OLG Hamm, Beschluss vom 04.06.2013 - 11 UF 95/13
Fundstelle
openJur 2013, 29663
  • Rkr:

Die Zustimmung zur Verbringung gem. Art. 13 Abs. 1 a HKÜ kann widerrufen werden.

Darlegungs- und beweisbelastend für den Widerruf ist derjenige, für den diese Tatsache günstig ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindesmutter und Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hamm vom 11. April 2013 (32 F 112/13) abgeändert.

Der Antrag des Kindesvaters und Antragstellers auf Rückführung des Kindes N Ca N1, geb. am 5.12.2010, wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten werden zwischen den Kindeseltern geteilt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Das am 5.12.2010 geborene Kind N C N1, entstammt der nichtehelichen Beziehung der beteiligten Kindeseltern.

Der in Italien geborene Kindesvater ist italienischer Staatsbürger, die Kindesmutter hat sowohl die italienische wie die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie wurde in Deutschland geboren und siedelte 2008 nach Italien über, wo sie im April/Mai 2009 den Kindesvater kennenlernte. Im Sommer 2010 bezogen die Kindeseltern eine gemeinsame Wohnung in der Ortschaft Z B/Sizilien, in der auch die Eltern des Kindesvaters lebten.

Im November 2011 verließ die Antragsgegnerin mit der damals knapp einjährigen Tochter die gemeinsame Wohnung und lebte zunächst bei ihrer in der Nähe wohnhaften Schwester. Zum Juni 2012 bezog die Antragsgegnerin eine eigene Wohnung am gleichen Ort. Der Antragsteller übernahm während der Arbeitszeiten der Antragsgegnerin zumindest zeitweise die Versorgung N‘s.

Im Juni/Juli 2012 kam es zwischen den Kindeseltern zu einer SMS-Konversation. Wegen dessen Inhalt wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 3.4.2013 (Bl. 65 ff. Bezug genommen).

Mit Datum vom 17.08.2012 fertigte der Antragsteller ein handschriftliches Schreiben, gerichtet an die Einwohnermeldeabteilung des Ortes, in dem die ehemals gemeinsame Wohnung lag. Der Antragsteller stimmte laut diesem Schreiben "dem Wohnsitzwechsel der minderjährigen N C N1 mit der Mutter T" zu. Die genaue Bedeutung des genannten Schreibens ist zwischen den Beteiligten streitig.

Am 30.08.2012 reiste die Antragsgegnerin mit der Tochter N mit dem Bus von Sizilien nach Deutschland. Die genauen Umstände der Abreise sind zwischen den Beteiligten streitig.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich behauptet, die Kindesmutter habe die Abreise nach Deutschland heimlich betrieben. Weder er selbst noch die in Italien lebende Schwester der Kindesmutter habe davon gewusst. Der Mietvertrag über die Wohnung sei nicht gekündigt, die Wohnung nicht geräumt worden. Er habe zu keinem Zeitpunkt seine Zustimmung zu einer Übersiedlung des Kindes nach Deutschland erteilt.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt,

1) die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Kind N C N1, geboren 05.12.2010, derzeitige Anschrift S T2, ...3 I, innerhalb einer angemessenen Frist nach Italien zurückzuführen;

2) sofern die Antragsgegnerin der Verpflichtung zu 1. nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes N C N1 an den Antragsteller zum Zwecke der Rückführung nach Italien anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht gewesen, es habe kein widerrechtliches Verbringen des Kindes nach Deutschland gegeben, da die Ausreise im August 2012 mit Zustimmung des Antragstellers erfolgt sei. Der Antragsteller habe der Verbringung des Kindes zum Zwecke des dauerhaften Aufenthaltes in Deutschland in einem Gespräch im Juni 2012 noch nicht zugestimmt und sich Bedenkzeit erbeten. Ende Juni/Anfang Juli 2012 habe der Antragsteller der Ausreise dann in der SMS-Konversation zugestimmt. Auch das Schreiben vom 17.08.2012 sei als Zustimmungserklärung des Antragstellers gemeint gewesen. Über ihre Abreise am 30.08.2012 habe sie, die Antragsgegnerin, den Antragsteller ein oder zwei Tage vorher informiert. Nach ihrer Ankunft in Deutschland habe sie den Antragsteller angerufen und ihn darüber informiert, gut angekommen zu sein. Sie habe ihm in der Folgezeit auch immer wieder Fotos N‘s per Handy geschickt. Sie habe sich vom Antragsteller wegen eines Alkoholproblems und Gewalttätigkeiten gegen sie getrennt. Sie selbst habe seit ihrer Ankunft in Deutschland dafür sorgen müssen, dass regelmäßiger Kontakt zwischen dem Kindesvater und seiner Tochter stattfinde.

Das Amtsgericht hat die beteiligten Kindeseltern, das Jugendamt der Stadt I und den Verfahrensbeistand angehört.

Mit Beschluss vom 11. April 2013 hat das Amtsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, binnen zwei Wochen ab Wirksamkeit dieses Beschlusses das Kind N C N1, geboren 05.12.2010, nach Italien zurückzuführen.

Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Rückführungsantrag sei zulässig, insbesondere sei das angerufene Gericht örtlich zuständig gemäß § 12 Abs. 1 des Gesetzes zum Internationalen Familienrecht (IntFamRVG). Der Rückführungsantrag sei auch begründet. Das HKÜ gelte zwischen Italien und Deutschland seit dem 01.05.1995 (BGBl 1995 II 485). Das Zurückhalten von N in Deutschland seit dem 01.09.2012 durch die Mutter mit dem Ziel ihres dauerhaften Aufenthaltes in Deutschland sei widerrechtlich im Sinne des Artikels 3 HKÜ.

Das Kind N habe vor der endgültigen Ausreise im August 2012 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Artikels 4 HKÜ in Italien gehabt. Die Kindesmutter habe widerrechtlich gehandelt. Ihr habe die Entscheidung über einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes nach Deutschland nur zusammen mit dem Kindesvater zugestanden. Unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe stehe den Kindeseltern, egal ob diese zusammenleben oder nicht, nach italienischem Recht die elterliche Sorge für das Kind gemeinsam zu, sofern der Kindesvater das Kind anerkannt habe und solange nicht durch gerichtliche Entscheidung einem Elternteil die alleinige elterliche Sorge zugesprochen worden sei. Eine gerichtliche Entscheidung zur alleinigen Sorgebefugnis der Kindesmutter liege nicht vor. Der Antragsteller habe die Sorge für das Kind auch tatsächlich ausgeübt. Zweifel an der tatsächlichen Ausübung des Sorgerechts seien von keinem der Beteiligten geäußert worden, sie seien aus den Ermittlungen des Gerichtes aber auch nicht ersichtlich. Der Kindesvater habe unstreitig vor der Ausreise der Kindesmutter zeitweise die Versorgung des Kindes übernommen und habe auch nach der Ausreise noch Kontakt zu N gehabt. Deswegen sei die Rückführung grundsätzlich anzuordnen. Die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände der Artikel 13, 20 HKÜ, wonach unter bestimmten Voraussetzungen eine Rückführung abgelehnt werden könne, lägen nicht vor. Diese Ausnahmetatbestände seien nach der Intention des Abkommens - die Sicherstellung der Sorgerechtsentscheidungsbefugnis der jeweiligen nationalen Gerichte - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes eng auszulegen und restriktiv anzuwenden. Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes seien dabei in Abkehr des Amtsermittlungsgrundsatzes vom entführenden Elternteil schlüssig darzulegen und zu beweisen. Hieran fehle es vorliegend. Insbesondere lägen die Voraussetzungen des Artikel 13 Absatz 1 a HKÜ in der Form, dass der Antragsteller dem Verbringen zugestimmt oder es nachträglich genehmigt habe, nicht vor. Die Kindesmutter habe eine Zustimmung des Kindesvaters zur Ausreise nicht nachweisen können. Die Kindesmutter habe unter Bezugnahme auf SMS-Nachrichten, welche das Gericht zu Beweiszwecken in Augenschein genommen habe, vorgetragen, dass der Antragsteller ihr seine Zustimmung zur dauerhaften Ausreise mit der Tochter gegeben habe. Ferner sei auch das Schreiben vom 17.08.2012 als schriftliche Erlaubnis der Ausreise gedacht gewesen. Zwar sei zu berücksichtigen, dass der Kindesvater in den vorgelegten SMS mehrmals - auch auf konkrete Nachfrage der Kindesmutter - bestätigt habe, dass die Kindesmutter, "nach Deutschland gehen" könne. So habe der Kindesvater am 20.07.2012 auf die Äußerung der Kindesmutter "ich möchte nach Deutschland gehen", geschrieben "Dann geh" und am 27.07.2012 auch geschrieben "Wenn Du nach Deutschland gehen möchtest, dann gebe ich Dir die Erlaubnis". Auch mit SMS vom 28.07.2012, 11:37 Uhr habe der Kindesvater, auf eine SMS der Kindesmutter mit "Ich habe Dir gesagt, dass Du darfst" geantwortet und der Kindesmutter mit SMS vom 29.07.2012, 11:12 Uhr mitgeteilt "...Auf jeden Fall kannst Du nach Deutschland gehen, wann Du willst". Allerdings sei aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten SMS eine konkrete Zustimmung des Kindesvaters zur Ausreise nicht nur der Antragsgegnerin, sondern auch des gemeinsamen Kindes nicht ersichtlich, da jeweils nur die Ausreise der Kindesmutter thematisiert worden sei. Aus den vorgelegten SMS sei ferner ersichtlich, dass auch die Kindesmutter zum Ende der gesamten - teilweise offensichtlich emotional geführten - SMS-Konversation nicht sicher von einer Zustimmung des Kindesvaters ausgegangen sei, denn noch mit SMS vom 30.07.2012, 19:55 Uhr habe sie den Kindesvater gefragt: "Meinst Du das ernst, dürfen wir nach Deutschland?", worauf eine Bestätigung des Kindesvaters nicht erfolgt sei. Der Kindesvater habe vielmehr mit SMS vom 30.07.2012, 21:45 Uhr sowie mit SMS vom 30.07.2012, 21:56 Uhr die Kindesmutter noch gefragt, ob diese denn aus Deutschland nach Italien zurückkommen wolle. Auch die von der Antragsgegnerin vorgelegte schriftliche Bestätigung des Kindesvaters vom 17.08.2012 könne nicht ohne begründete Zweifel als Zustimmung des Kindesvaters zur Ausreise des Kindes aus Italien und zum dauerhaften Verbleib des Kindes in Deutschland gewertet werden. Die Bedeutung des Schreibens sei zwischen den Beteiligten streitig geblieben. Der Kindesvater habe sich darauf berufen, dass er nur zugestimmt habe, dass die Kindesmutter mit dem Kind eine neue Wohnung in Italien nehmen dürfe. Anhaltspunkte, die gegen diesen Vortrag sprächen, seien nicht ersichtlich. Die Kindesmutter habe selbst bestätigt, dass eine derartige Bescheinigung auch von den italienischen Behörden verlangt werde. Ferner sei die schriftliche Bestätigung adressiert gewesen an die Einwohnermeldeabteilung des letzten gemeinsamen Wohnortes der Beteiligten in Italien, was mit dem Vortrag des Antragstellers, die Bescheinigung sei nur zur Erlaubnis der anderweitigen Wohnungsnahme innerhalb Italiens gemeint gewesen, korrespondiere. Zweifel hinsichtlich der Bedeutung des Inhaltes der vorgelegten Erklärung gingen zu Lasten der Antragsgegnerin. Letztlich habe auch eine Gesamtschau der weiteren Umstände für das Gericht dazu geführt, eine zumindest konkludente Zustimmung des Kindesvaters zur Ausreise des Kindes N sowie dem dauerhaften Verbleib des Kindes in Deutschland nicht anzunehmen. Das Verhalten der Kindesmutter bei der Abreise sowie kurz nach der Ankunft in Deutschland sei dahingehend zu werten, dass sie selbst nicht von einer tragfähigen Zustimmungserklärung des Kindesvaters ausgegangen sei. Zunächst sei in diesem Zusammenhang auf den bereits zitierten SMS-Verkehr der Kindeseltern hinzuweisen, in dem die Kindesmutter mehrmals bei dem Kindesvater nachgefragt habe, ob er einer Ausreise von ihr und dem Kind zustimme, woraus geschlossen werden könne, dass sie selbst nicht sicher davon ausgegangen sei, dass eine etwaige Zustimmung des Kindesvaters überhaupt bestanden habe bzw. ob diese sich auch auf die gemeinsame Tochter bezogen habe. Auch die Schilderung der Geschehnisse am Busbahnhof kurz vor der Abreise erschienen für den von der Kindesmutter behaupteten Fall einer einvernehmlichen Ausreise mit Zustimmung des Kindesvaters nicht glaubhaft. Zu Recht habe der Verfahrensbeistand in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass es bei einer einvernehmlichen Ausreise nicht nachvollziehbar sei, dass die Kindesmutter es dem Kindesvater nicht ermöglich habe, sich von seiner Tochter zu verabschieden, insbesondere im Hinblick darauf, dass nach ihrem Vortrag ein dauerhafter Aufenthalt des Kindes in Deutschland verabredet gewesen sei. Ferner habe der Kindesvater bestritten, über den Zeitpunkt der Abreise durch die Kindesmutter informiert worden zu sein. Die Kindesmutter habe das Gegenteil nicht beweisen können. Insgesamt lasse das Verhalten der Kindesmutter, konkret die fehlende Verabschiedung trotz Anwesenheit des Kindesvaters am Busbahnhof sowie die Abreise mit dem Kind ohne gültige Ausweispapiere und trotz der von der Kindesmutter eingestandenen Warnung der Carabinieri, dass sie bei der Durchreise durch Österreich oder die Schweiz Probleme mit den Behörden bekommen könne, auf eine überhastete Abreise und nicht auf eine geordnete Ausreise im Einverständnis mit dem Kindesvater schließen. Auch die Äußerung der Kindesmutter in der Facebook-Nachricht vom Tag nach der Ankunft in Deutschland, sie habe nun "sich selbst geholfen", lasse darauf schließen, dass die Kindesmutter eine Zustimmung des Kindesvaters selbst nicht angenommen habe. Zumindest aber seien deutliche Zweifel an der Sachverhaltsschilderung der Kindesmutter verblieben, die im Rahmen einer Beweislastentscheidung zu ihren Lasten gingen und dazu führten, dass sie eine Zustimmung des Kindesvaters nicht habe beweisen können. Eine nachträgliche Genehmigung des Kindesvaters habe die Antragsgegnerin nicht behauptet. Es seien auch keine schwerwiegenden Schäden für das körperliche und seelische Wohl des Kindes dargetan, die gemäß Artikel 13 Abs. 1 b HKÜ einer Rückführung entgegenstehen würden. Hierbei seien alleine mit der Rückführung typischerweise verbundene Beeinträchtigungen nicht geeignet, eine Rückführungsanordnung in Frage zu stellen. Der mit der Rückführung des Kindes verbundene Wegfall der Umgebung und ggfls. der Mutter als Hauptbezugsperson bedeute sicherlich eine seelische Belastung des Kindes. Die Kindesmutter sei, wie auch der Verfahrensbeistand bestätigt habe, die Hauptbezugsperson für N . Dies reiche für die Annahme einer schwerwiegenden Gefährdung aber keinesfalls aus.

Die Veränderung der momentanen Lebenssituation sei typische Folge der von dem entführten Elternteil widerrechtlich herbeigeführten Lage und somit grundsätzlich als unvermeidbar hinzunehmen. Außerdem stehe es der Kindesmutter frei und sei ihr auch zuzumuten, mit dem Kind zusammen für die Dauer des italienischen Sorgerechtsverfahrens nach Italien zurückzukehren. Auch der Ausnahmetatbestand des Artikel 13 Absatz 2 HKÜ liege nicht vor, wonach von einer Rückgabeanordnung abgesehen werden könne, wenn das Kind sich widersetze und dieses das Alter und die Reife erlange, angesichts deren es angebracht erscheine, seine Meinung zu berücksichtigen. N sei aufgrund ihres Alters nicht in der Lage, eine fundierte eigene Meinung zur Frage der Rückführung zu äußern. Aufgrund des noch sehr jungen Alters des Kindes habe das Gericht dementsprechend auch von einer persönlichen Anhörung abgesehen.

Gegen den ihr am 15.4.2013 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hamm vom11.4.2013 hat die Antragsgegnerin mit einem am 25.4.2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.

Zur Begründung der Beschwerde beruft sich die Antragsgegnerin im Wesentlichen darauf, der Antragsteller habe ihrer Ausreise zusammen mit dem gemeinsamen Kind zugestimmt, wie sich aus den gewechselten SMS - unter Berücksichtigung ihres Empfängerhorizontes - ergebe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung den Rückführungsantrag des Antragstellers zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Im Termin vom 28.5.2013 hat der Senat die Kindeseltern, den Verfahrensbeistand und die Vertreterin des Jugendamtes angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk zum Termin vom 28.5.2013 verwiesen.

Von einer Anhörung des zum Zeitpunkt des Senatstermins erst 2 1/2jährigen Kindes N hat der Senat abgesehen, da dies auch nach dem Bericht des Verfahrensbeistandes, wonach N bislang kaum spreche, unangebracht erschien (vgl. Art. 11 Abs. Brüssel-IIa-VO (VO (EG) 2201/2003 vom 27.11.2003, in Deutschland in Kraft seit 1.3.2005).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 40 Abs. 2 IntFamRVG, 58 ff. FamFG) Beschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung des Rückführungsantrags des Antragstellers.

Das nach §§ 11, 12 Abs. 1 des Gesetzes zum Internationalen Familienrecht (IntFamRVG) erstinstanzlich zur Entscheidung über den Rückführungsantrag berufene Amtsgericht Hamm hat die Verpflichtung der Kindesmutter zur Rückführung von N nach Italien entsprechend dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (im Folgenden "HKÜ") zu Unrecht angenommen. Es liegt nämlich ein Ausnahmetatbestand nach Art. 13 Abs. 1 lit a) HKÜ vor.

Im Einzelnen:

1.

Die umfassenden Ausführungen des Amtsgerichts zu seiner Zuständigkeit und den Voraussetzungen einer Rückführungsanordnung gemäß Art. 12 i.V.m. Art. 3 HKÜ werden von der Beschwerde nicht angegriffen und unterliegen auch keinen rechtlichen Bedenken. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher hierauf zunächst Bezug genommen.

2.

Rechtlich zutreffend hat das Amtsgericht insbesondere angenommen, dass N vor dem Umzug nach Deutschland Ende August 2012 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat, nämlich in Italien, gehabt hat.

Der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes ist der Ort, an dem sich der tatsächliche Lebensmittelpunkt, der Daseinsschwerpunkt des Kindes befindet. Grundsätzlich ist hierfür eine gewisse Verweildauer erforderlich, ferner müssen Beziehungen familiärer oder auch beruflicher Art hinzukommen, die den Schwerpunkt der persönlichen Bindungen der betreffenden Personen ausmachen.

Gemessen hieran bestehen vorliegend aus der Sicht des Senates keine Zweifel an der Annahme, der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes sei Italien gewesen; hier hat es seit seiner Geburt bis zu seiner Ausreise nach Deutschland Ende August 2012 durchgehend gelebt.

3.

Ebenso wenig bestehen Bedenken gegen die amtsgerichtliche Bejahung eines

(Mit-)Sorgerechts des Antragstellers für seine Tochter:

Das Rechtsverhältnis zwischen Kindern und Eltern unterliegt nach Art. 20, 16 des am 01.01.2011 in Kraft getretenen Kinderschutzübereinkommens dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Mit einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes ändert sich aber auch das Statut des Eltern-Kind-Verhältnisses. Das Kindschaftsstatut, das an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes anknüpft, ist damit wandelbar (vgl. Henrich, in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 2008, Art. 21 EGBGB Rn. 25, 26). Das HKÜ stellt für die Frage, ob eine Verletzung des Sorgerechts vorliegt, auf das Recht des Staates ab, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.06.2011),

Beide Eltern sind vorliegend in die Geburtsurkunde eingetragen (vgl. Bl. 9 GA). Nach italienischem Recht steht beiden Eltern unabhängig vom Bestehen einer Ehe und/oder eines gemeinsamen Wohnsitzes die gemeinsame elterliche Sorge zu (vgl. die Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Rom Bl. 12 GA).

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, die Sorge sei von dem Kindesvater im Sinne von Art. 3 S. 1 b) HKÜ nicht ausgeübt worden, bestehen aus der Sicht des Senates nicht, zumal der Kindesvater auch nach der Trennung in die Betreuung N s während der Arbeitszeiten der Kindesmutter eingebunden war.

An die Voraussetzung tatsächlicher Ausübung sind überdies keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; durch dieses Erfordernis sollen nur Sorgeverhältnisse ausgeschlossen werden, bei denen die gesetzlichen oder vereinbarten Rechte und Pflichten überhaupt nicht, auch nicht hin und wieder wahrgenommen werden (Pirrung, in: Staudinger, EGBGB/IPR 2009, HKÜ, Rz. D 32).

4.

Anders als das Amtsgericht geht der Senat davon aus, dass der Kindesvater der Verbringung N s nach Deutschland zugestimmt hat, so dass der Ausnahmetatbestand des Art. 13 HKÜ - modifiziert durch Art. 11 Brüssel-IIa-VO (VO (EG) 2201/2003 vom 27.11.2003, in Deutschland in Kraft seit 1.3.2005) - zu bejahen ist.

a) Eine Zustimmung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit a) HKÜ kann auch konkludent erklärt werden; für ihr Vorliegen kommt es auf den Empfängerhorizont an (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 01. September 2008 - 7 UF 835/08 - FamRZ 2009, 240)

aa)

Eine solche Zustimmung ergibt sich aus der Sicht des Senates im Übereinstimmung mit dem Amtsgericht allerdings nicht aus der handschriftlichen Erklärung des Antragstellers vom 17.8.2012 (Bl. 15 f.): Dieses Schreiben ist an das Einwohnermeldeamt des bisherigen Wohnortes Z B/Sizilien gerichtet und gibt lediglich die Zustimmung des Kindesvaters zu einem "Wohnsitzwechsel" wieder. Auch aus dem zeitlichen Zusammenhang mit der Anmietung einer eigenen Wohnung durch die Kindesmutter kann damit lediglich eine Ummeldung innerhalb der Gemeinde (bzw. innerhalb von Italien) gemeint sein. Hätte sich diese Erklärung auf einen Umzug nach Deutschland bezogen, so wäre nicht verständlich, weshalb der Kindesvater diese gegenüber der Gemeinde auf Sizilien hätte erklären sollen. Im Übrigen hat die Kindesmutter selbst im Senatstermin erläutert, eine derartige Erklärung sei von den italienischen Behörden im Zusammenhang mit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung verlangt worden.

bb)

Der Senat geht allerdings davon aus, dass der Antragsteller seine Zustimmung zum Verbringen N s nach Deutschland im Rahmen des im Termin vor dem Amtsgericht im Einzelnen zur Sprache gekommenen SMS-Verkehrs der Beteiligten (Bl. 66 ff. GA) erteilt hat. So heißt es etwa in der Nachricht des Kindesvaters vom 20.7.12, 22.34 Uhr: "Dann geh" bzw. vom 27.7.2012, 20.16 Uhr: "Wenn Du nach Deutschland möchtest, geb ich Dir die Erlaubnis". Auf die Antwort der Kindesmutter "Ja, ich möchte aber mit N gehen!!!" hat es von Seiten des Kindesvaters nicht etwa sinngemäß gehießen : "Keinesfalls", sondern seine Reaktion ("Du hast weder Herz noch Hirn, es reichen zwei Tage Stress und willst schon weg. Du hast mir vorgespielt, mich gern zu haben nur um die Erlaubnis zu bekommen Du bist eine Infame!!") stellt sich als der Frage ausweichend, nicht aber eindeutig als diese verneinend dar. Am nächsten Tag heißt es von Seiten des Kindesvaters (28.7.2012, 11.37 Uhr) wiederum: "Ich habe Dir gesagt, dass Du darfst" - auch diese Aussage enthält keinerlei Vorbehalt hinsichtlich der gemeinsamen Tochter. Angesichts des Umstandes, dass N seit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung durchgehend bei der Mutter gelebt hat - und von dieser unstreitig seit ihrer Geburt ganz überwiegend betreut und versorgt worden war - , hätte es auf Seiten des Kindesvaters nahegelegen, ausdrücklich darauf zu verweisen, dass das Kind bei ihm bleiben könne bzw. zu bleiben hätte, wenn er zu diesem Zeitpunkt nur mit einem Wegzug der Mutter, nicht aber auch mit einem solchen des Kindes einverstanden gewesen wäre.

Auch auf die SMS der Kindesmutter vom 30.7.2012 ("Meinst Du das ernst, wir dürfen nach Deutschland?") ist keine - klarstellende - Reaktion des Kindesvaters erfolgt - etwa im Sinne von "Du darfst nach Deutschland, aber nicht das Kind". Stattdessen heißt es am 30.7. "Wenn das Mädchen es Dir übel nimmt, bist Du schuld, nicht ich...Idiot" - was der Senat als ausdrücklichen Verweis auf den gemeinsamen Umzug von Mutter und Kind und damit das Herausreißen des Kindes aus seiner vertrauten Umgebung versteht.

Aus der Sicht des Empfängers kann der zitierte SMS-Schriftverkehr der Kindeseltern mithin nach Auffassung des Senates nicht anders als - zumindest konkludente - Zustimmung zu der Ausreise auch des Kindes nach Deutschland verstanden werden.

cc)

Der Kindesvater hat seine Zustimmung zum Verbringen N s nach Deutschland nicht wirksam widerrufen.

Hiervon hat der Senat auszugehen, da der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsteller den diesbezüglichen Beweis nicht erbracht hat.

Im Einzelnen:

(1)

Grundsätzlich entfällt die Voraussetzung für die Ablehnung der Rückführung wegen nachträglicher Zustimmung gem. Art. 13 Abs. 1 a) 2. Alt. HKÜ, wenn der eine Elternteil diese Zustimmung später wirksam widerruft (vgl. Senat, Beschluss vom 07. Dezember 2005 - 11 UF 219/05). Insofern ist hier der Rechtsgedanke des § 183 BGB fruchtbar zu machen.

Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen eines Widerrufs ist nach allgemeinen Grundsätzen der Antragsteller als derjenige, für den diese Tatsache im Verfahren günstig wäre.

(2)

Bereits nach seinem eigenen Vorbringen im Senatstermin hat der Kindesvater am Tag der Abreise der Kindesmutter im Rahmen ihres Zusammentreffens am Busbahnhof nicht ausdrücklich erklärt, seine Zustimmung zur Verbringung N s nach Deutschland zu widerrufen. Die konkrete Frage des Senates, ob er sich der Kindesmutter gegenüber in diesem Sinne geäußert habe, als man an dem Morgen des 30.8.2012 vor Abfahrt des Reisebusses zusammengetroffen sei, hat der Kindesvater im Senatstermin klar verneint. Er habe in dieser Situation nicht mit der Kindesmutter diskutieren wollen - so seine Erklärung vor dem Senat.

(3)

Der Widerruf erfolgt, wie die Einwilligung selbst, durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung; er kann daher auch durch schlüssiges Verhalten kundgetan werden (vgl. vgl. zu § 183 BGB etwa Gursky, in: Staudinger, BGB - Neubearbeitung 2009, § 183 Rdn. 9; Bub, in: Beck'scher Online-Kommentar BGB, Hrsg: Bamberger/Roth, Stand: 1.5.2013, 3 183 Rdn. 2; RGZ 133, 249). Entscheidend ist insofern der Empfängerhorizont.

Dass der Antragsteller aus der Sicht der Antragsgegnerin dieser gegenüber vor ihrer Abreise konkludent zum Ausdruck gebracht hätte, dass er mit dem Umzug N s nach Deutschland nicht (mehr) einverstanden wäre, hat der auch insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsteller allerdings ebenso wenig bewiesen.

Zwar ist unstreitig der Kindesvater am Tag der Abreise zusammen mit uniformierten Beamten - gleich ob Carabinieri oder Polizisten - an dem Busbahnhof erschienen, an dem die Kindesmutter mit N in den Bus nach Deutschland steigen wollte. Ebenfalls unstreitig wurden die Papiere der Kindesmutter - nicht aber die ihrer mitreisenden Schwester - von den Beamten kontrolliert und ihr wegen unzureichender Papiere für die Tochter mögliche Probleme an der Grenze in Aussicht gestellt. Auch wenn für die Kindesmutter bereits aus dem Umstand, dass allein ihre Papiere kontrolliert wurden, klar sein musste, dass das Auftauchen der uniformierten Beamten auf Initiative des Kindesvaters erfolgt war, lässt dies allein vom Empfängerhorizont her noch nicht den Schluss darauf zu, der Kindesvater habe seine Meinung geändert und sei nunmehr ausdrücklich gegen die Abreise zumindest des Kindes. Dies gilt umso mehr, als sich auch aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht ergibt, dass die Beamten gegenüber der Kindesmutter ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hätten, sie dürfe nicht abreisen. Vielmehr haben sie die Antragsgegnerin - wie unstreitig ist - nach der Durchsicht der Papiere mitsamt der Tochter unbehelligt in den Bus einsteigen lassen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vorbringen des Kindesvaters im Senatstermin, er sei mit den Carabinieri am Busbahnhof erschienen, als die Kindesmutter noch nicht dort gewesen sei. Die Beamten hätten daraufhin erklärt, er möge sie bei Auftauchen der Kindesmutter anrufen und hätten sich entfernt. Daraufhin sei - so der Kindesvater - die Kindesmutter erschienen und habe ihn angefleht, die Carabinieri nicht zu rufen, woraufhin er ohne weitere Worte zum Hörer gegriffen und die Beamten angerufen hätte. Auch dieses Vorbringen hat die Antragsgegnerin bestritten - die Beamten seien bereits am Busbahnhof gewesen, als sie mit N und ihrer Schwester dort angekommen sei -, ohne dass der Antragsteller für seine Version der Geschehnisse einen - zumal nach den Grundsätzen des HKÜ-Verfahrens tauglichen - Beweis angeboten hätte.

Soweit der Kindesvater im Senatstermin weiter erklärt hat, die Beamten hätten in Anwesenheit der Kindesmutter telefonisch Rücksprache mit einem - letztlich aber für den Fall nicht zuständigen - Richter gehalten, um die Abreise der Kindesmutter mit dem Kind zu verhindern, hat die Antragsgegnerin dieses Vorbringen ebenfalls bestritten: Keiner der Anwesenden habe ihr gegenüber in dieser Situation auch nur ansatzweise zum Ausdruck gebracht, es sei ihr verboten, mit N abzureisen; falls man ihr dies gesagt hätte, hätte sie von der Abfahrt abgesehen. Der Antragsteller allerdings hat für dieses - bestrittene - Vorbringen ebenfalls keinen Beweis angeboten.

Der Umstand, dass der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsteller den Beweis des Widerrufs seiner Zustimmung nicht erbracht hat, geht zu seinen Lasten (non liquet).

(4)

Ob in der nachträglichen Kommunikation der Kindeseltern - etwa über Facebook - ein Widerruf der Zustimmung des Kindesvaters gesehen werden kann, kann dahinstehen, denn dieser wäre - da nach der Verbringung N s ins Ausland erfolgt - jedenfalls verspätet (vgl. auch insoweit die Regelung des § 183 BGB).

dd)

Ist nach alledem davon auszugehen, dass der Antragsteller seine zuvor erteilte Zustimmung zur Ausreise N s nach Deutschland nicht wirksam widerrufen hat, so war die Verbringung des Kindes nicht widerrechtlich im Sinne von Art. 13 Abs. 1 lit a) HKÜ mit der Folge, dass der Antrag auf Rückführung des Kindes nach Italien zurückzuweisen war.

5.

Zur Information der Antragsgegnerin über den weiteren Verlauf des Verfahrens weist der Senat abschließend auf Folgendes hin:

Der Senat hat gemäß Art. 11 Abs. 6 Brüssel-IIa-VO eine Abschrift dieser Entscheidung unverzüglich an das zuständige italienische Gericht oder die italienische Zentrale Behörde zu übermitteln. Das zuständige Gericht in Italien hat dann die Möglichkeit, auf Antrag einer der beteiligten Elternteile das Sorgerecht für N neu zu regeln. Sollte in diesem Rahmen die Herausgabe des Kindes angeordnet werden, hätte dies gemäß Art. 11 Abs. 8 Brüssel-IIa-VO Vorrang vor der die Rückführung ablehnenden vorliegenden Entscheidung des Senates (vgl. Solomon, Brüssel II a, in: FamRZ 2004, S. 1417).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG i.V.m. Art. 26 HKÜ. Die Festsetzung des Gegenstandswertes stützt sich auf § 45 Absatz 3 FamGKG.

IV.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 40 Absatz 2 Satz 4 IntFamRVG ausgeschlossen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist daher nicht erforderlich.