BVerfG, Beschluss vom 29.05.2013 - 1 BvR 1083/09
Fundstelle
openJur 2013, 28944
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. B 14 AS 2/08 R
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Die 1993 geborene Beschwerdeführerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum mit ihrer Mutter, deren neuem Partner und dessen Tochter zusammen. Der neue Partner der Mutter gewährte der Beschwerdeführerin nach eigenem Bekunden freie Kost und Logis.

Mit Wirkung zum 1. August 2006 wurde § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II neugefasst (Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006, BGBl I S. 1706). Nunmehr sind bei unverheirateten Kindern, die mit einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können, nicht nur das Einkommen und Vermögen des Elternteils, sondern auch das Einkommen und Vermögen des mit dem Elternteil in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen.

Vor diesem Hintergrund hob der Leistungsträger im Juli 2006 unter Hinweis auf die aus dem Einkommen des Partners der Mutter der Beschwerdeführerin resultierende mangelnde Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch, die bereits für die Zeit bis zum 31. August 2006 erfolgt war, ihr gegenüber für August 2006 auf.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage der Beschwerdeführerin wurde vom Sozialgericht abgewiesen. Die zugelassene Sprungrevision, mit der die Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung geltend gemacht wurde, wurde vom Bundessozialgericht zurückgewiesen.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen sowie mittelbar gegen § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG), der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie von Art. 6 Abs. 5 GG.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Zur notwendigen Begründung einer Verfassungsbeschwerde gehört die substantiierte Darlegung, dass der Beschwerdeführer durch den angegriffenen Hoheitsakt in einem eigenen Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzt sein könnte (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>). Liegt die Verletzung des Grundrechts nicht auf der Hand, ist dies anhand der einschlägigen Maßstäbe im Einzelnen darzulegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 – 1 BvR 1584/10 –, juris, Rn. 3; Magen, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 92 Rn. 48). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen bedarf es einer Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungen und deren konkreter Begründung (vgl. BVerfGE 88, 40 <45>; 101, 331 <345>; 105, 252 <264>). Es reicht nicht aus, den Erwägungen der angegriffenen Entscheidung nur die eigene Sichtweise entgegenzustellen (vgl. BVerfGK 2, 22 <24>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Januar 2010 – 1 BvR 2973/06 –, juris, Rn. 5).

2. Diese Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde sind hier nicht erfüllt.

a) Eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Beschwerdeführerin ist nicht schlüssig behauptet. Es ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern in § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II ein Eingriff in dieses Grundrecht liegen könnte. § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II legt der Beschwerdeführerin keine Rechtspflicht auf. In der Nichtgewährung einer staatlichen Leistung liegt kein Grundrechtseingriff, weil nicht die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte betroffen ist (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Januar 2007 – L 13 AS 27/06 ER –, juris, Rn. 6). In Rede steht vielmehr das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, für dessen Ausgestaltung aus grundrechtlicher Sicht allein Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG maßgeblich ist (vgl. BVerfGE 125, 175 <227>; BVerfGK 17, 375 <377>).

b) Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG behauptet, ist die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend substantiiert.

Die Beschwerdeführerin hat nicht dargelegt, inwieweit ihr menschenwürdiges Existenzminimum während des streitgegenständlichen Zeitraums nicht gesichert gewesen war. Nach den im August 2006 geltenden und nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 anzuwendenden (BVerfGE 125, 175 <259>) gesetzlichen Regelungen betrug die Regelleistung nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II a. F. in Verbindung mit § 20 Abs. 2 SGB II a. F. 207 Euro je Monat; Kosten für Unterkunft und Heizung wurden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II a. F. gesondert erstattet. Es fehlt vorliegend an den zur Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG notwendigen Ausführungen dazu, inwieweit eine Regelleistung trotz der Zahlung von Kindergeld und der Gewährung von „Kost und Logis“, die in Abzug zu bringen waren, zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums noch erforderlich gewesen wäre.

c) Ob der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 5 GG, dessen Verletzung die Beschwerdeführerin ebenfalls rügt, hier betroffen ist, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben.

d) Auch eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht plausibel dargetan. Die Beschwerdeführerin ist insofern der Ansicht, dass ihr Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums verletzt werde, während Kinder in ehelichen Bedarfsgemeinschaften nach §§ 1360, 1360a BGB ihr Recht auf Sicherung des Existenzminimums gegenüber dem leistungsfähigen Unterhaltsverpflichteten durchsetzen könnten.

Soweit die Beschwerdeführerin damit unter einem anderem rechtlichen Gesichtspunkt abermals rügen will, dass ihr Existenzminimum nicht gesichert sei, geht die Rüge schon deswegen ins Leere, weil Art. 3 Abs. 1 GG für die Bemessung des Existenzminimums keine weiteren Maßstäbe zu setzen vermag (vgl. BVerfGE 125, 175 <227>). Soweit die Beschwerdeführerin damit hingegen eine Verfassungswidrigkeit der zivilrechtlichen Unterhaltsvorschriften behaupten will, bewegt sich die Verfassungsbeschwerde außerhalb des fachgerichtlichen Streitgegenstandes.

e) Soweit die Beschwerdeführerin schließlich rügt, dass der Partner ihrer Mutter hinsichtlich der nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu berücksichtigenden Leistungen nicht nach § 32 Abs. 6 Satz 7 EStG a.F. steuerlich privilegiert werde, macht sie nicht die Verletzung von eigenen Rechten geltend.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.