BVerfG, Beschluss vom 05.07.2013 - 2 BvR 789/13
Fundstelle
openJur 2013, 42002
  • Rkr:
Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Januar 2013 - III-4 Ws 383/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Februar 2013 - III-4 Ws 383/12 - wird damit gegenstandslos, soweit der Antrag des Beschwerdeführers auf Nachholung rechtlichen Gehörs zurückgewiesen wurde.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Sch.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

I.

1. Mit Urteil vom 9. Oktober 2008 ordnete das Landgericht Bielefeld die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an und setzte zugleich die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung aus. Dem Urteil lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer, der zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung geladen worden war, vor dem Amtsgericht Bünde mit einer sichtbar an seinem Körper getragenen Bombenattrappe erschien.

Das Landgericht wertete dieses Verhalten als Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung des gemeingefährlichen Verbrechens der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (§ 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB) tateinheitlich mit einer versuchten Nötigung. Bei dem Beschwerdeführer liege eine schwere andere seelische Abartigkeit in Form einer wahnhaften Störung mit Verfolgungswahn vor, so dass er schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen sei. Es bestehe die Befürchtung, dass er sich zur Durchsetzung seiner Anliegen künftig anderer Mittel bedienen werde. Zwar seien gewaltbesetzte Taten im Sinne von Körperverletzungshandlungen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Jedoch sei die Begehung anderer erheblicher Straftaten mit einer der Bombendrohung vergleichbaren Öffentlichkeitswirksamkeit - beispielsweise einer Geiselnahme - zu besorgen.

2. Im Februar 2009 widerrief das Landgericht Bielefeld die Aussetzung zur Bewährung. Das Wahngebäude des Beschwerdeführers habe sich entwickelt und affektiv zugespitzt. Eine Krankheitseinsicht fehle völlig, jede Medikation werde abgelehnt. Ferner habe der Beschwerdeführer die Zusammenarbeit mit einem rechtlichen Betreuer verweigert und den Mitarbeiter einer Arbeitsagentur darauf hingewiesen, dass er schon einmal mit einer Bombe am Körper auf der Straße gestanden habe und dies erneut passieren könne. Die Begehung ähnlicher Taten wie die der Bombendrohung könne daher nicht ausgeschlossen werden. Die Maßregel wurde daraufhin seit März 2009 vollzogen.

3. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2012 ordnete das Landgericht Paderborn die Fortdauer der Unterbringung an. Zur Begründung verwies es auf die Stellungnahme der psychiatrischen Klinik, in der der Beschwerdeführer untergebracht ist, und ein psychiatrisches Sachverständigengutachten aus dem August 2012. Danach bestehe beim Beschwerdeführer das Wahnsystem, das zu den Delikten geführt habe, fort und weite sich aus. Die Behandlungsprognose sei sehr ungünstig, weil die Störung chronifiziert und einer Therapie nur sehr begrenzt zugänglich sei. Der Beschwerdeführer lehne jede therapeutische Intervention strikt ab. Es müsse abgewartet werden, ob es in den nächsten Jahren zu einer Beruhigung komme. Weitere Behandlungsvorschläge könnten nicht gemacht werden. Vor diesem Hintergrund könne die ?für eine Entlassung erforderliche? Kriminalprognose nicht gestellt werden. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs erneut in juristische Auseinandersetzungen verwickelt werden könnte, die dann ?in eine erneute vergleichbare Tat münden könnten?.

4. Mit angegriffenem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Januar 2013 wurde die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ?aus den zutreffenden Gründen? des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Paderborn vom 17. Oktober 2012 verworfen.

5. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 21. Februar 2013 verwarf das Oberlandesgericht Hamm einen sodann vom Beschwerdeführer gestellten Befangenheitsantrag wegen unzureichender Begründung als unzulässig und wies den ebenfalls gestellten Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs zurück.

II.

Der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in seinem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzt. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus seien nicht erfüllt. Darüber hinaus macht der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 GG geltend.

Mit ergänzendem Schriftsatz vom 25. Juni 2013 hat der Beschwerdeführer einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Sch. gestellt.

III.

1. Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerde für aussichtsreich. Die vom Oberlandesgericht in Bezug genommene Feststellung, die Erkrankung liege weiterhin vor, reiche zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der weiteren Freiheitsentziehung nicht aus. Zur Wahrscheinlichkeit drohender strafbarer Handlungen fänden sich keine Ausführungen. Auch hätten Art und Ausmaß der angenommenen Gefahr näherer Betrachtung bedurft. Bei der Bewertung des Gewichts des Freiheitsrechts fehle es an einer Berücksichtigung des Umstandes, dass die Dauer der Freiheitsentziehung das gesetzliche Höchstmaß der Strafe aus § 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB mittlerweile nicht unerheblich überschreite. Ferner sei eine Erörterung geboten gewesen, ob das Instrument der Führungsaufsicht als milderes Mittel in Betracht komme. Als Besonderheit des Falles sei zudem zu beachten gewesen, dass die Behandlungsaussicht gering und die Geeignetheit des Maßregelvollzugs zur Besserung daher fraglich sei.

2. Die Hauptakte hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

IV.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die anzulegenden Maßstäbe bei der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297 ff.) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Verwerfung des Befangenheitsantrags des Beschwerdeführers als unzulässig durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Februar 2013 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Insoweit genügt der Vortrag des Beschwerdeführers den Darlegungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht. Auch die Möglichkeit einer Verletzung der neben Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gerügten Grundrechte durch die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Januar 2013 und 21. Februar 2013 ist nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Verwerfung der sofortigen Beschwerde gegen die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Januar 2013 wendet, ist sie zulässig und begründet. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil er den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ergeben, nicht genügt.

a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann ?die Freiheit der Person? und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als ?unverletzlich? bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 29, 312 <316>; 35, 185 <190>; 45, 187 <223>; stRspr). Zu diesen wichtigen Gründen zählen in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Die gesetzlich geregelten Einzeltatbestände haben dabei auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie nicht nur den Eingriff in ein grundrechtlich geschütztes Interesse erlauben, sondern zugleich die äußersten Grenzen zulässiger Grundrechtseinschränkungen bestimmen (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>; 75, 329 <341>; 126, 170 <195>; 130, 372 <391>). Das gilt auch für die Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem zukünftig infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus (BVerfGE 70, 297 <307>).

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidungen über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden (vgl. BVerfGE 70, 297 <311>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel gemäß § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (vgl. BVerfGE 70, 297 <312>; BVerfGK 2, 55 <59>). Er gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf daher nur fortgesetzt werden, wenn der damit verbundene Eingriff in das Freiheitsgrundrecht zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zum Grad der von ihm ausgehenden Gefahr nicht außer Verhältnis steht (vgl. BVerfGE 70, 297 <312>).

Abzustellen ist dabei auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin ?erheblich? im Sinne des § 63 StGB sein. Die Beurteilung hat sich demnach darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist hinreichend zu konkretisieren. Der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen, da deren bloße Möglichkeit die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen vermag. Bei alledem ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfGE 70, 297 <313>). Außerdem sind die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe gemäß §§ 68a, 68b StGB zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 70, 297 <314 f.>).

Da es sich bei der Gesamtwürdigung der für die Frage der Fortdauer der Unterbringung gemäß § 63 StGB maßgeblichen Umstände um eine wertende Entscheidung unter Prognosegesichtspunkten handelt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen, insbesondere Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkennen. Je länger aber die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs sein. Das Freiheitsgrundrecht gewinnt wegen des sich verschärfenden Eingriffs immer stärkeres Gewicht für die Wertungsentscheidung des Strafvollstreckungsrichters. Der im Einzelfall unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 70, 297 <314 f.>).

Das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wirkt sich bei langdauernden Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auch auf die an die Begründung einer Entscheidung nach § 67d Abs. 2 StGB zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem immer stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist mithin vor allem die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus. Bleibt das Bemühen des Richters um Zuverlässigkeit der Prognose trotz Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnismittel mit großen Unsicherheiten behaftet, so hat auch dies Eingang in seine Bewertung zu finden (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2010 - 2 BvR 660/09 -, FamRZ 2010, S. 532 f.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, NStZ-RR 2013, S. 72 ff.).

Genügen die Gründe einer Entscheidung über die Fortdauer einer bereits außergewöhnlich lange währenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus diesen Maßstäben nicht, so führt das dazu, dass die Freiheit der Person des Untergebrachten auf solcher Grundlage nicht rechtmäßig eingeschränkt werden kann; sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist verletzt, weil es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage für die Unterbringung fehlt (vgl. BVerfGE 70, 297 <316 f.>).

b) Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben ist der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Januar 2013 nicht zu vereinbaren. Das Oberlandesgericht hat in diesem Beschluss die Verwerfung der sofortigen Beschwerde gegen die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ausschließlich auf die ?zutreffenden Gründe? des angegriffenen Beschlusses des Landgerichts Paderborn vom 17. Oktober 2012 gestützt. Dies trägt dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers schon deshalb nicht Rechnung, weil der Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 17. Oktober 2012 den sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers nicht genügt.

aa) Das Landgericht hat es bereits unterlassen, hinreichend zu konkretisieren, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschwerdeführer drohen und wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit derartiger Taten in der Zukunft ist. Es stellt lediglich fest, dass aufgrund der Stellungnahme der Klinik und des Gutachtens des Sachverständigen davon auszugehen sei, dass das Wahnsystem, das zu den Unterbringungsdelikten geführt habe, fortbestehe und der Beschwerdeführer daher außerhalb des Maßregelvollzugs erneut in juristische und ordnungsrechtliche Auseinandersetzungen verwickelt werden könnte, die dann in eine erneute ?vergleichbare Tat? münden könnten. Offen bleibt, welche Taten im Einzelnen von dem Beschwerdeführer zu erwarten sind und wie hoch der Grad der Wahrscheinlichkeit der Begehung dieser Taten ist. Insbesondere verhält das Landgericht sich nicht zu der Frage, ob davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer auch weiterhin Straftaten lediglich androhen werde, oder ob davon ausgegangen werden muss, dass er diese Drohung auch in die Tat umsetzen werde. Dies wäre aber zur Bestimmung des Gewichts der bedrohten Rechtsgüter erforderlich gewesen.

bb) Ebenso fehlt es an einer nachvollziehbaren Abwägung, ob die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch aufzuwiegen vermag. Das Landgericht setzt sich insbesondere nicht mit der Frage auseinander, welche Bedeutung für das Gewicht des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers der Tatsache zuzumessen ist, dass die Dauer der Unterbringung mittlerweile das Höchstmaß des Strafrahmens der Anlasstat gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB von drei Jahren erheblich überschreitet. Eine Abwägung zwischen den Sicherheitsbelangen der Allgemeinheit und dem aufgrund der Unterbringungsdauer gewichtiger werdenden Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers kann dem Beschluss des Landgerichts nicht entnommen werden. Dies wäre aber angesichts der Dauer der Unterbringung einerseits und der vom Landgericht - anscheinend - angenommenen Gefahr von Straftaten der Störung des öffentlichen Friedens andererseits in besonderer Weise angezeigt gewesen.

cc) Das Landgericht setzt sich auch nicht hinreichend mit den Darlegungen des Sachverständigen auseinander, dass die bei dem Beschwerdeführer vorliegende wahnhafte Störung therapeutisch nur sehr schwer beeinflussbar sei. Auch wenn bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB im Einzelfall der Besserungszweck als Nebenzweck gegenüber dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit nachrangig sein oder verblassen kann, kann ihm doch nicht jede Erheblichkeit abgesprochen werden (vgl. BVerfGE 70, 297 <316, 318>; BVerfGK 2, 55 <63>). Die Frage der Behandlungsaussichten hätte daher auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Berücksichtigung finden müssen.

dd) Schließlich verhält der landgerichtliche Beschluss sich auch nicht zu der Frage, ob im Falle einer Aussetzung des Maßregelvollzugs den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit durch Maßnahmen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (§ 68a, § 68b StGB) hinreichend hätte Rechnung getragen werden können.

3. Die Aufhebung und Zurückverweisung erfolgt gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 105, 1 <17> m.w.N.).