Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.08.2013 - 13a ZB 13.30216
Fundstelle
openJur 2013, 34794
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 31. Mai 2013 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124 Rn. 36).

Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „in Kapisa, der Heimatprovinz …, ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG herrscht und praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt ist.“ Die Sicherheitslage in ganz Afghanistan habe sich weiter verschlechtert. Das Ausmaß und die Intensität der Auseinandersetzungen begründeten die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Rückkehr in die Heimatprovinz Gefahr für Leib oder Leben bestehe bzw. eine solche Gefahr zumindest nicht ausgeschlossen werden könne.

Die aufgeworfene Frage ist geklärt. Mit rechtskräftigen Urteilen vom 20. Januar 2012 (Az. 13a B 11.30425 – juris), vom 8. November 2012 (Az. 13a B 11.30391 – juris) und vom 1. Februar 2013 (13a B 12.30045 – juris; auf sie hat das Verwaltungsgericht Bezug genommen) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass afghanische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in die Zentralregion im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt sind. Kapisa, die Heimatprovinz des Klägers, wird gemeinsam mit Kabul, Panjsher, Logar, Parwan und Wardak der Zentralregion zugerechnet (Einteilung siehe United Nationes Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual report 2012, Executive Summary). Das Verwaltungsgericht hat mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 27.4.2010 –10 C 4.09BVerwGE 137, 226) im Einklang das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft. Die Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, hat es offen gelassen. Jedenfalls lägen nach der derzeitigen Auskunftslage keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, dass in der Heimatregion eine konkrete individuelle Gefahr angenommen werden könne (UA S. 9).

Demgegenüber wird im Zulassungsantrag lediglich darauf verwiesen, dass sich nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom Januar 2012, der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 23. August 2011 und einer Auskunft des UNHCR vom 11. November 2011 die Gewalt in Afghanistan verschlimmere. Auch gingen Beobachter davon aus, dass 2013 ein besonders blutiges Jahr werden könnte. Anhaltspunkte, dass die Gefahrendichte in der Herkunftsregion des Klägers so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, lassen sich daraus jedoch nicht entnehmen (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08NVwZ 2010, 196; EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07NVwZ 2009, 705). Aus den Berichten ergibt sich auch nicht, dass das Verwaltungsgericht von falschen oder unzureichenden Zahlen ausgegangen oder die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs überholt ist. Diese waren im Übrigen auch Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht; ebenso waren sie den neueren Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zugrunde gelegt.

Ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung führt auch die weitere als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob „im Ausland asylsuchenden afghanischen Staatsangehörigen bei einer Rückkehr nach Kabul eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben allein schon wegen der dortigen allgemeinen Versorgungslage droht und deshalb die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen“. Durch die enorm hohe Anzahl von Rückkehrern stehe Kabul vor dem Problem einer adäquaten Versorgung dieser Personengruppe.

Allgemeine Gefahren etwa aufgrund der schlechten Versorgungslage können wegen der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, auf die das Verwaltungsgericht auch Bezug genommen hat, ist jedoch geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 3.2.2011 – 13a B 10.30394 – juris; U.v. 8.12.2011 – 13a B 11.30276 – EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30425 – juris; U.v. 22.3.2013 – 13a B 12.30044 – juris; U.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30063). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten zu tragen hat, regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Auch insoweit wird nichts vorgetragen, aus dem sich ergeben könnte, dass diese Rechtsprechung überholt sein könnte.

Im Übrigen hängt es wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab, wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen; es entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung (BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09BVerwGE 137, 226 = NVwZ-RR 2011, 48). Auch die Glaubwürdigkeit des Klägers ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.