Bayerischer VGH, Beschluss vom 15.07.2013 - 9 CS 13.599
Fundstelle
openJur 2013, 32637
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Sie wird aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20. Februar 2013 zurückgewiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die mit der Beschwerde gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts vorgebrachten, allein zu prüfenden (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) Argumente überzeugen nicht.

Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin in der Verkaufsstätte „...“ angebotenen abgepackten Süßwaren der Kennzeichnungspflicht gemäß § 1 Abs. 1, §§ 3 ff. der Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln (Lebensmittel-Kennzeichnungs-verordnung - LMKV -) unterfallen.

Bei den in der Verkaufsstätte der Antragstellerin angebotenen verpackten Süßwaren handelt es sich um Waren in Fertigpackungen nach § 6 Abs. 1 EichG. Sie werden in Abwesenheit des Käufers abgepackt und mit einem Clip verschlossen und ihr Inhalt kann nicht ohne Öffnen oder merkliche Änderung der Verpackung verändert werden. Dies dürfte im Wesentlichen unstreitig sein.

Von der Kennzeichnungspflicht wären die Fertigpackungen nach der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2 LMKV nur ausgenommen, wenn sie in der Verkaufsstätte „zur alsbaldigen Abgabe an den Verbraucher“ hergestellt und dort nicht zur Selbstbedienung abgegeben würden. Diese Vorschrift kann hier jedoch keine Anwendung finden, denn vorliegend fehlt es nach vorläufiger Prüfung an beiden genannten Voraussetzungen.

Der von der Antragstellerin vertretenen Ansicht, bezüglich des Merkmals „zur alsbaldigen Abgabe an den Verbraucher“ sei nicht auf einen Verkauf am nächsten, spätestens übernächsten Tag abzustellen, sondern es komme einerseits auf die Absicht des Verpackers an, die Ware am nächsten oder übernächsten Tag zu verkaufen, andererseits sei hinsichtlich der unter dem Begriff „alsbald“ zu verstehenden Zeitspanne auf die Art der verpackten Waren abzustellen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Für eine Subjektivierung dieses Merkmals liefert die Formulierung von § 1 Abs. 2 LMKV keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil wäre fraglich, wie die grundsätzlich auch für Fertigpackungen gültigen Kennzeichnungspflichten dann überhaupt vollzogen werden könnten, weil diese mit der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 LMKV unschwer zu umgehen wären. Hieraus erhellt, dass für die „alsbaldige“ Abgabe unabhängig von der Absicht des Verpackers objektive Maßstäbe gelten müssen.

Dies führt zugleich zu dem Schluss, dass auch hinsichtlich der Zeitspanne, die noch als „alsbaldig“ anzusehen ist, eine einheitliche, objektive Grenze erkannt werden muss, die bereits nach dem Sprachgebrauch zwei Tage nicht überschreiten dürfte. Ein je nach Warenart differenzierter Zeitraum würde nicht nur zu tiefgreifenden Vollzugsproblemen führen, sondern letztlich die von der Verordnung vorgesehene Kennzeichnungspflicht in wesentlichen Teilen leerlaufen lassen. Es spricht deshalb viel für die vom Verwaltungsgericht vertretene, auf die einschlägige Kommentarliteratur gestützte Auffassung, eine Fertigpackung sei nur dann zur alsbaldigen Abgabe an den Verbraucher bestimmt, wenn sie noch am gleichen oder spätestens am nächsten Tag verkauft werden soll (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 151. Ergän-zungslieferung 2013, § 1 LMKV Rn. 18/19). Bei der Antragstellerin sind die Voraussetzungen einer „alsbaldigen“ Abgabe an den Verbraucher im vorgenannten Sinn aber bereits nach der eigenen Darstellung nicht erfüllt. Vielmehr räumt sie selbst ein, es könne passieren, dass die abgepackten Süßwaren „für einige wenige Tage zur Verfügung stehen“ (Beschwerdebegründung vom 22.3.2013, S. 3).

Da es bereits am Merkmal der „alsbaldigen“ Abgabe fehlt, kann offen bleiben, ob die abgepackten Süßwaren in der Verkaufsstätte der Antragstellerin zur Selbstbedienung angeboten werden oder eine solche dort nicht stattfindet. Auch an dieser Vor-

aussetzung für ein Eingreifen der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2 LMKV dürfte es jedoch nach vorläufiger Einschätzung des Senats fehlen. Denn die in den vorgelegten Akten der Antragsgegnerin enthaltenen, bei der Kontrolle am 3. Dezember 2012 gefertigten Lichtbilder zeigen offene Regale, in denen die Waren zur Entnahme bereit liegen. Dies bedeutet, dass deren Verkauf nicht über eine Theke stattfindet, sondern die Kunden/Verbraucher diese selbst von dort entnehmen können. Keine Selbstbedienung liegt aber nur vor, wenn die Ware lediglich vom Verkaufspersonal aus dem Verkaufsmöbel entnommen werden kann (vgl. Zipfel/Rathke, a.a.O., Rn. 20).

Wegen der fehlenden Verpackung „zur alsbaldigen Abgabe an den Verbraucher“ kann auch die Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 5 Nr. 2 LMKV keine Anwendung finden. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob und inwieweit die Unterrichtung des Verbrauchers über die gemäß § 3 Abs. 1 LMKV notwendigen Angaben auf andere Weise als durch die regelmäßige Kennzeichnung gewährleistet ist. Damit geht auch die Kritik der Antragstellerin an Nr. 3.1 der angefochtenen Anordnung, worin sie u.a. verpflichtet wird, die zur Kennzeichnung notwendigen Angaben auf der Fertigpackung oder auf einem mit dieser verbundenen Etikett anzubringen (Nr. 3.1.5), ins Leere.

Die Klage der Antragstellerin gegen den auf § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB gestützten Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Dezember 2012 wird somit voraussichtlich ohne Erfolg bleiben. Im Übrigen wäre selbst bei offenen Erfolgsaussichten dem Interesse der Allgemeinheit, hier der Verbraucher, am Sofortvollzug der angeordneten Kennzeichnungspflichten der Vorrang einzuräumen vor den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin, die für eine aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage sprechen. Die Kennzeichnungspflichten dienen der Information des Verbrauchers über die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln. Dies hat Bedeutung vor allem in Bezug auf Inhaltsstoffe, die möglicherweise Allergien auslösen können. Fehlen derartige Angaben, besteht insoweit eine Gefahr für den Verbraucher. Bereits diese Überlegung spricht klar für einen Sofortvollzug der angeordenten Maßnahmen.

Im Übrigen darf bei der Interessenabwägung im konkreten Fall nicht aus den Augen verloren werden, dass der angefochtene Bescheid erst mehr als eineinhalb Jahre nach der ersten Beanstandung erlassen wurde. Bereits bei einer Betriebskontrolle am 8. April 2011 hatte der Bedienstete der Antragsgegnerin vermerkt: „Fertigpackungen sind nicht mit Zutatenliste versehen; MHD (= Mindesthaltbarkeitsdatum) fehlt!“ Die gleichen Beanstandungen gab es dann bei einer weiteren Kontrolle am 15. Juni 2011, in deren Folge die Antragsgegnerin den Geschäftsführer der Antragstellerin ausdrücklich über die Kennzeichnungspflichten belehrte (Schreiben vom 21.6.2011). Dieser erwiderte lediglich, es gebe in der Verkaufsstätte keine Selbstbedienung, weshalb das „Schreiben vom 21.06.2011 für uns nicht zutreffend“ sei. Aufgrund einer Verbraucherbeschwerde wegen fehlender Kennzeichnung fand dann am 3. Dezember 2012 die letzte Kontrolle statt, die zum Erlass des Bescheids führte. Diese Entwicklung des Falls zeigt, dass die ihr im angefochtenen Bescheid auferlegten Verpflichtungen für die Antragstellerin nicht überraschend kamen und sie hinreichend Zeit und Gelegenheit gehabt hätte, sich hierauf einzustellen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG und orientiert sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327 ff., s. dort Tzn. 25.2, 1.5, 1.6.2).

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