.

Schließlich streitet auch der zeitliche Ablauf nicht gegen die wirtschaftliche Einheit der Verträge. Zwar hat der Kläger selbst behauptet, erstmals im Dezember 2003 die Sicherheits-Kompakt-Rente beantragt zu haben. Warum es zu diesem Zeitpunkt noch zu keinem Abschluss gekommen ist, hat er aber ebenso plausibel dargelegt. Dass die Beklagte den Eingang einer Finanzierungsanfrage nicht bestätigen konnte, steht dazu nicht zwingend im Widerspruch, wenn seitens des Zeugen I bereits frühzeitig abgeraten wurde. Dass der Kläger anderweitig Finanzierungen nachgefragt habe, mutmaßt die Beklagte lediglich. Auch hierdurch würde die wirtschaftliche Einheit der Verträge aber nicht beseitigt. Schlussendlich handelte es sich um einen Zeitraum von allenfalls gut zwei Monaten, der noch nicht also so erheblich angesehen werden kann, dass diesem eine entscheidende Indizwirkung zukäme.

4.

Als Rechtsfolge steht dem Darlehensgeber nach dem Widerruf kein Zahlungsanspruch gegen den Darlehensnehmer in Höhe des Darlehenskapitals zu. Die Rückabwicklung hat in diesem Falle vielmehr unmittelbar zwischen dem Kreditgeber und dem Partner des finanzierten Geschäfts zu erfolgen (BGH, Urteile vom 25.04.2006, XI ZR 193/04, sowie vom 24.04.2007, XI ZR 17/06).

Eine Übertragung der Rechte aus den Versicherungen, damit die Beklagte diese selbst geltend machen kann, ist schon aus diesem Grund nicht erforderlich. Vorliegend kommt hinzu, dass der Kläger die Versicherungen ohnehin an die Beklagte verpfändet hatte. Sofern das Pfandrecht nicht bereits wegen Zusammenfalls von Gläubiger und Schuldner erloschen ist (§§ 1256 Abs. 1 Satz 1, 1273 Abs. 2 Satz 1 BGB), könnte die Beklagte jedenfalls nach §§ 1280ff. BGB vorgehen und die Versicherungsleistungen vereinnahmen.

Der Kläger hat der Beklagten die Übertragung seiner Rechte aus der Versicherung bei der V angeboten. Die Versicherung bei der H ist unstreitig im Einvernehmen mit der Beklagten gekündigt und der Rückkaufswert an sie ausgezahlt worden. Dass hiervon nicht die Darlehensverbindlichkeiten des Klägers teilweise getilgt wurden, trägt die Beklagte selbst nicht vor.

Die insgesamt aus Eigenmitteln vom Kläger geleisteten Beträge (33.232,-- € + 64.162,-- € = 97.394,-- €) sind zwischen den Parteien ebenfalls unstreitig geblieben.

5.

Die mit dem Antrag zu 3. begehrte Freistellung von weiteren Schäden, insbesondere aus einer eventuellen Neufestsetzung der Einkommensteuer, kann der Kläger nicht verlangen. Vorliegend geht es um die Rückabwicklung der zwischen den Parteien geschlossenen Verträge, nicht aber um einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte, für den der Kläger nichts vorgetragen hat.

Dementsprechend stellt sich auch die Frage nach einer Anrechnung etwaiger Steuervorteile nicht, denn auch das Rechtsinstitut der Vorteilsausgleichung käme lediglich bei einem Schadensersatzanspruch zum Tragen.

6.

Der Zinsanspruch findet seine Grundlage in §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Für einen Verzugsbeginn am 06.12.2011 hat der Kläger nichts vorgetragen. Insofern handelt es sich offenbar um den gleichen Schreibfehler wie im Antrag zu 2.

Vorgerichtliche Anwaltskosten kann der Kläger von der Beklagten nicht ersetzt verlangen. Diese sind von dem Rückabwicklungsanspruch nicht umfasst, und dass die Voraussetzungen eines Verzugsschadensersatzanspruchs vorlägen, hat der Kläger nicht dargetan. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Beklagte frühestens aufgrund der Aufforderungsschreiben des klägerischen Bevollmächtigten in Verzug geraten ist. Die außergerichtliche Geschäftsgebühr war zu diesem Zeitpunkt bereits angefallen.

7.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

Streitwert: 353.047,53 €