SG Braunschweig, Urteil vom 08.08.2013 - S 17 AS 4125/12
Fundstelle
openJur 2013, 36844
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid vom 22.10.2012 in Gestalt des Bescheides vom 10.12.2012 und des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2012 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Teilnahme am Nachhilfeunterricht im Fach Englisch für den Zeitraum vom 10.09.2012 bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013 insgesamt 180,-- € und für das Schuljahr 2013/2014 bis zum Abschluss der schriftlichen Prüfungen mit Ausnahme der Schulferien in Höhe von wöchentlich 5,-- € zu zahlen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch.

Der am 19.02.1997 geborene Kläger bezieht zusammen mit seiner Mutter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II). Sein Vater erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Derzeit besucht der Kläger die 10. Klasse der Realschule G.. Er leidet an ADHS und Legasthenie. Vom 07.01.2008 bis 08.05.2012 nahm er an einer Legasthenietherapie bei einer Dyslexietherapeutin teil. Finanziert wurde die Therapie durch die V. Stiftung. Während der Therapie begann er die Medikation mit Ritalin, die er gegenwärtig noch fortsetzt.

Bereits im Mai und Juni 2011 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch. Dieses lehnte der Beklagte zunächst ab. Es schloss sich ein Rechtsstreit beim Sozialgericht Braunschweig an (Az. S 74 AS 2720/11). Im Rahmen dieses Verfahren schlossen die Beteiligten am 03.02.2012 einen Vergleich. Der Beklagte verpflichtete sich ab dem 01.02.2012 bis zum Ende des Schuljahres 2011/2012 die Kosten für die Nachhilfe im Fach Englisch in Höhe von monatlich 28,00 € zu übernehmen. Dabei schloss sich der Beklagte der Auffassung des Gerichts an, das Leistungsdefizit des Klägers beruhe nur noch darauf, dass der Kläger durch die jahrelange Legasthenie sprachlich noch etwas zurückfalle, dieses aber behoben werden könne durch Unterstützung der Eltern in Deutsch und durch eine Nachhilfekraft im Fach Englisch.

Im Abschlussbericht über die Legasthenietherapie vom 03.06.2012 führt die Therapeutin aus, der Kläger erreiche eine Rechtsschreibleistung im Durchschnittsbereich, bei der Leseleistung liege er bei der Lesezeit im durchschnittlichen bis gut durchschnittlichen Bereich, bzgl. der Lesefehler erreiche er gut durchschnittliche bis überdurchschnittliche Leistungen. Eine erneute Intelligenztestung habe ergebe, dass der Kläger deutlich besser in der Lage sei, sein Potential zu entfalten. Die Therapeutin geht davon aus, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr von einer seelischen Behinderung aufgrund seiner Legasthenie bedroht sei. Aufgrund des systematischen Rechtsschreibaufbaus und der guten Leseentwicklung könne er seinen schulischen und beruflichen Werdegang „sicher meistern“. Sie beschreibt ihn als ehrgeizig und zuverlässig und kontinuierlich bereit, sich den Aufgaben zu stellen.

Am 10.09.2012 beantragte der Kläger bei dem Beklagten erneut die Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Nachhilfeunterricht im Fach Englisch, erteilt von einer älteren Schülerin in Höhe von 10 €/Stunde für eine Stunde wöchentlich.

Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.10.2012 ab, da es sich nicht um ein vorübergehendes Lerndefizit des Klägers handele. Nachdem der Beklagte die Kostenübernahme abgelehnte hatte, erklärte sich die ältere Schülerin bereit, dem Kläger für 5 €/Stunde für eine Stunde wöchentlich Nachhilfe zu erteilen. Der Kläger legte am 01.11.2012 Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.10.2012 ein. Mit Bescheid vom 10.12.2012 lehnte der Beklagte den Antrag erneut ab. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.10.2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2012 zurück. Dort führt er aus, die Englischlehrerin habe nicht bescheinigt, dass die Versetzung des Klägers gefährdet sei.

Am 28.12.2012 hat der Kläger Klage erhoben.

Mit Beschluss vom 31.01.2013 hat das Gericht die Beigeladene am Verfahren beteiligt.

Die Leistungen des Klägers wurden im Halbjahreszeugnis der 9. Klasse in den Fächern Englisch, Deutsch und Chemie mit ausreichend, in den übrigen Fächern mit gut oder befriedigend bewertet. Die Klassenlehrerin des Klägers führt in einem Kurzbericht aus, der Kläger benötige in den Fächern Deutsch und Englisch bei der Verschriftlichung doppelt bzw. viel mehr Zeit als die anderen Schüler. Er habe oft Schwierigkeiten, Gehörtes korrekt zu verschriftlichen. Bei lauten Vorlesen im Deutschunterricht gebe er sich Mühe, spreche aber oft zu leise und sei daher schwerer zu verstehen. Auswendig Gelerntes könne er hervorragend wiedergeben. Die Klassenarbeiten (Aufsätze) in Deutsch seinen im 1. Halbjahr schwach ausreichend bis mangelhaft gewesen. Aufgrund seiner bemühten mündlichen Mitarbeit habe er die Note ausreichend erhalten. In Englisch sei seine große Stärke, Vokabeln zu lernen und sie fast korrekt nieder zu schreiben. Die Kompetenzbereiche Writing, Reading, Listening und Mediating, die im Englischunterricht abgefragt würden, stelle ihn vor fast unlösbare Schwierigkeiten, er stelle sich diesen Herausforderungen jedoch mit großem Fleiß und Ehrgeiz. Die Klassenlehrerin empfahl für beide Fächer Nachhilfeunterricht.

Im Ganzjahreszeugnis der 9. Klasse wurden die Leistungen des Klägers in den Fächern Englisch, Deutsch, Geschichte und Chemie mit ausreichend, in den übrigen Fächern mit gut oder befriedigend bewertet.

Der Kläger nahm im Schuljahr 2012/2013 insgesamt 36 Stunden Nachhilfeunterricht.

Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, er habe im Englischunterricht Schwierigkeiten im Lesen und Übersetzen, der Lernstoff werde komplexer. Seine Nachhilfelehrerin arbeite mit ihm den Stoff des Englischunterrichts nach. Sie tausche sich mit seiner Englischlehrerin aus. Er bekomme in den Fächern Deutsch und Englisch den Nachteilsausgleich. Die Schule mache zwar die Gewährung des Nachteilsausgleiches nicht davon abhängig, dass er privaten Nachhilfeunterricht nehme, da er ein engagierter Schüler sei. Dennoch erreiche er evtl. das Klassenziel nicht, wenn er nicht zusätzlich Nachhilfeunterricht erhalte. Er müsse sich mit dem Zeugnis der 9. Klasse bewerben. Auch für die 10.Klasse sei Nachhilfeunterricht geplant, einmal wöchentlich außer in den Schulferien. In den Abschlussprüfungen der 10. Klasse erhalte er den Nachteilsausgleich jedoch nicht mehr.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 22.10.2012 in Gestalt des Bescheides vom 10.12.2012 und des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Teilnahme am Nachhilfeunterricht im Fach Englisch für den Zeitraum vom 10.09.2012 bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013 in Höhe von insgesamt 180,-- € und für den Zeitraum des Schuljahres 2013/2014 bis zum Abschluss der schriftlichen Prüfungen mit Ausnahme der Schulferien in Höhe von wöchentlich 5,-- € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

Er bezieht sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Zudem könne eine Lernförderung gemäß § 28 Absatz 5 SGB II nur erfolgen, um die nach schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen, dazu gehörten die Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe, eine Lernförderung können daher nur kurzfristig erfolgen, nicht aber während des gesamten Schuljahres. Es könne nicht als wesentliches Lernziel angesehen werden, durchgängig im gesamten Schuljahr gute Schulnoten zu erreichen. Er sei an die Weisungen der Beigeladenen gebunden.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie führt aus, der Nachhilfeunterricht sei zwar sinnvoll. Es komme aber weder eine Leistung nach dem SGB XII noch nach dem SGB VIII in Betracht. Der Kläger leide weder an einer geistigen, körperlichen noch seelischen Behinderung, noch sei er von einer solchen bedroht, die ihn wesentlich in seiner Fähigkeit beeinträchtige, an der Gesellschaft teilzuhaben. Dieses ergebe sich aus dem Therapieabschlussbericht. Auch die Klassenlehrerin bestätige, dass der Kläger sich für sein Klassenziel einsetze.

Wegen des übrigen Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakten des Klageverfahrens und des Verfahrens S 74 AS 2720/11 sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 22.10.2012 in Gestalt des Bescheides vom 10.12.2012 (Zweitbescheid) und des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2012.

Die Beigeladene war gemäß § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendig beizuladen, da auch ein Anspruch des Klägers aus § 35a des Sozialgesetzbuches - Achtes Buch (SGB VIII) oder aus § 53 des Sozialgesetzbuches - Zwölftes Buch (SGB XII) in Betracht kommt. Im gerichtlichen Verfahren betreffend die Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen ist der nach § 14 des Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch (SGB IX) möglicherweise endgültig zuständige Leistungsträger notwendig beizuladen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25.06.2008, B 11b AS 19/07 R, zit. nach juris). Anspruchsgegner gegenüber dem Kläger ist jedoch ausschließlich der Beklagte, da dieser den Antrag des Klägers nicht an die Beigeladene weitergeleitet hat und gemäß § 14 SGB IX gegenüber dem Kläger allein leistungspflichtig ist. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Absätze 1 und 2 SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Er hat ggf. einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beigeladenen. Die Weiterleitungspflicht besteht auch für den Träger der Grundsicherung nach dem SGB II (Sächsisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 21.02.2011, L 7 AS 145/08, zit. nach juris). Zwar bleibt Rehabilitationsträger gemäß § 6a SGB IX auch für behinderte erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem SGB II die Bundesagentur für Arbeit. Allerdings unterbreitet diese nur den Eingliederungsvorschlag, die Entscheidung gegenüber dem Leistungsberechtigten trifft gemäß § 6a Satz 4 SGB IX die gemeinsame Einrichtung, welche die Leistungen nach dem SGB II erbringt. Die Aufgabenwahrnehmung durch die Bundesagentur für Arbeit umfasst grundsätzlich auch die Verpflichtung zur Weiterleitung eines Antrags nach § 14 SGB IX (BSG, a.a.O.).

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch im beantragten Umfang gegen den Beklagten.

Ein Anspruch aus § 35a Absatz 1 SGB VIII hat der Kläger nicht. Danach haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Gemäß § 2 Absatz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Bei Legasthenie handelt es sich - bei sonst normaler Intelligenz - um eine geistige Teilleistungsstörung (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 28.09.1995, 5 C 21/93, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.08.2010, L 8 SO 143/10 B ER, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Urteil vom 15.05.2013, 12 B 13.129, jeweils zit. nach juris) und stellt eine geistige Behinderung dar (BVerwG, a.a.O.). Das erkennende Gericht schließt sich dieser Rechtsprechung an. Beim Kläger liegt infolge seiner Lese- und Rechtschreibschwäche eine geistige Teilleistungsstörung und damit eine geistige Behinderung vor. Sein bisheriger Werdegang lässt zweifelsfrei auf eine mindestens normale Intelligenz schließen. Im Rahmen der Legasthenietherapie von 2008 bis 2012 ist es dem Kläger gelungen, seine Lese- und Rechtschreibleistung deutlich zu verbessern. Die Klassenlehrerin beschreibt den Kläger als gewissenhaften und engagierten Schüler. Die Leistungen des Klägers in der Schule liegen durchschnittlich im befriedigenden Bereich. Die mündlichen Leistungen des Klägers liegen deutlich über seinen Schriftlichen.

Neben der geistigen Behinderung liegt eine seelische Behinderung bei dem Kläger jedoch nicht vor, auch ist er derzeit nicht von einer solchen bedroht. Für die Frage, ob ein Kind oder Jugendlicher seelisch behindert i.S. des § 35a SGB VIII ist, kommt es auf das Ausmaß, den Grad der seelischen Störungen an. Entscheidend ist, ob die seelischen Störungen nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv sind, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigen. Von einer seelischen Behinderung bedroht sind Kinder und Jugendliche, bei denen eine seelische Behinderung als Folge seelischer Störungen noch nicht vorliegt, der Eintritt der seelischen Behinderung aber nach allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BVerwG, Urteil vom 26.11.1998, 5 C 38/97, zit. nach juris).

Die ehemalige Therapeutin des Klägers kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger nach Abschluss der Therapie seinen schulischen und beruflichen Werdegang erfolgreich absolvieren wird. Er ist deutlich selbstbewusster und souveräner mit Umgang mit Lesen und Schreiben geworden. Sie beschreibt den Kläger als ehrgeizig und kontinuierlich bereit, sich anzustrengen. Auch die Eltern des Klägers und seine Klassenlehrerin charakterisieren ihn als einen sehr engagierter Schüler, der bemüht ist, seine Leistungen aufgrund seiner Einschränkungen durch mündliche Leistungen zu verbessern. Anhaltspunkte, die auf eine seelische Behinderung oder zumindest auf eine Bedrohung davon schließen lassen, sind nicht ersichtlich.

Gemäß § 28 Absatz 5 SGB II wird bei Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.

Gemäß § 53 Absätze 1, 3 und 4 des Sozialgesetzbuches - Zwölftes Buch (SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach diesem Buch.

Gemäß § 54 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt.

Eine Förderung gemäß den §§ 53, 54 SGB XII ist für Empfänger von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 5 Absatz 2 SGB II nicht ausgeschlossen. Dennoch gilt es in diesem Fall, eine Abgrenzung der verschiedenen Anspruchsgrundlagen vorzunehmen.

Der Anwendungsbereich der §§ 53, 54 SGB XII ist bei Legasthenie als geistige Behinderung eröffnet, eine Förderung nach § 28 Absatz 5 SGB II jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Beklagten findet § 28 Absatz 5 SGB II nicht nur Anwendung bei kurzfristigen und vorübergehenden Lernschwächen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist dieses keine Voraussetzung. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass außerschulische Lernförderung nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und in der Regel nur kurzzeitig notwendig ist, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben (BT-Drs. 17/3404, S. 105). Auch der Gesetzgeber beschreibt nur den Regelfall, von dem in begründeten Einzelfällen abgewichen werden kann. So kann auch nach Auffassung des LSG Niedersachen-Bremen § 28 Absatz 5 SGB II Anwendung bei Schülern finden, die infolge von Legasthenie eine Lernförderung benötigen (Beschluss von 28.02.2012, L 7 AS 43/12 B ER, zit. nach juris). Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht an.

Um nunmehr eine Trennung zwischen § 28 Absatz 5 SGB II und den §§ 53, 54 SGB XII zu finden, ist es sachgerecht, für den Bereich der reinen Lernförderung § 28 Absatz 5 SGB II und - soweit darüber hinaus noch eine weitere Förderung bzw. Therapie notwendig ist - die §§ 53, 54 SGB XII anzuwenden (so auch Sozialgericht (SG) Braunschweig, Beschluss vom 30.01.2012, S 17 AS 38/12 ER). Denn zu beachten sind hier besonderen Voraussetzungen der §§ 53,54 SGB XII. Gemäß § 53 Absatz 1 Satz 1 SGB XII besteht ein Anspruch auf Förderung nur bei einer wesentlichen Behinderung und der wesentlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe. Geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind (§ 2 der Verordnung nach § 60 SGB XII - Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglH-VO)). Zwar kann eine Lese- und Rechtschreibschwäche, bei sonst normaler Intelligenz und regelrechtem neurologischen Befund, dafür ausreichen, dass eine Person geistig wesentlich behindert ist. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass geistige Teilleistungsstörungen oft entweder durch andere geistige Fähigkeiten ausgeglichen werden können oder bereits wegen ihrer Bezogenheit auf einen Teil der geistigen Kräfte für eine erhebliche Beeinträchtigung der Eingliederungsfähigkeit im Sinne des § 2 EinglH-VO nicht ausreichen (BVerwG, Urteil vom 28.09.1995, 5 C 21/93, zit. nach juris). Es liegt bei Legasthenie und sonst normaler Intelligenz i.d.R. keine erhebliche Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, selbst wenn ein erfolgreicher Schulabschluss gefährdet ist (BVerwG, Urteil vom 28.09.1995; LSG Niedersachsen Bremen, Beschluss vom 05.08.2010, a.a.O.). Andernfalls wäre nahezu jede, ein höheres Ausbildungsziel gefährdende geistige (Leistungs-)Schwäche eine wesentliche Behinderung im Sinne des § 2 EinglH-VO (BVerwG, Urteil vom 28.09.1995, a.a.O.).

Eine Förderung bei einer (nicht wesentlichen) Behinderung und einer wesentlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe oder eine Förderung bei einer Behinderung und Beeinträchtigung der der Fähigkeit zur Teilhabe (jeweils § 53 Absatz 1 Satz 2 SGB XII) steht lediglich im Ermessen des Sozialleitungsträgers, einen Anspruch auf die Leistung besteht grundsätzlich nicht. Nur im Falle einer Behinderung und einer wesentlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe wird vertreten, dass bei verfassungskonformer Auslegung im Vergleich mit Anspruchsinhabern von Rehabilitationsleitungen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ein Fall der Ermessenreduzierung "auf Null" dann vorliegt, wenn diese einen Anspruch auf Teilhabeleistungen haben (Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 9. Auflage 2012, § 53 Rn 21; Voelzke in Hauck/Noftz SGB XII, § 53 Rn 21). Ein solcher Fall liegt jedoch bei Teilhabeleistungen für Schüler in Form von Nachhilfeunterricht nicht vor.

Der Kläger hat, da er eine reine Lernförderung begehrt, demnach einen Anspruch auf Gewährung der beantragten Teilhabeleistung gemäß § 28 Absatz 5 SGB II.

Gemäß § 37 Absatz 1 Satz 2 SGB II sind Leistungen nach § 28 Absatz 5 SGB II gesondert zu beantragen. Den Antrag hat der Kläger am 10.09.2012 bei dem Beklagten gestellt. Fraglich ist, ob § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II auch auf Teilhabeleistungen Anwendung findet. Danach sollen die Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden. Der Bewilligungszeitraum kann auf bis zu zwölf Monate bei Leistungsberechtigten verlängert werden, bei denen eine Veränderung der Verhältnisse in diesem Zeitraum nicht zu erwarten ist (§ 41 Absatz 1 Satz 5 SGB II). Einen längeren Bewilligungszeitraum sieht § 41 SGB II nicht vor, während es bei Teilhabeleistungen nach dem SGB VIII oder SGB XII keine abstrakte Begrenzung der Förderdauer gibt, es vielmehr im konkreten Einzelfall darauf ankommt, ob und wie lange die Voraussetzung für eine Förderung vorliegen. Diese Frage kann hier jedoch offenbleiben. § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II betrifft nur die Leistungsgewährung und kann nicht auf eine Leistungsablehnung übertragen werden (BSG, Urteil vom 23.11.2006, B 11b AS 1/06 R m. w. N., zit. nach juris). Im Fall der Leistungsablehnung ist im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vor dem SG bzw. ggf. vor dem LSG) zu entscheiden (BSG, Urteil vom 16.05.2007, B 11b AS 37/06 R, zit. nach juris). Das gilt dann nicht, wenn der Betroffene einen Folgeantrag stellt, über den der Leistungsträger eine neue Entscheidung trifft und der Zeitraum, für den die erste Ablehnung Wirkung entfaltet, damit endet (BSG, Urteil vom 25.06.2008, B 11b AS 45/06 R, zit. nach juris).

Das erkennende Gericht hat über den Anspruch des Klägers ab Antragstellung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 08.08.2013 zu entscheiden und konnte auch über einen Anspruch des Klägers für das an diesem Tag begonnene Schuljahr 2013/2014 befinden. Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vollständig ab, einen Folgeantrag insbesondere für das Schuljahr 2013/2014 stellte der Kläger nicht. Bei der Entscheidung über eine Lernförderung nach § 28 Absatz 5 SGB II ist- wie noch auszuführen sein wird - eine Prognoseentscheidung zu Beginn einer möglichen Förderung zu treffen.

Der Anspruch, der Schülern nach § 28 Absatz 5 SGB II zusteht, ist die Umsetzung dessen, was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 09.02.2010, (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, zit. nach juris) vorgegeben hat und Ausfluss des Anspruches auf Chancengleichheit. So führt das BVerfG in dieser Entscheidung aus (Rn 197): „Vor allem ist ein altersspezifischer Bedarf für Kinder einzustellen, welche die Schule besuchen. Wie bereits ausgeführt macht die Zuständigkeit der Länder für das Schul- und Bildungswesen die fürsorgerechtliche Berücksichtigung dieses Bedarfs nicht entbehrlich. Die Zuständigkeit der Länder betrifft überdies den personellen und sachlichen Aufwand für die Institution Schule und nicht den individuellen Bedarf eines hilfebedürftigen Schülers. Der Bundesgesetzgeber könnte erst dann von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie durch landesrechtliche Ansprüche substituiert und hilfebedürftigen Kindern gewährt würden. Dann könnte eine einrichtungsbezogene Gewährung von Leistungen durch die Länder, zum Beispiel durch Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Lernmitteln oder durch ein kostenloses Angebot von Nachhilfeunterricht, durchaus ein sinnvolles Konzept jugendnaher Hilfeleistung darstellen, das gewährleistet, dass der tatsächliche Bedarf gedeckt wird. Solange und soweit dies jedoch nicht der Fall ist, hat der Bundesgesetzgeber, der mit dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ein Leistungssystem schaffen wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleistet, dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Sozialgeld dieser zusätzliche Bedarf eines Schulkindes hinreichend abgedeckt ist.“

Aus der Gesetzesbegründung zu § 28 SGB II ergibt sich folgendes:

„§ 28 regelt, für welche Bedarfe Leistungen für Bildung und Teilhabe erbracht werden, mit denen das menschenwürdige Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen sowie von Schülerinnen und Schülern im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe und Bildungsteilhabe sichergestellt wird. Die Bedarfe werden als eigenständige Bedarfe neben dem Regelbedarf anerkannt, um durch zielgerichtete Leistungen eine stärkere Integration bedürftiger Kinder und Jugendlicher in die Gemeinschaft zu erreichen. Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben sind erforderlich, um die materielle Basis für Chancengerechtigkeit herzustellen. Insbesondere der Bildung kommt bei der nachhaltigen Überwindung von Hilfebedürftigkeit und zukünftigen Lebenschancen eine Schlüsselfunktion zu. …Die in § 28 anerkannten, gesondert berücksichtigten Bedarfe tragen den Erkenntnissen von Erziehungswissenschaftlern und den Erfahrungen von Praktikern im Umgang mit Kindern und Jugendlichen (Lehrerinnen und Lehrern, Erzieherinnen und Erziehern) Rechnung. Sie sind notwendig, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 9. Februar 2010 zu erfüllen. Die materielle Ausstattung von Schülerinnen und Schülern, die Teilnahme an schulischen Aktivitäten sowie die außerschulische Bildung sind gesondert und zielgerichtet zu erbringen, um gesellschaftliche Exklusionsprozesse zu beenden. Der die Menschenwürde achtende Sozialstaat muss nachrangig über das Fürsorgesystem die Leistungen erbringen, die notwendig sind, damit insbesondere Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten durch Entwicklung und Entfaltung ihrer Fähigkeiten in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt später aus eigenen Kräften bestreiten zu können (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Rn. 192)“ (BT-Drs. 17/3404, S. 104).

Die Voraussetzungen für eine Förderung nach § 28 Absatz 5 SGB II liegen vor. Der Kläger ist Schüler und hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Bei dem vom Kläger in Anspruch genommenen Nachhilfeunterricht handelt es sich um eine Lernförderung, die das Angebot der Schule, die der Kläger besucht, ergänzt. In seiner Schule wird keine entsprechende Förderung angeboten.

Bei der Entscheidung, ob die Lernförderung geeignet und erforderlich ist, ist eine auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung unter Einbeziehung der schulischen Förderangebote zu treffen (BT-Drs. 17/3404, S. 105).

Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits im Zeitraum von Februar bis Juni 2012 Nachhilfe im Fach Englisch erhalten hat. Seine Note in Englisch hat sich danach nicht verbessert. Dennoch ist der Nachhilfeunterricht für das Fach Englisch für den Kläger geeignet, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Es wird zwar vertreten, dass eine Lernförderung nicht geeignet ist, wenn der bisher bereits in Anspruch genommene Nachhilfeunterricht nicht zu einer Verbesserung der Leistungen führte (SG Frankfurt, Beschluss vom 05.05.2011, S 26 AS 463/11 ER, zit. nach juris). Jedoch ist immer auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Nicht allein entscheidend ist, dass sich die Schulnote verbessert. Ziel der Lernförderung kann es auch sein, dass sich die Note nicht verschlechtert. Zudem ist wesentliches Lernziel nicht nur die Versetzung in die nächsthöhere Klasse, sondern z. B. auch das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus. Dieses ergibt sich aus den schulrechtlichen Bestimmungen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.02.2012, a.a.O.). Auch in der Gesetzesbegründung zu § 28 Absatz 5 SGB II findet sich diese Auffassung bestätigt. So wird dort ausgeführt: „ Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung bezieht sich auf das wesentliche Lernziel, das sich wiederum im Einzelfall je nach Schulform und Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergibt. Das wesentliche Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe ist regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise ein ausreichendes Leistungsniveau“ (BT-Drs. 17/3404, S. 105).

Gemäß § 10 Absatz 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) vermittelt die Realschule ihren Schülerinnen und Schülern eine erweiterte Allgemeinbildung, die sich an lebensnahen Sachverhalten ausrichtet sowie zu deren vertieftem Verständnis und zu deren Zusammenschau führt. Sie stärkt selbständiges Lernen. In der Realschule werden den Schülerinnen und Schülern entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit und ihren Neigungen eine Berufsorientierung und eine individuelle Schwerpunktbildung in den Bereichen Fremdsprachen, Wirtschaft, Technik sowie Gesundheit und Soziales ermöglicht. Das Angebot zur Schwerpunktbildung richtet sich nach den organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten der einzelnen Schule; es sind mindestens zwei Schwerpunkte anzubieten. Die Schülerinnen und Schüler werden in der Realschule befähigt, ihren Bildungsweg nach Maßgabe der Abschlüsse berufs- oder studienbezogen fortzusetzen.

Um eine erweiterte Allgemeinbildung zu erhalten, selbständig lernen zu können und die Befähigung zu erlangen, seinen Bildungsweg berufs- oder studienbezogen fortzusetzen ist es notwendig, auch die Fertigkeiten im Lesen und Schreiben - im Rahmen der persönlichen Möglichkeiten - ausreichend zu erlernen, insbesondere auch in der Fremdsprache Englisch. So ist gewährleistet, dass der Schüler die Bildung erlangt, die er für seinen künftigen Berufsweg benötigt. Er ist auch dann in der Lage, sich Sachverhalte selbständig zu erschließen. Ausreichende Kenntnisse in der Fremdsprache Englisch werden vielen verschiedenen Lebens- und Berufsbereichen vorausgesetzt.

Der Kläger hat während seiner Legasthenietherapie zwar bestimmte Fertigkeiten erlernt, um mit seiner Lernbehinderung besser umzugehen. Allerdings lässt sich die Lese- und Rechtsschreibschwäche nie vollständig beheben, so dass er weiterhin Schwierigkeiten beim Schreiben von eigenen Texten und Lesen neuer Texte hat und haben wird. Dieses wird jedoch gerade in höheren Klassen von ihm verlangt. Im Schulfach Englisch kann er sein Defizit auch nicht (mehr) durch vorangegangenes Erlernen der Vokabeln, insbesondere deren Schreibweise, allein kompensieren. Durch den Nachhilfeunterricht - hier für Englisch - hat der Kläger die Möglichkeit, den neuen Stoff des Unterrichts mit seiner Nachhilfelehrerin aufzuarbeiten, um so keine oder zumindest weniger Lücken aufzubauen. Die Nachhilfe durch eine ältere Schülerin ist dafür nach Auffassung des Gerichts geeignet. Diese kennt den genauen Lernstoff der jeweiligen Klassenstufe und tauscht sich mit der Englischlehrerin des Klägers aus.

Der Nachhilfeunterricht für das Fach Englisch ist für den Kläger auch zusätzlich erforderlich, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Nach Überzeugung des Gerichts kann der Kläger nicht in gleicher Weise allein den Stoff der Unterrichtsstunde, den er nicht oder nicht ausreichend verstanden hat, nacharbeiten. Dazu benötigt er Hilfe. Seine Eltern oder andere Angehörige können ihm in diesem Fach nicht helfen. Seine Mutter kann nur die Nachhilfe für das Fach Deutsch übernehmen.

Dass die Schule dem Kläger einen Nachteilsausgleich gewährt, unabhängig davon, ob er privaten Nachhilfeunterricht nimmt, führt nicht dazu, dass die Lernförderung in Englisch nicht erforderlich ist. Aus Nr. 4.1 des Runderlasses des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 04.10.2005 (SVBl. 11/2005, S. 560 - VORIS 22410) ergibt sich, dass Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben in der Regel den für alle Schülern geltenden Maßstäben der Leistungsbewertung unterliegen. In besonders begründeten Ausnahmefällen kann von den allgemeinen Grundsätzen abgewichen werden. Abweichungen können danach insbesondere die stärkere Gewichtung mündlicher Leistung, insbesondere in den Fremdsprachen und der zeitweilige Verzicht während der Förderphase auf eine Bewertung der Lese- und Rechtschreibleistung sein. Vorrangig vor dem Abweichen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsfeststellung ist allerdings - wie im Fall des Klägers - eine Hilfe im Sinne eines Nachteilsausgleichs, die auf den Stand der Lernentwicklung des Schülers abzustimmen sind. Als Hilfen im Sinne eines Nachteilsausgleichs gelten insbesondere eine Ausweitung der Arbeitszeit, z.B. bei zu zensierenden schriftlichen Lernkontrollen, Entwickeln einer dem individuellen Lernstand angepasste Aufgabenstellung und das Einordnen der schriftlichen und mündlichen Leistung unter dem Aspekt des erreichten Lernstands mit pädagogischer Würdigung.

Die Gewährung eines Nachteilsausgleichs allein ist aber nicht ausreichend, um das oben beschriebene Leistungsniveau zu erreichen. Für den Kläger ist es wichtig, dass er effektiv den Stoff des Unterrichts nacharbeiten kann. Dann ist er auch in der Lage, sich weiteres Wissen anzueignen, um das ausreichende Leistungsniveau zu erreichen oder zu halten. Hinzu kommt, dass sich dadurch auch positive Auswirkungen auf seine mündlichen Leistungen im Unterricht einstellen dürften, die Schwierigkeiten im schriftlichen Bereich sich ggf. verringern oder aber zumindest weiter kompensiert werden. Nicht zuletzt kommt es im Fall des Klägers auch darauf an, dass er weiterhin seine Lernbehinderung akzeptiert, mit seinen Einschränkungen umgehen kann und dennoch sein Engagement und seine Motivation beim Lernen nicht verliert.

Nach Auffassung des Gerichts war die vom Kläger begehrte Lernförderung aus den ausgeführten Gründen sowohl im Schuljahr 2012/2013 geeignet und erforderlich und ist es auch im Schuljahr 2013/2014. Der Kläger hat seinen Begehren zeitlich bis zum Abschluss der schriftlichen Prüfungen begrenzt.

Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten in Höhe von 180,00 € für 36 Nachhilfestunden für das Schuljahr 2012/2013 und von 5,00 € pro Woche im Schuljahr 2013/2014 (mit Ausnahme der Schulferien bis zu den schriftlichen Prüfungen) unangemessen sind, liegen nicht vor. Der Beklagte trägt auch nichts Entsprechendes vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.