Hessischer VGH, Urteil vom 07.08.2013 - 7 C 897/13.N
Fundstelle
openJur 2013, 34155
  • Rkr:

1. Wird durch die Verlängerung der Geltungsdauer einer Norm die Belastungswirkung einer Vorschrift auf einen bislang von ihr nicht betroffenen Personenkreis erstreckt, löst dies für diesen Personenkreis erneut den Lauf der für die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle geltenden Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO aus.

2. Sowohl die parlamentsgesetzliche Ermächtigung des Verordnungsgebers zur Festsetzung einer Altersgrenze als auch die Bestimmung einer Altersgrenze von 70 Jahren durch den Verordnungsgeber für Prüfberechtigte und Prüfsachverständige nach der Hessischen Bauordnung sind mit höherrangigem Recht vereinbar (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 26. Februar 2013 7 A 1644/12.Z GewArch 2013, 251).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.Der Antragsteller darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Kostenbetrags abwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollsteckenden Kostenbetrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen die in der Hessischen Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung vorgesehene Altersgrenze von 70 Jahren, die ihn aufgrund der Verlängerung der Geltungsdauer dieser Verordnung erstmalig betrifft.

Der am xx.xx.1943 geborene Antragsteller wurde mit Bescheid der Ingenieurkammer Hessen vom 19. Oktober 2011 als Prüfsachverständiger für technische Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden für die Prüfung der in Art. 2 § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Prüfung technischer Anlagen und Einrichtungen in Gebäuden vom 18. Dezember 2006 (GVBl. I S. 759) aufgeführten „Fachrichtung/en der Rauch- und Wärmeabzugsanlagen sowie maschinelle Anlagen zur Rauchfreihaltung von Rettungswegen“anerkannt.

Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure (Prüfberechtigte) nehmen im Auftrag der unteren Bauaufsichtsbehörde hoheitliche Prüfaufgaben nach der Hessischen Bauordnung wahr. Prüfsachverständige prüfen und bescheinigen in ihrem jeweiligen Fachbereich im Auftrag der Bauherrschaft oder der sonstigen nach Bauordnungsrecht Verantwortlichen die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Anforderungen. Im Unterschied zu den Prüfberechtigten nehmen die Prüfsachverständigen keine hoheitlichen bauaufsichtlichen Prüfaufgaben wahr.

Die Hessische Verordnung über Prüfberechtigte und Prüfsachverständige nach der Hessischen Bauordnung (Hessische Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung - HPPVO -) sah bereits in ihrer ersten Fassung vom 18. Dezember 2006 (GVBl. I S.745) in § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO eine Altersgrenze vor. Nach dieser Regelung erlosch die Anerkennung als Prüfberechtigter bzw.Prüfsachverständiger mit Vollendung des 68. Lebensjahres. Durch Art. 3 der Verordnung zur Änderung bauordnungsrechtlicher Vorschriften vom 24. November 2010 wurde § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVOdahin geändert, dass das Erlöschen der Anerkennung als Prüfberechtigter bzw. Prüfsachverständiger nicht mehr mit Vollendung des 68., sondern mit Vollendung des 70. Lebensjahres eintritt. Die Verordnung zur Änderung bauordnungsrechtlicher Vorschriften wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil I S. 484, vom 10. Dezember 2010 verkündet.

§ 45 Satz 2 HPPVO, der ein Außerkrafttreten der Hessischen Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung mit Ablauf des 31. Dezember 2012 regelte, wurde durch Art. 6 der Verordnung zur Entfristung, Verlängerung der Geltungsdauer und Änderung befristeter Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 13. November 2012dahin abgeändert, dass die Hessische Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung mit Ablauf des 31. Dezember 2015außer Kraft tritt. Die Verordnung vom 13. November 2012 wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, S. 423, vom 27.November 2012 verkündet.

Der Antragsteller hat am 2. April 2013 einen Normenkontrollantrag gestellt.

Der Normenkontrollantrag sei zulässig, insbesondere nicht verfristet. Für den Antragsteller habe die Jahresfrist des § 47Abs. 2 Satz 1 VwGO erst mit der Verlängerung der Geltungsdauer der Hessischen Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung durch Art. 6 der Verordnung vom 13. November 2012 zu laufen begonnen, die im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen vom 27. November 2012 verkündet worden sei. Die bereits zuvor in §7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO enthaltene Altersgrenze von 70 Jahren habe den Antragsteller nicht beschwert, da die Geltungsdauer dieser Regelung bis zum 31. Dezember 2012 befristet gewesen sei und er sein 70.Lebensjahr erst am 24. Oktober 2013 vollenden werde.

Der Normenkontrollantrag sei auch begründet. Die Altersgrenze des § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO stelle eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S.897), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. April 2013 (BGBl. I S.610) dar, die gemäß §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 1 AGG unzulässig sei.Namentlich lasse sich die Höchstaltersgrenze des § 7 Abs. 1 Nr. 2HPPVO nicht durch Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16) - RL 2000/78/EG - rechtfertigen. Soweit die Altersgrenze das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit verfolge, sei sie zum Erreichen dieses Ziels im Sinne des Art. 2Abs. 5 RL der 2000/78/EG nicht notwendig, da mit einer regelmäßigen ärztlichen Untersuchung zum Fortbestand der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie der Sach- und Fachkunde der Prüfberechtigten und Prüfsachverständigen ein gegenüber der strikten Altersgrenze milderes Mittel zur Verfügung stehe, mit dem dem Sicherheitsvorbehalt ebenso wirksam Rechnung getragen werden könne.

Der Antragsteller beantragt,

festzustellen, dass § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO unwirksam ist.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner hält den Normenkontrollantrag für unzulässig.Die Altersgrenze von 70 Jahren in § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO sei bereits durch die im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen vom 10. Dezember 2010 verkündete Verordnung zur Änderung bauordnungsrechtlicher Rechtsvorschriften vom 24. November 2010geregelt worden. Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO für einen Normenkontrollantrag sei deshalb bereits Ende 2011abgelaufen. Die bloße Verlängerung der Geltungsdauer der Hessischen Prüfberechtigten- und Prüfsachverständigenverordnung durch die Verordnung vom 13. November 2012 bewirke nicht, dass die Antragsfrist für den Antragsteller erneut zu laufen beginne. Denn inhaltlich habe § 7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO keine Änderung erfahren.

Unabhängig von seiner Unzulässigkeit sei der Normenkontrollantrag aber auch unbegründet. Die Altersgrenze des §7 Abs. 1 Nr. 2 HPPVO stelle eine zulässige Verwirklichung des Sicherheitsvorbehalts des Art. 2 Abs. 5 der RL 2000/78/EG dar, der eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne des § 3 Abs. 1Satz 1 AGG landesrechtlich rechtfertige.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Antragsbegründung des Antragstellers vom 28. März 2013,dessen Schriftsätze vom 7. Mai 2013, vom 10. Juni 2013 und vom 16.Juli 2013 sowie deren jeweilige Anlagen und auf die Antragserwiderung des Antragsgegners vom 7. Mai 2013 sowie dessen Behördenvorgang (1 Hefter) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Bei der Bestimmung des Werts des vom Antragsteller verfolgten Streitgegenstandes orientiert sich das Gericht an Nr. 14.1 (Freie Berufe [Recht der freie Berufe] - Berufsberechtigung, Eintragung,Löschung) des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs.3 Satz 3 GKG).

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