OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.08.2013 - OVG 1 L 128.12
Fundstelle
openJur 2013, 35025
  • Rkr:

Entscheidungen über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind nicht anfechtbar. Der Rechtsmittelausschluss entsprechend § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch im verwaltungsgerichtlichen Vollstreckungsverfahren (Anschluss HessVGH, Beschluss vom 30. April 2009 - 7 B 675/09 -, NVwZ-RR 2009, 989, juris Rn. 12 ff.).

Tenor

Die Beschwerde der Vollstreckungsgläubigerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Oktober 2012 wird verworfen.

Die Vollstreckungsgläubigerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem im Ausspruch bezeichneten Beschluss die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22. Februar 2012 - VG 4 L 32/11 - bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Vollstreckungsabwehrklage des Vollstreckungsschuldners - VG 4 K 315/12 - vorläufig eingestellt.

Entgegen der Rechtsmittelbelehrung der angegriffenen Entscheidung, wonach die Beschwerde gegeben sei, kann ein verwaltungsgerichtlicher Beschluss, mit dem die Einstellung der Zwangsvollstreckung entsprechend §§ 767, 769 Abs. 1Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) vorläufig angeordnet wird, in entsprechender Anwendung von § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 167 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht mit Rechtsmitteln angefochten werden.

Aus der Verweisung in § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf die Bestimmungen des Achten Buches der Zivilprozessordnung folgt nicht nur die entsprechende Anwendbarkeit der auch dem angegriffenen Einstellungsbeschluss zugrunde liegenden §§ 767, 769 Abs. 1 ZPO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern auch die Unanfechtbarkeit verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen über Anträge auf einstweilige Anordnungen nach diesen Vorschriften (offen gelassen im Senatsbeschluss vom 12. April 2012 - OVG 1 S 54.12 -, Abdr., S. 3; anders noch OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 22. Mai 2001 - 4 B 21/01 -, NVwZ-RR 2002, 905). Die Erwägungen, die der Bundesgerichtshof im grundlegenden Beschluss vom 21. April 2004 - XII ZB 279/03 - (BGHZ 159, 14 ff., juris Rn. 6 ff. m.w.N.) für den auf eine analoge Anwendung des § 707 Abs. 2 Satz 2 gestützten Rechtsmittelausschluss im Hinblick auf erstinstanzliche Entscheidungen über Anträge nach § 769 Abs. 1 ZPO angeführt hat, sind wegen der vergleichbaren Interessenlage auch auf das verwaltungsgerichtliche Vollstreckungsverfahren zu übertragen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 30. April 2009 - 7 B 675/09 -, NVwZ-RR 2009, 989, juris Rn. 12 ff. [15 f.]). Dem stehen weder die Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. § 167 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO) noch Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Vollstreckungsverfahrens entgegen, die eine Abweichung von der zivilprozessualen Rechtslage rechtfertigen könnten.

Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Vollstreckungsgläubigerin überzeugen den Senat nicht: Dies gilt zunächst für den Einwand, dass die Verweisung in § 167 Abs. 1Satz 1 VwGO auf die Vollstreckungsbestimmungen der Zivilprozessordnung durch § 146 VwGO verdrängt werde, weil sich insoweit aus der Verwaltungsgerichtsordnung „anderes“ im Sinne von § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebe und daher keine durch die analoge Anwendung von § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu schließende Regelungslücke bestehe. Diese Ansicht verkennt den Regelungszusammenhang zwischen § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 146 VwGO, wonach die spezielle Verweisung auf das Vollstreckungsrecht der Zivilprozessordnung in § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO den allgemeinen Vorschriften über die Beschwerde in § 146 VwGO vorgeht. Der Gesetzgeber hat in Bezug auf die Zwangsvollstreckung grundsätzlich auf eigene Regelungen in der Verwaltungsgerichtsordnung verzichtet und somit auch die nach der Zivilprozessordnung statthaften Rechtsbehelfe entsprechend für anwendbar erklärt. Dass für die Zwangsvollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich die entsprechenden Rechtsbehelfe des zivilprozessualen Zwangsvollstreckungsverfahrens gelten (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 10. August 1983 - 6 L 4/83 -, NJW 1984, 1370), ist auch in anderem Zusammenhang anerkannt, namentlich im Fall der Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 766, 732 ZPO (vgl. dazu Thüringer OVG, Beschluss vom 22. August 2006 - 4 VO 691/06 -, juris Rn. 3). Da die Verwaltungsgerichtsordnung im vorliegenden Fall keine von den Rechtsschutzmöglichkeiten der Zivilprozessordnung abweichende Regelung vorsieht, ist der Beschwerdeausschluss entsprechend § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch im vorliegenden Vollstreckungsverfahren anzuwenden; dass bzw. warum hier anderes gelten soll als in der zivilgerichtlichen Vollstreckung zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.

Die von der Vollstreckungsgläubigerin zum Beleg ihrer Rechtsansicht zitierten oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sind sämtlich vor dem eingangs zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2004 (a.a.O.) ergangen. Zudem wird in den in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen ganz überwiegend nicht auf die Reichweite des in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung seit langem umstrittenen Beschwerdeausschlusses eingegangen (vgl. dazu Künkel, MDR 1989, 309 zu Fußn. 10 und 11; weitere Nachw. bei Herget in Zöller: ZPO, 29. Aufl. 2012, § 769 Rn. 13; anders einzig Hamburgisches OVG, Beschluss vom 12. März 1970 - Bs 101/69 -, VwRspr 22, 127 f.); dies gilt auch für die von der Vollstreckungsgläubigerin zitierten verwaltungsgerichtlichen Kommentare (vgl. aber Pietzner in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 24. Ergänzungslieferung 2012, § 167 Rn. 42). Anderen Entscheidungen liegen wiederum nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde (z.B. VGH Mannheim, Beschluss vom 28. Juli 1977 - IX 1995/77 -, NJW 1978, 287) oder würden im vorliegenden Fall ebenfalls auf den Ausschluss der Beschwerde führen (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 28. Juni 1966 - B I 25/66 -, DVBl. 1966, 607); teilweise wurde die hier zugrunde liegende Frage einer Beschwerdemöglichkeit gar nicht erörtert, weil für die dortige Fallkonstellation bereits eine Vollstreckungsabwehrklage und ein Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung für unzulässig gehalten wurden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22. August 1988 - 2 B 21/88 -, NVwZ 1989, 572, im Anschluss an OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Juni 1970 - IV 143/69 -, NJW 1971, 72, zit. nach juris).

Dass, wie die Beschwerde weiter geltend macht, an die Stelle der sofortigen Beschwerde nach § 793 ZPO grundsätzlich die Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO tritt (vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 23. Februar 1987 - 11 B 43/87 -, NJW 1987, 3029; VGH Mannheim, Beschluss vom 28. Juli 1977, a.a.O.), hilft im vorliegenden Fall nicht weiter, da eine Beschwerdemöglichkeit gegen die hier interessierende einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO auch im Zivilprozessrecht nicht gegeben ist.

Soweit die Vollstreckungsgläubigerin sich auch gegen die entsprechende Anwendbarkeit des Beschwerdeausschlusses nach § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf zivilprozessuale Entscheidungen nach §§ 767, 769 ZPO wendet und meint, dass auch diesbezüglich keine planwidrige Regelungslücke vorliege, jedenfalls habe der Gesetzgeber diese gekannt und im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze vom 18. März 1985 (BT-Drucks. 10/3054, S. 5 und 14) bewusst nicht geschlossen, wird übersehen, dass eine ausdrückliche Regelung über eine Ergänzung von § 769 Abs. 3 ZPO in Gestalt eines ausdrücklichen Ausschlusses von Rechtsbehelfen wegen des in der Zivilrechtsprechung „hinreichend anerkannten“ Beschwerdeausschlusses (vgl. BT-Drucks. 11/3621, S. 25 f.) fallen gelassen und auch bei der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozeßreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887, 1902 ff.) nicht wieder aufgegriffen wurde (vgl. dazu und zur entsprechenden methodischen Unbedenklichkeit einer Analogiebildung: OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 29. August 2002 - 26 W 102/02 -, juris Rn. 5 ff. [12], unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 7. März 2002 - IX ZB 11/02 -, juris; sowie BGH, Beschluss vom 21. April 2004, a.a.O., juris Rn. 12). Dass die Instanzgerichte dem vorstehenden Beschluss des Bundesgerichtshofs mehrheitlich nicht gefolgt seien, wie die Vollstreckungsgläubigerin schließlich behauptet, trifft nicht zu (vgl. u.a. OLG München, Beschluss vom 6. Mai 2011 - 14 W 410/11 -; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2010 - 5 W 10/10 u.a. -; vgl. zuvor bereits Brandenburgisches OLG - Senat für Familiensachen -, Beschluss vom 23. Februar 2004 - 10 WF 32/04 -; OLG Karlsruhe - Senat für Familiensachen -, Beschluss vom 18. Oktober 2002 - 20 {16} WF 74/02 -; alle veröffentlicht in juris; weitere Nachweise u.a. bei Herget in: Zöller, a.a.O.).

Die nicht statthafte Beschwerde der Vollstreckungsgläubigerin war nach alledem zu verwerfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Vollstreckungsgläubigerin nach § 154 Abs. 2 VwGO zur Last. Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es wegen der insoweit bestimmten Festgebühr nicht (vgl. Kostenverzeichnis Nr. 5502 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Eine Änderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung, die abweichend von den Empfehlungen des Streitwertkatalogs (vgl. Nr. II. 1.6.1, NVwZ 2004, 1327) statt von einem Viertel von der Hälfte des zu vollstreckenden Betrages ausgegangen ist, ist nicht veranlasst, weil sich ein in Anlehnung an den Streitwertkatalog von Amts wegen zu ändernder Streitwert nicht auf die Höhe der Gebühren auswirken würde.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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