LG Köln, Urteil vom 29.10.2012 - 26 O 301/11
Fundstelle
openJur 2013, 29720
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung einer Invaliditätsleistung aufgrund einer zwischen den Parteien zu Versicherungsschein Nr. S 5.164.112 bestehenden Unfallversicherung.

Ausweislich des Versicherungsschein-Nachtrags vom 12.06.2008 (Bl. 5 ff. d. A.) beträgt die Invaliditätsgrundsumme 40.000,00 EUR. Dem Vertrag liegen die "Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2008)" (im Folgenden: AUB 2008) zugrunde.

Nach Schilderung des Klägers rutschte dieser am 21.12.2009 morgens auf dem Weg zu seinem Pkw auf Glatteis aus, stürzte rückwärts und schlug insbesondere im Bereich des rechten Gesäßteils auf den Boden auf.

Auf die Unfallmeldung des Klägers wies die Beklagte mit Schreiben vom 14.04.2010 (Bl. 123 d. A.) u. a. darauf hin, dass die innerhalb von 18 Monaten eingetretene Invalidität spätestens 24 Monate nach dem Unfalltag ärztlich festgestellt und schriftlich dokumentiert sowie dass der Anspruch innerhalb derselben Frist bei ihr geltend gemacht werden müsse.

Die schriftliche Unfallanzeige des Klägers datiert vom 25.04.2010 (Bl. 107 ff. d. A.). In Bezug auf die dortigen Fragen zu Ziff. 5.1 "Stand die verletzte Person in den letzten 5 Jahren wegen früherer Unfälle bzw. Verletzungen oder Krankheiten in ärztlicher Behandlung?" und zu Ziff. 5.2 "Hatte die verletzte Person bereits Beschwerden an dem/den jetzt verletzten Körperteil(en) oder Sinnesorgan(en)?" wurde jeweils nichts angekreuzt und auf der zur Beantwortung zur Verfügung stehenden Fläche ein Querstrich gemacht. Unstreitig hatten zuvor Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers wegen Lumboischialgie bestanden, zuletzt im Zeitraum vom 10.-17.06.2009.

Die Beklagte lehnte ihre Leistungspflicht unter Berufung auf den bedingungsgemäßen Ausschluss für Bandscheibenvorfälle ab.

Der Kläger behauptet, aufgrund des Unfallereignisses vom 21.12.2009 bestehe eine Invalidität zu einem Grad von 20 % wegen eines Bandscheibenvorfalls und dessen Folgen. Ausgehend davon beziffere sich der Entschädigungsanspruch einschließlich des Treuebonus von 10 % wie mit der Klageforderung geltend gemacht. Der Kläger behauptet, das Unfallereignis sei die überwiegende Ursache gewesen, so dass die Leistungspflicht nach Ziff. 5.2.1 AUB 2008 wieder eingeschlossen sei. Er ist der Ansicht, eine ordnungsgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung sei in den zur Akte gereichten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen getroffen worden. Eine Obliegenheitsverletzung liege nicht vor, insbesondere da der nicht angegebene Umstand als weitverbreitete Zivilisationserkrankung nicht anzeigepflichtig sei und die Beklagte nicht ausreichend auf die negativen Folgen einer Obliegenheitsverletzung hingewiesen habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.800,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf das Fehlen einer fristgerechten ärztlichen Invaliditätsfeststellung sowie auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung des Klägers durch Verneinung der Fragen nach Vorschädigungen und Vorerkrankungen in dem Unfallanzeigeformular. Die Beklagte bestreitet das Vorliegen von unfallbedingter Invalidität zu einem Grad von 20 % und beruft sich auf Ziff. 5.2.1 AUB 2008 sowie auf eine Anspruchskürzung wegen Vorschädigungen und altersbedingter Degeneration.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

E N T S C H E I D U N G S G R ܠN D E:

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von 8.800,00 EUR aufgrund des Unfallereignisses vom 21.12.2009 aus der zwischen den Parteien abgeschlossenen Unfallversicherung zu.

Es kann dahinstehen, ob bei dem Kläger bedingt durch den Sturz vom 21.12.2009 eine Invalidität zu einem Grad von 20 % insbesondere wegen der Folgen eines Bandscheibenvorfalls eingetreten und ob trotz des Leistungsausschlusses gemäß Ziff. 5.2.1 AUB 2008 eine Leistungspflicht der Beklagten besteht.

Ein Anspruch des Klägers auf Invaliditätsleistung scheidet aus, da die behauptete Invalidität nicht entsprechend den Anforderungen der maßgeblichen Versicherungsbedingungen ärztlich festgestellt worden ist. Nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 muss die innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall eingetretene Invalidität innerhalb von 24 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt festgestellt und schriftlich dokumentiert worden sein.

Die seitens des Klägers vorgelegten fristgemäß erstellten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen reichen in inhaltlicher Hinsicht nicht aus. Zwar sind an die bedingungsgemäß erforderliche ärztliche Invaliditätsfeststellung keine hohen Anforderungen zu stellen. Gleichwohl bedarf es der Feststellung eines konkreten und unfallbedingten Dauerschadens. Selbst Aussagen, wonach eine Invalidität in Zukunft voraussichtlich festgestellt werden kann wie etwa "ein Dauerschaden ist zu erwarten", enthalten keine Feststellung der Invalidität (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl. 2006, AUB 99 Nr. 2 Rn. 11 m. w. N.).

In dem Gutachten von Prof. Dr. C vom 28.12.2010 bzw. in dessen Gesamteinschätzung vom 16.03.2011 wird eine Aussage zum Bestehen eines Dauerschadens nicht getroffen. Dass ein Zustand nach Bandscheibenoperation mit entsprechenden Folgen vorliege, reicht hierfür ebenso wenig aus wie die attestierte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Letztere ist mit Invalidität nicht gleichzusetzen. Zudem ist ausweislich des Gutachtens mit einer weiteren Verbesserung der neurologischen Unfallfolgen zu rechnen. Dieser Aussage ist nicht zu entnehmen, dass mit einer Verbesserung der orthopädischen Unfallfolgen nicht zu rechnen sei. Entgegen dem Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 02.01.2012 folgt dies auch nicht daraus, dass aktuell als wesentliche Unfallfolge eine Wurzelschädigung mit Zustand nach Bandscheibenoperation angegeben werde. Im Übrigen sagt auch die klägerseits zitierte Passage nichts über das Vorliegen einer dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) aus. Auch aus dem neurologischen Gutachten von Prof. Dr. M vom 21.02.2011 geht das Vorliegen eines Dauerschadens nicht hervor; im Übrigen ist auch danach mit einer weiteren Verbesserung zu rechnen und ein Endzustand noch nicht erreicht. Soweit das Rentengutachten von Prof. Dr. C vom 21.10.2011 nebst neurologischem Zusatzgutachten von Prof. Dr. M vom 16.01.2012 von einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. vom Erreichen eines Residualzustandes sprechen, genügt dies ebenfalls nicht für eine Feststellung der Invalidität. Die Annahme eines Endzustandes bezieht sich allein auf die - mit der Invalidität nicht vergleichbare - Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Gemäß § 186 S. 2 VVG kann sich der Versicherer auf ein Fristversäumnis nicht berufen, wenn er den Versicherungsnehmer nach Anzeige des Versicherungsfalls nicht auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen in Textform hingewiesen hat (§ 186 S. 1 VVG). Das Erfordernis eines Hinweises auf die in Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 geregelten Fristen hat die Beklagte mit dem vorgelegten Schreiben vom 14.04.2010 (Bl. 123 d. A.) erfüllt.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte unter Berücksichtigung von Treu und Glauben daran gehindert ist, sich auf den Ablauf der Invaliditätsfeststellungsfrist zu berufen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Beklagte ist zudem gemäß Ziff. 8, 7.2 AUB 2008 wegen Obliegenheitsverletzung des Klägers durch die wahrheitswidrige Beantwortung der in der Unfallanzeige unter Ziff. 5 aufgeführten Fragen nach Vorschädigungen und Vorerkrankungen leistungsfrei.

Eine objektive Anzeigepflichtverletzung liegt wegen Verneinung der Fragen 5.1 und 5.2 in der Unfall-Schadenanzeige vom 25.04.2010 vor. Ausweislich des Formulars selbst gelten Striche als Verneinung. Unstreitig ist der Kläger zuletzt im Juni 2009 wegen Lumboischialgie mit anschließender einwöchiger Arbeitsunfähigkeit ärztlich behandelt worden. Dies hätte der Kläger angeben müssen, da unter Ziff. 5 der Unfall-Schadenanzeige ausdrücklich nach ärztlichen Behandlungen in den letzten 5 Jahren sowie früheren Beschwerden an dem jetzt verletzten Körperteil gefragt wird. Der Versicherungsnehmer darf sich bei der Beantwortung von Gesundheitsfragen nicht im Wege einer wertenden Auswahl auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken; lediglich offenkundig belanglose oder alsbald vergehende Gesundheitsbeeinträchtigungen müssen nicht angegeben werden. Eine offenkundig belanglose Gesundheitsbeeinträchtigung liegt hier nicht vor. Der Begriff Lumboischialgie bezeichnet ein lumbosakrales Wurzelreizsyndrom mit Schmerzausstrahlung, bei welchem es sich nicht lediglich um den klägerseits angeführten landläufigen "Hexenschuss" (reiner Rückenschmerz ohne Schmerzausstrahlung in die Beine) handelt. Selbst wenn es sich im Juni 2009 jedoch um reine Rückenschmerzen gehandelt haben sollte, hätten diese nach der Fassung von Ziff. 5.2 als frühere Beschwerden an dem verletzten Körperteil eindeutig angegeben werden müssen. Eine eigene Wertung stand dem Kläger erkennbar nicht zu.

Bei der Frage nach Vorerkrankungen und Vorschädigungen handelt es sich um ein vom Versicherungsnehmer richtig und lückenlos zu erfüllendes sachdienliches Auskunftsbegehren des Versicherers. Die Fragen zu Ziff. 5.1 und 5.2 in dem Unfallanzeigeformular der Beklagten sind auch aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen und verständigen Versicherten hinreichend klar und verständlich.

Die Obliegenheitsverletzung erfolgte vorsätzlich. Der Beweis ist in der Regel nur durch Indizien zu führen, da es sich um einen inneren Vorgang handelt. In subjektiver Hinsicht kommt es daher darauf an, ob die tatsächlichen Umstände den sicheren Schluss auf einen zumindest bedingten Vorsatz durch Fürmöglichhalten und billigendes Inkaufnehmen zulassen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, sich an die ärztlichen Behandlungen und Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumboischialgie nicht mehr erinnert zu haben. Er hat sich lediglich darauf berufen, zu einer Anzeige wegen der Unerheblichkeit der Erkrankung und wegen des fehlenden offensichtlichen Zusammenhangs mit dem unfallbedingt eingetretenen Bandscheibenvorfall nicht verpflichtet gewesen zu sein. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger wegen Lumboischialgie zuletzt im Juni 2009 und damit lediglich ca. 10 Monate vor Ausfüllen der Unfallanzeige einen Arzt aufsuchte und über eine Woche arbeitsunfähig war. Diese Umstände lassen in ihrer Gesamtheit nur den Schluss zu, dass der Kläger die nicht angegebenen Umstände gegenüber der Beklagten bewusst verschwiegen hat. Der Versicherungsschutz bleibt auch nicht gemäß Ziff. 8 Abs. 2 AUB 2008 bestehen. Dass die Obliegenheitsverletzung in Gestalt der Nichtangabe von Arztbehandlungen und Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumboischialgien entweder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistung ursächlich war, liegt auf der Hand.

Der Kläger ist zudem ausdrücklich und unmissverständlich über den Anspruchsverlust bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung belehrt worden. Der insoweit erforderliche Hinweis ist auf Seite 4 der von ihm am 25.04.2010 unterzeichneten Unfallanzeige formal und inhaltlich ordnungsgemäß erfolgt. Es heißt dort ausdrücklich: "Machen Sie entgegen der vertraglichen Vereinbarungen vorsätzlich keine oder nicht wahrheitsgemäße Angaben (...), verlieren Sie Ihren Anspruch auf die Versicherungsleistung." Die Belehrung ist durch Verwendung einer hinreichend großen Schrift, wegen des Abstandes zu den übrigen Absätzen und der Einrückung neben der fettgedruckten Überschrift "9. Leistungsfreiheit" sowie wegen der Platzierung auf der letzten Seite über dem Unterschriftsfeld in drucktechnisch deutlich hervorgehobener Form erfolgt.

Diese Beurteilung steht mit der sog. Relevanzrechtsprechung des BGH in Einklang. Danach tritt bei einer vorsätzlichen, aber folgenlosen Obliegenheitsverletzung Leistungsfreiheit des Versicherers nur dann ein, wenn der Obliegenheitsverstoß generell geeignet war, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, und den Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden trifft (vgl. BGH VersR 1982, S. 182 f.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Den Kläger trifft wie bereits erörtert ein erhebliches Verschulden. Ein solches wäre selbst bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ausnahmsweise nur dann zu verneinen, wenn es sich um ein Fehlverhalten handelt, welches auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das ein einsichtiger Versicherer deshalb Verständnis aufzubringen vermag (BGH NJW-RR 1998, S. 600). Dies ist hier aus den oben angeführten Erwägungen nicht der Fall.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

Streitwert: 8.800,00 EUR