LAG Köln, Urteil vom 25.10.2012 - 7 Sa 232/12
Fundstelle
openJur 2013, 35127
  • Rkr:

Anwendungsfall der neueren Rspr. des BAG zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei lang andauernder Erkankung (BAG vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216 ff.).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.09.2011 in Sachen20 Ca 4299/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Bestehen von Urlaubsansprüchen des Klägers aus den Jahren 2007 bis Mai 2011 sowie darum, ob der Kläger einen Anspruch auf Abgeltung von 88 Überstunden hat.

Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 50 % als behinderter Mensch anerkannt. Er steht seit dem 01.03.2001 als Facharbeiter in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, einem Unternehmen der chemischen Industrie, und erzielte ein Einkommen in Höhe von ca. 2.700,00 € brutto in der 40-Stunden-Woche.

Am 20.06.2007 erlitt der Kläger zum zweiten Mal einen Schlaganfall. Seit diesem Zeitpunkt ist er bis heute durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.08.2013 wurde dem Kläger eine vorläufige Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit zuerkannt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht derzeit noch ungekündigt fort. Tarifverträge sind, soweit ersichtlich, auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar.

Der Kläger hat im Juni 2011 die vorliegende Klage erhoben und geltend gemacht, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Urlaubsrecht stünden ihm seit dem Jahr seiner Erkrankung, also dem Jahr 2007, für den Zeitraum bis zur Klageerhebung 125 Urlaubstage zu, die bislang nicht verfallen seien, von der Beklagten aber in Abrede gestellt würden. Da er, der Kläger, wegen der fortdauernden Erkrankung im derzeit fortbestehenden Arbeitsverhältnis seine Urlaubsansprüche weder in natura nehmen, noch deren Abgeltung in Geld verlangen könne, müsse er die Möglichkeit haben, die streitigen Ansprüche im Wege einer Feststellungsklage geltend zu machen, zumal vertreten werde, dass Urlaubsansprüche auch derdreijährigen gesetzlichen Verjährungsfrist unterlägen.

Der Kläger hat behauptet, es seien zwischen den Parteien arbeitsvertraglich 35 Urlaubstage im Jahr vereinbart gewesen und er habe in einer Sechs-Tage-Woche gearbeitet. Darüber hinaus seien drei Urlaubstage zusätzlich für schwerbehinderte Menschen gemäß § 125 Abs. 1 SGB IX zu berücksichtigen. Der Kläger hat für das erste Halbjahr 2007 19 offene Urlaubstage angesetzt. Ab dem zweiten Halbjahr 2007 stellt der Kläger neben dem Schwerbehinderten-Zusatzurlaub auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 24 Werktagen pro Jahr ab. Für das zweite Halbjahr 2007 hatte der Kläger dementsprechend insgesamt 14 Urlaubstage angesetzt, für die Kalenderjahre 2008, 2009 und 2010 jeweils 27 Tage und für die Zeit von Januar bis Mai 2011 elf Urlaubstage.

Außerdem hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass ihm ein Anspruch auf Abgeltung von 88 Überstunden zustehe, weil sein Arbeitszeitkonto im Zeitpunkt seiner Erkrankung ein entsprechendes Guthaben aufgewiesen habe. Die Beklagte habe den entsprechenden Anspruch ebenfalls abgelehnt.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1.) festzustellen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen noch bestehenden Anspruch auf 125 Urlaubstage habe;

2.) festzustellen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Abgeltung von 88 Überstunden habe.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat eingewandt, die Klage sei bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Sie hat geltend gemacht, dass auch bei lang anhaltender Erkrankung Urlaubsansprüche nicht zeitlich unbegrenzt aufrechterhalten bleiben könnten, sondern spätestens 18 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfallen müssten. Die Beklagte hat bestritten, dass zwischen den Parteien 35 Urlaubstage pro Jahr vereinbart gewesen seien und dass der Kläger in einerSechs-Tage-Woche gearbeitet habe.

Die Beklagte hat eingeräumt, dass im Zeitpunkt der Erkrankung des Klägers zwar nicht 88, aber 87,5 Plus-Stunden zugunsten des Klägers aufgelaufen waren. Es bestehe aber kein Abgeltungsanspruch, sondern nur das Recht des Klägers, nach Wiederaufnahme der Arbeit einen Freizeitausgleich in entsprechendem Umfang in Anspruch zu nehmen.

Mit Urteil vom 14.09.2011 hat das Arbeitsgericht Köln die Klage als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Streits der Parteien um die Urlaubsansprüche hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass nach zutreffender Auffassung während des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses keine Urlaubsansprüche entstünden. Hinsichtlich der Überstundenabgeltung ist es der Argumentation der Beklagten gefolgt.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln wurde dem Kläger am 07.02.2012 zugestellt. Er hat hiergegen am 21.02.2012 Berufung eingelegt und diese am Osterdienstag, dem 10.04.2012 begründet.

Der Kläger macht nochmals Ausführungen zum Feststellungsinteresse. Im Übrigen führt der Kläger aus, dass entgegen der Ansicht der Beklagten Urlaubsansprüche auch während des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses entstünden. Im Übrigen fehle es vorliegend auch an einer Tarifnorm, die für den Zeitraum des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente das Ruhen des Arbeitsverhältnisses anordne.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln , Az.: 20 Ca 4299/11 vom 14.09.2011

1.) festzustellen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen noch bestehenden Urlaubsanspruch auf 125 Urlaubstage hat;

2.) festzustellen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Abgeltung von 88 Überstunden hat.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte hat beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte hält daran fest, dass die Feststellungsanträge des Klägers bereits unzulässig seien.

In der Urlaubsfrage bekräftigt die Beklagte die Ansicht des Arbeitsgerichts, wonach während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses keine Urlaubsansprüche entstehen könnten. Darüber hinaus verweist die Beklagte auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22.11.2011 in Sachen C-214/10. Aus diesem Urteil sei zu entnehmen, dass im deutschen Urlaubsrecht § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG so auszulegen sei, dass Urlaubsansprüche auch im Falle der Erkrankung des Arbeitnehmers spätestens 15 Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres endgültig verfielen.

Zum Antrag zu 2.) wiederholt die Beklagte, dass dem Kläger zwar unstreitig ein Überstundenguthaben von 87,5 Stunden zustehe, der Kläger aber dessen Abgeltung nicht verlangen könne. Die bei ihr geltende Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit sehe die Abgeltung eines Überstundenguthabens während des bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht vor, sondern nur einen Ausgleich in Freizeit.

Gründe

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.09.2011 in Sachen 20 Ca 4299/11 ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

Gleichwohl ist die Berufung bereits unzulässig, soweit der Kläger mit ihr den Feststellungsantrag zu 2.) auf Überstundenabgeltung weiterverfolgt. Zu diesem Teil der Berufung fehlt es nämlich an jeglicher Berufungsbegründung. Der Kläger hat sich mit keinem Wort mit den Gründen auseinandergesetzt, aus denen heraus das Arbeitsgericht den Klageantrag zu 2.) abgewiesen hatte.

II. Darüber hinaus konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, weil sie in Gänze auch unbegründet ist.

1. Allerdings geht das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zunächst zugunsten des Klägers davon aus, dass es für seine Feststellungsklage nicht schon am Feststellungsinteresse fehlt. Der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage kommt vorliegend nicht zum Tragen; denn der Kläger kann aufgrund seiner fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit derzeit nach ganz herrschender Meinung keinen Urlaub in natura in Anspruch nehmen. Wegen des derzeitigen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses kann der Kläger mangels Fälligkeit aber auch noch keine Abgeltungsansprüche erheben. Da jedoch in Rechtsprechung und Literatur teilweise die Auffassung vertreten wird, dass auch Urlaubs- und sonstige Freizeitansprüche der gesetzlichen dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen, muss dem Kläger eine Möglichkeit offenstehen, seine streitigen Ansprüche einer rechtzeitigen gerichtlichen Klärung zu unterziehen.

2. Dies ändert aber nichts daran, dass die Klage insgesamt unbegründet ist.

a. Dies gilt zunächst auch für den Anspruch auf Überstundenabgeltung, wobei insoweit die Berufung ohnehin bereits unzulässig ist (s. o.). Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass im Zeitpunkt der Erkrankung des Klägers und auch derzeit noch ein Überstundenguthaben in Höhe von 87,5 Überstunden besteht. Das Arbeitszeitkonto basiert jedoch auf der Betriebsvereinbarung über die betriebliche Arbeitszeitordnung für Werk K vom 30.04.2004. Ziffer 2 der fraglichen Betriebsvereinbarung sieht im laufenden Arbeitsverhältnis einen Ausgleich von Guthabenstunden nur durch Freizeitgewährung vor. Nach Ziffer 2.5 der Betriebsvereinbarung kommt eine Abrechnung und damit Auszahlung des Zeitkontos nur in Betracht, wenn ein Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausscheidet und vorher nicht in der Lage war, sein Arbeitszeitkonto durch Freizeitnahme auszugleichen.

b. Auch der Antrag des Klägers auf Feststellung, dass ihm für die Zeit von 2007 bis Mai 2011 noch 125 Urlaubstage zustehen, ist unbegründet.

aa. Es kann dahingestellt bleiben, in welchem Umfang dem Kläger in der Zeit vom 01.01.2007 bis 31.12.2010 Urlaubsansprüche in seinem Arbeitsverhältnis erwachsen sind. Sämtliche, dem Kläger in diesem Zeitraum entstandenen Urlaubsansprüche sind nämlich spätestens mit dem 31.03.2012 gemäߧ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG verfallen. Der Europäische Gerichtshof hat seine Rechtsprechung zum Urlaubsrecht zwischenzeitlich weiter präzisiert. Mit Urteil vom 22.11.2011 in Sachen C-214/10 hat der Europäische Gerichtshof wie folgt Recht gesprochen:

"Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ... vom 04.11.2003 ... ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt."

Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216 ff., die Konsequenzen dieser Rechtsprechung für das deutsche Urlaubsrecht gezogen und in Leitsatz 2 der vorgenannten Entscheidung ausgeführt:

"Ist ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3S. 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (in Anschluss an EUGH 22.11.2011, C-214/10)."

Diese Rechtsprechung erscheint sachangemessen. Ihr ist zu folgen.

bb. Auch soweit Gegenstand der Berufung Urlaubsansprüche des Klägers aus der Zeit vom 01.01. bis 31.05.2011 sind, ist die Berufung unbegründet. Auch hierfür kommt es nicht darauf an, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen des Bezuges einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente derzeit ruht und ob während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses gesetzliche Urlaubsansprüche überhaupt entstehen können oder ob das nicht der Fall ist.

Für die Entscheidung war abzustellen auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (13.09.2012). Zu diesem Zeitpunkt waren zwar etwaige im Jahre 2011 zugunsten des Klägers entstandene Urlaubsansprüche noch nicht nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG verfallen; denn der Kläger war weiterhin durchgehend arbeitsunfähig und der oben angesprochene Übertragungszeitraum endet für Urlaubsansprüche des Urlaubsjahres 2011 erst am 31.03.2013. Jedoch wären etwaige Urlaubsansprüche des Urlaubsjahres 2011 im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht weder fällig gewesen, noch war abzusehen, ob sie jemals fällig werden würden, bevor am 31.03.2013 ihr Verfall nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG eintreten würde. Der Kläger war im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin arbeitsunfähig erkrankt. Etwaige Urlaubsansprüche des Klägers waren in natura zu diesem Zeitpunkt nach ganz h. M. nicht erfüllbar. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Geld setzt hingegen voraus, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet ist und etwaige Urlaubsansprüche zuvor nicht in natura in Anspruch genommen werden oder gewährt werden konnten. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestand das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weiterhin. Auch wenn die Parteien in Verhandlungen über eine vergleichsweise Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses standen, hatten zu diesem Zeitpunkt weder der Kläger noch die Beklagte einen Beendigungstatbestand in die Welt gesetzt und es war nicht absehbar, ob überhaupt, und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis der Parteien sein Ende finden würde.

Hinzu kommt, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ebenso wenig endgültig feststand, dass der Kläger vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangen würde. Ob der Kläger seine Arbeitsfähigkeit vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien evtl. nochmals wiedererlangen kann, mag zwar in Anbetracht der längerfristig bewilligten Erwerbsminderungsrente eher unwahrscheinlich erscheinen, ist aber in tatsächlicher Hinsicht keineswegs als ausgeschlossen zu betrachten.

3. Im Ergebnis hat das Arbeitsgericht die Klage somit zu Recht in vollem Umfang abgewiesen.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor:

Die Frage des Verfalls gesetzlicher Urlaubsansprüche bei langfristig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG erscheint durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10 nunmehr höchstrichterlich geklärt.

Auf die weitere Streitfrage, ob während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses überhaupt gesetzliche Urlaubsansprüche entstehen, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.

Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf§ 72 a) ArbGG verwiesen.

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