OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.09.2013 - 13 A 2448/12
Fundstelle
openJur 2013, 36927
  • Rkr:
Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 10. Oktober 2012 wird geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Unrecht abgewiesen. Diese ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG liegen nicht vor. Danach können die zuständigen Behörden u.a. das Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen untersagen, wenn die erforderliche Zulassung oder Registrierung für das Arzneimittel nicht vorliegt oder deren Ruhen angeordnet ist.

Ein die Arzneimitteleigenschaft der streitgegenständlichen nikotinhaltigen Liquids feststellender (bestandskräftiger) Bescheid des BfArM nach § 21 Abs. 4 AMG, der auch gegenüber der Klägerin Bindungswirkung entfalten würde,

vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2010 - 13 A 2612/09 -, www.nrwe.de, Rn. 7, und vom 13. Oktober 2010 - 13 A 1187/10 -, www.nrwe.de, Rn. 14; Nds. OVG, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 13 LA 213/10 -, juris, Rn. 4; OVG S.-A., Beschluss vom 5. Juni 2012 - 3 M 129/12 -, NVwZ-RR 2012, 605 = juris, Rn. 4,

existiert nicht. Die zu einer anderen E-Zigarette und anderen Liquids

ergangenen Bescheide des BfArM vom 22. Juli 2009 und vom 29. Februar 2012 treffen hinsichtlich der streitigen Liquids keine Feststellung.

Diese Liquids sind auch keine Arzneimittel. Sie sind weder sogenannte Präsentationsarzneimittel noch Funktionsarzneimittel.

Präsentationsarzneimittel sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Der Gesetzgeber hat mit dieser Definition die unionsrechtliche Begriffsbestimmung des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines einheitlichen Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG) übernommen, so dass diese Begriffsbestimmung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union

(EuGH) für den Arzneimittelbegriff im deutschen Recht auslegungsleitend ist.

Die nötige Bestimmung zur Heilung oder Linderung oder Verhütung von Krankheiten ist nach der EuGH-Rechtsprechung gegeben, wenn das Erzeugnis als ein Mittel zur Heilung oder Linderung oder Verhütung von Krankheiten ausdrücklich bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung diese Eigenschaften hat.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2007,

C-319/05, Kommission/Deutschland (Knoblauchkapseln), Slg. 2007, I-9811, Rn. 43 bis 47.

Diese Rechtsprechung, die zu dem in Art. 1 Nr. 2 Unterabsatz 1 der Ursprungsfassung der Richtlinie 2001/83/EG enthaltenen Begriff der Bezeichnung (zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten) ergangen ist, ist auf den nun in Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG verwendeten Begriff der Bestimmung (zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten) übertragbar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. März 2011 - 3 C 8.10 -, A&R 2011, 128 = juris, Rn. 12 und 21; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 30. Mai 2013, C-109/12, Laboratoires Lyocentre, Rn. 41 Fn. 22.

Aus den Erwägungsgründen der Richtlinie 2004/27/EG ergibt sich nicht, dass diese die Definition des Präsentationsarzneimittels in ihrer Bedeutung ändern sollte. Nach den Sätzen 2 und 3 des 7. Erwägungsgrundes sollte zwar die Begriffsbestimmung des Arzneimittels geändert werden, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter Produkte fällt. Da diese Definition aber die Art der Wirkung, die das Arzneimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, spezifizieren sollte, betrifft sie nicht die Definition des Präsentations-, sondern des Funktionsarzneimittels.

Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 3 C 21.06 -, NVwZ 2008, 439 = juris, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009, C-140/07, Hecht-Pharma (Red Rice), Slg. 2009 I-41, Rn. 24 f.

Dass bei den streitigen niktoinhaltigen Liquids die Aufnahme von Nikotin als Zweck genannt wird, bewirkt nicht ihre Bestimmung bzw. Bezeichnung als ein Mittel zur Heilung oder Linderung von Krankheiten. Zwar ist die Nikotin- bzw. Tabakabhängigkeit gemäß den Klassifikationen ICD-10 und DSM-IV als Krankheit anzusehen. Weder die Herstellerin der nikotinhaltigen Liquids noch die Klägerin als deren Verkäuferin bezeichnen oder bewerben diese oder die zugehörigen E-Zigaretten aber als ein Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung der Nikotin- bzw. Tabaksucht.

Vgl. http://www.vinirettestore.eu/de/.

Ebenso wenig entsteht durch die Aufmachung der nikotinhaltigen Liquids bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher (mit Gewissheit) der Eindruck, dass diese Erzeugnisse zur Heilung oder Linderung oder Verhütung von Krankheiten geeignet sind. Ein solcher Eindruck folgt auch nicht aus der - u.a. auf ihrer Homepage veröffentlichten - Deklaration der Herstellerin, wonach die Liquids in Übereinstimmung mit Lebensmittelrecht und Tabakrecht entwickelt worden seien, gemäß des Qualitätssicherungsstandards ISO 9001:2000 hergestellt würden und unter ständiger analytischer Kontrolle stünden. Diese Qualitätsmerkmale lassen nicht auf eine Behandelbarkeit der Nikotinsucht schließen. Die dortige Warnung der Herstellerin vor den gesundheitlichen Gefahren des Nikotins begründet

- entgegen der Ansicht der Beklagten - gerade nicht den Eindruck einer Eignung zur Heilung oder Linderung oder Verhütung von Krankheiten bzw. den Eindruck einer Arzneimitteleigenschaft.

Vgl. auch OVG S.-A., Beschluss vom 5. Juni 2012 - 3 M 129/12 -, a. a. O., Rn. 6.

Die von der Klägerin verkauften nikotinhaltigen Liquids sind auch keine Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG, der Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG in das deutsche Recht umsetzt.

Danach sind Funktionsarzneimittel Stoffe, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen.

Dass bei normaler Anwendung der streitgegenständlichen Liquids, die eine nicht unerhebliche Menge Nikotin enthalten (jeweils 10 bzw. 15 mg), die unzweifelhaft erfolgende Beeinflussung des Stoffwechsels nennenswert ist,

vgl. EuGH, Urteile vom 15. November 2007,

C-319/05, a. a. O., Rn. 60, und vom 30. April 2009, C-27/08, BIOS Naturprodukte, Slg. 2009

I-3785, Rn. 21 bis 23,

kann unterstellt werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2012 -

13 B 127/12 -, www.nrwe.de, Rn. 27; s. auch OVG S.-A., Beschluss vom 5. Juni 2012 - 3 M 129/12 -, a. a. O., Rn. 8; LG Frankfurt (Main), Urteil vom 24. Juni 2013 - 5/26 KLs 13/12 -, S. 6 f. UA; Volkmer, PharmR 2012, 11 (15); kritisch Schink/Winkelmüller, DVBl. 2012, 1540 (1542); zu einem Nikotingehalt von nur 4,2 mg/Kapsel VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 - 7 K 3169/11, www.nrwe.de, Rn. 119 bis 125.

Ein Produkt ist aber nicht schon deshalb als Funktionsarzneimittel einzustufen, weil es einen Stoff enthält, der pharmakologisch wirkt und angewendet wird, um die physiologischen Funktionen zu beeinflussen.

Die weit gefasste Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG ist einschränkend auszulegen. Die Entscheidung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel ist, ist nach der ständigen EuGH-Rechtsprechung von Fall zu Fall zu treffen; dabei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen. Dazu zählen insbesondere seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann.

Vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2012,

C-308/11, Chemische Fabrik Kreussler, NVwZ 2012, 1459 = juris, Rn. 33 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 -,

a. a. O., Rn. 13 und 18.

Nach dieser Gesamtbetrachtung sind die streitbefangenen nikotinhaltigen Liquids keine Funktionsarzneimittel.

Ihre Zusammensetzung umfasst nach der Deklaration der Herstellerin künstliche und naturidentische Aromastoffe, Propylenglycol E 1520, Glycerin E 422, Ethanol und 1,0 bzw. 1,5 % Nikotin.

Eine Verwendung von Nikotin kann zwar arzneilichen bzw. therapeutischen Zwecken dienen, beispielsweise in Nikotinpflastern oder dem Nicorette Inhaler.

Vgl. auch § 1 Nr. 1 und Anlage 1 Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV).

Durch die Verwendung von Nikotin ähneln bzw. imitieren E-Zigaretten jedoch Tabakzigaretten. Diese sind offensichtlich keine Arzneimittel, sondern unterfallen § 3 Abs. 1 VTabakG und der Richtlinie 2001/37/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen.

Zudem spricht das Vorhandensein der Aromastoffe gegen eine Arzneimitteleigenschaft der Liquids. Hierdurch soll die Inhalation des Liquiddampfes bei dem Nutzer einen angenehmen Geschmack erzeugen, sie soll ihm schmackhaft gemacht werden. Dies wirkt einer therapeutischen Nutzung als Mittel der Entwöhnung nikotin- bzw. tabakabhängiger Raucher vom Nikotinkonsum entgegen. Es deutet vielmehr auf die Eigenschaft dieser Liquids als Genussmittel hin.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 -

7 K 3169/11 -, a. a. O., Rn. 134.

Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass verschiedenste Arzneimittel,

z. B. Hustensäfte, ebenfalls Aromen enthalten, um ihre orale Einnahme geschmacklich angenehmer zu gestalten. Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass diese Arzneimittel ein vom Hersteller vorherbestimmtes Aroma(-gemisch) enthalten, das die Einnahme für den typischen Anwender verträglich gestaltet. Demgegenüber können die Nutzer von E-Zigaretten unter vielfältigen Geschmacksrichtungen und Aromen auswählen. So bietet die Herstellerin der von der Klägerin vertriebenen Liquids z.B. "Tiramisu-Aroma", "Mint-Aroma", "Liquid Kaffee" und "Liquid Schokolade" an.

Vgl. http://www.vinirettestore.eu/de/, "Liquid der Woche"; s. z.B. auch www.isnoke.com/capsgallery.html; www.vitasmoke.de/shop/category/ aromafluids/ (jeweils aufgerufen am 17. September 2013).

Insoweit unterscheidet sich die Zusammensetzung bzw. Aromatisierung von dem zur Rauchentwöhnung zugelassenen Arzneimittel Nicorette Inhaler. Dieses enthält allein Menthol und Nikotin, eine Geschmacksvariation bzw. Wahlmöglichkeit besteht nicht.

Auch die Modalitäten des Gebrauchs der streitigen Liquids sind nicht arzneimitteltypisch. Es fehlt eine Dosierungsempfehlung, mit der die Modalitäten des Gebrauchs näher vorgegeben werden, wie dies für Arzneimittel gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a) AMG).

Auch das Design und die Aufmachung der E-Zigarette, mit der die streitigen Liquids verdampft und inhaliert werden, sprechen gegen die Arzneimitteleigenschaft. Indem diese E-Zigarette der Form einer Tabakzigarette weitgehend nachgeahmt ist, soll dem Nutzer der Eindruck vermittelt werden, eine dem Rauchen einer Tabakzigarette vergleichbare oder ähnliche Tätigkeit auszuüben. Das so imitierte Rauchen herkömmlicher Zigaretten ist aber offensichtlich keine Anwendung eines Arzneimittels, sondern eines Sucht- oder/und Genussmittels. Weiteres Indiz für die Genussmitteleigenschaft ist die ansprechende, hochwertige Gestaltung dieser E-Zigarette. Auch insoweit stellt sich der Sachverhalt anders als bei dem der Rauchentwöhnung dienenden Arzneimittel Nicorette Inhaler dar.

Die Inhalation des nikotinhaltigen Dampfes in den Mund- und Lungenraum kann zwar nicht nur der als Genuss empfundenen Nikotinaufnahme dienen, sondern auch dem Versuch, eine Nikotinabhängigkeit einzudämmen bzw. zu beenden. Viele Anwender der E-Zigarette dampfen nikotinhaltige Liquids aber allein als (genussreiche) Beschäftigung. Dies belegen zum einen die beigemischten, unterschiedlichen Aromen, zum anderen die Verwendung nicht nur nikotinhaltiger, sondern auch nikotinfreier Liquids in E-Zigaretten. Auch die Herstellerin der streitigen Produkte vermarktet nikotinfreie Liquids.

Die mittlerweile nicht unerhebliche Verbreitung verschiedener Arten von

E-Zigaretten und der zugehörigen nikotinhaltigen Liquids,

vgl. auch Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. September 2013, S. 22: "Batterie statt Tabak",

einschließlich der hier einschlägigen Konzentrationen von 1,0 bzw. 1,5 %,

vermag eine Arzneimitteleigenschaft ebenso wenig zu belegen.

Deren steigende Verbreitung trotz des bisherigen Fehlens eines Nachweises einer (durchschlagenden) therapeutischen Wirkung im Sinne einer Beendigung der Nikotinabhängigkeit,

vgl. BZgA, Pressemitteilung vom 19. Dezember 2011: "Gesundheitliche Risiken von E-Zigaretten nicht unterschätzen"; Deutsches Krebsforschungszentrum, Elektrische Zigaretten - ein Überblick, Rote Reihe Tabakprävention und Tabakkontrolle, Bd. 19, April 2013, S. IX, 19, 25; Bullen u.a., Electronic cigarettes for smoking cessation: a randomised controlled trial, The Lancet, Early Online Publication, 9. September 2013; s. auch VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 - 7 K 3169/11 -, a. a. O., Rn. 130 bis 133,

spricht eher für ihre vorherrschende Funktion als Genuss- und Lifestyleobjekt. Ihre Bewerbung als - weniger gesundheitsschädliches - Genussmittel, nicht aber als Arzneimittel oder Mittel der Rauchentwöhnung, bestätigt dies.

Etwas anderes folgt schließlich nicht aus den mit der Inhalation nikotinhaltiger Liquids verbundenen Gefahren. Insoweit ist nur auf die im Rahmen des normalen Gebrauchs drohenden Risiken abzustellen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2009, C-27/08,

a. a. O., Rn. 24.

Folglich scheiden mit einer irregulären, übermäßigen Aufnahme der Liquids verbundene Gefahren, etwa durch missglücktes Befüllen der Kartuschen, ein überdurchschnittlich häufiges (dutzendfaches) Ziehen und Inhalieren ohne nennenswerte Pause oder einen Missbrauch seitens Minderjähriger,

vgl. Deutsches Krebsforschungszentrum, Elektrische Zigaretten - ein Überblick, a. a. O., S. 4,

aus dieser Betrachtung aus. Auch ohne Vorhandensein einer klassischen Dosierungsempfehlung ergibt sich aus den Hinweisen der Hersteller zur Art und Weise der Nutzung der E-Zigaretten und der Liquids hinreichend klar, dass die genannten Beispiele kein normaler Gebrauch im Sinne der EuGH-Rechtsprechung sind.

Die mit der regulären Inhalation des Nikotindampfes verbundenen Gefahren sind zwar noch nicht abschließend erforscht. Dass hinsichtlich des Nikotins insoweit übermäßige, die Gesundheitsgefahren des Rauchens von Tabak erreichende bzw. übersteigende Risiken bestünden, ist - insbesondere hinsichtlich der streitigen Nikotinkonzentrationen von 1,0 bzw. 1,5 % - (bisher) nicht erkennbar.

Vgl. Mellin, Die elektrische Zigarette, S. 6 m.w.N.

Hinsichtlich des im Liquid und im Dampf ebenfalls enthaltenen Propylenglycols ist zwar bekannt, dass dieses bei Aufnahme in größerer Menge (z.B. als sogenannter Diskonebel) die Schleimhäute reizen kann. Dass insoweit im Rahmen der regulären Inhalation mittels der E-Zigarette erhebliche Gefahren bestünden, ist dagegen nicht ersichtlich. Vielmehr stuft die US-Federal Drug Administration Propylenglycol generell als sicher ein. Das Expertenkomitee zu Nahrungszusätzen der Weltgesundheitsorganisation (JECFA) sieht eine tägliche Aufnahme von 25 mg/kg Körpergewicht als akzeptabel an.

Vgl. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Inhalation von Liquids der E-Zigaretten,

24. Februar 2012, S. 3 f.; Mellin, Die elektrische Zigarette, S. 6 m. w. N.; Deutsches Krebsforschungszentrum, Elektrische Zigaretten - ein Überblick, a. a. O., S. 7 f.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft erscheinen die Gefahren der Inhalation der streitigen niktoinhaltigen Liquids im Vergleich zum regelmäßigen Rauchen von Tabakzigaretten als eher geringer, jedenfalls nicht als größer.

Vgl. auch Cahn/Siegel, E-Cigarettes as a harm reduction strategy for tobacco control, Journal of Public Health Policy 32 (2011), 16; Foulds/ Veldheer/Berg, Views of aficionados and clinical/ public health perspectives, International Journal of Clinical Practice, 2011, 1037 (1042); Vansickel /Weaver/Eissenberg, Clinical laboratory assessment of the abuse liability of an electronic cigarette, Addiction 107 (2012), 1493; Bullen u. a., Electronic cigarettes for smoking cessation:

a randomised controlled trial, a. a. O.

Nach der Rechtsprechung des EuGH darf die Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG, die neben dem Schutz der menschlichen Gesundheit den freien Warenverkehr innerhalb der Union sicherstellen soll, aber nicht zur Folge haben, dass Behinderungen des Warenverkehrs entstehen, die völlig außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel des Gesundheitsschutzes stehen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009,

C-140/07, a. a. O., Rn. 27; zu Medizinprodukten s. EuGH, Urteil vom 22. November 2012,

C-219/11, Brain Products, EuZW 2013, 117 = juris, Rn. 26 bis 32.

Angesichts der Tatsache, dass bisher nicht ersichtlich, geschweige denn wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass die gesundheitlichen Folgen der regulären Nutzung der E-Zigarette (einschließlich der streitigen Liquids) zu Schädigungen der menschlichen Gesundheit führt, welche die typischen Schäden durch Konsum von Tabakzigaretten erreichen bzw. übersteigen, spricht auch die Warenverkehrsfreiheit gegen die Arzneimitteleigenschaft dieser Produkte.

Bei der Einzelfallentscheidung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel ist, ist darüber hinaus zu beachten, dass Arzneimittel typischerweise eine therapeutische Eignung besitzen und die Anwender ihnen einen therapeutischen Zweck beimessen, sie also in der Regel der Verhinderung bzw. Bekämpfung von Krankheiten oder unerwünschten körperlichen Zuständen und Befindlichkeiten dienen, wie es sich schon aus dem Arzneibegriff ergibt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2012 - 13 B 127/12 -, www.nrwe.de, Rn. 29 f.; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 19. März 2013 - 4 K 1119/11 -, PharmR 2013, 280 = juris, Rn. 24 f.

Würde dieser Aspekt der therapeutischen Eignung und Zweckbestimmung generell ausgeblendet, bestünde die Gefahr, dass es zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung des freien Warenverkehrs (Art. 34 AEUV) käme. Denn die Erteilung der für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/83/EG nötigen Zulassung hängt gerade u.a. von der zureichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit (Art. 26 Abs. 1 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG) und dem Bestehen eines günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses (Art. 26 Abs. 1 Buchstabe a), Art. 1 Nr. 28a) ab.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009,

C-140/07, a. a. O., Rn. 27; Rennert, NVwZ 2008, 1179 (1184); Voit, PharmR 2012, 241 (244 f.);

zu Medizinprodukten s. EuGH, Urteil vom 22. November 2012, C-219/11, Brain Products,

a. a. O., Rn. 26 bis 32.

Auch die Definition des Medizinprodukts nach Art. 1 Abs. 2 Buchstabe a) dritter Gedankenstrich der Richtlinie 93/42/EWG setzt eine medizinische Zweckbestimmung voraus. Dies ergibt sich aus der gebotenen systematischen Auslegung unter Beachtung der beiden vorangestellten Gedankenstriche und geht über den Wortlaut der Norm hinaus. Dieser erfordert nur eine Bestimmung zu Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs.

Vgl. EuGH, Urteil vom 22. November 2012,

C-219/11, Brain Products, a. a. O.; dazu Müller, EuZW 2013, 119.

Bei einer abweichenden, den therapeutischen Aspekt generell ignorierenden Gesetzesanwendung wäre zudem die Definition des Funktionsarzneimittels regelmäßig zu weit gefasst. Die physiologischen Funktionen des Körpers können nämlich durch zahlreiche Stoffe ohne arzneimittelspezifischen Bezug beeinflusst werden, so durch Lebensmittel, Genussmittel und Giftstoffe.

Vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2007,

C-319/05, a. a. O., Rn. 61 bis 65.

Sinn und Zweck des Arzneimittelgesetzes ist aber nicht die Regulierung des Verkehrs sämtlicher Stoffe, die sich auf die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers (schädlich) auswirken können. § 1 AMG begrenzt den Zweck dieses Gesetzes vielmehr darauf, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen, insbesondere für deren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Dies rechtfertigt Verkehrsverbote bei Therapeutika, die der Behandlung erkrankter Menschen dienen und diese Kriterien nicht erfüllen. Für physiologisch bzw. pharmakologisch wirksame Stoffe ohne therapeutische Eignung gilt dies nicht generell im gleichen Maße. Auch der - durch § 2 Abs. 3a AMG modifizierte - Ausschluss verschiedenster Stoffgruppen aus dem Arzneimittelbegriff gemäß § 2 Abs. 3 AMG belegt, dass nicht jegliche Beeinflussung physiologischer Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung die Arzneimitteleigenschaft begründet.

Während die weite Auslegung des Begriffs des Präsentationsarzneimittels die Verbraucher vor Erzeugnissen schützen soll, die nicht die Wirksamkeit besitzen, welche sie erwarten dürfen, soll der Begriff der Funktionsarzneimittel diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische (oder immunologische oder metabolische) Wirkung wissenschaftlich festgestellt wurde und die tatsächlich dazu bestimmt sind, physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen.

Vgl. EuGH, Urteile vom 15. November 2007,

C-319/05, a. a. O., Rn. 61, und vom 15. Januar 2009, C-140/07, a. a. O., Rn. 25.

Entsprechend ist das Arzneimittelrecht nicht auf jedes Vorprodukt eines Funktionsarzneimittels anwendbar, sondern erst dann, wenn für das Produkt im Zeitpunkt der Herstellung eindeutig feststeht, dass seine künftige Zweckbestimmung ausschließlich darin besteht, durch Anwendung im menschlichen Körper - wenn auch erst im notwendigen Zusammenwirken mit einem anderen Stoff - arzneilichen Zwecken zu dienen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. März 2011 - 3 C 8.10 -, a. a. O., Rn. 17 f.

Die Berücksichtigung, ob ein Erzeugnis eine therapeutische Eignung bzw. Zweckbestimmung aufweist, als ein Aspekt im Rahmen der nötigen Gesamtbetrachtung kann zwar - je nach Ergebnis dieser Gesamtbetrachtung - dazu führen, dass Stoffe, die diese Merkmale nicht aufweisen, nicht unter die Vertriebsbeschränkungen des Arzneimittelgesetzes fallen, wie z.B. manche (aber nicht alle, vgl. § 81 AMG) Betäubungsmittel. Der Gesetzgeber und der Verordnungsgeber können den mit der Anwendung dieser Stoffe verbundenen Gesundheitsgefahren jedoch mittels anderer Regelwerke des Gefahrenabwehr- bzw. Gefahrstoffrechts, z.B. des BtMG und der BtMVV, entgegen treten.

Vgl. auch den Beschluss 2005/387/JI des Rates vom 10. Mai 2005 betreffend den Informationsaustausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei neuen psychoaktiven Substanzen und die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 17. September 2013 zu ihrem Vorschlag einer wesentlichen Verschärfung.

Sind die therapeutische Eignung und Zweckbestimmung allein im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, kann hiergegen nicht eingewendet werden, dass Kontrazeptiva und Lokalanästhetika als Arzneimittel eingestuft werden. Diese Mittel dienen jeweils der Verhinderung bzw. Beendigung vom Anwender nicht erwünschter Zustände des Körpers. Daher weicht ihr Zweck von dem typischen therapeutischen Zweck eines Arzneimittels nur geringfügig ab, Lokalanästhetika unterstützen gerade die Vornahme eines gesundheitsbezogenen ärztlichen Eingriffs. Dies gebietet ihre regulatorische Einstufung, Prüfung und Überwachung als Arzneimittel.

Vgl. Müller, PharmR 2012, 137 (139); Schink/ Winkelmüller, DVBl. 2012, 1540 (1543) m. w. N.

Damit sind für die Anwendung in E-Zigaretten bestimmte nikotinhaltige Liquids nicht vergleichbar. Eine therapeutische Eignung der streitgegenständlichen Liquids und entsprechende Zweckbestimmung durch einen wesentlichen Teil der Nutzer ist nicht erkennbar.

Allein die Möglichkeit nikotinabhängiger Konsumenten, durch Inhalation der verdampften Liquids Entzugssymptome kurzfristig zu lindern, reicht für die Annahme einer therapeutischen Wirkung nicht aus. Zwar wird dadurch das - je nach Art der Nikotinsucht bestehende - physische und/oder psychische Verlangen nach Nikotin für einen überschaubaren Zeitraum gestillt. Physiologisch erfolgt damit aber keine Besserung des Gesundheitszustands, sondern eine der Gesundheit abträgliche physische Aufnahme und Anreicherung von Nikotin.

Vgl. auch Schink/Winkelmüller, DVBl. 2012, 1540 (1543 f.); a. A. Stollmann, NVwZ 2012, 401 (403).

Auch die typischerweise nur sehr kurze Dauer einer solchen alternativen Suchtbefriedigung spricht gegen die Annahme einer die Arzneimitteleigenschaft begründenden therapeutischen Wirkung.

Ebenso wenig greift der Verweis auf die Arzneimitteleigenschaft des zur Substitution von Heroin verwendeten Diamorphins (§ 47b AMG). Dieses ist auf Grund der speziellen Regelungen in § 13 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 2a BtMG, § 5 Abs. 1 und 4 Satz 1 Nr. 3 BtmVV ein zur Substitution zugelassenes Arzneimittel. Es dient der Behandlung Schwerstopiatabhängiger und soll den illegalen Betäubungsmittelkonsum einschränken.

Vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Bd. III,

Stand 2010, § 47b Rn. 3; Kügel, in: Kügel/ Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 47b Rn. 2 und 5.

Vergleichbare Regelungen durch den Gesetzgeber und den Verordnungsgeber fehlen hier.

Dass auch mittels anderer Betäubungsmittel, wie Methadon, eine Substitution mit therapeutischer Zielrichtung stattfindet, um eine Betäubungsmittelsucht abzumildern oder zu beenden, rechtfertigt keine andere Betrachtung der streitgegenständlichen Liquids. Während hinsichtlich Methadon die Anwendung zur Substitution auf einer ärztlichen Verschreibung beruht (§ 2 Abs. 1 Buchstabe a) Nr. 12, § 5 Abs. 4 Nr. 1 BtmVV, Anlage III BtMG), die den strengen Vorgaben des § 5 BtmVV genügen muss,

vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 13 A 1300/12 -, www.nrwe.de, Rn. 11,

findet eine entsprechende ärztliche Entscheidung und Aufsicht bei der Anwendung nikotinhaltiger Liquids nicht statt.

Eine therapeutische Wirkung der Liquids ergibt sich auch nicht aus einer gegenüber dem Rauchen von Tabakprodukten etwaig geringeren Menge aufgenommenen Nikotins bzw. anderer Schadstoffe. Wenn der Verbraucher durch Änderung seiner Konsumgewohnheit statt des Rauchens von Tabakprodukten nikotinhaltige Liquids mittels E-Zigarette inhaliert und dadurch geringere Mengen Nikotin absorbiert, begründet dies keine therapeutische Wirkung der E-Zigarette bzw. der Liquids, sondern ist die Folge der Verbraucherentscheidung, ein (potentiell) weniger schädliches Mittel anzuwenden.

Vgl. BZgA, Pressemitteilung vom 19. Dezember 2011: "Gesundheitliche Risiken von E-Zigaretten nicht unterschätzen"; Deutsches Krebsforschungszentrum, Elektrische Zigaretten - ein Überblick, a. a. O., S. IX, 19, 25.

Überdies ist nicht allgemeingültig feststellbar, dass die Nikotinmenge, die bei typischer Art und Häufigkeit der Inhalation der - mit keiner konkreten Dosierungsempfehlung versehenen - streitigen nikotinhaltigen Liquids vom Körper des jeweiligen Nutzers aufgenommen wird, im Vergleich zu der typischerweise zuvor durch gerauchte Tabakprodukte absorbierten Nikotinmenge nennenswert geringer ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, dürfte vielmehr von der Qualität der jeweiligen E-Zigarette einschließlich der Akkuleistung, der individuellen Handhabung und den Gebrauchsgewohnheiten abhängen.

Vgl. auch Deutsches Krebsforschungszentrum, Elektrische Zigaretten - ein Überblick, a. a. O.,

S. 5 f.; LG Frankfurt (Main), Urteil vom 24. Juni 2013 - 5/26 KLs 13/12, S. 15 UA: "weil ... die Nikotinaufnahme durch Dampfen einige Erfahrung und eine gewisse Lernkurve voraussetze."

Dass der Gebrauch der streitgegenständlichen Liquids, die eine nicht nur geringfügige Nikotinmenge beinhalten (je 10 bzw. 15 mg = 1,0 bzw. 1,5 %), im Sinne eines Therapeutikums tatsächlich geeignet ist, innerhalb einer überschaubaren Zeit typische Formen der Nikotinsucht zu beenden, so dass ein diese inhalierender nikotinabhängiger Nutzer die gesundheitlich abträglichen Folgen des Nikotinkonsums nicht mehr tragen muss, ist weder von der Beklagten dargelegt noch ersichtlich.

Vgl. auch VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 -

7 K 3169/11 -, a. a. O., Rn. 130 bis 132

m. w. N.; Foulds/Veldheer/Berg, International Journal of Clinical Practice, 2011, 1037 (1042).

Nach Ansicht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist die E-Zigarette zur Erreichung eines Rauchstopps nicht geeignet. Hierfür sei eine mit deren Konsum nicht erreichbare Verhaltensänderung nötig.

Vgl. BZgA, Pressemitteilung vom 19. Dezember 2011: Gesundheitliche Risiken von E-Zigaretten nicht unterschätzen.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum ist der Auffassung, der Nutzen von

E-Zigaretten als Hilfsmittel für einen dauerhaften Rauchstopp sei derzeit nicht erwiesen. Zudem warnt es, dass die Inhalation von Nikotin mittels E-Zigarette bei nicht nikotinsüchtigen Konsumenten die Gefahr des Entstehens einer solchen Abhängigkeit begründen könnte.

Vgl. Elektrische Zigaretten - ein Überblick,

a. a. O., S. IX, 19, 25.

Soweit die Beklagte auf eine Studie von Polosa u.a. (BMC Public Health 2011,

S. 786) verweist, schließt sich der Senat der Einschätzung der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom 29. Februar 2012 an, dass die Studienergebnisse aufgrund methodischer Mängel, insbesondere der kleinen Fallzahl von nur 40 Probanden, nicht geeignet ist, verlässliche Aussagen über die Eignung von

E-Zigaretten zur Raucherentwöhnung zu treffen.

Vgl. BT-Drs. 17/8772, S. 20.

Auch nach einer aktuellen wissenschaftlichen Studie von Bullen u.a. waren von 289 Nutzern einer E-Zigarette, die das Rauchen von Tabak aufgeben wollten, nach sechs Monaten nur 21 (= 7,3 %) abstinent. Diese Rate war wesentlich geringer, als die Forscher nach eigenem Bekunden erwartet hatten. Zudem waren 4,1% der Probanden, die nur eine nikotinfreie E-Zigarette als Placebo erhielten, nach sechs Monaten ebenfalls noch abstinent.

Vgl. Bullen u.a., Electronic cigarettes for smoking cessation: a randomised controlled trial, The Lancet, Early Online Publication, 9. September 2013.

Dies belegt, dass die Nutzung der E-Zigarette bei einer Entwöhnung vom Nikotinkonsum zwar als Hilfsmittel genutzt werden kann, das im Einzelfall eine unterstützende Wirkung haben mag. Eine erfolgreiche Beendigung der Nikotinabhängigkeit dürfte aber wesentlich von dem konsequenten Verhalten der Betroffenen abhängen. Der Hinweis des BfArM in dem Verfahren 13 A 1100/12, die niedrige Erfolgsrate habe wohl auch am Fehlen eines psychologischen Unterstützungsprogramms gelegen, führt zu keiner anderen Einschätzung. Unabhängig davon, ob bzw. inwieweit eine solche Unterstützung die Erfolgschancen der Probanden tatsächlich gesteigert hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Nutzer der E-Zigarette, die eine Tabakentwöhnung beabsichtigen, typischerweise an einem psychologischen Unterstützungsprogramm teilnehmen.

Darüber hinaus lässt sich eine therapeutische Zweckbestimmung der streitigen nikotinhaltigen Liquids nicht feststellen. Denn es ist nicht erkennbar, dass ein wesentlicher Teil der Konsumenten diese Liquids - oder andere Liquids vergleichbaren Nikotingehalts - aus einer (überwiegend) therapeutischen Zweckbestimmung inhaliert, um eine Nikotinabhängigkeit zu beenden.

Angesichts einiger wissenschaftlicher Untersuchungen und Nutzerbefragungen,

vgl. z.B. Bullen, Tobacco Control 2010, 98;

Etter, BMC Public Health 2010, 231; Etter/Bullen, Addiction 106 (2011), 2017,

kann zwar davon ausgegangen werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Konsumenten mittels der E-Zigarette den Umfang der eigenen Nikotinaufnahme zu vermindern beabsichtigt. Dass aber ein wesentlicher Teil der Nutzer (in Deutschland) mittels der Inhalation nikotinhaltiger Liquids in der streitgegenständlichen Stärke eine bestehende Nikotinabhängigkeit ernsthaft zu beenden versucht, lässt sich nicht hinreichend konkret feststellen.

Vgl. auch VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 -

7 K 3169/11 -, a. a. O., Rn. 138 bis 141; Voit, PharmR 2012, 241 (243) m. w. N.; Volkmer, PharmR 2012, 11 (13); Deutsches Krebsforschungszentrum, Elektrische Zigaretten - ein Überblick, a. a. O., S. 18 m. w. N.

Ein erheblicher Teil der Nutzer verwendet die E-Zigarette nicht für den Versuch, den Nikotinkonsum zu beenden, sondern als Genuss- bzw. Lifestyleprodukt, teilweise wohl in der Hoffnung, damit bestehende Nichtraucherschutzgesetze nicht zu verletzen. Dabei ist auch zu beachten, dass die streitgegenständlichen Liquids und die zugehörige E-Zigarette weder von der Herstellerin noch von der Klägerin als Mittel der Rauchentwöhnung bezeichnet werden und eine diesbezügliche allgemeine Verkehrsanschauung in Form einer entsprechenden Überzeugung der Nutzerkreise nicht erkennbar ist.

Schließlich spricht die Tatsache, dass der Europäische Gesetzgeber gegenwärtig über den Entwurf einer die Richtlinie 2001/37/EG ersetzenden EU-Richtlinie über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen berät, nach der nikotinhaltige Produkte u.a. ab einem Gehalt von 2 mg Nikotin pro Einheit oder einer Konzentration von mehr als 4 mg/ml zulassungspflichtige Arzneimittel sein sollen,

vgl. KOM(2012) 788 final; Pressemitteilung des Rates Nr. 11388/13 vom 21. Juni 2013,

dafür, dass solche nikotinhaltigen Liquids und E-Zigaretten de lege lata gerade keine Arzneimittel sind. Eine allein die geltende Rechtslage klarstellende Regelung vermag der Senat in dem detaillierten Entwurf des insoweit einschlägigen Art. 18 des Richtlinienvorschlags nicht zu erkennen.

Da die nikotinhaltigen Liquids keine Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG sind, greift die Zweifelsfallregelung des § 2 Abs. 3a AMG nicht ein. Danach sind Arzneimittel auch Erzeugnisse, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach Absatz 3 fallen können. Das Arzneimittelgesetz ist danach nur in den Fällen einschlägig, in denen das Produkt die Arzneimitteldefinition tatsächlich erfüllt, also eindeutig ein Arzneimittel ist.

Vgl. BT-Drs. 16/12256, S. 41; OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2010 - 13 A 622/10 -; zu Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG

s. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009, C-140/07, a. a. O., Rn. 24 bis 26.

Nach alledem kann offenbleiben, ob die nikotinhaltigen Liquids schon auf Grund der Ausnahmeregelung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG, § 3 Vorläufiges Tabakgesetz (VTabakG) keine Arzneimittel sind.

Wenn das in nikotinhaltigen Liquids vorhandene Nikotin nicht synthetisch, sondern aus Rohtabak gewonnen wurde, dürften die Liquids zwar aus Rohtabak bzw. unter Verwendung von Rohtabak hergestellte Erzeugnisse gemäß § 3 Abs. 1 VTabakG sein,

vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Bd. V, Stand Juli 2011, C 900 § 3 Rn. 9; LG Frankfurt (Main), Urteil vom 24. Juni 2013 - 5/26 KLs 13/12 -, S. 16 f. UA; Müller, in: Kügel/Müller/Hofmann, a. a. O., § 2 Rn. 192,

bzw. zumindest Tabakerzeugnissen ähnliche Waren im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG.

Vgl. Zipfel/Rathke, a. a. O., § 3 Rn. 8, 22.

Die Liquids sind aber nicht im Sinne des § 3 Abs. 1 VTabakG zum Rauchen bestimmt und dürften auch nicht gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG zum anderweitigen oralen Gebrauch bestimmt sein.

Der Begriff des Rauchens im Sinne dieser Vorschrift setzt einen Verbrennungsvorgang (Pyrolyse) voraus, bei dem feste Schwebepartikel entstehen. Demgegenüber werden die nikotinhaltigen Liquids nicht verbrannt, sondern verdampft, so dass Aerosole mit flüssigen Partikeln inhaliert werden.

Vgl. Zipfel/Rathke, a. a. O., § 3 Rn. 8 f.; Kasper/Krüger/Stollmann, MedR 2012, 495 (500); Volkmer, PharmR 2012, 11 (15); a. A. Krüßen, PharmR 2012, 143 (144).

Mit der Aufnahme des Begriffs des anderweitigen oralen Gebrauchs in § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 VTabakG hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung an die Novellierung der Richtlinie 89/622/EWG durch die Richtlinie 92/41/EWG angeknüpft. Mit dieser reagierte der Gemeinschaftsgesetzgeber gemäß den Erwägungsgründen zur Richtlinie auf die Vermarktung spezifischer neuartiger Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch. Diese wirkten besonders auf Kinder und Jugendliche anziehend, Untersuchungen des Internationalen Krebsforschungszentrums hätten besonders große Mengen an Krebserregern festgestellt, die vor allem Krebserkrankungen der Mundhöhle verursachten.

Vgl. BT-Drs. 12/6992, S. 5, 13; Zipfel/Rathke,

a. a. O., § 3 Rn. 2.

Dies verdeutlicht, dass der Begriff des anderweitigen oralen Gebrauchs spezifische Produkte erfassen sollte, die länger in der Mundhöhle gehalten werden.

Vgl. Zipfel/Rathke, a. a. O., § 3 Rn. 2 und 17;

VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 - 7 K 3169/11, a. a. O., Rn. 181; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Januar 2012 - 16 L 2043/11 -, www.nrwe.de, Rn. 20; Kasper/Krüger/ Stollmann, MedR 2012, 495 (500); Stollmann, NVwZ 2012, 401 (404); Volkmer, PharmR 2012, 11 (15); a. A. VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 19. März 2013 - 4 K 1119/11 -, a. a. O., Rn. 35;

LG Frankfurt (Main), Urteil vom 24. Juni 2013 - 5/26 KLs 13/12 -, S. 17 f. UA.

Demgegenüber erfolgt die wesentliche Aufnahme der verdampften nikotinhaltigen Liquids nicht über den Mundraum, sondern mittels Inhalation in die Lunge.

Darüber hinaus umfasst die in Art. 2 Nr. 4 der EU-Tabak-Richtlinie 2001/37/EG enthaltene Definition von "Tabak zum oralen Gebrauch" alle zum oralen Gebrauch bestimmten Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus Tabak bestehen, sei es in Form eines Pulvers oder feinkörnigen Granulats oder einer Kombination dieser Formen, insbesondere in Portionsbeuteln bzw. porösen Beuteln, oder in einer Form, die an ein Lebensmittel erinnert, mit Ausnahme von Erzeugnissen, die zum Rauchen oder Kauen bestimmt sind.

Die verdampften Liquids unterfallen auch dieser Definition nicht, die nach dem Wortlaut der Richtlinie abschließend ist,

a. A. LG Frankfurt (Main), Urteil vom 24. Juni 2013 - 5/26 KLs 13/12 -, S. 21 UA.

Bei den Liquids liegt weder eine Pulverform noch ein feinkörniges Granulat oder eine Kombination dieser Formen vor. Ihre Form erinnert auch nicht an ein Lebensmittel.

Schließlich spricht das erwähnte, auf Unionsebene laufende Rechtssetzungsverfahren zur arzneimittelrechtlichen Regulierung nikotinhaltiger Liquids dagegen, dass insoweit bereits eine Regelung mittels des Tabakrechts erfolgt ist.

Wegen der Rechtswidrigkeit der Grundverfügung, der Untersagung des Inverkehrbringens der nikotinhaltigen Liquids, ist auch die darauf bezogene Zwangsgeldandrohung rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.